Vom Produkt zum Service – organisatorischer Wandel als Voraussetzung für erfolgreiche IoT Lösungen

Von   Dr. Thomas Lücking   |  Business Development Manager   |  Bosch Engineering GmbH
21. Februar 2018

Durch die Integration von „smarten“ Kommunikationstechnologien in Produkten ist es nun möglich, einen direkten Kontakt mit dem Kunden über die gesamte Nutzungsdauer zu etablieren und zu pflegen. Diese Konnektivität, die das „Internet der Dinge“ erst möglich macht, bietet große Chancen und stellt Unternehmen gleichzeitig vor immense Herausforderungen.
Die digitale Informationstechnologie sorgt zurzeit für eine tiefgreifende industrielle Veränderung. Nach dem schnellen Aufstieg des vierten Wirtschaftssektors (dem sogenannten „Informationssektor“) prescht die digitale Kommunikation auch in die übrigen Wirtschaftssektoren vor und stellt traditionelle Wertschöpfung zumindest in Teilen in Frage.

Dies spiegelt sich auch in der öffentlichen Diskussion wider. Vielverwendete Schlagworte wie „Industrie 4.0“, „Digitalisierung“ oder eben auch „Internet of Things“ („Internet der Dinge“) sind seit einigen Jahren die Dauerbrenner auf Fachtagungen und Messen in nahezu allen Wirtschaftszweigen. Dies ist nachvollziehbar und wenig verwunderlich. Die Auswirkungen der „Digitalisierung“ sind bereits heute überall sichtbar und für jeden unmittelbar erfahrbar. So werden energieautarke Gateways nicht nur im modernen Schienengüterverkehr eingesetzt, wo neben der Ortsbestimmung auch Temperaturen und Schockaufkommen gemessen werden. Waggons und deren Ladung werden international überwacht und über die Auswertungen der Metadaten können Abläufe verbessert werden. In der Landwirtschaft sorgt ähnliche Hardware für die Optimierung von Erträgen. Automobilhersteller werten zur Nachjustierung ihrer Produktion Flottendaten in Echtzeit aus und Gebäudereiniger wissen mittels Sensorik bereits, welche Räume am Tag besonders intensiv genutzt wurden, bevor sie das Gebäude betreten.

Diese neuen Einsatzformen von Informationstechnologien eröffnen spannende neue Möglichkeiten in einer immer stärker vernetzten Welt. Zugleich konfrontieren sie jedoch auch etablierte Unternehmen mit notwendigen organisatorischen Anpassungen. Dies zeigt sich auch zunehmend in unserer angestammten Domäne, der Automobil- und Zuliefererindustrie.

IoT verändert die Beziehung zum Kunden

IoT verändert über neue Geschäftsmodelle die Natur traditioneller Kundenbeziehungen. Das klassische produzierende Gewerbe ist hier ein gutes Beispiel: Die Zeiten, in denen das fertige Teil oder System vom Band gefallen ist und nach bestandener Qualitätsprüfung in „die freie Wildbahn“ entlassen wurde, sind in weiten Teilen vorbei.

Durch die Integration von „smarten“ Kommunikationstechnologien in Produkten ist es nun möglich, einen direkten Kundenkontakt über die gesamte Nutzungsdauer zu etablieren und zu pflegen. Die Konnektivität und die Software, die das „Internet der Dinge“ erst möglich machen, werden ein elementarer Bestandteil des Produktes und definieren in immer größeren Maßen die – auch vom Kunden erwartete – Leistungsfähigkeit und Funktionalität. Dies kann so weit gehen, dass die „smarten“ Funktionen und deren Nutzung komplett in den Vordergrund rücken und die eigentliche Hardware als Mittel zum Zweck angesehen wird.

Entsprechende Geschäftsmodelle, wie sie in der Unterhaltungsbranche bereits Standard sind (Musik- und Videostreaming), beginnen sich auch in der Automobilindustrie zu verbreiten. Mobilitätsangebote wie Car2Go oder DriveNow gehören hier wohl zu den bekanntesten Beispielen, wobei ähnliche Servicemodelle auch im Zuliefererumfeld Einzug halten. Diese neuen Geschäftsmodelle verlangen natürlich auch ein Umdenken auf Kundenseite, wo in Zukunft Geldflüsse weniger für den Besitz als für die Nutzung fließen. Vornehmlich finden sich jedoch die größten Herausforderungen bei den etablierten Anbietern.

Die Grenzen zwischen Entwicklung und Produktion verschwimmen

Die Entwicklung und Herstellung von physischen Produkten ist naturgemäß ein zeitlich abgeschlossener Prozess. Nachdem eine Generation von Teilen entwickelt und auf den Markt gebracht wurde, schaffen es funktionale Erweiterungen und Anpassungen meist erst in folgenden Produktgenerationen in das Produkt. Entwicklungskosten und Komplexität verlangen oft nach hohen Absatzzahlen. Produktlebenszyklen verlaufen über mehrere Jahre.

Dies bestimmt in direkter Folge auch die Natur der Kunden- und Nutzerbeziehungen. Der Kunde kauft ein Produkt mit den darin enthaltenen Funktionen in einer einmaligen Transaktion. Abgesehen von eventuellen Wartungsterminen oder Marketingaktionen sind direkte Interaktionen mit dem Hersteller nicht vorgesehen. Die Erwartung ist, dass funktionale und qualitativ hochwertige Produkte für einen möglichst langen Zeitraum unverändert ihren vorher fest definierten Dienst tun.

Im Zeitalter des „Internets der Dinge“ ist der Nutzer im ständigen Austausch mit den Herstellern und ihren Produkten. Mit dem Internet verbundene Systeme und Sensoren senden Informationen über ihren Betrieb, ihre Nutzung und ihren Status an die „Cloud“ – also an Server, die die Daten speichern, weiterleiten, verarbeiten und über weitere Applikationen dem Kunden und dem Hersteller aufbereitet zur Verfügung stellen. In immer mehr Fällen funktionieren diese Kommunikationskanäle in beide Richtungen. So können Funktionen über Updates verändert oder sogar erst freigeschaltet werden.

Durch die bestehende Verbindung zu jedem im Feld befindlichen Produkt bekommt der Hersteller nicht nur einen genauen Status über die Nutzung und den Zustand seines gesamten verkauften Bestandes. Auch wird hierdurch eine Eins-zu-eins-Beziehung zu jedem Kunden über den gesamten Produktlebenszyklus möglich.

Die kontinuierliche Veränderung und Verbesserung der Produkte im Feld ist künftig durch „over-the-air“ Software Updates technisch möglich und wird damit zu einer Kundenerwartung werden – mit gravierenden Auswirkungen auf klassische Entwicklungs-, Absicherungs- und Produktionsabläufe.

IoT Produkte brauchen Serviceorganisationen

IoT Lösungen verlangen im einfachsten Fall eine ständige Pflege und Aktualisierung der gesamten Kette an wertschöpfenden Dienstleistungen. Steigende Datenmengen und neue Applikationen machen eine konstante Anpassung und Aktualisierung der eigenen Lösungen notwendig. Komplexere Systeme interagieren oft in einem Ökosystem mit einer Vielzahl anderer IoT Lösungen. Die Komplexität und Dynamik eines solchen Ökosystems hängt hier also nicht nur an der Funktionalität der eigenen Lösung, sondern auch an der Kompatibilität mit anderen Anwendungen von fremden Herstellern.

Von zentraler Bedeutung ist bei einem solchen globalen Netzwerk der Dinge stets auch die Daten- und Systemsicherheit. Wenn alles miteinander verbunden ist, ist auch alles ein potentielles Ziel von Spionage oder Sabotage. Anders als bei nicht-vernetzten Produkten, müssen daher System- und Sicherheitsupdates in schnellem Rhythmus durchgeführt werden.

Globale IoT Ökosysteme befinden sich so stets in einem Zustand der Veränderung und Anpassung. Beispielsweise kommen neue Softwarefunktionen hinzu, bestimmte Protokolle ändern sich oder eine neue Generation von Sensoren wird irgendwo auf der Welt gerade zum ersten Mal verkauft. Bestehende Lösungen sollten all diese Veränderungen berücksichtigen, wenn sie auch noch in Zukunft funktional bleiben und ihren Kunden Nutzen stiften sollen.

IoT Lösungsanbieter müssen also über den gesamten Produktlebenszyklus hinweg Kapazitäten vorhalten, die zum einen das System technisch up-to-date halten und zum anderen auf Kundenanfragen kompetent und zeitnah reagieren können. Kapazitäten meint in diesem Fall die Verschmelzung von Entwicklung und Betrieb in einer Abteilung, auch DevOps genannt, die die jeweiligen Systeme mit entwickelt hat und bei Problemen zeitnah unterstützen kann. Die generelle Aufrechterhaltung der Verfügbarkeit des Systems ist hierbei naturgemäß hochkritisch, da nachgelagerte wertschöpfende Aktivitäten davon abhängen.

Auch die internen Systeme und Prozesse sollten die neuartigen Geschäftsmodelle reflektieren. Wiederkehrende Zahlungen und Mietmodelle müssen korrekt verbucht und dokumentiert werden, unterschiedliche Betrachtungsweisen in Bilanz und GuV berücksichtigt sein. Auch die vertraglichen Rechte und Pflichten einer Servicebeziehung unterscheiden sich von denen einer traditionellen Käufer-Verkäufer Beziehung.

Auf Seiten der Unternehmens- und Projektplanung werden neue Kalkulationsansätze notwendig. Die Profitabilität hängt nicht mehr nur an der Anzahl der verkauften Produkte, sondern auch an der Anzahl und Art der damit verbundenen Serviceverträge und deren Laufzeiten. Dem gegenüber stehen nun nicht mehr nur die direkten Produktkosten, sondern auch die zusätzlichen Aufwände, die über die Laufzeit aller Vorrausicht nach anfallen werden – beispielsweise für die Aufrechterhaltung des Betriebs.

Solche Modelle haben somit Auswirkungen auf die Unternehmenssteuerung und die Auswahl der ihr zugrundeliegenden Kennzahlen. Dies kann für ein bisher nach traditionellen Geschäftsmodellen wirtschaftendes Unternehmen speziell mit Hinblick auf Investitionsentscheidungen eine große Herausforderung darstellen. Umso wichtiger ist auch ein entsprechend angepasstes Controlling, welches projektspezifische Aufwände nach möglichst genauen Schlüsseln und Buchungsprozessen zuordnen können muss.

Nichts geht ohne Partner

Da die technische Diversität hinter IoT Lösungen sehr breit ist, macht es oft Sinn, sich einen oder mehrere Partner zu suchen, mit deren Hilfe man einen „Connected Service“ anbieten kann. Sei es die Bereitstellung von Server-Infrastruktur, die Implementierung von Datenbanken oder auch die Gestaltung einer intuitiven Nutzeroberfläche – oftmals liegen die Themen außerhalb des angestammten Kerngeschäfts.

Neben der Fähigkeit, den oder die richtigen Partner auszuwählen, ist hier insbesondere die Kommunikation mit dem jeweiligen Geschäftspartner von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Diese beginnt bei der Beschreibung der eigentlichen Leistung und Gegenleistung, geht über die regelmäßige Abstimmung und Koordination bei Veränderungen innerhalb der IoT Wertschöpfungskette und endet bei dem Zuordnen von Zuständigkeiten im Falle von Eskalationen bei Kundenbeschwerden.

Für ein vertrauensvolles Partnermodell benötigt es klar definierte Schnittstellen und transparente Entscheidungswege. Hier können auch Unterschiede in der Unternehmensgröße und -kultur schnell zu Missverständnissen führen. Je komplexer die IoT-Gesamtlösung, desto wichtiger ist die Zuverlässigkeit der Partnernetzwerke. Versagt ein Element der IoT Wertschöpfungskette, kann das gesamte System ausfallen, zu schmerzlichen kommerziellen Verlusten führen und der Reputation aller Beteiligten erheblich schaden.

IoT zu Ende denken als Schlüssel zum Erfolg

Zusammengefasst bleibt hier der Aufruf, die Euphorie und den Gestaltungswillen für neue IoT Lösungen auch auf notwendige interne Anpassungen der Organisation zu übertragen. In einer neuen vernetzten Welt der Dinge werden die oben angeschnittenen organisatorischen Fähigkeiten und Ressourcen DIE herausragende kritische Erfolgsgröße für jegliche unternehmerische Aktivität. Je früher wir die Komplexität von IoT Lösungen gesamtheitlich berücksichtigen und durchdenken, desto erfolgreicher werden wir die IoT Zukunft gestalten.

Dr. Thomas Lücking ist Senior Manager für IoT Business Development und Consulting bei der Bosch Engineering GmbH. Hierbei leitet er unter anderem die IoT Geschäftsmodellberatung für externe Kunden. Davor war Thomas als Unternehmensberater und Senior Business Analyst in der Telekommunikations- und Videospielindustrie in Düsseldorf, Prag und London tätig. Er studierte Betriebswirtschaft in Aachen und in den USA und promovierte (Dr.rer.pol.) in Technologie- und Innovationsmanagement an der Universität Würzburg.

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