Reinvention als Chance: Staatssekretär Tobias Gotthardt über Technologie, Transformation und Bayerns Rolle in Europa
Die digitale und technologische Transformation fordert Unternehmen, Politik und Gesellschaft gleichermaßen heraus. Begriffe wie Künstliche Intelligenz, Quantencomputing oder digitale Zwillinge sind längst keine Zukunftsmusik mehr, sondern prägen bereits heute Geschäftsmodelle, Arbeitswelten und den Alltag vieler Menschen. Im Zentrum steht dabei die Frage: Wie kann Deutschland – und speziell Bayern – diesen Wandel nicht nur bewältigen, sondern aktiv gestalten? Welche Herausforderungen sind dabei zu bewältigen? Wo stehen wir heute im internationalen Vergleich?
Tobias Gotthardt ist Staatssekretär im Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie. Der Begriff „Reinvention“ umfasst für ihn eine grundlegende Neuausrichtung gesamtgesellschaftlicher Bereiche. Was genau heißt das und wie steht es um Bayerns Standortvorteile und die Balance zwischen technologischer Offenheit und ethischer Verantwortung?
Herr Gotthardt, was bedeutet für Sie persönlich der Begriff „Reinvention“ – im beruflichen wie im privaten Kontext?
Gotthardt: Hätte mir vor 15 Jahren jemand gesagt, dass ich eines Tages meinen spannenden Arbeitsalltag regelmäßig mit tausenden interessierten Bürgerinnen und Bürgern über eine Internetplattform teilen würde – ich hätte es wohl kaum für möglich gehalten. Doch genau das ist für mich ein Ausdruck meiner persönlichen „Reinvention“. Reinvention bedeutet für mich eine tiefgreifende Neuausrichtung – weit mehr als bloße Optimierungen.
Es geht darum, sich grundlegend zu verändern, um neuen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen oder kulturellen Rahmenbedingungen gerecht zu werden. Für mich als Politiker heißt das: sich strategisch, inhaltlich und kommunikativ neu aufzustellen, bestimmte Haltungen zu überdenken – ohne jedoch die eigenen Werte aufzugeben.
Auch bei Unternehmen zeigt sich diese Form der Transformation sehr deutlich, insbesondere im technologischen Bereich. Viele Unternehmen stehen heute vor der Herausforderung, Technologie nicht nur als Werkzeug, sondern als strategisches Herzstück ihrer Prozesse, Produkte und Geschäftsmodelle zu begreifen. Nur so lassen sich die steigenden Erwartungen der Kundinnen und Kunden, die Dynamik der Märkte und der zunehmende Wettbewerbsdruck bewältigen.
Wo sehen Sie Deutschland im internationalen Vergleich, wenn es um den Einsatz und die Förderung intelligenter Technologien geht – und was muss passieren, damit wir nicht den Anschluss verlieren?
Gotthardt: Bayern setzt sehr stark auf die Schlüsseltechnologien der Zukunft, zum Beispiel Künstliche Intelligenz (KI), Quantencomputing, Fusionsforschung oder Lifesciences. In vielen Sektoren, wie beispielsweise der Biotechnologie, ist Bayern international auf Augenhöhe oder gar in einer führenden Position. Insgesamt muss Deutschland jedoch aufholen bzw. in einigen Feldern wieder eine eigene Unabhängigkeit erlangen. Dies in enger Abstimmung mit seinen europäischen Partnern.
Welche Rolle spielt Bayern als Wirtschaftsstandort bei der Gestaltung einer technologisch geprägten Zukunft?
Gotthardt: Bayern spielt eine zentrale Rolle bei der Gestaltung einer technologisch geprägten Zukunft. Der Freistaat verfügt über herausragende Standortvoraussetzungen: Eine Vielzahl von Hightech-Unternehmen und Hidden Champions im Mittelstand prägen die Wirtschaft, während eine exzellente Wissenschafts- und Forschungslandschaft sowie gut ausgebildete Arbeitskräfte die Basis für Innovation und Fortschritt bilden.
Die bayerische Landespolitik unterstützt diesen Weg aktiv durch gezielte Innovationsförderung und den Ausbau des Technologietransfers. Dabei verfolgt Bayern einen ganzheitlichen Ansatz, der darauf abzielt, alle Unternehmen, Branchen und Regionen gleichermaßen zu erreichen. Diese strategische Ausrichtung stärkt nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts, sondern schafft auch die Grundlage, um die Herausforderungen der digitalen Transformation erfolgreich zu meistern.
Welche intelligenten Technologien sehen Sie aktuell als besonders einflussreich für die Wirtschaft in Bayern?
Gotthardt: Halbleiter sind die Grundlage moderner Technologie und ermöglichen Innovationen in Bereichen wie Kommunikation, Medizin, Automobilindustrie, KI und erneuerbare Energie. Für den Technologiestandort Bayern mit seiner starken Anwenderindustrie ist die Chipindustrie von zentraler Bedeutung. Mit der Bayerischen Halbleiterinitiative unterstützt der Freistaat dabei, die Halbleiterindustrie entlang der ganzen Wertschöpfungskette voranzutreiben.
Ein gutes Beispiel für eine intelligente Technologie ist die Künstliche Intelligenz. Die Einführung von KI in industrielle Prozesse leistet einen großen Beitrag zur Automatisierung beispielsweise in der Fertigung. Digitale Zwillinge vereinfachen die Weiterentwicklung von Produkten, die Einführung von neuen Mitarbeitern in bestehende Prozessabläufe oder die Wartung und den Betrieb von industriellen Anlagen.
Auch der Bereich Additive Fertigung, also 3D-Druck, ist ein Wachstumsmarkt mit großem Potenzial, der die traditionelle Produktion revolutionieren und spürbare positive Auswirkungen auf alle Branchen haben wird. Bayern ist auch hier mit seinen weltweit führenden Unternehmen und exzellenten Forschungseinrichtungen hervorragend aufgestellt.
Wie unterstützt Ihr Ministerium bayerische Unternehmen konkret dabei, sich technologisch neu aufzustellen?
Gotthardt: Wir setzten hierzu unser gesamtes innovationspolitisches Instrumentarium ein: Die direkte FuE-Förderung in großem Maße, die Gründerförderung, die Clusterförderung oder auch das Vorhalten einer exzellenten wissenschaftlichen Infrastruktur dienen der Transformation und technologischen Neuaufstellung bayerischer Unternehmen.
Gerade der Mittelstand tut sich oft schwer mit Transformation – welche Maßnahmen planen Sie, um diesen Wandel dort zu fördern?
Gotthardt: Wir wissen, dass vor allem kleine und mittlere Unternehmen vor großen Herausforderungen stehen, wenn es um die Transformation geht. Um den Mittelstand bei diesem Wandel zu unterstützen, setzen wir auf verschiedene Maßnahmen:
Wir bieten Förderprogramme an, die speziell auf die Bedürfnisse des Mittelstands zugeschnitten sind. Dazu zählen Zuschüsse für Investitionen in digitale Technologien und die Entwicklung von neuen Produktionsverfahren, beispielsweise über die Förderprogramme „Digitalbonus“ und „Innovationsgutschein“. Über die Industrie- und Handelskammern sowie die Handwerkskammern bieten wir umfassende Beratungsangebote an. Dies umfasst sowohl individuelle Beratungen als auch Workshops und Informationsveranstaltungen.
Auch durch Förderung des Wissenschaftsstandorts Bayern und gezieltem Standortmarketing stärken wir die Wettbewerbsfähigkeit des Mittelstands und schaffen attraktive Rahmenbedingungen für Unternehmen. Wir fördern den Wissenstransfer von den Forschungseinrichtungen in die Wirtschaft und bieten auch Möglichkeiten zur Vernetzung an, beispielsweise über die Bayern Innovativ GmbH und im Rahmen der Cluster-Offensive Bayern.
Welche Rolle spielen Aus- und Weiterbildung in Ihrer Strategie zur digitalen Transformation?
Gotthardt: Die Aus- und Weiterbildung ist von entscheidender Bedeutung für unsere Strategie zur digitalen Transformation. Wir wissen, dass die digitale Zukunft nur mit gut ausgebildeten Fachkräften gestaltet werden kann, die mit den neuesten Technologien und Methoden vertraut sind. Daher setzen wir auf die Förderung von digitalen Kompetenzen in allen Bildungsbereichen. Dies umfasst sowohl die Integration digitaler Inhalte in die schulische Ausbildung als auch die Unterstützung von Weiterbildungsprogrammen. So wird im Rahmen des Projekts „Pakt für berufliche Weiterbildung 4.0“ die Weiterbildungsbereitschaft der Beschäftigten und Unternehmen in Bayern gestärkt sowie konkrete Maßnahmen zur beruflichen Entwicklung angeboten. Berufliche Weiterbildung muss als Teil des lebensbegleitenden Lernens verstanden werden, um die Potenziale der digitalen Transformation erfolgreich erschließen zu können und auf Dauer wettbewerbs- und leistungsfähig zu bleiben.
Wie arbeiten Sie an der Verzahnung zwischen Schule–Universität–Wirtschaft?
Gotthardt: Die enge Verzahnung zwischen Schule, Universität und Wirtschaft ist für uns ein zentrales Anliegen. Wir arbeiten aktiv daran, Brücken zwischen diesen Bereichen zu schlagen. Dazu gehören Initiativen wie Praktika, duale Studiengänge und Kooperationen mit Unternehmen, die es den Jugendlichen ermöglichen, praktische Erfahrungen zu sammeln. Darüber hinaus fördern wir den Austausch von Lehrkräften und Wissenschaftlern mit der Wirtschaft, um sicherzustellen, dass die Lehrpläne praxisnah und zukunftsorientiert sind. Unser Ziel ist es, eine Bildungslandschaft zu schaffen, die den Bedürfnissen der Wirtschaft gerecht wird und gleichzeitig den jungen Menschen die besten Perspektiven für ihre berufliche Zukunft bietet.
Wie balancieren Sie technologische Offenheit mit der Notwendigkeit, ethische und rechtliche Leitplanken zu setzen?
Gotthardt: Technologieoffenheit und ethisches Handeln sind keine Gegensätze, ganz im Gegenteil.
Neue Technologien bringen enormen Nutzen mit sich, aber können auch Risiken in sich tragen.
Hier für eine vernünftige Balance zu sorgen, ist eine wichtige Aufgabe von Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft. Das Beispiel KI zeigt dies sehr gut: So hat beispielsweise die Europäische Kommission frühzeitig Ethik-Leitlinien für eine vertrauenswürdige KI herausgegeben und auch der Bayerische Ethikrat hat sich damit beschäftigt.
Mit der KI-Verordnung hat der Europäische Gesetzgeber schließlich ein wichtiges Fundament für die Regulierung von KI in der EU geschaffen. So können Vertrauen in die Technologie und Akzeptanz geschaffen und Innovationen „made in Europe“ gefördert werden. Der risikobasierte Ansatz der KI-Verordnung ist positiv zu sehen. Insbesondere hochriskante KI-Systeme bedürfen einer strengeren Kontrolle, da sie ein erhebliches Sicherheitsrisiko bergen können. Wichtig ist jedoch auch, dass die Regelungen der KI-Verordnung unternehmensfreundlich und praxistauglich umgesetzt werden. Überbordende Bürokratie und Regulierung stellen eine Gefahr für die Gründung und Ansiedlung innovativer Unternehmen und Start-Ups dar und müssen daher verhindert werden.
Begegnen Sie in Ihrer Tätigkeit auch Unternehmen, die Angst vor dem technologischen Wandel haben? Was ist Ihre Botschaft an sie?
Gotthardt: Ja, es gibt Unternehmen, die den technologischen Wandel als große Herausforderung empfinden. Diese Sorge ist verständlich, denn Transformation – ob im digitalen Bereich oder bei der Umstellung auf klimafreundliche Produktionsweisen – erfordert Mut, Anpassungsfähigkeit und Weitsicht.
Meine Botschaft an diese Unternehmen lautet: Transformation kann gelingen. Bayern bietet eine Vielzahl von Unterstützungsangeboten auf Landesebene, die Unternehmen auf diesem Weg begleiten. Dazu gehören Maßnahmen, die Planungssicherheit gewährleisten, Technologieoffenheit fördern und gezielt bessere Rahmenbedingungen schaffen. Gleichzeitig setzen wir uns auch auf Bundesebene für wirtschaftsfreundliche Rahmenbedingungen ein, um die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen zu stärken.
Mit der Unterstützung durch die bayerische Landespolitik können Unternehmen die Chancen des Wandels nutzen und gestärkt aus ihm hervorgehen. Die Bayerische Staatsregierung steht dabei als verlässlicher Partner an ihrer Seite.
Umgekehrte Perspektive: Ein Unternehmen, mittelständisch, das noch am Anfang steht, will jetzt schon über den Einsatz von KI und anderen innovativen Technologien nachdenken. Was ist Ihre Botschaft an dieser Stelle?
Gotthardt: Junge mittelständische Unternehmen sowie Unternehmen in der Gründungsphase haben durch kurze Entscheidungswege die große Chance, Erleichterungen durch KI-Anwendungen schnell nutzbar zu machen. Dabei sollte das Unternehmen den Einsatz von KI strategisch planen, indem es konkrete Geschäftsprobleme identifiziert, die durch KI-Anwendungen effizienter gelöst werden können. Essenziell hierfür ist allerdings, möglichst frühzeitig die nötigen Datenstrukturen und Standards zu schaffen, da diese die Grundlage erfolgreicher KI-Anwendungen sind. Die Investitionen können dabei schrittweise erfolgen und mit Pilotprojekten beginnen. Dies reduziert Risiken, ermöglicht Lernprozesse und steigert die Akzeptanz in der Belegschaft. Gleichzeitig sollte das Unternehmen seine Mitarbeitenden schulen, damit die innovativen Anwendungen ihre Verbesserungspotenziale voll ausschöpfen können.
Worauf freuen Sie sich am meisten, wenn Sie an die nächsten 10 Jahre denken – technologisch wie gesellschaftlich?
Gotthardt: In den nächsten zehn Jahren erwarte ich eine spannende Entwicklung sowohl im technologischen als auch im gesellschaftlichen Bereich. Technologisch freue ich mich besonders auf die Fortschritte im Bereich der Quantencomputer. Diese Technologie hat das Potenzial, unsere Rechenkapazitäten revolutionär zu steigern und komplexe Probleme zu lösen, die mit klassischen Computern nicht effizient bearbeitet werden können. Anwendungen in der Materialforschung, der Medikamentenentwicklung und der Optimierung von Logistikprozessen könnten durch Quantencomputing enorm profitieren.
Raumfahrt liefert heute schon wichtige Daten, damit wir den Klimawandel und seine Auswirkungen besser verstehen und unser Tun fundiert ausrichten können.
Ich bin mir sicher, dass wir in 10 Jahren unsere Städte, Felder und Wälder dank Raumfahrtdaten noch besser schützen und für die geänderten Klimabedingungen fit machen können. So können wir sicherstellen, dass wir uns gesund ernähren und leben können.
Kürzlich fand der bayerische Mondgipfel statt. Rund um den Mond – und vielleicht später auch um den Mars – wird in den nächsten Jahren viel in Bewegung gebracht. Ich wünsche mir, dass künftig von Oberpfaffenhofen aus die Mondmissionen, insbesondere Roboter „Made in Bavaria“, gesteuert werden. Und falls es tatsächlich mal ein Problem gibt, dann sollte es heißen „Oberpfaffenhofen, wir haben ein Problem!“
Bereits heute kommen viele innovative Luftfahrtbauteile aus Bayern: Ich freue mich jedes Mal, wenn ich beim Fliegen auf Technologie „Made in Bavaria“ setzen kann. Und ich bin überzeugt, dass bayerische Luftfahrtakteure auch für die Flieger der Zukunft, die für die Klimaneutralität essenziell sind, wesentliche Partner bleiben und wir die weiß-blaue Flagge weiterhin stolz hissen können.
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