Die Stadt München und ihr Weg in ihre digitale Zukunft

In München tut sich was: Damit sind Aktivitäten rund um die Digitalisierung gemeint. Dabei geht es stets um Innovation, Effizienz und Praktikabilität von Ideen, die analoge Systeme und Prozesse allmählich ablösen. Mittels der Digitalisierung können dann gesamtgesellschaftliche Bedürfnisse schneller und besser abgewickelt werden. Dr. Laura Dornheim ist IT-Referentin und Chief Digital Officer der Stadt München und gibt einen Einblick, was in München bereits geschehen ist und was aktuell noch zu tun ist.
Interview von Hannes Mittermaier
18. Juli 2023
Interviewpartner
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Dr. Laura Dornheim im Gespräch

Beginnen wir mit einer Standortbestimmung: Wie steht es um den aktuellen Digitalisierungsstand der Stadt München?

Mein Blick gilt vor allem dem Backbone der Stadt, also der Stadtverwaltung. Und gerade da stehen wir schon ganz gut da. Allerdings muss man betonen: Wir haben definitiv noch Luft nach oben, auch wenn wir zuletzt einiges vorangebracht haben. Beispielsweise hat sich im Bereich Online-Services für BürgerInnen und UnternehmerInnen vieles verbessert.

Und wo befinden sich Stand heute noch die größten Baustellen?

Eine große Baustelle ist leider tatsächlich immer noch die Bildungs-IT, also die Infrastruktur an den Schulen, Kitas, etc. Sie ist eines meiner Hauptanliegen, aber wenn wir ehrlich sind, haben wir in dem Bereich wirklich noch Nachholbedarf. Wir setzen uns derzeit intensiv mit Verbesserungen in dem Bereich auseinander. Ein weiteres, enormes und breites Thema auf der Agenda ist außerdem die Verwaltungsdigitalisierung. Unser Ziel ist es, möglichst viele Prozesse Ende-zu-Ende digital abzuwickeln.

Warum ist gerade die Digitalisierung der Verwaltungapparatur so prekär und arbeitsintensiv? Begegnen Sie hier zu vielen Prozesse, die man digitalisieren muss, oder gibt es andere Gründe?

Das hat leider nicht nur einen Grund, sondern gleich mehrere: Zum einen gibt es rechtliche Vorgaben. Wir stehen mittlerweile vor dem Punkt, dass das Onlinezugangsgesetz vorgibt, dass die Verwaltung grundsätzlich alle Dienste auch online bereitstellen muss. Aber dann haben wir ganz viele andere Rechtsvorschriften, die dafür noch Hürden darstellen. Zum Beispiel wird tatsächlich erst jetzt mit der OZG-Novelle die Schriftformerfordernis abgeschafft. Also – und das kennen wir alle –, dass Dokumente einfach noch händisch unterschrieben werden müssen. Oder lassen Sie mich ein anderes, gut greifbares Beispiel benennen: der Anwohnerparkausweis. Da sagt das Gesetz immer noch, dass er, aus grüner Pappe bestehend, sichtbar im Auto liegen muss. Obwohl das theoretisch längst wie beim Handyparken einfach über eine Registrierung in der App oder über eine Datenbank funktionieren könnte.
Zum anderen reden wir natürlich auch immer von einem ganz großen Kulturthema. Wir stellen eine Organisation vor viele Veränderungen und Neuerungen. Das müssen dann alle mittragen. Und jetzt noch am Ende etwas salopp gesagt, warum die Verwaltung nicht den besten Ruf hat: Wenn ich mit Anfang 20 weiß, ich möchte eigentlich in meinem Berufsleben jede Woche irgendwas Neues erleben, dann gehe ich nicht unbedingt in die Verwaltung.

Und die guten Seiten von Verwaltungsaufgaben?

Natürlich gibt es die. Wir haben in der Verwaltung hochmotivierte Menschen, die stolz darauf sind und wirklich einen hervorragenden Job für diese Stadt machen, aber die eben nicht alle Digitalisierungsexperten und vielleicht auch nicht immer alle überzeugt davon sind. Die müssen wir unbedingt mitnehmen, wenn es um den digitalen Wandel der Stadt geht. Letztendlich müssen sie alle ja am Schluss damit arbeiten – das ist ein ganz wichtiger Punkt.

Und: Insgesamt ist es ein großer und gemeinsamer Kraftakt, den wir hier stemmen müssen, um diese vielen einzelnen Prozesse zu digitalisieren. Es gibt noch nicht für alles irgendeine App, in die man einfach reinklicken kann. Sondern vieles muss noch selbst gebaut werden beziehngsweise evaluiert, wie man es eigentlich umsetzen könnte. Ganz oft muss man sich einfach alte Prozesse anschauen und überlegen, ob die überhaupt in Zeiten der Digitalisierung noch zeitgemäß sind. Das ist eine sehr vielfältige Herausforderung, vor der wir aktuell stehen, aber wir haben sie natürlich schon längst angegangen und sind mittendrin.

Ich erinnere mich an die letzte Bundestagswahl, da habe ich eine Statistik gesehen, dass das deutsche Internetnetz auf dem Stand von Mexiko sei, was nicht despektierlich zu verstehen ist, sondern nur eine internationale Vergleichbarkeit des Industriestaates Deutschland zeigen möchte.

Das kann gut sein. Ich meine, wenn man sich sowohl die Netzabdeckung in Deutschland als auch die Preise zum Beispiel für mobile Datenvolumen ansieht, dann muss man konstatieren, dass das wirklich absurd ist. Also da sind wir in Europa, glaube ich, im besten Fall im Mittelfeld – wenn überhaupt.

Das heißt, es gibt auch irgendwie eine Art Image-Problem: Digitalisierung und Deutschland, das ist ein falscher Freund. Also man möchte meinen: Deutschland – Industriestaat, mächtiger Staat, einflussreicher Staat, politisch, wirtschaftlich. Aber Digitalisierung kriegen wir eigentlich nicht hin. Warum?

„Kriegen wir nicht hin“, denke ich, ist falsch gesagt. Aber wir haben in Deutschland die Digitalisierung lange verschlafen. Und ich erinnere mich – das ist noch keine zehn Jahre her –, da saß ich in Berlin bei Veranstaltungen mit ein paar Ministern, die noch darüber diskutiert haben, dass Vectoring eine super Technologie wäre und wenn wir dann ein bisschen Glitzer auf die Kupferleitungen streuen, ja, dann passt es schon irgendwie. Wir haben viel zu lange, vor allem politisch, diese falsche Hoffnung gehegt, dass der ganze Internethype vielleicht doch noch wieder weggehen könnte. Wir haben dann zu spät realisiert, dass wir nicht mehr ohne Internet können. Dementsprechend haben wir jetzt einen riesigen Aufholbedarf. Mit dem föderalen System in Deutschland blockieren wir zudem die Skalierbarkeit – also die Fähigkeit, dass wir eine Sache einmal machen und dann x-fach ausrollen – an ganz vielen Stellen. Das ist nicht unbedingt hilfreich in Sachen Digitalisierung.

Stichwort: Föderalismus. Also es gibt ja große Pläne hier in Bayern und München in puncto Digitalisierung. Wie schätzen Sie das so ein? Gibt es wirklich auch Möglichkeiten, München zu einem Vorreiterort in der Digitalisierung zu machen?

Das sehen wir ja schon: Wenn man sich anguckt, was in München an Forschung betrieben wird, an den verschiedenen Universitäten, vor allem an den beiden großen, was es in München an Start-ups gibt oder mittlerweile auch schon an renommierten Digitalunternehmen, die eben als Start-up angefangen haben mit super innovativen Sachen – dann ist die Perspektive sehr vielversprechend. Wir brauchen uns sicher nicht zu verstecken. Auch was das Thema Konferenzen, Fachveranstaltungen angeht, sind wir jährlich gut aufgestellt. Ich glaube, wenn wir am Föderalismus was ändern wollen, dann müssen wir mehr vereinheitlichen, mehr Standards setzen und davon wegkommen, dass alle ihr eigenes Ding machen wollen. Es ist natürlich schön, wenn wir in München sehr viel gestalten können, weil wir einfach auch die Ressourcen dafür haben. Es kann aber nicht sein, dass es dazu führt, dass die Kluft zwischen München und einer kleinen Stadt irgendwo in Ostdeutschland noch viel größer wird. Das halte ich auch demokratietechnisch wirklich für gefährlich.

Sehen sie gerade in dem Zusammenhang auch eine Gefahr, dass jetzt im Zuge der Digitalisierung manche einfach auf der Strecke bleiben? Was können wir dagegen tun?

Das Risiko besteht auf jeden Fall.. Der „Digital Gap“, dieser Begriff, der ja auch nicht mehr ganz neu ist, stimmt leider, und ich sehe die Politik da in der Verantwortung. – aber eben auch die Verwaltung – dafür zu sorgen, dass dieser Gap eher kleiner als größer wird. In München machen wir da sehr viel, indem wir darauf achten, wer denn vielleicht noch nicht so digital affin sein könnte. Die Gründe können unterschiedlich sein: Zum einen ist es eine Generationenfrage, zum anderen ist es aber eben auch oft eine Frage von sozialer Herkunft. Wir schenken dem Aufmerksamkeit, dass wir diese Gruppen nicht abhängen, sondern ihnen Möglichkeiten anbieten, sich in die digitalisierte Welt selbst einzuarbeiten, wenn sie das wollen. Und wir stellen ihnen Wege bereit, damit sie eben gerade Verwaltungsdienstleistungen in Anspruch nehmen können, ohne vielleicht ein eigenes Device zu haben.

Das heißt dann im Konkreten, Sie haben dann auch Menschen, die können dort hingehen, die sind Ansprechpartner, die stehen dann am Telefon zur Verfügung und beraten oder geben Tipps.

Also Hotlines gibt es bei der Stadt immer noch ganz viele und wird es auch weiterhin geben. Es ist freilich auch mein Ziel, davon viel zu automatisieren. Aber ganz klar ist: Selbst in zehn bis 15 Jahren wird die Stadtverwaltung für alle Menschen, die – aus welchen Gründen auch immer – digitale Services nicht nutzen können, analoge Möglichkeiten bereitstellen – entweder postalisch, telefonisch oder persönlich. Das ist auch wichtig, dass es diese Möglichkeiten immer geben wird. Das werden wir aufrechterhalten.

Wie sieht Ihre Arbeit gerade in Kooperation mit Universitäten und Bildungseinrichtungen aus?

Wir haben an vielen Stellen schon Kooperationen, ob das jetzt Netzwerke oder vertraglich verbindende Projekte sind. Wir leiten beispielsweise oft Anliegen weiter, um gemeinsam Apps und Prototypen zu entwickeln. Ich würde mich allerdings freuen, wenn mehr Studierende nach ihrem Studium sehen, was für spannende Aufgaben es auch in der Verwaltungs-IT gibt. Ein Problem besteht hier sicherlich im Image, denn gehaltstechnisch kann die öffentliche Verwaltung nicht unbedingt mit den großen Tech-Konzernen mithalten. Wir geben Steuergelder aus und haben die Vorgabe, mit denen sparsam umzugehen. Aber was wir definitiv ändern können und was ich auch unbedingt ändern will, ist genau dieses Image-Thema: Also die Vorstellung, dass in der Verwaltung alles monoton, verstaubt und altmodisch ist, das stimmt sicherlich nicht. Die Stadt München hat aktuell 42.000 Beschäftigte. Wir haben eine Vielzahl von unterschiedlichsten Aufgaben, die vom Zählen der Bäume bis zur Hilfe beim Wohngeldantrag reicht. Wir entwickeln uns da täglich weiter und integrieren immer mehr digitale Prozesse. Wir bauen beispielsweise gerade ein KI-Kompetenzzentrum auf und experimentieren mit innovativen Sätzen, wie wir die Aufgaben der Verwaltung besser nutzen können.

Stichwort: KI, Künstliche Intelligenz. Wie weit sind wir da schon in der Stadt München in punkto Digitalisierung und was ist zu erwarten?

Wir müssen erst mal überlegen, worüber wir da eigentlich genau sprechen. KI ist eigentlich kein neues Thema. Der Begriff wird in der Informatik seit den 50ern diskutiert. Dementsprechend haben wir auch schon lange Anwendungen im Einsatz, die KI-basiert sind. Bei uns ist es zum Beispiel eine Art Scansoftware im Rechenzentrum. Das gibt es auch in der Stadt München schon lange. Wenn wir jetzt darauf gucken, dass das gerade unter generativer KI läuft, da machen wir schon ziemlich viel. Wir haben zum Beispiel einen KI-basierten Chatbot für die Landtagswahl, den ich eben mal Sachen fragen kann. Der gibt mir beispielsweise Auskunft, was ich machen kann, wenn ich meine Wahlunterlagen verloren habe oder darüber, wo mein Wahllokal ist. Auch im Bereich des Bäumezählens, was Aufgabe der Kommunen ist, haben wir KI am Start: Wir haben ein InnovationLab bei mir im IT-Referat, das sich da gerade angeschaut hat, wie wir diese manuelle Arbeit – also wirklich durch die Stadt zu fahren – mit Bilderkennung ersetzen können. Das funktioniert, indem wir Satellitenbilder nehmen und eine KI-geschützte Bilderkennung drüber laufen lassen, um die Baumkronen zu zählen. Allerdings ist KI jetzt auch nicht die Zauberlösung für alle Digitalisierungszwecke in der Verwaltung. An vielen Stellen kann KI nicht gebraucht werden. weil es klar durchstrukturierte Themen sind. Da reicht mir eine gut gebaute, normale, eine regelbasierte Software.

Wie hängen Digitalisierung und Geschlechtergerechtigkeit zusammen? Ist das überhaupt ein Zusammenhang und wenn ja, wie können wir zu mehr Geschlechtergerechtigkeit kommen mittels der Digitalisierung?

Ich bin der festen Überzeugung, dass Digitalisierung uns als Gesellschaft dann wirklich auch nach vorne bringt, wenn wir alle mitnehmen. Dann können wir aber nur, wenn wir darauf achten, dass wir die Systeme, die wir entwickeln und die wir produktiv einsetzen, auf alle Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen, mit unterschiedlichen Perspektiven, Hintergründen etc. anwenden. Geschlecht ist leider immer noch ein großes Differenzierungsmerkmal in unserer Gesellschaft. Deswegen hängt das für mich eng zusammen. Es ist kein Geheimnis, dass IT eine sehr männerdominierte Branche ist. Ein fiktives Beispiel, das ich in diesem Zusammenhang immer wieder anführe: Sie stehen vor der Frage, welche Dienstleistungen der Stadtverwaltung digitalisieren wir als nächstes. Machen wir was für das Gewerbe oder machen wir was für Kitas? Da steckt eine Geschlechterperspektive dahinter. Und wenn ich die überhaupt nie mitdenke, dann ist das Risiko da, dass ich eine Gruppe abhänge oder auch frustriere. Wir sollten darauf achten und ein Bewusstsein entwickeln – auch für diese Fragen der Geschlechtergerechtigkeit.

Interview geführt durch:

Hannes Mittermaier, geboren 1994 in Sterzing/Italien, seit 2013 in München lebend, schloss 2019 sein Master-Studium an der Ludwig-Maximilians-Universität in München in den Fächern Germanistik und Philosophie ab. Seit 2020 promoviert Mittermaier an der germanistischen Fakultät zu einer Arbeit, die sich mit der Rezeption der Sokrates-Figur im Zeitalter der deutschsprachigen Aufklärung beschäftigt. Damit einhergehend ist Mittermaier Lehrbeauftragter an der Ludwig-Maximilians-Universität. Aktuell hält er ein Proseminar zu Thomas Manns früher Novellistik. Unabhängig von seiner Promotion arbeitet Mittermaier seit September 2019 als Redakteur der ebenso von der Ludwig-Maximilians-Universität herausgegebenen Zeitung Digitale Welt. Darüber hinaus engagiert sich Mittermaier nebenberuflich als freier Musiker.

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