Der Begriff „New Work” ist heutzutage mehr als nur ein omnipräsentes Buzzword. Es ist zum Mantra der Digitalbranche, Personalchef*innen und Unternehmensberater*innen geworden. Inzwischen ist New Work sogar ein geflügeltes Schlagwort der Politik. Stichworte: 4-Tage-Woche oder Recht auf Home-Office.
Der Begriff ist bezeichnend für den im Rahmen von Globalisierung und Digitalisierung stattfindenden Wandel der Arbeitswelt. Dieser Wandel wurde in Zeiten der Pandemie – in vielen Unternehmen, zugegeben, eher gezwungenermaßen denn freiwillig – deutlich vorangetrieben. Der globale wirtschaftliche Wettbewerb, der Fokus auf Nachhaltigkeit, die Anforderungs- und Interessensverschiebung der kommenden jüngeren Generation und der Fachkräftemangel tragen ebenfalls dazu bei, das New-Work-Zeitalter flächendeckend zu etablieren. Unternehmen verfolgen neue, moderne Arbeitsansätze und implementieren entsprechende Initiativen und Förderprogramme. Agile Teams und Führungskonzepte, flexible Arbeitszeiten und Remote Work haben sich in vielen Unternehmen etabliert und sind fester Bestandteil der Arbeitskultur.
Zumindest lieben Unternehmen darüber zu reden, ihre Pläne zu präsentieren und sich als Arbeitgeber der Zukunft zu positionieren. Doch was ist der Status Quo, reden wir nur – oder handeln wir tatsächlich? Dem Begriff New Work können viele Themen und Philosophien zugeordnet werden, welche davon haben immer noch Bestand? Welcher Bereich bietet noch Platz für Entwicklung? Und wie bauen Unternehmen eine tragfähige und nachhaltige Arbeitskultur auf?
Über Jahre hinweg habe ich in HR-Führungspositionen diesen arbeitskulturellen Wandel begleitet. Ich konnte den Fortschritt bestehender und neuer New Work Trends beobachten und aktiv mitgestalten. Ich habe gesehen, was in der Praxis funktioniert, was krachend gescheitert ist. Welche Konzepte ein schönes Feigenblatt für das Employer Branding sind, aber kaum oder nur stiefmütterlich umgesetzt werden. Und ich habe beobachtet, welche Ideen es mit wehenden Fahnen in den Unternehmensalltag geschafft haben. Im Folgenden greife ich meine Erkenntnisse auf und gebe Handlungsempfehlungen, wie Unternehmen eine nachhaltige New Work Kultur schaffen können.
Selbstverwirklichung – Das Geld ist nicht Genug
Ein hohes Gehalt, eine eindrucksvolle Berufsbezeichnung und eine möglichst steile Karriere verlieren an Bedeutung. Es ist immer seltener der hierarchische Aufstieg, der Arbeitnehmer*innen antreibt und echten beruflichen Erfolg ausmacht, sondern der innere Aufstieg in Form von persönlicher Entwicklung, Entscheidungsfreiheit und individuelle Entfaltung in einem Unternehmen. Vor allem in der Generation Y gewinnt der Wunsch nach Selbstverwirklichung immer mehr an Bedeutung. Bereits 2019 fand eine Studie von Stellenanzeigen.de und dem Business Netzwerk nushu heraus, dass 71 Prozent der Befragten im Job nach Selbstverwirklichung streben und 38 Prozent zugunsten einer sinnstiftenden Tätigkeit sogar auf Gehalt verzichten würden.
Insbesondere in Zeiten des Fachkräftemangels, oder auf neudeutsch “War for Talent”, müssen Unternehmen diese Trendwende im Auge behalten und klare Konzepte entwickeln, mit denen sie (potenziellen) Mitarbeiter*innen glaubhaft darlegen können, wie sie deren persönliche Entwicklung in ihrem Unternehmen fördern können. Ein Stepstone Bericht fand 2021 heraus, dass 32 Prozent der deutschen Arbeitgeber ein deutlich schwierigen Bewerber*innen-Prozess erwarten und es schwieriger wird, neue Mitarbeiter*innen zu gewinnen. Die Bereitschaft und die Notwendigkeit für ein gutes Employer Branding ist gegeben.
Im handwerklichen Bereich ist es teils Usus, dass sich inzwischen die Unternehmen bei ihren potenziellen Arbeitnehmer*innen vorstellen und sozusagen bewerben. Angebot und Nachfrage verschieben sich. Um aufstrebende Talente für sich zu gewinnen und im Unternehmen zu halten, reicht es nicht mehr aus, einen bekannten Namen zu haben und vielleicht attraktive Gehälter zu bezahlen. Im ersten Schritt müssen Unternehmen deshalb genau zuhören, welche bestehenden Initiativen geschätzt und welche nicht vorhandenen gewünscht werden. Die Studie „Arbeitsplatz der Zukunft“ der IDG Communications ergab, dass Arbeitnehmer*innen vor allem flexibles Arbeiten, eine exzellente IT-Ausstattung und ortsunabhängiges Arbeiten wichtig sind. Dies herauszufinden funktioniert im Austausch mit den Mitarbeitenden, beispielsweise via anonymer Umfragen, genauso gut, wie in persönlichen Konversationen in Vorstellungsgesprächen. Fordert eine deutliche Mehrheit zum Beispiel die Möglichkeit für Persönlichkeitscoachings oder ein jährliches Budget zur individuellen Teilnahme an fachlich relevanten Workshops und Masterclasses, muss eine Umsetzung dieser Förderungsprogramme im Entscheidungsgremium diskutiert werden. Individuelle Bedürfnisse dürfen dabei keinesfalls unter den Tisch fallen, sind jedoch schwerer umsetzbar als das kollektive Bedürfnis. Nichtsdestotrotz: „Zuhören” ist immer der erste Schritt, insbesondere in Einzelgesprächen. Wünsche sollten nach Möglichkeit dann umgesetzt werden, wenn sie auf die Ziele des Unternehmens einzahlen; beispielsweise, wenn ein*e Mitarbeiter*in flexibler Arbeitszeiten aufgrund der familiären Situation fordert. Der Bottom-Up-Ansatz stellt von Beginn an sicher, dass neue Ideen gesammelt und vor allem die richtigen Ideen ihren Weg ins Unternehmen finden.
Flache Hierarchien – mehr als nur „per Du”
Bereits 2017 wünschten sich vier von fünf deutschen Arbeitnehmer*innen flache Hierarchien, so die Ergebnisse einer Studie der Jobvermittlungsplattform Stepstone und Kiernbaum Consulting. Dabei streben sie vor allem nach mehr Verantwortung und selbständigem Handeln. Wie ist der Stand heute?
Der Abbau von klassischen Hierarchiestrukturen in Wirtschaft und Verwaltung in Deutschland erweist sich als schwierig. Zwischen 2019 und 2021 wurden in lediglich 28 Prozent der Unternehmen und Behörden Ebenen abgebaut. Dabei glauben 68 Prozent der Fach- und Führungskräfte, dass flache Hierarchien Entscheidungen beschleunigen. Das ist das Ergebnis der Sopra Steria-Studie in Zusammenarbeit mit dem FAZ-Institut. Arbeitnehmer*innen möchten mehr Verantwortung übernehmen und freier in ihren Entscheidungen sein. Muss ein Unternehmen zwingend Hierarchie-Ebenen abbauen, um diesem Wunsch nachzukommen?
Ja – und das ist die Krux in der Denkweise vieler Unternehmen aufgrund derer Hierarchien nicht oder nicht effektiv abgebaut werden – flache Hierarchien bedeuten nicht einfach nur, Entscheidungsebenen blind zu demokratisieren oder per Du mit den Mitarbeiter*innen zu sein.
Nein, flache Hierarchien bedeuten gegenseitiges Vertrauen, Verantwortung und Autonomie fördern. Aber auch proaktiv den ehrlichen Austausch zwischen allen Beteiligten vorantreiben, damit die gewonnene Verantwortung nach wie vor in den gewünschten Ergebnissen mündet.
Wie funktioniert gelebte Diversität in Unternehmen?
Der britische Personalvermittler Page Group untersuchte in den Jahren 2015, 2018 und 2021 den Status Quo von Diversität in deutschen Unternehmen: Jahr für Jahr nahm die Bedeutung zu, mehr Maßnahmen wurden verankert und die Kultur sukzessive auf ein hohes Maß an Diversität und Inklusion angepasst. Doch die Versuche waren scheinbar nur halbherzig; Diversität ist in vielen Jobs noch immer zu häufig Zusatz als Grundsatz. In einer Stepstone-Umfrage gaben 45 Prozent der befragten Arbeitnehmer*innen in Deutschland an, dass es an ihrem Arbeitsplatz aus ihrer Sicht keine ausreichende Vielfalt gibt.
Start-ups und Unternehmen leben von Innovation und Kreativität, insbesondere in disruptiven Bereichen sind diese Werte absoluter Wettbewerbsvorteil. Unterschiedliche soziale und kulturelle Herkünfte sind ein Gewinn für jedes Unternehmen, ein diverses Team bringt neue, innovative Lösungsansätze und einen holistischen Blick auf Kundschaft, Belegschaft, Produkt und Services. Daraus resultiert ein positives und offenes Arbeitsklima, welches die Leistungsfähigkeit und die Kreativität jedes und jeder Einzelnen fördert. Außerdem zeigt ein McKinsey Report aus dem Jahr 2020, dass Unternehmen, die in Führungsteams auf Gender-Diversity setzen, 20 Prozent profitabler waren. Bei ethisch diversen Teams lag der Unterschied sogar bei 36 Prozent. Ein gutes Unternehmen spiegelt die Gesellschaft wider, die sie erreichen möchte.
Diversität wird zwar vielerorts lautstark gefordert – doch bei der Einstellung neuer Mitarbeiter*innen drücken Unternehmen oftmals die eigene Agenda, samt zu enger Richtlinien, Verhaltenskodexe und Dresscodes, auf. Wenn es überhaupt so weit kommt: Bereits im Bewerbungsprozess kann eine optische Abweichung der Norm oder ein unkonventioneller Sprachgebrauch das direkte Aus bedeuten. Diese Hürden müssen überwunden werden. Vorurteile sind oft unterbewusst, beeinflussen aber die von uns getroffenen Entscheidungen. So wird sich im HR-Bereich häufig für die Kandidat*innen entschieden, die der überwiegenden Mehrheit im Unternehmen entsprechen, die sich also weniger ins Team “integrieren” müssen. Statt “Cultural Fit” muss der Ansatz “Cultural Add” lauten: Was kann die Person im Unternehmen an frischem Wind und neuen Perspektiven beitragen? Wenn das Team, neben der fachlichen Qualität, nach diesem Credo aufgestellt und sukzessive ergänzt wird, werden automatisch alte Gewohnheiten hinterfragt und gegebenenfalls aufgebrochen. Das Team und damit das gesamte Unternehmen wächst dann quasi mit jedem und jeder neuen Mitarbeitenden – nicht nur rein quantitativ, sondern insbesondere in kultureller Hinsicht. Ein Anliegen, das jedem Unternehmen essenziell sein dürfte.
Auch befördern Führungskräfte häufig nicht die qualifiziertesten Mitarbeiter*innen, sondern nur die, die ihnen selbst am ähnlichsten sind. Wenn ich selbst erfolgreich bin, ist ein/e KandidatIn oder ein/e MitarbeiterIn, der/die mir ähnelt, vermeintlich ebenfalls erfolgversprechender. Es ist daher essenziell, dass sich Mitarbeitende und Verantwortliche proaktiv mit ihren Vorurteilen auseinandersetzen. Umfassende Workshops können helfen, eine nachhaltige Kultur frei von Stereotypen im Unternehmen zu verankern und in entsprechendes Handeln umzumünzen. All diese Maßnahmen tragen zu einem erfolgreichen Diversitymanagement bei. Dabei bedarf es aber einer professionellen Planung, Umsetzung und einer Bereitschaft zur Veränderung. Dazu gehört zum Beispiel eine bewusst diverse Team-Zusammensetzung und die Änderung des Einstellungsprozesses. Auch im Diversity Management macht es Sinn, eine verantwortliche Person zu ernennen. Diese agiert als Ansprechpartner:in für interne Diversity Fragen, kümmert sich unter anderem um Kommunikation, Konzeption und Erfolgsmessung. Nur mit einer dedizierten, verantwortlichen Person können Initiativen im großen Rahmen und von nachhaltiger Natur umgesetzt werden.
Diversität rückt gesellschaftlich immer mehr in den Fokus. Es ist an der Zeit für Unternehmen, nachzuziehen und sich ernsthafte Gedanken über die zukünftige Ausrichtung zu machen. Die nachkommende Generation legt immer mehr Wert auf Themen wie Vielfalt, Gleichstellung und Chancengerechtigkeit. Ein diverses Unternehmen ist ein attraktives Unternehmen, für Mitarbeiter*innen und alle potenziellen Bewerber*nnen.
Die Arbeitswelt befindet sich im Wandel. Es ist kein System, das sich ändert, es ist die Arbeit selbst. Es ist New Work. Wandel geht nicht von heute auf morgen, aber es ist wichtig, das Momentum zu erkennen und sich mit den Themen auseinanderzusetzen, die maßgeblichen Anteil daran haben, wie sich ihr Unternehmen positioniert und wie es wahrgenommen wird. Nicht nur der erste Eindruck ist entscheidend, Mitarbeiter*innen binden sich nicht an ein Unternehmen, das nach nur nach außen hin progressive Verhaltensweisen vorlebt. Sie binden sich an Unternehmen, in denen sie sich wohlfühlen können. New Work kann seinen Teil dazu beitragen.
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