Seit Jahren prägt der Fachkräftemangel den Arbeitsmarkt und hat eine komplizierte Gemengelage geschaffen: Der Arbeitsmarkt hat sich von einem Arbeitgebermarkt zu einem Arbeitnehmermarkt entwickelt – das führt dazu, dass Kandidaten hohe Anforderungen stellen können. Außerdem hat sich das Bild eines guten Arbeitsplatzes und von Arbeit ganz grundsätzlich verändert. Bei Neueinstellungen werden klare Vorstellungen geäußert, was Gehalt, Arbeitszeiten und Benefits angeht. Dieses neue Selbstbewusstsein irritiert so manches Unternehmen. Die demographischen, politischen und sozialen Entwicklungen zeigen aber, dass die Situation uns langfristig begleiten wird.
Der Handlungsdruck liegt also bei den Unternehmen – was kann getan werden, um interessant für Fachkräfte zu sein? Die Trends der letzten Jahre waren Investitionen in den Bereichen Employer Branding mit Fokus auf die Außenwirkung und Recruiting, um die Performance beim Gewinnen von Fachkräften zu erhöhen. Das liegt daran, dass wir einen passiven Arbeitsmarkt haben, auf dem nur wenige Talente aktiv nach einem neuen Job suchen, aber zahlreiche Talente offen für Angebote sind (siehe Abbildung 1: Das Eisbergmodell). Genauso wichtig ist es aber, die Bedingungen für die bestehende Belegschaft so attraktiv zu gestalten, dass diese langfristig zufrieden ist. Hier zu investieren, bringt vielleicht keine schnellen messbaren Ergebnisse, stärkt das Unternehmen aber langfristig. Daher sprechen derzeit nach dem Employer Branding und der Candidate Journey alle von der Employee Experience.
Was versteckt sich hinter diesem HR-Begriff? Die Employee Experience verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz und blickt auf die Erfahrung des Mitarbeitenden im Unternehmen als Ganzes – von der Akquise bis hin zum Austrittsgespräch. Im Fokus sind dabei Themen wie Wertschätzung durch stetiges Feedback, ein individueller Entwicklungsplan sowie die passende Arbeitsatmosphäre für dieses Talent. Ein wichtiger Perspektivwechsel vom Außen ins Innen – denn wer die Auswirkungen der personellen Engpässe auf die eigenen Mitarbeitenden ignoriert, verursacht Frust und erhöht die Fluktuation unnötig, statt ihr entgegenzuwirken.
Warum man die eigene Belegschaft nicht vergessen sollte
Wer in die Akquise von Talenten investiert, hat verstanden, dass gute Mitarbeitende wertvoll sind. Mit der Kompetenz der Belegschaft steht und fällt der Erfolg eines Unternehmens. Doch häufig bezieht sich diese Wertschätzung nur auf neue Fachkräfte – die Mitarbeitenden, die bereits im Haus sind, werden als selbstverständlich angesehen. Es gibt viele Gründe, warum man in deren Zufriedenheit investieren sollte (Abb. 2: These Mitarbeitendenzufriedenheit):
- Auf einem passiven Arbeitsmarkt sind nur wenige Fachkräfte aktiv auf Jobsuche – die meisten Talente werden abgeworben. Man kann also davon ausgehen, dass auch die eigenen Mitarbeitenden regelmäßig attraktive Angebote erhalten und sich mit einem Jobwechsel auseinandersetzen. Unternehmen stehen also auch bei der treuen Belegschaft immer wieder auf dem Prüfstand und im Wettbewerb zur Konkurrenz. Nur wer zufrieden ist, widersteht Abwerbeversuchen.
- Zufriedene Mitarbeitende sind motiviert und leistungsfähiger. Durch psychisches und physisches Wohlbefinden treten weniger Fehlzeiten auf und die Produktivität steigt. Auch fördert Zufriedenheit die Innovationsfähigkeit und die Bereitschaft, neues auszuprobieren und Risiken einzugehen.
- Wer seine Arbeit gerne macht, plant langfristig zu bleiben und übernimmt mehr Verantwortung für das Unternehmen. Zufriedene Mitarbeiter setzen sich engagierter für das Erreichen der Unternehmensziele ein und steigern so die Effizienz und Qualität des Unternehmens. Sie setzen sich auch aktiv für Verbesserungsprozesse und die Unternehmensentwicklung ein.
- Zufriedene Mitarbeiter bleiben länger im Unternehmen, was die Fluktuation reduziert und die Kontinuität und Stabilität in Arbeitsprozessen fördert. Auch in der Außenwirkung haben langjährige Ansprechpartner eine positive Wirkung auf die Kundenbeziehungen.
- Auch die Unternehmenskultur profitiert von zufriedenen Mitarbeitenden, denn sie tragen zu einem positiven Arbeitsklima bei. Ein gutes Arbeitsumfeld fördert die Zusammenarbeit und steigert die Effizienz im Team. Soziale Bindungen unter Kollegen und Teamzusammenhalt sind Stabilisatoren für ein Unternehmen.
- Mitarbeitende sind Botschafter für ihren Arbeitgeber: Im positiven ebenso wie im negativen Sinne. Sei es über soziale Medien, Bewertungsplattformen oder einfach ein gutes Netzwerk in der Branche – Unzufriedenheit spricht sich auch bei Partnern, Kunden und neuen Talenten herum. Glückliche Mitarbeitende dagegen ziehen andere Fachkräfte an.
Wie man die Zufriedenheit der Mitarbeitenden steigert
Zufriedene Mitarbeitende zu gewinnen und zu halten, erfordert eine ganzheitliche und kontinuierliche Anstrengung von Seiten des Unternehmens. Denn ein faires Gehalt ist heute eine wichtige Basis, aber lange nicht ausreichend. Eine besondere Herausforderung liegt darin, die richtigen Angebote zu machen – denn jeder Mensch ist anders und setzt demnach auch andere Prioritäten. Bevor Unternehmen also Maßnahmen ergreifen, lohnt es sich, die eigenen Mitarbeitenden nach ihren Wünschen und Werten zu fragen und bestenfalls die Maßnahmen gemeinsam zu entwickeln. (Abbildung 3: Wie zufrieden sind Sie mit…) Hier sind einige bewährte Ansätze, um Mitarbeiterzufriedenheit zu fördern:
- Arbeitsumfeld: Ein sicherer und angenehmer Arbeitsplatz, der über die arbeitsrechtlichen Vorgaben hinaus ein komfortables Umfeld bietet, steigert die Aufenthaltsqualität und zeigt Mitarbeitenden, dass ihre Gesundheit ernstgenommen wird.
- Unternehmenskultur: Eine authentische Kultur der Wertschätzung, des Respekts und der Zusammenarbeit ist der kleinste gemeinsame Nenner für alle Mitarbeitenden. Ob darüber hinaus flache Hierarchien die bessere Lösung sind oder gut definierte Hierarchien, ist branchen- und betriebsabhängig. Teilaspekt der Unternehmenskultur ist das Gemeinschaftsgefühl und die Teamfähigkeit – diese lassen sich durch gemeinsame Aktivitäten und Events steigern.
- Kommunikation: Mit einer offenen und transparenten Kommunikation auch zu Unternehmenszielen, -leistungen und -veränderungen kann man Mitarbeitenden zeigen, dass sie Vertrauen genießen. Ebenso wichtig ist eine konstruktive und regelmäßige Feedback-Kultur in beide Richtungen.
- Work-Life-Balance: Die Definition von Arbeit hat sich stark verändert, daher sollten Unternehmen möglichst viel Flexibilität ermöglichen, beispielsweise durch flexible Arbeitszeiten und Remote-Lösungen. Klar geregelte Urlaubs- und Freizeitrechte stellen sicher, dass Mitarbeiter genügend Zeit für Erholung und persönliche Angelegenheiten haben und während der Arbeitszeit 100 % geben können.
- Karriereentwicklung: Wer seine Mitarbeitenden gut kennt und ihre Stärken im Blick hat, kann langfristig Personalentwicklung betreiben und Mitarbeitenden durch Anreize und Wertschätzung motivieren und Perspektiven bieten. Hier liegt auch eine Chance für Nachfolgeregelungen, die durch frühzeitiges Investieren in Weiterbildung, Inhouse-Lösungen möglich machen.
- Vergütung und Benefits: Eine wettbewerbsfähige und faire Bezahlung ist die Basis einer jeden Anstellung – und ein häufiger Quell von Unzufriedenheit. Entwicklungsmöglichkeiten, die bei der Einstellung versprochen werden, müssen auch eingehalten werden. Zusatzleistungen und Benefits wie Gesundheitsprogramme, Altersvorsorge, Jobrad/Firmenwagen/Deutschland-Ticket oder Bonusprogramme müssen individuell an die Zielgruppe angepasst sein.
- Aufgaben und Verantwortung: Wer seine Arbeit gerne macht, ist zufrieden – daher sind abwechslungsreiche und herausfordernde (nicht überfordernde!) Aufgaben wichtig. Herausfordernd ist hier die individuelle Veranlagung – manche Mitarbeitende wünschen sich Autonomie, andere brauchen Führung. Hier sind individuelle Lösungen gefragt.
Einzeln betrachtet sind Maßnahmen zur Mitarbeiterbindung temporär und sorgen vielleicht nur für einen kurzfristigen Motivationsschub. Die richtige Zusammensetzung ist sehr individuell – in der richtigen Kombination ist sie aber der Schlüssel für zufriedene Mitarbeiter. Und eine hohe Mitarbeiterzufriedenheit ist ein guter Maßstab für eine gelungene Employee Experience. (Abbildung 4: Nicht nur die Kirsche auf der Torte zählt)
Hier geht es zum kompletten Recruiting Report 2023.
Um einen Kommentar zu hinterlassen müssen sie Autor sein, oder mit Ihrem LinkedIn Account eingeloggt sein.