Das Internet der Dinge, kurz IoT vom englischen Begriff „Internet of Things“ – es ist in aller Munde. Wie stark ist IoT in München? Und wie entwickelt sich dieser Bereich hierzulande? Munich Startup ist auf Spurensuche gegangen.
Zu Beginn sollte eine Begriffsdefinition stehen, schließlich verstehen unter dem Internet der Dinge nicht alle Menschen das Gleiche. Ganz allgemein bezeichnet der Begriff die Vernetzung von Geräten, Sensoren etc. über gemeinsame Schnittstellen. Die Basis für IoT sind intelligente Objekte. Diese „Smart Objects“ sind Gegenstände, deren ursprüngliche Funktion mit Hilfe von eingebauten Sensoren, Mikroprozessoren oder Netzwerkadaptern erweitert wurden.
Wir wollen zwei für München gleichermaßen wichtige Bereiche des Internet der Dinge betrachten: Industrie 4.0, aber auch den Konsumenten-Bereich mit Smart Home oder Wearables.
In der Industrie 4.0 vernetzen sich die smarten Objekte mit „Embedded Systems“. Das sind kompakte Computer, die in anderen technischen Anlagen (Fahrzeuge, Produktionsmaschinen) eingebaut sind und diverse Funktionen der Anlagen steuern. Der Begriff Industrie 4.0 wurde stark in Deutschland geprägt und beschreibt die weitergehende Automatisierung und Individualisierung von Produktionsprozessen mit Hilfe von IoT-Technologien. Im Ausland ist der Begriff jedoch nahezu unbekannt, hier wird eher von IIot, also dem Industrial Internet of Things gesprochen.
Im B2C-Bereich erhält die Digitalisierung Einzug ins Privatleben, sei es mit Smart Home, Connected Cars oder Wearables wie Fitness-Trackern, Smart Watches usw. Auch hier geht es um vernetzte Geräte, die insbesondere Komfort-, Erkenntnis- und Sicherheitsgewinn bringen oder Energieeinsparungen.
Und dann gibt es natürlich noch die „Smart City“-Anwendungen, mit deren Hilfe Unternehmen, Verwaltung und Privatleben gleichermaßen revolutioniert werden. Unumstritten ist: IoT wird unser Leben und Wirtschaften radikal verändern.
Mehr vernetzte Maschinen als Menschen auf der Erde
Bis 2020 wird es Prognosen zufolge mehr als 20 Milliarden vernetzte Geräte geben. Tag für Tag kommen laut dem IT-Analyseunternehmen Gartner 5,5 Millionen hinzu. Schließlich ist kaum ein modernes Gerät heute ohne Internetanschluss. Neben Wearables und Smartphones sind Drucker und Webcams, aber auch Autos und Toaster ans Netz angeschlossen.
Marcus Köhler, der Gründer des Münchner Startups comfyLight ist sich sicher:
„IoT wird unser Leben deutlich mehr beeinflussen als das traditionelle Internet, schon deshalb, weil es bereits heute mehr Geräte miteinander vernetzt, als es Menschen auf der Erde gibt.“
Durch den disruptiven Wandel der IoT-gesteuerten „vierten industriellen Revolution“ sind nicht nur Geschäftsmodelle und Unternehmensstrategien, sondern auch Mitarbeiterkompetenzen sowie die gesamte Gesellschaft betroffen. Gleichzeitig kommt die Technik stellenweise nicht hinterher: Denn Sensoren werden zwar günstiger hergestellt, aber die Stromversorgung oder Batteriespeicherung ist noch unausgereift. Ähnliches gilt bei der Datenübertragung. Hier fehlen oftmals die Bandbreiten, um hochauflösende Daten zu übertragen. Oder aber es hapert an der noch mangelnden Datenauswertung. Ebenfalls fehlt es Unternehmen an kompetenten Mitarbeitern und jungen Talenten. Daraus entstehen große Herausforderungen.
Wie die deutsche Industrie mit IoT umgeht
Nur ein Drittel der internationalen Führungskräfte sieht sich in der Lage, ihr Unternehmen sicher durch die Disruption führen zu können, die Industrie 4.0 mit sich bringt. Das ergab der Anfang 2018 erschienene, globale „Industry 4.0 Readiness Report“ von Deloitte. Eine andere Studie von EY und Bitkom zum Thema „Industrie 4.0: Status Quo und Perspektiven“ zeigte auf, dass 2017 in Deutschland noch nicht einmal jede zweite Firma (45 Prozent) mit IoT-Lösungen arbeitet. Gegenüber 2016 entspricht das zwar einem Plus von vier Prozentpunkten. Und weitere 43 Prozent planen oder diskutieren den Einsatz von IoT. Aber diese Ergebnisse zeigen, dass es noch sehr viel Luft nach oben gibt.
Markus Reichenberger, als Gründer von neu.de ein Internet-Pionier und heute als CEO für das Unternehmen minnt im Bereich digitale Geschäftsentwicklung tätig, bringt es auf den Punkt:
„Die Herausforderung ist, dass plötzlich Produkte ‚intelligent‘ gemacht werden, bei denen man nie daran gedacht hat. Somit werden Mittelständler, die ein hohes handwerkliches Know-how und ein geringes IT-Wissen haben, gefordert, eine ‚IoT-Strategie‘ zu entwickeln. Daran werden viele scheitern — und neue Firmen entstehen.“
Dynamic Components-Gründer André Leimbrock ergänzt, dass IoT nur dann einen Umbruch für die Industrie bringen könne, wenn oben genannte Herausforderungen gemeistert würden. Leimbrock meint:
„Erfolgreich kann IoT nur sein, wenn der Einsatz der Technologien kein Selbstzweck ist, sondern entweder neue Geschäftsmodelle gefunden werden, die den Umsatz steigern bzw. stabilisieren oder eben Kosten gespart werden.“
Die deutsche Angst
Bei all den Möglichkeiten gibt es aber auch viele Ängste: Hacker könnten virtuell ins Kinderzimmer, ins Auto, ins Büro eindringen, oder aber ganze Produktionsketten in Fabriken lahmlegen. Eine große Herausforderung des Internet der Dinge sind daher die Themen Datenschutz und Datensicherheit – die möglichen Gefahren hat eine SZ-Reportage intensiv aufbereitet. Deutsche Hersteller sind dabei vorsichtiger als andere. Laut dem Fraunhofer Institute for Applied and Integrated Security AISEC reagieren viele Unternehmer verunsichert, der Bedarf nach IoT-Security-Schulungen ist sprunghaft angestiegen.
„IoT-Geräte bilden die Grundlage für komplexe Anwendungen und Geschäftsprozesse, sind jedoch oft anfällig für Angriffe. Unsichere Konfigurationen und fehlende Kontrolle führen dazu, dass zahlreiche Geräte durch Schadsoftware manipuliert werden. Verwenden Unternehmen die Daten dieser Geräte weiterhin in ihren Prozessen, kann dies fatale Folgen haben.“
so Viktor Deleski, Head of PR & Marketing des AISEC. Aus Sicht des Forschungsinstituts für IT-Sicherheit und Cyber-Security ist die Sicherheit bzw. das Vertrauen in die Geräte der Knackpunkt bei IoT.
Beim Konsumenten ist dieses Sicherheitsbewusstsein zumindest streckenweise nicht vorhanden, insbesondere der Komfort „sticht“ das Sicherheitsdenken. Allerdings ist der deutsche Verbraucher in vielen Bereichen noch gar nicht so weit, wie es sich IoT-Anbieter für den Konsumentenbereich wünschen würden – bislang wurden die vernetzten Objekte von den B2C-Kunden nicht so stark angenommen wie erhofft.
Nun zeichnet sich aber laut einer 2017 erschienen Studie von Deloitte eine Trendwende ab: der Consumer-IoT-Gerätebestand sei spürbar gestiegen. Die beliebtesten smarten Geräte sind aktuell noch Fitness-Tracker und Smart Watches. Wie kommt es zur Trendwende?
Tado-Gründer und CPO Christian Deilmann dazu:
„Die drei großen Smart-Home-Plattformen und Sprachassistenten von Amazon, Google und Apple genießen aktuell sehr große Aufmerksamkeit. Das hilft der Marktbereitung für smarte Anwendungen sehr.“
Ebenfalls eine Herausforderung ist – gerade im Smart Home – die wirklich nahtlose und effektive Zusammenarbeit der unterschiedlichen Geräte. Oft klappt das nicht, die Geräte unterschiedlicher Hersteller haben keine gemeinsamen Standards. Early Adopter nehmen das mit Humor. Wer tiefer eintauchen möchte, dem sei der Hashtag #Internetofshit empfohlen.
Der Nutzen von IoT
Neben all den Herausforderungen – welchen Nutzen kann IoT liefern? Fast poetisch formuliert das Andreas Kunze, Gründer und CEO von Konux:
„IoT bringt Licht ins Dunkel.“
Kunzes Erfolgsstartup Konux bietet durch künstliche Intelligenz gestützte Sensor- und Analysesysteme für eine vorausschauende Instandhaltung, arbeitet unter anderem mit der Deutschen Bahn zusammen – das Startup sammelte Millionen ein, wächst kontinuierlich und räumt einen Preis nach dem anderen ab.
Konkret kann der Nutzen von IoT gerade im industriellen Bereich in der Prozessoptimierung und in Effizienzgewinnen liegen. Das Potenzial hierfür ist immens. Wichtig dabei ist nicht nur die kontinuierliche Datenerhebung, um ein digitales Abbild der industriellen Vorgänge zu schaffen, sondern auch die gezielte, intelligente Datenauswertung. Neue Geschäftsmodelle können sich also auch um den Bereich Datenaustausch entwickeln.
Das Münchner Startup ProGlove beispielsweise konzentriert sich mit seinen Wearables für die Industrie ganz auf den Bereich der Prozessoptimierung. Damit gestaltet das Unternehmen Logistik- und Produktionsprozesse effizienter. Wieso sie sich genau darauf spezialisiert haben? CEO Thomas Kirchner erklärt:
„In der Industrie geht es immer darum, möglichst effizient eine hohe Qualität mit möglichst wenigen Mitteln zu erreichen. Wir sind davon überzeugt, dass dieser Technologiesprung das Potenzial hat, Effizienz, Qualität und Flexibilität um einen Faktor 10 zu verbessern.“
Digitale Zwillinge von Fabriken erstellen
Das Münchner Startup blik wiederum hat sich darauf spezialisiert, Daten für Logistik und Produktionsprozesse zur Verfügung zu stellen. COO Philip Eller beobachtet, dass immer mehr Unternehmen die Vorteile einer umfassenden Datenerfassung erkennen. Der Trend gehe dahin, digitale Zwillinge von Prozessen, Fabriken oder gar kompletten Supply Chains zu erstellen. Allerdings seien viele Industrieunternehmen mit der Auswertung und gezielten Nutzung der Daten überfordert. Das liegt sicher auch daran, dass es schwierig ist, die entsprechenden Experten zu finden und als Unternehmen genau diese Talente für sich zu gewinnen.
„Daher muss für alle IoT-Unternehmen das Ziel gelten, nicht nur Daten, sondern Mehrwerte wie z.B. Handlungsempfehlungen zu generieren“,
so blik-Gründer Philip Eller.
München: IoT-Hochburg Deutschlands
Ein 23 Milliarden Euro schweres Umsatzpotenzial prognostiziert die Beraterfirma McKinsey für 2020 im Bereich IoT. Die Studie sieht in Industrie 4.0 und vernetzten Autos in Deutschland die wichtigsten Anwendungsfelder. München ist gut aufgestellt. So hat die bayerische Landeshauptstadt für diesen Bereich wichtige internationale Player wie Siemens oder BMW vorzuweisen, und IBM, Microsoft, Amazon oder Google angezogen. Gleichzeitig verfügt München über eine starke Forschungslandschaft (beispielsweise gibt es ein eigenes Kompetenzzentrum Industrie 4.0 an der TUM School of Management), es gibt Kapital und es etabliert sich eine immer stärkere Startup-Szene — aber bedeutet das automatisch, dass wir auch die IoT-Hochburg Deutschlands sind?
CEO Thomas Kirchner ProGlove sagt:
„Alle erfolgreichen IoT- und Industrie-Startups Deutschlands liegen in München. In Berlin gibt es da vergleichsweise wenig: Sowohl für Hardware als auch für Industriekunden ist München das Zentrum.“
Wie kommt’s? Was ist der konkrete Vorteil von München? Andreas Kunze, Konux-Gründer, sieht ganz klar:
„München ist in Bezug auf IoT die stärkste Stadt Deutschlands, weil sich hier Anwender und Anbieter treffen.“
Tatsächlich ist es so, dass München neben den hier zitierten erfolgreichen Jungunternehmen wie den sensorgetriebenen LED-Lampen von ComfyLight, der intelligenten Heizsteuerung von tado, oder dem smarten Scannerhandschuh von ProGlove noch viele weitere Startups vorzuweisen hat, die weltweit mitmischen. Tacterion, das Startup für taktile Sensortechnologie, Bragi mit seinen smarten Ohrhörern, die Indoor-3D-Karten von NavVis, die aus DHDL bekannten iOS-Steckdosen von Parce, oder die vernetzten Fitnessgeräte von eGym.
Aus internationaler Sicht betrachtet könnte es für Europa — und speziell für Deutschland und München — ein großer Vorteil sein, sich insbesondere auf den Bereich IIoT, also Industrie 4.0. zu konzentrieren. Für Hansi Huber, Gründer der PeaceTech.Foundation, liegen hier die besonderen Kompetenzen Deutschlands:
„Wir können und lieben es, Prozesse zu verbessern und inkrementelle Innovation zu schaffen — all das lässt sich hier perfekt umsetzen.“
Wo es in Zukunft hingeht
Natürlich haben wir auch die Frage danach gestellt, was die Zukunft für IoT in Deutschland bringt, wo es hingehen könnte. Einig sind sich alle – um eine intelligentere Datenerhebung und Datenauswertung kommen wir beim Thema IoT nicht herum.
Mit Hilfe von künstlicher Intelligenz können die Unmengen an gesammelten Daten zielgerichtet und auf Kundenwünsche abgestimmt ausgewertet werden. Außerdem wird es darum gehen, auch die Prozesse der Datenübermittlung vom Prozess hin zum Auswerter und zurück zur Maschine intelligenter zu machen.
Im Consumerbereich geht es zusätzlich darum, die Nutzerfahrung angenehmer zu machen, beispielsweise durch Voice Search. Wichtig ist auch ein optimaleres Zusammenspiel der einzelnen Geräte. Vielleicht können auch gemeinsame Standards entwickelt werden, die sich weltweit durchsetzen?
Eines ist sicher: Egal, welche Geschäftsmodelle hier noch künftig entstehen werden – wir können gespannt bleiben!
(Dieser Beitrag ist bereits im Original auf Munich Startup erschienen.)
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