Warum 95 % der KI-Projekte scheitern – und wie Datenreife den Unterschied macht

Von   Srinivasaa HG   |  Managing Director und Global Head of Data, Analytics & AI   |  Wipro
28. November 2025

Warum 95 % der KI-Projekte scheitern

– und wie Datenreife den Unterschied macht

 

 

Die Erwartungen an Künstliche Intelligenz könnten kaum höher sein – doch die Realität in den Unternehmen zeichnet ein ernüchterndes Bild. Hier decken zwei wegweisende Studien auf, warum die KI-Revolution in den meisten Unternehmen ausbleibt. Laut der MIT-Studie „The GenAI Divide. State of AI in Business 2025“ fließen weltweit bis zu 40 Milliarden Dollar in GenAI-Projekte. Das ernüchternde Ergebnis: 95 Prozent dieser Initiativen generieren keinen messbaren Geschäftswert. Dabei experimentieren über 80 Prozent der Unternehmen durchaus mit ChatGPT und vergleichbaren Tools – mit durchaus positiven Erfahrungen. Doch wenn es um die Integration maßgeschneiderter KI-Lösungen in Kernprozesse geht, erreichen nur 5 Prozent letztlich auch Produktionsreife.

Was läuft schief? Darauf liefert der Report „State of Data4AI Report 2025“ eines Tech-Unternehmens auf Basis von über 20.000 Stunden Analyse in mehr als 50 Unternehmen eine klare Antwort: Es mangelt an Datenreife. Nur 14 Prozent der untersuchten Unternehmen verfügen über die notwendigen Grundlagen für erfolgreiche KI-Implementation. Diese eklatante Lücke zwischen Ambition und Realität zeigt sich besonders deutlich in der Unternehmenslandschaft, die das Forschungsteam in vier charakteristische Unternehmenstypen unterteilt hat: „Beginners“ kämpfen mit fragmentierten Daten und inkonsistenten Systemen. Ihre KI-Experimente bleiben isolierte Pilotprojekte. „Dauntless“-Unternehmen scheitern trotz großem Enthusiasmus an fehlenden Grundlagen – ihre Geschwindigkeit wird ihnen zum Verhängnis. „Conservatives“ verfügen über solide Governance, bewegen sich aber zu langsam. Nur die „Front Runners“ – jene 14 Prozent mit ausgereifter Dateninfrastruktur – integrieren KI erfolgreich in ihre Geschäftsprozesse.

 

Der „Learning Gap“ als Kernproblem

Die MIT-Studie identifiziert einen entscheidenden Faktor für das Scheitern: den „Learning Gap“. Die meisten KI-Systeme können nicht aus Feedback lernen, passen sich nicht an Kontexte an und verbessern sich nicht mit der Zeit. 90 Prozent der befragten Nutzer bevorzugen für komplexe, langfristige Projekte menschliche Kollegen gegenüber KI. Der Grund ist strukturell: Aktuelle Systeme vergessen Kontext, lernen nicht aus Korrekturen und erfordern bei jeder Nutzung erneute umfangreiche Eingaben. Kurz gesagt: Durch den „Learning Gap“ reift die Datengrundlage nicht mit.

Ein überraschendes Phänomen zeigt hingegen, was möglich wäre: In 90 Prozent der befragten Firmen nutzen Mitarbeiter private KI-Tools für ihre Arbeit. Diese „Shadow AI Economy“ demonstriert, dass Individuen erfolgreich KI einsetzen können – wenn die Tools flexibel und benutzerfreundlich sind. Während nur 40 Prozent der Unternehmen offizielle KI-Lizenzen erworben haben, nutzen fast alle Mitarbeiter KI-Tools privat. Diese Parallelwelt zeigt, wo die wahre Innovation stattfindet.

Die Investitionsmuster verstärken das Problem: Dem Tech-Report zufolge fließen rund 50 Prozent der KI-Budgets in Marketing und Vertrieb, obwohl Back-Office-Automatisierung oft höhere Returns generiert. Erfolgreiche Implementierungen sparen zwischen 2 und 10 Millionen Dollar jährlich durch Reduktion von Business Process Outsourcing. Agenturkosten sinken um 30 Prozent, wenn KI-Tools kreative und analytische Aufgaben übernehmen – interessanterweise meist ohne Personalabbau.

Die MIT-Daten zeigen auch branchenspezifische Unterschiede: Nur zwei von acht Sektoren – Technologie und Medien – zeigen echte strukturelle Veränderungen durch KI. In sieben anderen Branchen bleibt die Transformation trotz hoher Pilotaktivität aus. Diese Diskrepanz zwischen Investment und Disruption demonstriert die „GenAI Divide“ im großen Maßstab: weitverbreitete Experimente ohne echte Transformation.

 

Praktische Wege zur erfolgreichen Transformation

Wie aber kann KI erfolgreich einen Mehrwert in Unternehmen erzeugen? Hier zeigen die Ergebnisse des Tech-Unternehmens ein konkretes Beispiel, in dem ein internationales Unternehmen der Konsumgüterindustrie eine erfolgreiche Transformation aufzeigt. Nachdem das Unternehmen erkannt hatte, dass die Verbraucherdaten über zahlreiche Kanäle verstreut waren, wurde eine skalierbare Lösung für die Konsolidierung dieser Daten auf einer einheitlichen Plattform eingeführt. Neben einer engen Zusammenarbeit zwischen Technologie- und Business-Teams lag der Schlüssel zum Erfolg auch in einer schrittweisen Erhöhung der Datenreife. Anstelle eines „Big Bang”-Ansatzes konzentrierte sich das Unternehmen auf iterative Verbesserungen. Grundlegendes Wissen im Bereich Datenmanagement und -governance wurde systematisch aufgebaut. Das Ergebnis: eine verbesserte Kundenakquise und personalisierte Marketingfähigkeiten mit messbar verbesserten Geschäftsergebnissen.

Die Untersuchungen zeigen klare Erfolgsmuster: Der MIT-Studie zufolge erreichen externe Partnerschaften die Produktionsreife etwa doppelt so häufig wie interne Entwicklungen – 67 Prozent gegenüber 33 Prozent. Dieser Unterschied erklärt sich durch spezialisiertes Know-how und bewährte Implementierungsmethoden. Erfolgreiche Käufer behandeln KI-Anbieter weniger als Software-Lieferanten und vielmehr wie Geschäftspartner. Sie fordern tiefe Anpassung an interne Prozesse, messen Erfolg an Geschäftsergebnissen statt technischen Benchmarks.

Besonders aufschlussreich ist die Rolle der Führungsebene: Unternehmen mit proaktiver Governance durch den Vorstand zeigen deutlich bessere Erfolgsquoten, so die MIT-Studie. Die Frequenz der Risikoberichterstattung steigt – 50 Prozent berichten quartalsweise, 25 Prozent sogar monatlich an den Vorstand. Diese erhöhte Transparenz korreliert direkt mit erfolgreicheren KI-Implementierungen.

Basierend auf dem „State of Data4AI Report 2025“-Report kristallisieren sich fünf entscheidende Bereiche für Datenreife heraus:

  • Governance muss einheitlich über die gesamte Organisation gesteuert werden
  • Daten sollten als eigenständiger Vermögenswert verstanden werden
  • Unternehmenseigene Daten benötigen besondere Pflege zur Identifikation von Optimierungspotenzialen
  • KI-Agenten erfordern frühzeitige Experimente in geschützten Umgebungen
  • KI-Fertigkeiten müssen systematisch in der Organisation aufgebaut werden – ggf. unterstützt durch externe Partner.

 

Der Weg nach vorn

Die 95-Prozent-Misserfolgsquote ist kein unabänderliches Schicksal. Unternehmen, die ihre Datengrundlagen systematisch verbessern, können die Kluft überwinden. Der erste Schritt ist eine ehrliche Bestandsaufnahme der eigenen Datenreife. Darauf aufbauend sollten konkrete Anwendungsfälle mit klarem Geschäftsbezug identifiziert werden.

Die Zukunft gehört „Agentic AI“ – Systemen mit persistentem Gedächtnis und iterativem Lernen. Diese adressieren direkt den „Learning Gap“, den Unternehmen als Haupthindernis identifizieren. Frühe Experimente mit Kundenservice-Agenten, die komplette Anfragen autonom bearbeiten, oder Finanzprozess-Agenten, die Routinetransaktionen überwachen, zeigen das Potenzial dieser nächsten Evolutionsstufe.

Entscheidend ist die Erkenntnis: KI ist nicht einfach nur ein weiteres IT-Projekt, sondern ein Ökosystem, das kontinuierliche Pflege erfordert. Erfolgreiche Unternehmen schaffen kollaborative Strukturen, in denen Verantwortlichkeiten verteilt, aber klar definiert sind. Sie investieren in Systeme, die lernen und sich anpassen können, statt auf statische Lösungen zu setzen.

Die kommenden 18 Monate werden entscheidend sein. Unternehmen, die jetzt in lernfähige, tief integrierte KI-Systeme investieren, schaffen Wettbewerbsvorteile, die später kaum aufzuholen sind. Die Alternative ist, weiterhin Teil der 95 Prozent zu bleiben, die trotz hoher Investitionen keinen messbaren Nutzen generieren. Der Unterschied zwischen Erfolg und Scheitern liegt nicht in der Größe des KI-Budgets oder der Qualität der Algorithmen. Er liegt in der Bereitschaft, die grundlegende Arbeit an Datenqualität, Governance und organisatorischer Befähigung zu leisten. Nur so wird aus dem Versprechen der Künstlichen Intelligenz nachhaltiger Geschäftswert.

Srinivasaa HG hat in seiner 25-jährigen Laufbahn erfolgreich Kompetenz- und Geschäftsbereiche konzipiert und entwickelt. Seit 17 Jahren ist er bei Wipro tätig und hat unter anderem an der Gründung neuer Geschäftsbereiche sowie der Steuerung von Transformationsmaßnahmen auf globaler Ebene mitgewirkt.

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