Wann der Cloud-Exit Sinn ergibt

Für rund zwei Dekaden galt die Cloud als das Nonplusultra – dynamisch, einfach zu pflegen, kostengünstig wegen der bedarfsgerechten Nutzung. Was in der Theorie gut klingt, funktioniert in der Praxis jedoch nicht immer. Dafür gibt es Gründe, und je nachdem gibt es auch passende Alternativen.
Von   Bernhard Seibold   |  Vice President Product Management   |  Thomas-Krenn.AG
10. Oktober 2024

Wann der Cloud-Exit Sinn ergibt

 

Das Prinzip der Cloud passt in den Zeitgeist: „Sharing is caring“ – und die gemeinsame Nutzung von Ressourcen, um deren Nutzung zu maximieren, hat ja auch fraglos ihren Charme. Warum soll ein Server denn bitte nicht mehrere Virtual Machines (VM) hosten, ehe ein bisweilen nicht unerheblicher Teil seiner Leistungsfähigkeit ungenutzt bleibt? Warum selbst aufwändig die Implementierung und Wartung übernehmen? Und warum viel Kapital binden, statt einfach monatlich geringe Abschläge zu entrichten? Etc.

Dass hier ökologische wie ökonomische Potenziale schlummern, ist nicht wegzudiskutieren. Und selbst das viel besprochene Thema der Datensicherheit ist bei professionellen Hypervisoren an und für sich besser aufgehoben als bei einem Admin-Team, das wahrscheinlich ohnehin unter Überlast leider und im Zweifel weniger spezifische Expertenkompetenz aufweist.

Also: Warum dann ein Cloud-Exit? Die Antwort ist relativ einfach und ernüchternd – und für viele IT-Entscheider und Profis vermutlich auch wenig überraschend: Nicht jedes Werbeversprechen kann gehalten werden, zwischen Theorie und Praxis liegen oft Welten, und wo alte Probleme gelöst werden, entstehen eben oft auch neue. Doch der Reihe nach …

 

(Vermeintliche) Kostenvorteile

Nach Jahrzehnten der Erfahrung haben viele Unternehmen – oft auf schmerzhafte Weise – festgestellt, dass die erhofften Kostenvorteile nicht eingetreten sind. Ein aussagekräftiges Beispiel aus dem Jahr 2018 zeigt, wie ein bekanntes Datei-Hosting-Unternehmen durch die Verlagerung eines Großteils seiner Workloads von einem externen Hyperscale-Cloud-Provider auf eine eigene, maßgeschneiderte Infrastruktur erhebliche Einsparungen erzielen konnte – in diesem Fall rund 75 Millionen US-Dollar. Es gibt eine Vielzahl von Gründen, die solche Szenarien erklären.

Zunächst einmal sind Cloud-Services selbst nicht gratis. Die Wahl der richtigen Lizenzierung hat sich dabei als durchaus herausfordernd herausgestellt. Nicht selten sind Unternehmen über-lizenziert und bezahlen damit mehr, als sie müssten; bei Unterlizenzierung drohen empfindliche Strafen. Die Existenz von Software-Anbietern mit Lizenzierungslösungen im Portfolio sowie ganzer Scharen von Beratern belegt die Relevanz des Themas – und beide kosten natürlich ebenfalls Geld.

 

Rightsizing und Wildwuchs

Und auch wenn die Lizenzierung selbst passt, bedeutet das nicht, dass sie auch mit dem tatsächlichen Bedarf an Services übereinstimmt. Es ist keine Legende, dass in so manchem Rechenzentrum „vergessene“ Hardware schlummert; und es erscheint glaubwürdig, dass in so mancher Cloud ungenutzte Services gebucht sind und bezahlt werden. Gerade der Wildwuchs und die Übersichtlichkeit stellen die Unternehmen vor große und kostspielige Probleme. Und was hilft die viel gepriesene Skalierbarkeit von Cloud-Services, wenn sie nur eine Richtung kennen?

Dafür kann die Cloud selbst natürlich nichts – die Anbieter mit ihrem Lizenz- und Tarifdschungel hingegen schon. Gerade SAP hat sich hier keinen guten Ruf erworben, und die jüngsten Entwicklungen rund um VMware sind, gelinde gesagt, nicht nutzerfreundlich. In jedem Fall bleibt festzuhalten: Ein Kostenvorteil ist kein Automatismus und hängt von vielen Faktoren ab – die Unternehmensgröße zählt übrigens nicht unbedingt dazu. Denn auch kleine Unternehmen können gut eigene, passend dimensionierte Rechenzentren betreiben; ebenso kann eine Cloud-Nutzung für einen Großkonzern sinnvoll sein, auch wenn gerade er die eigene Infrastruktur stemmen könnte. Es kommt eben letztlich auf die Nutzung an: Jedes Unternehmen ist für sich individuell und muss daher für sich selbst kalkulieren.

 

Datenschutz und Bereitstellung

Wohl ist es wahr, dass die Datensicherheit in Cloud-Umgebungen strukturell größer ist; das gilt zumindest für die großen Anbieter, die teilweise dreistellige Millionenbeträge und mehr pro Jahr investieren. Das Problem: Oftmals wird Datensicherheit mit Datenschutz verwechselt. So glorreich das Ansinnen der Datenschutzgrundverordnung auch sein mag, so herausfordernd kann es bei der Nutzung von Cloud-Diensten sein. Die Erbringung der entsprechenden Nachweise und die Verfolgung eigener Verstöße wird schnell zum nervenzehrenden Marathon. Das gilt besonders für Multi-Cloud-Umgebungen – was mit der Verringerung der Abhängigkeit von einem Anbieter beginnt, kann schnell zu einem Fiasko werden.

Allein der Wunsch nach einer Two-Vendor-Strategie zeigt ja bereits, dass es vielleicht keine so gute Idee ist, alles auf einen Anbieter zu setzen: Die kurzfristige Verfügbarkeit spricht in der Tat oft für die Cloud, da besonders leistungsstarke Backup-Strategien natürlich ins Geld gehen – doch wie steht es eigentlich um die langfristige Verfügbarkeit? Wer garantiert, dass einzelne Dienste auch in einem halben Jahr überhaupt noch verfügbar sind? Das gilt gerade in Zeiten agiler Entwicklung. Wohl jeder Endanwender hat sich schon darüber gewundert, wenn Buttons wieder einmal an anderer Stelle auftauchen und anders aussehen – oder eben ganze Tools auf einmal nicht mehr in gewohnter Weise verfügbar sind. Aufwändige Anpassungen sind hier noch das kleinste Übel.

 

Cloud-Ausstieg ja oder nein?

Die dargestellten Herausforderungen sind kein uneingeschränktes Plädoyer dafür, sich von der Cloud zu verabschieden. Ihre Vorteile gelten schließlich weiterhin. Vielmehr gilt es, eine einseitige Betrachtung zu vermeiden und eben auch die objektiven Nachteile zu erkennen, zu verstehen und zu berücksichtigen. Gerade bei der Berücksichtigung kann es durchaus komplex werden: Es gibt offenbar eine Vielzahl an Variablen, die bei der Entscheidung für eine private oder hybride Cloud bzw. eine On-Premises-Infrastruktur greifen. Wer den Pfad der einseitigen Begeisterung verlässt und nach fundierten Entscheidungsgrundlagen sucht, wird erkennen: Dieser Weg ist durchaus steinig. Und es kann sich sehr wohl lohnen, ihn zu gehen.

Die zentrale Herausforderung ist die Einbeziehung aller relevanter Daten. Was simpel klingt, ist in Wahrheit nicht trivial – denn eine Momentaufnahme der Parameter rund um pro vs. contra Cloud ist wegen des Umfangs bereits ansprechend genug. Letztlich wäre für eine wahrhaft fundierte Entscheidung jedoch eine Extrapolation in die Zukunft nötig. Sind die dynamischen Cloud-Infrastrukturen wirklich nötig? Kann das Nutzerwachstum eingeschätzt werden, bzw. gibt es ggf. gar Stabilität? Lassen sich für den langfristigen Betrieb hinsichtlich Kosten und Abhängigkeiten Vorhersagen treffen? Wie teuer wäre der Kauf passender Hardware? Stünde überhaupt Platz für eigene Server und Storage zur Verfügung? Kann langfristig mit kompetenten Mitarbeitern gerechnet werden, Fortbildungen inklusive? Wer gute Antworten auf diese Fragen findet, kann einen realistischen Vergleich der jeweiligen Vor- und Nachteile von Cloud und On-Prem vornehmen.

 

Der Weg (zurück) in die hybride Cloud oder das eigene Rechenzentrum

Es bleibt festzuhalten: Der Weg raus aus der Cloud kann sinnvoll sein, ein Selbstläufer ist auch er nicht. Und selbst wenn der Entschluss fällt, wieder vermehrt auf eigene Hardware zu setzen: Der Migrationsvorgang bleibt ebenfalls zu berücksichtigen. Hilfreiche Meilensteine können etwa Lifecycles sein – kündigt ein Hypervisor oder das eigene Unternehmen ein Angebot ab, stellt das häufig einen passenden Absprungpunkt dar.

Letztlich gibt es jedoch auch hier kein Standardrezept, es wird immer eine Einzelfallbetrachtung erforderlich sein. Diese wird schon bald um zwei derzeit noch nicht abschließend umrissene Kriterien „bereichert“ werden: die Corporate Social Responsibility Directive (CSRD) und NIS 2. Es spricht jedoch einiges dafür, dass beide Themen wegen der zugehörigen Datenerhebung und des Reportings zumindest mit etwas weniger Aufwand adressiert werden können, wenn wieder mehr Infrastruktur im eigenen Haus liegt. Genaueres dazu lässt sich ab Herbst 2024 sagen, wenn die Gesetzgeber dazu weitere Anforderungen erlassen werden.

Bernhard Seibold leitet das Produktmanagement-Team bei der Thomas-Krenn.AG und ist für die Entwicklung individueller Speziallösungen verantwortlich. Er ist seit 2004 im Unternehmen tätig und begann in der Qualitätssicherung. Im Laufe der Jahre übernahm er mehrere Führungspositionen im Product Management und Systems Engineering. Im Januar 2018 wurde er zum Vice President Systems Engineering und Prokurist ernannt. Seit Juli 2021 ist er Vice President Product Management.

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