Agentic AI in der Supply Chain: Künstliche Intelligenz wird aktiv

Die Einführung agentenbasierter KI markiert einen Wendepunkt für Supply Chains: Autonome Systeme treffen eigenständig Entscheidungen, lernen kontinuierlich und optimieren Abläufe vom Einkauf bis zur Logistik. Damit dies erfolgreich gelingt, müssen neben der Technologie noch viele andere Faktoren passen. Im Interview erklärt Jochen Krüger, Vice President Sales DACH bei JAGGAER, welche dies sind.
Interview von Jochen Krueger
7. Oktober 2025
Interviewpartner
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Agentic AI in der Supply Chain:

Künstliche Intelligenz wird aktiv

 

 

Herr Krüger, was ist Agentic AI und wie unterscheidet sie sich von anderer KI?

„Agentic AI – oder agentenbasierte KI – ist eine hochmoderne Form der künstlichen Intelligenz, die eigenständig handelt. Ganz im Gegensatz zur „schwachen KI”, die nur definierten Regeln folgt, und zur generativen KI, die Inhalte erstellt. Agentic AI trifft Entscheidungen, führt Aufgaben aus und passt sich in Echtzeit an Veränderungen an – all das selbstständig! Die KI lernt kontinuierlich von ihrem Umfeld und erfordert nur minimale menschliche Überwachung. In der Lieferkette ermöglicht diese Autonomie reaktionsschnellere, effizientere und intelligentere Abläufe.“

 

Wie verändert agentenbasierte KI die Supply Chain?

„Agentic AI revolutioniert jede Phase der Lieferkette. Das reicht vom Sourcing über die Logistik bis hin zur Bestandsverwaltung. Spezialisierte KI-Agenten übernehmen bestimmte Funktionen und arbeiten zusammen, um Abläufe zu optimieren. Diese Agenten können Störungen vorhersagen, Lieferantenbeziehungen optimieren, Risiken managen und die Kosteneffizienz verbessern. Dadurch entsteht eine agilere und datengesteuerte Lieferkette.“

 

Wie beeinflusst Agentic AI die verschiedenen Branchen?

„Agentic AI wirkt sich tiefgreifend auf eine Vielzahl von Branchen aus. Denn sie bringt Intelligenz, Autonomie und Anpassungsfähigkeit in die Abläufe der Lieferkette. Nehmen wir zum Beispiel die Fertigung. Hier unterstützt Agentic AI nicht nur bei der Bedarfsplanung. Sie ist zudem in der Lage, Fertigungspläne basierend auf Echtzeitdaten von Lieferanten, Kundenaufträgen oder sogar geopolitischen Störungen dynamisch anzupassen. Verzögert sich die Lieferung eines wichtigen Materials, leitet die KI Aufträge selbstständig um oder weist Ressourcen neu zu. Sie tut also alles Nötige, um die Produktion am Laufen zu halten. Im E-Commerce und in der Logistik hilft Agentic AI dabei, Liefergeschwindigkeit und Personalisierung zu verbessern. Sie unterstützt beim Optimieren von Lagerprozessen, ermittelt potenzielle Versandverzögerungen oder den effizientesten Lieferdienst. Indem KI-Agenten in Bruchteilen von Sekunden entscheiden, tragen sie maßgeblich dazu bei, Lieferzeiten zu verkürzen und Kosten zu senken.

Auch im öffentlichen Sektor wird Agentic AI genutzt. Behörden und auch Rettungsdienste können mithilfe agentenbasierter KI Transparenz und Schnelligkeit bei der Beschaffung gewährleisten. Das ist gerade in Krisenzeiten wie in Pandemien oder bei Naturkatastrophen entscheidend. Mit Agentic AI lassen sich aber auch Konformitätsprüfungen und Risikobewertungen automatisieren und so Steuergelder sinnvoll und verantwortungsbewusst einsetzen.“

 

Welche ethischen Fragen wirft Agentic AI in der Lieferkette auf?

„Es gibt durchaus ethische Herausforderungen, die es in diesem Zusammenhang anzugehen gilt. Dazu gehört zunächst die Frage der Verantwortlichkeit: Verursacht eine KI-gesteuerte Entscheidung Schäden oder Verluste, ist noch nicht klar geregelt, wer die Verantwortung dafür trägt. Im Gegensatz zum Menschen fehlt KI zudem das moralische Urteilsvermögen.

Hinzu kommt das Thema Arbeitsplatzverlust. Durch Automatisierung kann der Bedarf an bestimmten Tätigkeiten sinken. Dass dies Bedenken in der Belegschaft aufwirft, ist nur verständlich. Unternehmen sind daher gefordert, ein Gleichgewicht zwischen Innovation, Umschulung und Umverteilung von Aufgaben herzustellen.

Last but not least ist da der Punkt Transparenz. Alle Beteiligten müssen verstehen, wie KI-basierte Entscheidungen zustande kommen. Eine KI, die als „Black Box” wahrgenommen wird, untergräbt Vertrauen und wird schlechter akzeptiert.“

 

Vor welche technischen Herausforderungen stellt Agentic AI Unternehmen bei der Implementierung?

„Eine der größten Herausforderungen, vielleicht sogar die grundlegendste, ist die Datenqualität. KI-Systeme sind nur so gut wie die Daten, mit denen sie arbeiten. Veraltete, inkonsistente oder einfach nur ungenaue Daten können dazu führen, dass Entscheidungen der KI völlig danebenliegen. Und in einer Supply Chain, in der Zeit, Kosten und Risiken eng miteinander verknüpft sind, kann sich eine einzige Fehleinschätzung erheblich auf den gesamten Betrieb auswirken.

Hinzu kommt, dass Entscheidungen in der Lieferkette komplex sind und viele Faktoren gegeneinander abgewogen werden müssen. Entscheidet sich der Einkauf lieber für den günstigsten oder für den zuverlässigsten Lieferanten? Werden Geschwindigkeit oder Nachhaltigkeit priorisiert? Solche Fragen sind alles andere als trivial. Und es ist technisch herausfordernd, KI-Modelle zu entwickeln, die derartige Entscheidungen effektiv abwägen können. Dafür braucht es nicht nur fortschrittliche Algorithmen, sondern auch ein tiefes Verständnis des geschäftlichen Kontexts und der Unternehmensziele.

Und schließlich muss auch Agentic AI kontinuierlich lernen. Lieferketten stehen nicht still, sondern verändern sich ständig. Sie reagieren auf wirtschaftliche Trends, politische Veränderungen, neue Vorschriften und auf unerwartete globale Ereignisse. Damit agentenbasierte KI relevant und nützlich bleibt, muss sie permanent lernen und sich anpassen. Das bedeutet regelmäßige Updates, Leistungsüberwachung und Feinabstimmung.“

 

Gibt es Best Practices für agentenbasierte KI in der Supply Chain?

„Agentic AI einzuführen, ist nicht nur technisch herausfordernd, sondern auch organisatorisch. Wer erfolgreich sein will, muss mehr tun, als nur eine Software zu installieren. Es braucht einen strukturierten, durchdachten Ansatz, der auf drei Säulen basiert: Daten, Technologie und Mensch.

1.        Datenmanagement stärken
Daten sind der Treibstoff für jedes KI-System; und Agentic AI ist besonders datenhungrig. Unternehmen müssen daher zuerst die vorhandenen Daten auf Lücken, Inkonsistenzen und veraltete Quellen prüfen. Doch alte Daten zu bereinigen, ist nicht alles. Vielmehr müssen Systeme eingerichtet werden, die künftig qualitativ gute Daten sammeln und pflegen. Dafür braucht es ein gutes Datenmanagement, in dem festgelegt ist, wer Eigentümer welcher Daten ist, wie Daten validiert werden und wie häufig sie aktualisiert werden.

2.        Die passenden Tools wählen
Agentic AI gibt es nicht von der Stange. Unternehmen brauchen Tools, die genau auf ihre spezifischen Ziele in der Lieferkette abgestimmt sind. Sei es das Verkürzen von Vorlaufzeiten, das Managen von Lieferantenrisiken oder Optimieren des Lagerbestands. Auch die Integration ist ein wichtiger Aspekt. Selbst die leistungsfähigste KI ist nicht effektiv, wenn sie nicht mit den bestehenden ERP-, Beschaffungs- oder Logistiksystemen kommunizieren kann. Daher sollten Unternehmen auf Kompatibilität und Skalierbarkeit achten, wenn sie eine KI-Lösung evaluieren.

3.        Mitarbeiter und Prozesse vorbereiten
Eine KI-Lösung kann noch so ausgefeilt sein – nur wenn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch gut damit arbeiten können, wird sie erfolgreich sein. Dafür braucht es zum einen Schulungen. Zum anderen müssen Arbeitsabläufe so angepasst werden, dass Mensch und Maschine nahtlos zusammenarbeiten und sich nicht gegenseitig behindern. Entscheidend ist, dass Unternehmen einen Mentalitätswandel fördern. Sobald Mitarbeitende eine KI als Bedrohung wahrnehmen, behindert das die Einführung. Wird sie hingegen als Werkzeug begriffen, das den Einzelnen und das Team befähigt und von mühsamen Aufgaben entlastet, wird sie ziemlich sicher schnell akzeptiert.“

 

Was sollten Unternehmen beachten, die agentenbasierte KI in Betracht ziehen?

„Agentic AI ist mehr als ein technisches Upgrade, sie verändert die Funktionsweise von Lieferketten grundlegend. Mithilfe agentenbasierter Systeme automatisieren Unternehmen komplexe Prozesse, handeln agiler und treffen intelligentere, schnellere Entscheidungen. Ob Agentic AI erfolgreich ist, hängt von einer verantwortungsvollen und gut geplanten Implementierung ab. Die Unternehmen, die das richtige Gleichgewicht zwischen Innovation, Ethik und Strategie finden, werden zum Vorreiter exzellenter Lieferketten der nächsten Generation.“

Interview geführt durch:

Jochen Krüger, VP Sales DACH bei JAGGAER, ist Bankfachwirt und Diplom-Betriebswirt (FH). Er verfügt über langjährige Erfahrung im internationalen Vertrieb und Business Development. Vor JAGGAER war er bei BT Global Services, IBM/Lenovo und Mercedes Benz China tätig.

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