Die Arbeitswelt steht vor einem gravierenden Umbruch: Demographischer Wandel, Globalisierung und Digitalisierung beeinflussen die Entwicklung maßgeblich. Mitarbeitende für diese kommenden Veränderungen bringen Kreativität, Empathie und ganzheitliches Denken mit. Sie sammeln nicht nur das faktische Wissen an, sondern wissen es individuell und lösungsorientiert anzuwenden. Interdisziplinarität und die Bereitschaft, sich stetig weiter zu entwickeln halten einen Menschen in einer volatilen Arbeitsumgebung beschäftigungsfähig. Die größte Herausforderung ist aber der Kulturwandel im Unternehmen.
Technische Ausstattung reicht nicht
Künstliche Intelligenz (KI) hat mit Siri oder Alexa längst im Privaten Einzug gehalten. Solche Gadgets sind mal hilfreich, mal lustig. Anders steht es um die Bedeutung dieser disruptiven Technologien in Unternehmen. Digitalisierung, KI-Anwendungen und Automatisierung stellen Unternehmen vor große Aufgaben – mit impliziten Risiken, aber auch großen Chancen. Sie ändern nicht nur einzelne Aufgaben, Prozesse und Produkte, sondern revolutionieren ganze Branchen. Viele Applikationen stecken noch in den Kinderschuhen, haben aber trotzdem bereits erhebliche Auswirkungen. Die Corona-Krise hat der Digitalisierung einen ordentlichen Schub gegeben: Unternehmen haben in Rekordzeit technisch „aufgerüstet“. Mitarbeitende und Führungskräfte haben unter Realbedingungen gesehen, was alles möglich ist. Das beginnt mit zeit- und ortsunabhängigem Arbeiten. Häufig nur Lippenbekenntnis und bisher eher sporadisch genutzt, wird diese Arbeitsform zukünftig sicherlich nachhaltig mehr Akzeptanz erfahren. Wer jetzt aber denkt, Digitalisierung sei mit der Bereitstellung der technischen Voraussetzungen und digitalen Tools erledigt, liegt falsch.
Einige Jobs verschwinden, andere werden neugestaltet.
In der Produktion hat eine Kombination von Automatisierung und Künstlicher Intelligenz bereits jetzt die Effizienz erheblich gesteigert. Mehr als 80 Prozent der repetitiven, prozessorientierten Aufgaben sollen in drei bis fünf Jahren automatisiert sein. Bis zu 50 Prozent aller Jobs können in den nächsten zwei Dekaden verschwinden. Das betrifft nicht nur die Arbeiter. Auch auf Managementebene werden Algorithmen künftig immer mehr Prozesse selbständig berechnen und Entscheidungsvorgaben machen. Im Zuge der Einführung von KI-Systemen werden nicht nur eine Vielzahl von Rollen neu definiert werden, es werden ganze Berufe, ja ganze Branchen neu geschaffen. Diese Entwicklung macht vor keiner Sparte und Ebene Halt. So gibt es Studien, nach denen KI-Anwendungen schon in circa fünf Jahren drei Viertel aller Managementaufgaben übernehmen könnten.
So werden bestimmt einige Arbeitsplätze verloren gehen. Aus der Geschichte lernen wir aber, dass durch Innovationen auch zahlreiche neue Jobs geschaffen werden. So gibt es Social Media Manager bspw. auch erst seit gut 10 Jahren. Unbestritten werden sich aber beinahe alle Tätigkeiten verändern – mal mehr, mal weniger. Jobs bestehen heutzutage meist aus zahlreichen Aufgabengebieten. Wenn repetitive, sich wiederholende Aufgaben wegfallen, bleibt mehr Zeit und Raum für Kreativität und Service. Hier liegt die große Chance für Unternehmen.
Mehr Flexibilität und veränderte Komplexitäten
Der Trend zu immer interdisziplinäreren und komplexeren Projekten wird sich verstärken. Die Schlagworte „Agile Methoden“ und „Agiles Projektmanagement“ sind in aller Munde. Projektteams werden kurzfristig und flexibel – je nach geforderten Kompetenzen und Fähigkeiten – zusammengestellt werden. Gleichbleibende Aufgaben und entsprechend eindeutig zugeordnete Mitarbeitende werden ersetzt durch Aufgaben- und Verantwortungsbereiche, in denen je nach Kundenanforderung die Projekte organisiert, strukturiert und mit den dafür kompetenten Menschen besetzt werden. Die Wandlung vom Wissensträger zur sogenannten „Solution Workforce“ gewinnt an Dynamik. Letztere weiß unterschiedliche Informationen, relevante Wissensquellen und viele lose Enden eines Themas miteinander zu verknüpfen für das optimale Ergebnis.
Erhöhte Anforderungen
Das erfordert viel Flexibilität und Stressresistenz von den Mitarbeitenden. Mit den damit einhergehenden Unsicherheiten kann nicht jeder Mensch gleich gut umgehen. KI-Anwendungen und Automatisierung haben aber noch weitere Auswirkungen: Die Komplexität der Arbeit verändert sich: Während einige Bereiche und Tätigkeiten durch Automatisierung monotoner werden, werden andere vielschichtiger. Mittelfristig muss deswegen unser Verständnis für Arbeit neu geschaffen werden. Der Umfang wird weniger wichtiger werden, die Qualität dafür umso mehr. Da auch Führungskräfte in diesem sich ändernden Umfeld und diversen Themenkomplexen nicht allwissend sein können, ändert sich auch deren Aufgabe innerhalb solcher Teams: Im Extremfall ersetzt die Selbststeuerung der Teams nach Zielen genaue Anweisungen und damit auch – zumindest die fachliche – Führung durch Führungskräfte.
Herausforderung Mitarbeiterführung
Führungskräfte werden damit aber nicht entbehrlich. Es werden jedoch andere Anforderungen an sie gestellt: Sie sollen Teams schnell arbeitsfähig machen, d.h. ein Arbeitsumfeld und vor allem auch eine Atmosphäre schaffen, die Kreativität und Leistungsbereitschaft fördern. Außerdem müssen sie den Prozess der Produktivität moderieren und zwischen den Teammitgliedern vermitteln. Das erfordert deutlich mehr Einsatz sogenannter „Soft Skills“ wie Empathie, Kommunikationsfähigkeit, Kreativität und Menschenkenntnis.
Die Beziehung zwischen Team und Führungskraft wird sich auch in anderer Hinsicht ändern: Die wachsende Datentransparenz bei Tätigkeiten ermöglicht eine direktere und detailliertere Rückmeldung zur Leistung. Das kann Mitarbeitende motivieren oder frustrieren. Hier gilt es, Führungskräfte entsprechend zu schulen und/oder Wege zu finden, diese Rückmeldung möglichst neutral zu vermitteln. Eine Leistungsbeurteilung durch eine KI-Anwendung könnte dabei sogar helfen und als positiv wahrgenommen werden, gerade weil die emotionale Komponente fehlt. Allerdings muss auch eine solche Bewertung nachvollziehbar und überprüfbar bleiben. Grundsätzlich gilt: Eine konstruktive Fehlerkultur im Unternehmen hilft hierbei allen.
KI als Chef:in?
KI-Anwendungen werden Führungskräfte in der Zukunft immer mehr unterstützen, um sachlich fundierte Entscheidungen zu treffen und dabei auch sukzessive logistische aber auch selektive Managementfunktionen übernehmen (bspw. Entscheidungen wie Investitionsentscheidungen, Kostensenkungsmöglichkeiten, Restrukturierungs-entscheidungen). Das kann eine KI-Anwendung sachneutral und ohne Stereotypen bzw. „Nasenfaktor“. „Chef:in sein“ geht aber über das Management von Projekten hinaus. Es braucht Leadership. Denn Führen bedeutet ja nicht nur, die richtigen Entscheidungen zu treffen, sondern vor allem Vorbild zu sein. KI wird den Menschen nicht ohne weiteres ersetzen können. Führungskräfte müssen begeistern, motivieren, bewegen und emotional abholen – insbesondere in Zeiten des Wandels. Auf absehbare Zeit wird der menschliche, emotionale Faktor deswegen sogar noch wichtiger werden.
Weiterbildung essentiell
Vieles ist also im Umbruch. Solche gravierende Veränderungen machen vielen Angst. Die Auswirkungen Künstlicher Intelligenz auf die Arbeitswelt bereiten vielen Menschen Sorgen: Drei von vier Bundesbürger:innen sind der Meinung (75 Prozent), dass die Angestellten in Deutschland „gar nicht“ oder „eher weniger gut“ auf die durch den KI-Einsatz ausgelösten Veränderungen vorbereitet sind. Das hat eine repräsentative Umfrage im Auftrag des TÜV-Verbands unter 1.000 Personen ab 16 Jahren ergeben.
Auf den Weg zu einem grundlegenden neuen Verständnis von Arbeit müssen deswegen alle Menschen mitgenommen werden. Von zentraler Bedeutung dafür sind Weiterbildungen: Zum einen fachlich, um die neuen Technologien – zumindest im Groben – zu verstehen und sich diesen neuen Herausforderungen gewachsen zu fühlen. Das umfasst nicht nur Weiterbildungen im Bereich KI, IT oder anderen technischen Fachgebieten, sondern auch Projektmanagement oder Management-Methoden. Zum anderen braucht es die persönliche Weiterentwicklung der Führungskräfte und Mitarbeitenden, um mit den Änderungen der Arbeitsanforderungen umgehen zu können und um Über- aber auch Unterforderung zu vermeiden. Außerdem bietet es sich an, Kreativitätstechniken, Empathie, Kommunikationsfähigkeit und interkulturelle Kompetenzen zu fördern.
TÜV SÜD als Sachverständigenorganisation lebt vom fachlichen Know-how und der Serviceorientierung unserer Mitarbeitenden. Wir sehen diese Entwicklungen kommen und haben unsere hauseigene Mitarbeiterakademie um eine Online-Lernplattform ergänzt, in der sich alle Mitarbeitenden niedrigschwellige und direkt zugängliche Lernangebote zu verschiedenen Themen aus Technik, Management und Zusammenarbeit heraussuchen können. Diese sogenannten Learning-Nuggets sind Videos, Dokumente, Podcasts oder Webinare.
Was bedeutet das für die HR-Abteilung?
Auch HR-Abteilungen stehen vor einem Paradigmenwechsel: Klassische lineare Lebensläufe werden immer seltener zu finden sein und sind vielleicht für die kommenden Aufgaben auch nicht geeignet. Das stellt Recruiter vor die Herausforderung, aus vielen unterschiedlich qualifizierten Bewerbenden die richtigen herauszufinden.
Vor allem im Recruiting bietet es sich an, KI einzusetzen und dadurch geeignete Bewerber nicht nur anhand von fachlichen Qualifikationen wie Schulabschluss oder Weiterbildungen herauszufiltern, sondern auch anhand der Social Skills. Die TÜV SÜD-Landesgesellschaft in China hat bei einem ersten Feldversuch die erste Auswahlrunde im Bewerbungsprozess eine KI-Anwendung durchführen lassen. Ein Social-Bot hat die Bewerbungen von über 1.000 Bewerbern auf eine der rund 90 Trainee-Stellen analysiert. Das Programm filterte die Lebensläufe und untersuchte Antworten auf Fragestellungen, um so die benötigen fachlichen Fähigkeiten und auch die Social Skills einschätzen zu können. Diese Anforderungen wurden im Vorfeld definiert. Insgesamt brachte der Einsatz eine Ersparnis von ca. 23 Arbeitstagen. Diese Zeit wurde genutzt, um mit den ausgewählten Bewerbern ausführlicher in einer zweiten Runde zu sprechen und beschleunigte insgesamt den Besetzungsprozess.
Change als Challenge
Die Arbeitswelt von morgen wird offener, durchlässiger und weniger berechenbar sein, sie wird die Menschen überall auf der Welt stärker fordern, sie und sich selbst in ihr immer wieder neu zu definieren. Sie bietet dafür mehr Flexibilität in der Arbeitsgestaltung – vor allem bzgl. des Umfangs, mehr Variabilität in den Themen und vielleicht ist sie auch sinnstiftender.
Die vorangestellten Darstellungen zeigen: Eine der größten Herausforderungen im Umfeld der Digitalisierung ist die kulturelle Veränderung im Unternehmen. Dieser Kulturwandel muss mit dem technologischen Fortschritt einhergehen, um dessen Chancen überhaupt nutzen zu können. Allerdings ist sie ungleich schwieriger umzusetzen, als die technologische Ausstattung der Mitarbeitenden anzupassen. Der Kulturwandel trifft Mitarbeitende und Führungskräfte gleichermaßen, denn die Arbeitswelt ändert sich unaufhaltsam. Sie und natürlich die Unternehmen müssen mitziehen, wenn sie wettbewerbsfähig bleiben wollen. Unternehmen werden künftig mit ihrer wertvollsten Ressource – dem Wissen und der Innovationskraft ihrer Mitarbeiter – sorgsamer umgehen müssen.
Eine zukunftsfähige Unternehmenskultur muss entsprechend überlegt gestaltet sein – idealerweise unter Einbindung der Mitarbeiter. Eine Mitarbeiterbefragung zu Werten und Zielen kann wertvollen Input liefern. Diese Wurzeln und originären Werte und Ziele eines Unternehmens sollen sich deutlich in der Kultur widerspiegeln. Gleichzeitig muss damit Neugier auf Innovationen und Lust auf Wandel ebenso gefördert werden, wie kontinuierliches Lernen und Weiterdenken. Nur eine Kultur, die dies vorlebt und einfordert, hilft Mitarbeitenden, sich und ein breites Skill-Set zu entwickeln und das zielführend einzusetzen. Lernfähige und -willige Arbeitskräfte, die geleitet von einer wertebasierten Unternehmenskultur, genügend Freiräume zur Entfaltung ihrer Kompetenzen haben, sind Innovations-Enabler und helfen Unternehmen zu wachsen.
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