Wollen kleine und mittelständische Unternehmen den Anschluss nicht verpassen, müssen sie die Segel in Richtung Multi-Cloud setzen. Welche Vorbereitungen sie treffen sollten und wie sie ihre Mitarbeiter an Bord holen, zeigt der folgende Reiseführer.
Kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) hatten lange Zeit kaum Möglichkeiten, rechenintensive Technologien zu nutzen oder komplexe IT-Infrastrukturen aufzubauen. In den letzten zehn Jahren hat Cloud Computing sie allerdings in die Lage versetzt, Boden gegenüber Big Playern gut zu machen. Die traditionell hohen Kosten für Anschaffung, Bereitstellung und Management der notwendigen Ressourcen spielten dadurch zunächst keine Rolle mehr – diese Zeiten sind allerdings vorbei, denn das steigende Datenvolumen katapultiert auch die Kosten für die Cloud-Nutzung in die Höhe, was die einstmaligen Kosteneinsparungen egalisiert. In einer Studie des Cloud-Service-Providers (CSP) Wanclouds gaben so auch 81 Prozent der befragten IT-Entscheider an, dass ihre Geschäftsführung sie angewiesen hat, die Cloud-Ausgaben zu reduzieren.
Um diesem Wunsch des C-Levels nachzukommen, lohnt es sich für viele Mittelständler ein Blick über den Tellerrand der eigenen Cloud-Lösung hinaus und auf einen Multi-Cloud-Ansatz zu werfen. Da viele KMUs auf einen einzigen CSP setzen, lassen sie deutliches Einsparpotenzial ungenutzt: Oft bietet die Konkurrenz bessere Konditionen für bestimmte Anwendungsfälle. Neben dem Kostenfaktor gibt es allerdings noch einen weiteren guten Grund, über die Multi-Cloud nachzudenken: Die meisten Cloud-Anbieter haben sich spezialisiert. Während manche sich etwa auf die Bereitstellung bestimmter Anwendungen fokussieren, eignen sich andere für das Hosting von Datenbanken oder zum Skalieren von Container-Architekturen. Durch einen Multi-Cloud-Ansatz können sich KMUs daher, frei nach dem „Best of Breed“-Prinzip, den besten Anbieter für ihre individuellen Bedürfnisse herauspicken.
Die Reisevorbereitung: Multicloud by Design verhindert Verwaltungschaos
Mittelständische Unternehmen haben nach wie vor einen entscheidenden Nachteil gegenüber umsatzstarken Konzernen: Ihre IT-Abteilung ist in der Regel schon mit einer einzigen Cloud-Lösung ausgelastet – noch schlimmer wird es bei Multi-Cloud-Ansätzen. Sie haben in der manuellen Verwaltung nämlich den Nachteil, dass die Administratoren sich mit isolierten Ökosystemen und proprietären Tools herumschlagen müssen. Eine sinnvolle Alternative dazu ist ein „Multicloud by Design“-Ansatz. Er hilft dabei, den IT-Betrieb zu rationalisieren, indem das Unternehmen die Verwaltung der unterschiedlichen Ressourcen an einen Service-Anbieter auslagert. Statt also sämtliche Konfigurationen unter der Haube selbst vorzunehmen, managen die hausinternen Administratoren die gewünschten Ressourcen einfach über eine zentralisierte grafische Benutzeroberfläche, die der Cloud-Anbieter bereitstellt.
Wie herkömmliche Multi-Cloud-Ansätze auch erhöht „Multicloud by Design“ die Effizienz und Leistung der IT-Infrastruktur durch das „Best of Breed“-Prinzip und bietet eine größere Flexibilität als der Single-Cloud-Ansatz oder gar On-premises-Infrastrukturen. Unternehmen verkürzen mit diesem IT-Bereitstellungsmodell zudem die Time-to-Market ihrer Produkte. Gerade für wachsende KMUs sind diese Faktoren entscheidend, um sich im Konkurrenzkampf durchzusetzen und langfristig profitabel zu bleiben.
Bevor die Multi-Cloud-Journey allerdings beginnen kann, steht die Planungsphase auf dem Programm. Die Design-Möglichkeiten für die IT-Infrastruktur sind nahezu endlos; die Verantwortlichen müssen daher zunächst die richtige Kombination an Ressourcen und Kapazitäten finden, die zu ihren individuellen Anwendungsfällen passt. Idealerweise durchlaufen sie auf ihrer Multi-Cloud-Reise die folgenden drei Phasen.
Erster Reiseabschnitt: Die Sehenswürdigkeiten checken
Die erste Phase dient der allgemeinen Planung und ist wohl der wichtigste Schritt auf dem Weg zur Multi-Cloud-Infrastruktur. Wie bei jeder Unternehmensinitiative sollten dabei die Unternehmensziele im Vordergrund stehen. Bevor KMUs irgendwelche Entscheidungen treffen, ist es wichtig, dass sie klare Ziele und Gründe für die Umstellung auf Multi-Cloud definieren. Die Senkung der IT-Kosten wird in den meisten Fällen der treibende Faktor sein, aber auch eine Verbesserung in Sachen Compliance oder die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit auf dem Markt sind valide Gründe. In dieser frühen Phase ist es essenziell wichtig, sich mit sämtlichen Stakeholdern auszutauschen. Nur so stellen KMUs sicher, dass alle Beteiligten die gleiche Zielvorstellung teilen und an einem Strang ziehen.
Sobald die Ziele definiert sind, ist ein genauer Blick auf die aktuelle Anwendungslandschaft nötig. Dabei muss die Frage dominieren: Soll sie in ihrer aktuellen Form verbleiben, ist ein komplettes oder teilweises Redesign nötig oder gibt es andere Wege, um die Zielvorstellungen zu erreichen? Bei diesem wichtigen Evaluierungsschritt hilft ein Sechs-Punkte-Programm, das im Englischen „Six R Framework“ genannt wird. Die IT-Abteilung prüft jeden Teil der Anwendungslandschaft im Hinblick auf die untenstehenden Optionen und legt dann das jeweils richtige Vorgehen fest.
- Rehosting: In vielen Projekten legen die Verantwortlichen den Fokus auf eine komplette Neuentwicklung der Anwendungslandschaft unter Einbeziehung Cloud-nativer Funktionen. Dieses Vorgehen ist allerdings sehr teuer und selten nötig. Wollen KMUs ihre Anwendungslandschaft lediglich für einen speziellen Business Case schnell skalieren, genügt es oft, deren Komponenten auf neue Hosts umzuziehen. Glücklicherweise gibt es Tools, mit denen sie die meisten Rehosting-Prozesse automatisieren können.
- Replatforming: Manchmal lohnt es sich nicht, die Kernarchitektur einer Anwendung grundlegend zu ändern, obwohl Teile der Softwarearchitektur wie Datenbanken besser auf einer anderen Plattform performen würden. In diesem Beispiel können KMUs etwa den Verwaltungsaufwand von Datenbankinstanzen reduzieren, indem sie auf ein Database-as-a-Service-Modell umstellen.
- Refactoring: Zusätzliche Funktionen, höhere Skalierbarkeit und der Wunsch nach mehr Leistung sind in der Regel die Gründe für das Refactoring. Entwickler strukturieren dafür den Code einer Anwendung so um, dass er lesbarer, wartbarer und die Applikation selbst erweiterbar wird. Meistens sind die neuen Kapazitäten allerdings in ihrer bisherigen Umgebung nur schwer abzubilden, weshalb der Umzug in die Cloud nötig ist. Zwar ist dieses Vorgehen das kostenintensivste, lohnt sich aber insbesondere, wenn das Unternehmen dadurch eine Marktlücke füllen kann.
- Repurchasing: Dieser Vorgang beschreibt die komplette Umstellung von lokaler Software auf eine Software-as-a-Service-Plattform.
- Retire: Es ist möglich, dass KMUs in der Planungsphase Anwendungen entdecken, die sie nicht mehr benötigen oder die redundant mit eingekauften Kapazitäten ist. In diesem Fall sollte das Unternehmen sie im Zuge ihres Application-Lifecycle-Prozesses stilllegen.
- Retain: Die meisten KMUs werden während der Planungsphase Anwendungen entdecken, die sie unverändert weiterlaufen lassen müssen. Grund dafür sind mangelnde Unterstützung durch die Cloud-Plattform oder eine aus geschäftlicher Sicht unzureichend gerechtfertigte Migration. In diesem Fall ergibt es Sinn, die Anwendung weiter lokal zu betreiben.
Zweiter Reiseabschnitt: Den Ausflugsplan erstellen
Auf die allgemeine Planungsphase, in der KMUs sich einen Überblick über ihre Anwendungslandschaft verschaffen und die geschäftlichen Anforderungen für die Umsetzung eines Multi-Cloud-Ansatzes festlegen, folgt die technologische Planungsphase. Unternehmen sollten in ihr zunächst die technischen Anforderungen definieren, die die jeweiligen Cloud-Service-Provider erfüllen müssen. Zentraler Bestandteil dieser Evaluierung ist auf Unternehmensseite, die definierten Voraussetzungen in Einklang mit den Geschäftszielen zu bringen.
Die Nutzung einer IaaS (Infrastructure as a Service)-Lösung ist für KMUs an sich vorteilhaft, da der Dienstleister Wartung und Verwaltung übernimmt. Auch eine flexible Skalierbarkeit der Ressourcen bietet die Cloud-Alternative zur eigenen IT-Infrastruktur. Ein Mittelständler, der durch die Nutzung einer IaaS-Lösung überdies seine Wettbewerbsfähigkeit steigern möchte (Geschäftsziel), benötigt dafür einen CSP, der die technische Forderung nach „Automatisierung“ und „API-Zugang“ erfüllt. KMUs, die ihre Compliance verbessern möchten, könnten zudem Maßnahmen zur Durchsetzung der Sicherheitsrichtlinien (Security Policy Enforcement) auf ihre Liste an technischen Anforderungen schreiben.
Sind sämtliche Geschäftsziele und die entsprechenden technischen Anforderungen definiert und miteinander in Einklang gebracht, folgt der Architekturentwurf. Der „Multicloud by Design“-Ansatz erleichtert IT-Teams die Arbeit ganz erheblich: Sie können einzelne Arbeitslasten auf dem Cloud-Service ausführen, der die Anwendungseffizienz am effektivsten steigert und gleichzeitig die niedrigsten Kosten verursacht – ohne sich mit den technischen Feinheiten der jeweiligen Cloud-Anbieter auseinandersetzen zu müssen.
Dritter Reiseabschnitt: Die Mitreisenden begeistern
Sind alle Anforderungen und die für deren Erfüllung benötigte Cloud-Architektur festgelegt, müssen kleine und mittelständische Unternehmen ihre Mitarbeiter an Bord holen und auf den Wandel vorbereiten. Um den vollen Nutzen aus einer Multi-Cloud-Umgebung zu ziehen, müssen KMUs der Tech-Branche sich von alten Denkweisen verabschieden und serviceorientierter werden, etwa so:
- Von IT-zentriert auf kundenorientiert umschwenken
- Silos abbauen und funktionsübergreifende und multidisziplinäre Teams bilden (Stichwort: DevOps)
- Einen rein reaktiven IT-Betrieb zum proaktiven IT-Betrieb umformen
Diese für manche sehr disruptiven Änderungen bieten die einmalige Gelegenheit, eine agile IT-Organisation zu schaffen. Für die Mitarbeiter bietet dieser Paradigmenwechsel ebenfalls Vorteile, denn der Weg zur Multi-Cloud-Umgebung schafft innerhalb des Unternehmens neue Rollen. Wer sich den anstehenden Aufgaben widmet, kann zum Beispiel zum Cloud-Architekten oder Cloud-Entwickler avancieren. Die neuen Geschäftsabläufe erfordern nämlich dringend Personal, das die neuen Prozesse und Richtlinien festlegt, etwa für die Automatisierung oder die Sicherheit.
Nach Abschluss dieser Vorarbeit ist es an der Zeit, einen Fahrplan für die Umstellung Multi-Cloud-Ansatz zu entwerfen und schließlich auszuführen. Detailliertere Projektpläne können die Verantwortlichen erstellen, wenn sie sie akut benötigen. Bei dem Fahrplan geht es eher darum, dem gesamten Unternehmen einen Überblick über die Multi-Cloud-Journey zu geben. Eine gute Informationspolitik wirkt sich in jedem Fall positiv auf die Zustimmung für das Multi-Cloud-Vorhaben aus und steigert die Involvierung der Mitarbeiter.
Nachwort: Keine Reise gleicht der anderen
Zu guter Letzt sollte jedes Unternehmen, das sich auf die Reise in die Multi-Cloud begeben will, über das Folgende im Klaren sein: Die Multi-Cloud-Journey ist etwas sehr individuelles und hängt von den jeweiligen Zielen, Interessengruppen, Hindernissen und der vorhandenen IT-Umgebung ab. Die Zeit bis zur finalen Einführung einer Multi-Cloud-Umgebung variiert entsprechend. Ein „Multicloud by Design“-Ansatz entlastet jedoch die interne IT-Abteilung und hilft bei der Überwindung vieler Hindernisse.
Für KMUs ist die Entscheidung für einen Multi-Cloud-Ansatz obligatorisch, wenn sie agil bleiben und ihren Kunden den besten Service bieten wollen. Die Reise kann kurzfristig in Sachen Investition und Aufwand schmerzhaft sein. Aber die langfristigen Vorteile für das Unternehmen werden am Ende zeigen, dass das Abenteuer keineswegs umsonst gewesen ist.
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