Das Potenzial von KI in der Versicherungsbranche

Künstliche Intelligenz (KI) hat die Art und Weise, wie Unternehmen agieren, revolutioniert. Von der Automatisierung von Prozessen bis hin zur Verbesserung der Kundenerfahrung hat KI eine breite Palette von Anwendungen in verschiedenen Branchen gefunden. Auch der Versicherungsbranche wird trotz starker Regulierung ein tiefgreifender Umbruch durch KI prognostiziert.
Von   Dr. Rana Farag   |  AI Global Product Leader   |  Solera
6. Mai 2024

Die Einsatzmöglichkeiten von KI sind hier riesig und bieten ein unglaubliches Potenzial. Schließlich verfügt kaum eine Branche über so große Datenmengen wie Versicherungen. Doch der Begriff „Künstliche Intelligenz“ umfasst eine Vielzahl von Modellen und Methoden, die jeweils ihre eigenen Stärken und Anwendungsbereiche haben. Um die Einsatzmöglichkeiten von KI zu erörtern, ist es wichtig zu verstehen, was hinter dieser Wissenschaft steckt.

 

KI hat viele Facetten

 

KI ist ein weit gefasster Begriff – und im Prinzip keine “neue Erfindung”. Diese Wissenschaft gibt es seit den 50er Jahren und bezieht sich auf andere Wissenschaften wie zum Beispiel Informatik, Statistik, Mathematik, Psychologie, Neurowissenschaften oder Linguistik. Der Hauptunterschied zwischen der KI und der traditionellen Informatik besteht allerdings darin, dass KI die Fähigkeiten des Menschen wie Lernen, Denken und Entscheidungsfindung nachahmt.
Im KI-Bereich gibt es viele Teilbereiche und unterschiedliche Begrifflichkeiten. Das maschinelle Lernen ist ein Bereich der künstlichen Intelligenz, in dem es darum geht, einem Computer beizubringen, Vorhersagen oder Entscheidungen auf der Grundlage früherer Daten zu treffen, ohne dass er explizit für jede Situation programmiert wird.

Deep Learning ist wiederum ein Teilbereich des Maschinellen Lernens und umfasst künstliche neuronale Netze, die das menschliche Gehirn imitieren. Diese sind in der Lage, große Mengen unstrukturierter Daten und komplexe Datenmuster zu analysieren und Anwendungen in der Bild- und Spracherkennung voranzutreiben. Generative KI, ein Zweig des Deep Learning, geht noch einen Schritt weiter, indem sie Daten erzeugt, die den Trainingsdaten ähnlich sind.

In der Versicherungsbranche werden all diese Technologien und andere Arten von KI eingesetzt. Ob bei der Dokumentenverarbeitung, Chatbots, Betrugserkennung oder für personalisierte Tarife, die Wahl hängt von der Art der Anwendung und den jeweiligen Anforderungen ab. Schließlich hat jedes Modell seine eigenen Stärken und Anwendungsbereiche, und die richtige Kombination ermöglicht es Unternehmen, eine breitere Palette von Herausforderungen zu meistern und bessere Entscheidungen zu treffen.

 

KI-Modelle kombinieren

 

Maschinelles Lernen und Deep Learning sind von zentraler Bedeutung für die Analyse großer Datenmengen, um Risiken vorherzusagen, Policen zu personalisieren oder eine Schätzung zu erstellen. Die Verarbeitung natürlicher Sprache (Natural Language Processing, NLP) ist ein Bereich des Deep Learning, der Sprachen verstehen und analysieren kann, z. B. bei der Analyse von Stimmungen in Texten oder dem Ton bei Kundeninteraktionen oder Bewertungen. Generative KI, auch bekannt als Generative Adversarial Networks (GANs), spielt eine Rolle bei der Verbesserung der Kundeninteraktion, zum Beispiel mit fortschrittlicheren Chatbots.

Der Erfolg liegt in der Art und Weise, wie die einzelnen Modelle und Technologien zusammenarbeiten. Es können auch verschiedene KI-Modelle und KI-Technologien in derselben Anwendung bzw. in einem Produkt kombiniert werden, um die Genauigkeit der Ergebnisse zu erhöhen. Für Unternehmen, insbesondere in Branchen wie der Versicherungswirtschaft, ist bei der Entwicklung komplexer Anwendungsfälle der Einsatz einer Vielzahl von KI-Modellen für den Erfolg entscheidend. So lassen sich beispielsweise Kunden gezielter ansprechen und nachhaltige Lösungen fest im Portfolio etablieren. Mit KI können Versicherungsunternehmen ihre Abläufe, Produkte und Investitionen auf die Nachhaltigkeitsziele ausrichten.

 

Auf die Daten kommt es an

 

Entscheidend für die Qualität des KI-Modells sind die Daten, mit denen es gefüttert wird.

In der Fachsprache wird dies auch als „Garbage-in-Garbage-out“ bezeichnet. Werden die KI-Modelle mit fehlerhaften oder veralteten Daten gespeist, können auch keine richtigen Ergebnisse geliefert werden. Die Sammlung von Echtzeitdaten und die Erstellung der richtigen Rückkopplungsschleifen stellen zudem sicher, dass das Modell auf dem neuesten Stand bleibt.

Beispielsweise könnte es fatale Folgen haben, wenn ein KI-Modell einer Kfz-Versicherung

mit falschen oder veralteten Daten arbeitet. In einem solchen Worst-Case-Scenario könnte ein Unfallwagen als Totalschaden bewertet werden, obwohl eine Reparatur wirtschaftlich gesehen die bessere Wahl wäre.

Die Inflation der letzten Jahre, die Verknappung von Ersatzteilen und der Anstieg der Preise für Gebrauchtfahrzeuge verändern die Spielregeln ständig. Ein KI-Modell, das mit fehlerhaften oder veralteten Daten trainiert wurde, würde falsche Vorhersagen treffen und verkehrstaugliche Autos auf den Schrottplatz schicken – und die Versicherungsgesellschaft viel Geld kosten.

Ein noch extremeres Beispiel wäre eine Datenverzerrungen. Eine KI, die auf voreingenommene Daten trainiert wurde, könnte zu einer voreingenommenen Preisgestaltung für Policen oder zu einer ungerechtfertigten Ablehnung von Ansprüchen führen. Dies schadet nicht nur dem Kundenvertrauen, sondern könnte auch zu rechtlichen Anfechtungen führen. Falsche Daten können auch zu einer unsachgemäßen Betrugserkennung führen, wodurch berechtigte Ansprüche fälschlicherweise abgelehnt werden, was ebenfalls dem Ruf der Versicherung und den Kundenbeziehungen schadet.

 

Der Faktor Mensch

 

So ist ein KI-Modell immer nur so gut wie der Mensch dahinter. Seit dem Hype um KI wird immer wieder darüber diskutiert, ob KI in Zukunft die Mitarbeiter ersetzen wird. Das ist allerdings ein Mythos. Wenn man sich verschiedene Studien anschaut, kann man prognostizieren, dass durch KI rund 30 Prozent mehr Arbeitsplätze geschaffen werden.

Nichtsdestotrotz wird sie die Art und Weise, wie Arbeit verrichtet wird, neu definieren – so wie es bei der Entdeckung der Dampfkraft oder der Elektrizität der Fall war, die letztlich das Leben der Menschen verbesserten und zu sichereren Arbeitsplätzen führten, während sie gleichzeitig die Produktion steigerten und zum Überfluss an Ressourcen beitrugen.

Seit dem Beginn des KI-Hypes in den letzten Jahren, kann man sehr gut beobachten, dass immer mehr Unternehmen – darunter natürlich auch Versicherungen – auf den KI-Zug aufspringen. Sie möchten “irgendwas mit KI” machen oder anbieten und engagieren dafür Experten oder KI-Teams, um dieses Feld abzuhaken, ohne dass eine Strategie entwickelt wird. Dabei ist es bei KI-Projekten, wie bei allen anderen großen Transformationen, essenziell zuerst konkrete Anwendungsfälle mit einer entsprechenden Strategie zu entwickeln. Im Anschluss sollten dann die Daten überprüft werden. Sind die richtigen Daten verfügbar, um das KI-Modell zu trainieren? Wie hoch ist die Qualität der Daten? Welche anderen Daten fehlen, um einen Anwendungsfall zu entwickeln, und wie können diese Daten beschafft werden?

 

Ausblick – Die Zukunft der KI in Versicherungen

 

In Zukunft werden Versicherungsunternehmen, die eine Vielzahl von KI-Modellen erfolgreich kombinieren, einen Wettbewerbsvorteil haben. Durch den Einsatz von maschinellem Lernen, Deep Learning, NLP und generativer KI können sie nicht nur effizienter arbeiten, sondern auch bessere Entscheidungen treffen, Kunden besser bedienen und letztendlich ihr Geschäftswachstum vorantreiben.

Die Welt der künstlichen Intelligenz entwickelt sich ständig weiter, und Unternehmen müssen bereit sein, neue Technologien zu erforschen und einzusetzen, um erfolgreich zu bleiben. So ist der Einsatz von KI bei Kfz-Versicherungen beispielsweise erst der Anfang einer vielversprechenden Entwicklung. Mit fortschreitender Technologie werden KI-Systeme immer leistungsfähiger und in Zukunft werden sie eine noch breitere Palette von Aufgaben übernehmen. Zukünftige Entwicklungen könnten den Einsatz von autonomem Fahren und vernetzten Fahrzeugen weiter vorantreiben, was neue Möglichkeiten für die Risikobewertung, Schadensprävention und Kundenbetreuung eröffnet. In einer zunehmend vernetzten Welt werden (Kfz-)Versicherungen, die KI intelligent einsetzen, einen Wettbewerbsvorteil haben und besser in der Lage sein, sich an die sich wandelnden Bedürfnisse ihrer Kunden anzupassen.

Dr. Farag verbindet Unternehmertum, Produktmanagement und KI-Innovation mit einem Ph.D. der Universität Carlos III zu Madrid und einem MBA der IE Business School. Sie bringt ihre KI-Expertise in nachhaltige Projekte ein. Ihre Leidenschaft gilt auch der Mentorenschaft und der Förderung von Frauen in der Technologiebranche.

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