Mythos oder Wahrheit – Warum Führung über Bleiben oder Gehen entscheidet

Hohe Mitarbeiterfluktuation gehört zu den größten Sorgen vieler Unternehmensleitungen. Denn häufige Wechsel in der Belegschaft bedeuten nicht nur erhebliche Kosten für Rekrutierung und Einarbeitung neuer Kräfte. Mit jedem Austritt geht auch wertvolles Wissen verloren, und die Motivation der verbleibenden Mitarbeitenden kann leiden. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels fürchten Unternehmen, dass dadurch Produktivität, Innovationsfähigkeit und Wettbewerbsstärke schwinden. Umso wichtiger ist es, die Ursachen für Kündigungen genau zu verstehen und gezielt gegenzusteuern.
Von   Arne Sjoestroem   |  Regional Director, People Science EMEA bei Culture Amp   |  Cultur Amp
1. Dezember 2025

Mythos oder Wahrheit

– Warum Führung über Bleiben oder Gehen entscheidet

 

 

Die Aussage „Menschen kündigen nicht den Unternehmen, sie kündigen Managern“ ist in der Arbeitswelt allgegenwärtig. Werden solche Sätze lange genug wiederholt, dann werden sie als wahr akzeptiert und selten hinterfragt. Doch verlassen Mitarbeitende tatsächlich wegen ihres Vorgesetzten oder Managers das Unternehmen? Welchen Einfluss haben die Führungsqualitäten von Managern und der Unternehmensspitze tatsächlich auf die Entscheidung der Beschäftigten?

Genaueren Aufschluss darüber geben Untersuchungen, die auf einem Datenpool von 1,48 Milliarden Datenpunkten basieren, die von Mitarbeitenden aus mehr als 8.200 Unternehmen erhoben wurden.

Was bei der Auswertung der Daten sofort auffällt: Der Mythos, dass Mitarbeitende gerne über ihre Vorgesetzten sprechen, ist tatsächlich keiner. Eine Analyse von Daten aus dem Zeitraum Juli 2023 bis Juli 2024 ergab, dass sich fast 4,7 Millionen Mitarbeiterkommentare auf Vorgesetzte bezogen. Davon waren 44 % negativ. Somit war dies das am häufigsten kommentierte Thema. Doch ist das auch tatsächlich der Grund, warum Mitarbeitende das Unternehmen verlassen?

An dieser Stelle lohnt es sich, gezielt jene Fragen aus Mitarbeitenden-Befragungen zu betrachten, die mit den Antworten der Mitarbeitenden auf die Frage: „Ich kann mir vorstellen, in zwei Jahren immer noch im Unternehmen zu arbeiten“ korrelieren, also in einem Zusammenhang stehen. Diese Frage gibt am besten Aufschluss über die zukünftige Fluktuation in einem Unternehmen. Dabei zeigt sich, dass Entwicklungs- und Karrieremöglichkeiten, die Führungsqualität der Unternehmensspitze und das Vertrauen in das Unternehmen die wichtigsten Faktoren sind, wenn es darum geht, ob jemand im Unternehmen bleibt oder nicht. Die Frage nach dem direkten Vorgesetzten oder Manager landet auf Platz 64 von insgesamt 113 potenziellen Einflussfaktoren. Das zeigt: Nicht das am häufigsten diskutierte Thema „Vorgesetzter“ ist der Grund für die Fluktuation. Vielmehr geben die Perspektiven, die ein Mitarbeitender für sich und das Unternehmen sieht, den Ausschlag für eine Kündigung.

 

Führungsqualitäten von Management und Unternehmensspitze

Mitarbeitende priorisieren ihre Karriere und wollen lieber in einem Unternehmen bleiben, das sie als erfolgreich einschätzen und das ihnen bessere Entwicklungschancen bietet. Sie sind der Meinung, dass der Erfolg des Unternehmens stärker von der Unternehmensleitung als vom direkten Vorgesetzten beeinflusst wird. Doch wie interagieren diese beiden Faktoren miteinander? Wird eine gute Unternehmensführung durch eine schlechte direkte Führungskraft beeinträchtigt? Oder kann ein herausragender Manager die Auswirkungen einer schlechten Unternehmensführung ausgleichen?

Um diese Fragen zu beantworten, sind Daten von über 3 Millionen Mitarbeitenden aus über 4.700 Unternehmen aus dem Zeitraum von November 2023 bis November 2024 ausgewertet worden.[1]

Die Daten hierzu zeigen, dass ein gutes Top-Management die Auswirkungen einer schlechten direkten Führungskraft abpuffern kann, dies aber nicht umgekehrt der Fall ist. Es überrascht demnach nicht, dass Mitarbeitende mit einer Kombination aus einem schlechten Manager und einer schlechten Unternehmensführung die schlechtesten Erfahrungen gemacht haben. Umgekehrt haben jene Mitarbeiter die besten Erfahrungen gemacht, die sowohl einen großartigen Manager als auch eine sehr gute Unternehmensführung hatten.

Doch wie sieht das Ergebnis für die anderen Mitarbeitenden aus? Beschäftigte, die in einem Unternehmen mit exzellenter Unternehmensführung tätig sind, erleben durchweg positive Arbeitsbedingungen – unabhängig von der Qualität ihrer direkten Führungskraft. Interessanterweise machen Beschäftigte, die trotz schlechter Unternehmensführung einen herausragenden Manager haben, ähnliche Erfahrungen wie jene, die sowohl unter einem schlechten Manager als auch einer mangelhaften Unternehmensführung leiden. Im Vergleich dazu äußern sich Mitarbeitende, die von einer ausgezeichneten Unternehmensführung profitieren und gleichzeitig einen schlechten Manager haben, immer noch deutlich positiver über ihre Arbeitswelt. Dies zeigt, dass eine gute Unternehmensführung entscheidend für die Employee Experience ist und den Einfluss einer einzelnen Führungskraft überwiegt.

 

Managerwechsel und die Auswirkungen auf die Employee Experience

Ein Wechsel des direkten Vorgesetzten wirkt sich auf die Erfahrungen der Mitarbeitenden aus, wobei bei einer externen Einstellung dieser Effekt tendenziell stärker ausfällt. Basis für die Analyse waren Datenpunkte von Beschäftigten[2], die in den vergangenen zwei Jahren einen neuen Manager erhielten. Dabei wurden die Umfrageergebnisse unmittelbar vor und nach dem Wechsel verglichen, um Veränderungen zu erkennen. Wenig überraschend zeigt sich, dass das Engagement der Mitarbeitenden sank, wenn sie sich auf einen neuen Manager einstellen mussten. Dieser Rückgang fällt deutlicher aus, wenn der neue Vorgesetzte extern rekrutiert wurde.

Wie verhält es sich im Vergleich dazu bei einem Wechsel an der Unternehmensspitze? Die Analyse umfasst die Aussagen von Führungskräften[3], die ihre Rolle neu übernommen hatten. Ausgewertet wurden die Auswirkungen auf die Mitarbeitenden in ihrer jeweiligen Berichtslinie. Dabei wird deutlich, dass auch ein Wechsel im Top-Management einen erheblichen Einfluss darauf hat, wie sehr sich Mitarbeitende dem Unternehmen verbunden fühlen. Der Effekt, ob eine neue Führungskraft an der Unternehmensspitze intern oder extern rekrutiert wurde, fällt weniger deutlich aus. Bei internen Besetzungen zeigt sich beispielsweise ein etwas stärkerer Rückgang des Vertrauens in die Unternehmensführung. Dies ist eventuell darauf zurückzuführen, dass Mitarbeitende ihren bisherigen Kollegen in ihrer neuen Position auf höchster Führungsebene zunächst mit einer gewissen Skepsis begegnen.

 

Bleiben oder gehen – Wie wirkt sich ein Führungswechsel auf die Fluktuation aus?

Dazu sind die Aussagen von Mitarbeitenden mit und ohne Wechsel beim Management bzw. der Unternehmensführung im Zeitraum von 3, 6 und 12 Monaten verglichen worden. Das Ergebnis: Sowohl ein neuer Manager als auch eine neue Unternehmensführung tragen zu einer erhöhten Fluktuation bei. Dabei führt ein Wechsel auf Führungsebene oft zu einem abrupten Anstieg der Fluktuation, der sich im Laufe der Zeit wieder relativiert. Im Gegensatz dazu verursacht der Wechsel in der Managementebene einen kontinuierlichen Anstieg der Fluktuation.

Selbst ein Jahr nach einem Wechsel an der Unternehmensspitze ist die Fluktuation bei Mitarbeitenden mit einer neuen Führungskraft höher als bei denen, die einen Wechsel ihres direkten Managers erlebt haben. Dabei muss berücksichtigt werden, dass ein Teil dieser Fluktuation auf Umstrukturierungen im Team zurückzuführen ist, die von der neuen Führungskraft initiiert wurden. Da jedoch der Unterschied über alle Zeiträume hinweg signifikant bleibt, ist es unwahrscheinlich, dass Kündigungen aufgrund von Umstrukturierungen die alleinige Ursache dafür sind.

Diese aufschlussreichen Erkenntnisse können HR-Teams dazu nutzen, um ein Maßnahmenpaket zu schnüren, das Engagement fördert und die Mitarbeiterbindung stärkt. Beschäftigte müssen Perspektiven für ihre Entwicklung sehen, dem Unternehmen vertrauen und dessen Führungsqualitäten schätzen. Dazu eignen sich folgende Maßnahmen:

●      Das Thema „Führung“ sollte in Mitarbeiterbefragungen explizit thematisiert werden, um aussagekräftige Daten über die Einschätzung der Mitarbeitenden gegenüber ihren Vorgesetzten und der Unternehmensführung zu gewinnen.
●      Führungskräfte sollten regelmäßig über die datenbasierten Erkenntnisse informiert werden, damit sie die Auswirkungen ihres Handelns nachvollziehen und gezielt Verantwortung übernehmen können.
●      Die Entwicklung maßgeschneiderter, skalierbarer Programme zur Förderung des Führungspersonals sollte konsequent vorangetrieben werden. Zudem müssen gezielt die Perspektiven weiblicher Führungskräfte einbezogen werden, da sie oft ein besonderes Gespür für die Employee Experience mitbringen und wertvolle Impulse für die Führungskultur liefern können.

 

Fazit

Die weit verbreitete Annahme, dass Mitarbeitende vor allem wegen ihrer direkten Vorgesetzten kündigen, lässt sich durch aktuelle Untersuchungen nicht bestätigen. Zwar sprechen sie häufig über ihre Vorgesetzten, doch die Analyse zeigt: Es sind vor allem die Führungskräfte, deren Kompetenzen und Verhalten das Engagement und die Bindung der Mitarbeitenden maßgeblich beeinflussen. Eine herausragende Führungskraft kann Defizite bei anderen Managern ausgleichen, während ein Wechsel an der Unternehmensspitze das Engagement und die Absicht im Unternehmen zu bleiben, stärker beeinflusst als andere Veränderungen. Indem HR-Teams die Manager und Führungskräfte bei der Weiterentwicklung unterstützen und mit gezielten Maßnahmen die Führungsqualität verbessern, lässt sich auch die Mitarbeiterfluktuation in den Griff bekommen.

 

[1] Untersucht wurden die Antworten der Mitarbeitenden zu den Faktoren Manager und Führungskraft, diese umfassten jeweils vier Fragen. Lagen die Antworten auf der Faktorebene in den oberen 25 %, wurde die Führungskraft als „großartig“ eingestuft, lag sie in den unteren 25 %, wurde sie als „schlecht“ eingestuft. Anschließend wurde geschaut, wie die Mitarbeiter auf die anderen Fragen der Umfrage geantwortet haben.
[2] 1,7 Millionen Datenpunkte
[3] 13.000 Führungskräfte (Vice President und höher)

Dr. Arne Sjöström ist Regional Director, People Science EMEA bei Culture Amp mit dem Schwerpunkt Organisationspsychologie und angewandte Forschung. Er nutzt Erkenntnisse aus dem Bereich der Psychologie und Verhaltensforschung bei der Anwendung von HR-Technologien, um Firmen bzgl. Personalauswahl und – entwicklung sowie Mitarbeiterfeedback zu beraten. Er unterstützt einige der größten Kunden von Culture Amp darin, ihre Unternehmenskultur aktiv zu gestalten und die “Employee Experience” und Leistungen ihrer Mitarbeiter zu verbessern.

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