Warum Unternehmen in Quantencomputing einsteigen sollten

Quantencomputer versprechen enorme Rechenleistung und Skalierbarkeit. Interessant für die breite praktische Nutzung werden sie ab einer Millionen Qubits. Davon ist die Technologie zwar noch entfernt, dennoch sollten Unternehmen damit beginnen, eigene Anwendungsfälle zu identifizieren und mit der Technologie zu experimentieren.
Von   Thomas Steirer   |  CTO & Lead Global Business Unit for Testing Services (AQT)   |  Nagarro
9. Juli 2025

Warum Unternehmen in Quantencomputing einsteigen sollten

 

Ganz gleich, ob es sich um einen neu entwickelten Quantenchip, ein vielversprechendes und skalierbares Qubit-Modell oder um innovative Experimente zur Wechselwirkung zwischen Licht und Materie handelt – zahlreiche aktuelle Fortschritte lassen erkennen, dass die bestehenden Hürden im Bereich des Quantencomputings offenbar deutlich schneller überwunden werden, als bislang angenommen wurde. Diese Entwicklungen deuten darauf hin, dass sich die Technologie mit großen Schritten der praktischen Anwendbarkeit nähert. Vor diesem Hintergrund ist es für Unternehmen von wachsender Bedeutung, sich frühzeitig mit dem Thema auseinanderzusetzen, um rechtzeitig die erforderlichen Rahmenbedingungen und Strukturen zu schaffen, damit sie den Anschluss an diese zukunftsweisende Technologie nicht verlieren.

Langfristig gesehen, kann die Technologie mit ihrer enormen Rechenleistung und Skalierbarkeit eine zentrale Bedeutung für die Geschäftswelt haben und disruptive Wirkung erzielen. Dadurch, dass Gruppen von Qubits komplexe, mehrdimensionale Rechenräume schaffen, sind sie in der Lage, konkrete Problemstellungen direkter abzubilden und einfacher zu lösen. Die Berechnung verschiedener Variablen erfolgt parallel in Echtzeit in nur einem Schritt. Dies bietet Potenziale in den Bereichen Optimierung, neuronale Netze, künstlicher Intelligenz, maschinelles Lernen, Simulation, Berechnung von Wahrscheinlichkeiten, Modellierung sowie effizienter Fehlerminderung und -korrektur.

 

Viele Branchen profitieren von Quantencomputing

Ein Land, das Quantencomputing politisch stark fördert, ist Indien. Der Aufbau von Hubs zwischen führenden Institutionen, die sich mit der Thematik beschäftigen, und Initiativen, die konkrete industrielle Anwendungsfälle erforschen, treibt auch die Wirtschaft an. Viele Unternehmen testen die Möglichkeiten von Quantencomputing für verschiedenste Branchen. In der Logistik könnte die Technologie in Zukunft eingesetzt werden, um die Lagerplanung frühzeitig an aktuelle Bestellungen anzupassen, die beste Lieferroute zu errechnen, Flugzeuge optimal zu beladen und Sendungen im Paketzentrum vorausschauend zu sortieren. In der Quantenchemie könnten Quantencomputer molekulares Verhalten bei chemischen Reaktionen simulieren. Diese Simulationen ermöglichen wiederum tiefgehende Forschung in den Materialwissenschaften mit dem Ergebnis, dass klinische Studien effizienter durchgeführt und neue Produkte besser formuliert werden können. Ähnliches ist im Bereich Medizin, bei der Arzneimittelentwicklung, verbesserter Bildgebung, Diagnose und Behandlung, denkbar. Erforscht werden auch Lösungen für die Finanzbranche. Dazu gehören Anwendungsfälle wie die Beurteilung der Kreditwürdigkeit sowie Bonitätsbewertungen, die optimale Mischung verschiedener Finanzinstrumente, die Portfoliooptimierung, um Anlagerisiken zu minimieren und Erträge zu maximieren, und die Nutzung von Algorithmen wie Quantum-Monte-Carlo-Simulationen, um genauere Vorhersagen von Vermögenswerten zu treffen.

Zu den derzeit größten Herausforderungen im Zusammenhang mit der Entwicklung und Implementierung innovativer Technologien zählen insbesondere die Suche nach qualifizierten Fachkräften mit fundierten wissenschaftlichen und technischen Kompetenzen, der Aufbau und die Bereitstellung geeigneter technologischer Infrastrukturen sowie die grundsätzliche Bereitschaft von Unternehmen, in Innovationsprozesse zu investieren – auch wenn sich ein konkreter Return-on-Investment voraussichtlich erst nach mehreren Jahren realisieren lässt. In diesem Kontext ist vor allem das richtige unternehmerische Mindset gefragt: Es gilt, eine Kultur des Experimentierens zu fördern, in der Fehler als Teil des Lernprozesses akzeptiert werden und kontinuierliche Anpassungen nicht nur erlaubt, sondern ausdrücklich erwünscht sind.

 

Quantencomputing-as-a-service nutzen

Einen Einstieg ins Experimentieren bietet Quantencomputing „as-a-Service“. Unternehmen können damit Rechenleistung auf Quantenrechnern einkaufen, über die Cloud auf reale, anwenderspezifische Quantenhardware von Herstellern zugreifen und Software-Frameworks, Tutorials und Codedokumentationen für die Programmierung eigener Hardware nutzen. Die Vorteile von On-Premise-Lösungen: Unternehmen benötigen keinen eigenen Quantencomputer – sie erhalten relativ kostengünstig Zugang zu Ressourcen und Fachwissen und können für ihre Zwecke mit Technologien experimentieren. Hier geht es in erster Linie um drei Aspekte. Erstens: Hardware, Algorithmen sowie Software für bestimmte industrielle Anwendungsfälle zu entwickeln. Zweitens: Bereits etablierte Quantenalgorithmen in eigene Programmiercodes oder in Maschine-Learning-Frameworks zu integrieren und testen. Drittens: Zukünftige Hardware auf bestehende Algorithmen so zu optimieren, dass sie leistungsfähiger und weniger fehleranfällig sind.

Mehrwerte entstehen dabei nicht nur für Unternehmen selbst: mit solchen Initiativen wächst auch das Ökosystem rund um Quantencomputing. In Deutschland gibt es schon einige regionale und bundesweite Anlaufstellen, die Forschung und Wirtschaft zusammenführen, gemeinsam Anwendungsfälle erarbeiten und Standardisierungsbedarfe identifizieren. In den nächsten Jahren wird es darauf ankommen, Talente zu halten, Kooperationen zu schließen und Industrieanreize für die praktische Umsetzung zu schaffen.

 

Partnerschaftlich in die Umsetzung gehen

Die Hürde, in Quantencomputing einzusteigen, ist derzeit noch höher als bei künstlicher Intelligenz. Unternehmen sollten sich daher einen Partner suchen, der mit ihnen die ersten Schritt geht, kreativ wird und Impulse setzt. Zunächst geht es darum, das Thema zu verstehen und herauszufinden, welche Probleme sich mit der Technologie lösen lassen und welche Erwartungen sich wahrscheinlich nicht erfüllen. Gemeinsam können geeignete Use Cases identifiziert, Vorgehensweisen erarbeitet und Infrastrukturen aufgebaut werden. Diese Use Cases können von der Verbesserung der Personaleinsatzplanung in der Logistik über die Optimierung von Ladestationen für Elektroautos im Bereich Energie bis hin zu einem effizienten Risikomanagement im Banking reichen.

Im nächsten Schritt rückt die Entwicklung konkreter Lösungen in den Fokus: Auf Grundlage einer klar definierten Roadmap werden erste Ideen systematisch in Pilotprojekte und funktionsfähige Prototypen überführt. Dabei kommen geeignete Methoden zum Einsatz, hybride Algorithmen werden entwickelt, die klassische Rechenverfahren mit quantenbasierten Ansätzen kombinieren, und es werden sogenannte Proof-of-Concepts unter Verwendung realer Daten durchgeführt, um die Praxistauglichkeit der Ansätze zu überprüfen. Ein zentraler Erfolgsfaktor in dieser Phase besteht darin, die Mitarbeitenden frühzeitig mit der neuen Technologie vertraut zu machen, sie entsprechend zu qualifizieren und gezielt in der Anwendung zu schulen.

Im Idealfall arbeitet der Partner mit führenden Herstellern von Quantenhardware zusammen: so erhalten Unternehmen den Zugang zu neuesten Innovationen, können an Betaprogrammen teilnehmen und sich einen Vorsprung bei der Integration von Lösungen in den Geschäftsbetrieb verschaffen. Im letzten Schritt werden die Ansätze implementiert und über verschiedene Geschäftsbereiche hinweg skaliert.

Thomas Steirer ist ein Testautomatisierungsarchitekt aus Wien, und bringt über 15 Jahre Erfahrung mit. In seiner Tätigkeit bei Nagarro begleitet er Kunden bei der Einführung und Optimierung von Testautomatisierung, unterrichtet an Hochschulen in Österreich und ist Buchautor.

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