Practical Quantum Computing

Von   Jannes Klinck   |  Entwickler und Data Scientist   |  bytabo
10. Januar 2021

Auch wenn Quantum Computing in den letzten Jahren immer mehr Aufmerksamkeit findet, erscheint es doch für viele so belanglos wie die Entwicklung von Fusionsenergie oder dem Ionenantrieb. Gegenüber diesen hat Quantum Computing jedoch einen entscheidenden Unterschied: Es ist bereits zugänglich – für jeden. Dieser Umstand mag für den einen oder anderen zunächst verblüffend klingen, aber in der Tat stellen verschiedene Unternehmen diese Multimillionen-Dollar-Geräte für jeden, der genug Interesse zeigt, zur Verfügung – in manchen Fällen sogar gratis.

Im Folgenden sollen kurz die Herausstellungsmerkmale von Quantum Computern umrissen werden. Wie man heute schon mit diesen arbeiten kann und was dafür spricht, dies auch zu tun, erklärt Jannes Klinck Software-Entwickler und Data Scientist von bytabo​®. ​Dabei liegt der zusätzliche Fokus darauf, praktische Anwendungsfälle aufzuzeigen, die aktuell von Unternehmen mit der Hilfe von Quantum Computern umgesetzt werden.

Quantum Computing – Grundlagen

Für diejenigen, die sich bisher noch gar nicht mit Quantum Computing befasst haben, soll knapp erläutert werden, wodurch sich Quantum Computer überhaupt von herkömmlichen PCs unterscheiden und wieso sich daraus so bemerkenswerte Potenziale ableiten lassen. Jedoch sei vermerkt, dass es sich dabei um eine äußerst vereinfachte Erklärung handelt.

Wie aus dem Namen schon ersichtlich, beruht das Grundprinzip der Quantum Computer auf den Grundgesetzen der Quantenmechanik. Hierdurch wird es möglich, dass die kleinstmögliche Speichereinheit des Quantum Computers, die sogenannten Qubits, nicht nur die Ausprägung 0 oder 1 annehmen können, sondern auch jegliche Kombination derselben (abgeleitet aus dem quantenmechanischem Phänomen der Superposition). Des Weiteren ist ein Quantum Computer nicht an das sequentielle Abarbeiten von möglichen Lösungen gebunden, sondern ist in der Lage, diese simultan zu evaluieren (was durch den quantenmechanischen Effekt des Entanglements ermöglicht wird). Somit ist der mögliche Informationsgehalt von Qubits exponentiell höher als jener von klassischen Bits (siehe Grafik 1).

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Grafik 1: Informationsgehalt von Qubits und Bits in der Gegenüberstellung. Quelle: ​IBM Research [1]

Während diese Fakten in der Debatte um Quantum Computing oft hervorgebracht werden, so wird doch selten darauf eingegangen, warum genau dieser Anstieg an Rechenleistung so große Potenziale birgt. Dabei gibt es viele, vergleichsweise banale Beispiele, anhand derer man zeigen kann, dass selbst harmlos klingende Optimierungsaufgaben verblüffend rechenintensiv sind.

Man stelle sich zum Beispiel vor, man hat 9 Freunde zum Geburtstag eingeladen. Nun verstehen sich manche von ihnen besser und andere schlechter. Sucht man nun nach der bestmöglichen Konstellation, alle Gäste an einen Tisch zu platzieren, so dass die meisten mit ihren Sitzpartnern zufrieden sind, stößt man allerdings schnell auf ein Problem. Sich selber eingerechnet gibt es gerade mal 10 Personen, die man zu bedenken hat. Wieviele Möglichkeiten kann es da schon geben, diese an einem Tisch zu platzieren? 3.628.800.

Zwar ist diese Anzahl an Kombinationen noch mit herkömmlichen PCs berechenbar, allerdings soll es verdeutlichen, warum vermeintlich einfache Probleme wie z.B. Tischplatzierungen oder die optimale Route zu finden, um Pakete auszutragen, rechnerisch unglaublich komplex sind.

Hands-on in die Quantenwelt

Für jene, die sich der Herausforderung des Quantum Computings nun selber stellen wollen, kommt hier die gute Nachricht: Dies ist auch im Jahre 2020 schon möglich. Um einen waschechten Quantum Computer sein Eigen nennen zu können, erfordert es allerdings das nötige Kleingeld. Die bedeutendere Entwicklung im Quantum Computing ist jedoch ohnehin, wie in so vielen anderen Sektoren der Informationstechnik auch, die Cloud. Mit der Möglichkeit, die enorme Rechenleistung von Quantum Computern auf Abruf beziehen zu können und dabei nur genau die Ressourcen zahlen zu müssen, die bei der Nutzung entstanden sind, verändert sich die Kostenkalkulation grundlegend. Somit stellt die Fusion aus “klassischen” Technologien mit Quantum Computern möglicherweise den nötigen Schritt dar, der Quantum Computing letztendlich zur Salonfähigkeit verhelfen könnte.

Wenig verwunderlich ist es deswegen auch, dass viele der namhaften Tech-Giganten mittlerweile schon Quantum Computing in der Cloud anbieten oder daran arbeiten. Erwähnenswerte Vertreter sind unter anderem Alibaba, Amazon, Google, IBM, Microsoft und D-Wave Systems. Wohingegen das Verwenden von Quantum Computern in der Regel an kostspielige Abonnements gebunden ist, bietet IBM mit der IBM Quantum Experience zusätzlich einen Service an, der von jedermann komplett gratis genutzt werden kann. Auf dieser Spielwiese ist es für alle möglich, einen ersten Geschmack von Quantum Computing zu bekommen, selbst wenn noch keine Expertise in diesem doch sehr spezifischen und komplexen Themengebiet vorliegt. Beschränkungen finden sich lediglich in der Rechenpower der verfügbaren Hardware, welche weit unter den heutigen Standards liegt.

Aber worin liegt der Reiz und Ansporn, eine so vergleichsweise unausgereifte Technologie heute schon zu erkunden? Mit all den verschiedenen Ansätzen, die momentan ausprobiert und erforscht werden, ist es unabdingbar, dass viele von diesen letztendlich im Sande verlaufen werden. Nicht unbedingt eine attraktiver Ausblick, um dort einzusteigen. Doch durch die noch junge und vergleichsweise unerprobte Arbeitsweise gibt es im Quantum Computing noch eine große Freiheit. Genau diese Freiheit erlaubt und verlangt wiederum ein Level an Kreativität und Einfallsreichtum, welches sonst im stringentem Bereich der IT nur noch selten gesehen wird. Der gern verwendete Begriff des Paradigmenwechsels ist beim Quantum Computing also kein Hirngespinst des Marketings, sondern ist direkt zurückführbar auf die grundlegende Weise, in der sich ihre Handhabung und Funktionsweise im Vergleich zu konventionellen PCs unterscheiden. Daher ist das Erlernen der Verwendung von Quantum Computern weniger zu vergleichen mit dem Vertrautwerden mit einer neuen Programmiersprache, sondern erinnert eher an die Pionierarbeit der 1940er und 1950er Jahre, in der die Grundlagen geschaffen werden mussten, um Computer zu dem zu machen, was sie heute sind. Ähnlich wie es damals nötig war, Probleme letztendlich auf Nullen und Einsen herunterzubrechen, so gilt es auch heute beim Quantum Computing, die vorliegenden Problematiken in bestimmte Muster zu transformieren, um die Power der Quantum Computer entfaltbar zu machen. Die dafür nötigen Denkweisen können allerdings nur entstehen, wenn auch jetzt schon das Interesse der zukünftigen Quantum-Entwickler geweckt wird und reges Auseinandersetzen mit der Technologie stattfindet.

2020 als Startschuss für Quantum Applications?

Ein gerne genannter Kritikpunkt des Quantum Computings ist, dass auch wenn große theoretische Potenziale ersichtlich sind, Quantum Computer in der Praxis (noch) keine nützliche Anwendung finden. Begutachtet man zum Beispiel Googles Triumph der Quantum-Supremacy (also das Lösen einer Aufgabe durch einen Quantum Computer viele Größenordnungen schneller als dies ein klassischer Supercomputer könnte) etwas genauer, erscheint die dabei gelöst Aufgabe denkbar nutzlos. Dort ging es nämlich lediglich um das Generieren und Evaluieren von wahllosen Zahlenfolgen.[2] Zwar mag dies für die Wissenschaft auch ein Thema von Belangen sein, allerdings ist es wohl kein Feld, das fundamental die Welt verändern könnte. Offen bleibt also die Frage, ob es solche – den Bereich grundlegend revolutionierende – Anwendungsfälle gibt?

Bis dato kann an dieser Steller leider noch keine weltverändernde Erfolgsstory des Quantum Computings erzählt werden. Bedenkt man allerdings, dass diese Technologie momentan noch in den Kinderschuhen steckt, wäre dies auch verwunderlich. Nichtsdestotrotz gibt es schon heute eine Vielzahl von Unternehmen, die praktische Routen erkunden, in welchen Quantum Computing den entscheidenden Vorteil ausmachen könnte:

Mit der stetig steigenden Etablierung der Elektromobilität wird der Fortschritt in Batterietechnologien zunehmend bedeutsamer. An genau diesem Ansatzpunkt forscht Daimler mit dem Einsatz von Quantum Computern. Diese sind nämlich in ihrer quantenmechanischen Funktionsweise nicht ganz unähnlich zu den chemischen Wirkungsweisen einer Batterie und können simulieren, welche Batteriechemie langlebiger, effizienter oder weniger schädlich ist.[3] Diese Eigenschaft erklärt auch, warum Quantum Computer besonders in der Chemie, Pharmazie und den Materialwissenschaften großes Interesse finden.

Andere Firmen greifen hingegen auf die rohe Rechenpower zurück, die durch Quantum Computer ermöglicht wird. Das britische Unternehmen AlgoDynamix, welches Vorhersagen des Finanzmarkts berechnet, konnte mit dem Umstieg auf Quantum Computer einen bis zu 10.000-fachen Geschwindigkeitsanstieg bei der Berechnung ihrer Modelle erreichen.[4] Luftfahrtriese Airbus ging sogar noch einen Schritt weiter und arbeitet dieses Jahr an 5 verschiedenen, sehr spezifischen Problemstellungen, die durch die “Airbus Quantum Computing Challenge” gelöst werden sollen. Diese Aufgabenstellungen spannen von zunächst banal klingenden Problematiken wie das Optimieren des Beladungsprozesses der Flugzeuge bis hin zu abstrakten Konstrukten wie dem Designen eines Quantum neuronalen Netzes zur Lösung von partiellen Differentialgleichungen, welches wiederum zur Berechnung von Aerodynamik eingesetzt werden könnte.[5] Projekte wie diese sind dabei nur ein kleiner Ausschnitt des globalen Trends, der sich in Bezug auf Quantum-Anwendungen absehen lässt.

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Grafik 2: Suchvolumen der Begriffe “Quantum Computing” und “Quantum Applications” im Zeitraum vom Januar 2018 bis September 2020 im Vergleich. Daten auf Monatsebene aggregiert. Quelle: Google-Trends.

Um den sich anbahnenden Trend noch etwas genauer zu untersuchen, lohnt es sich, das generelle Interesse an Quanten-Technologien präziser zu quantifizieren. Bezieht man sich dafür auf Metriken zum Google-Suchverhalten, wird eine erstaunliche Tendenz ersichtlich (siehe Grafik 2): Während hohe Nachfrage zum Suchterm “Quantum Computing” allein mit Googles Verkündung der Quantum-Supremacy koinzidierte und für das Jahr 2020 nur geringfügig anstieg, bewegt sich das Interesse an Quantum Applications dieses Jahr auf einem präzedenzlosen, gleichbleibend hohen Level. Dieser Fokus auf Anwendung eröffnet die Frage, ob wir uns aktuell an der Zweigstelle befinden, an der Quanten-Technologien den Weg in die breitere kommerzielle Verwendung finden und infolgedessen ihren Ruf als Zukunfts-Tech-Gimmick allmählich ablegen.

Hindernisse und Risiken

Nach diesem doch sehr optimistischen Einblick in das Quantum Computing, soll allerdings nicht verschwiegen werden, dass es auch deutlich pessimistischere Stimmen gibt. Wirkliche Marktreife ist noch lange nicht erreicht und selbst so fundamentale Fragen wie welcher Ansatz zum Konstruieren eines Quantum Computers sich letztendlich etablieren wird, sind bis dato nicht geklärt. Ferner beruhen die versprochenen Potenziale weitestgehend auf der Annahme der Skalierbarkeit von Quantum Computern. Stellt sich in der Praxis eine Limitation dieser Skalierbarkeit heraus, könnten viele der erhofften Fortschritte unerreichbar bleiben. Dementsprechend kann also nicht ausgeschlossen werden, dass auch Quantum Computing möglicherweise zu jenen Technologien gehört, welche immer 20 Jahre von ihrer Verwirklichung entfernt bleiben. Es bleibt folglich risikobehaftet.

Fazit

Viele der in dem Artikel genannten Informationen sprechen für eine florierende Zukunft des Quantum Computings. Unternehmen sind bereit, zunehmend mehr Kapital in die Hand zu nehmen, um durch die Verwendung von Quantum Computern praxisbezogene Probleme zu lösen. Gleichzeitig sinkt die Eintrittsbarriere stetig durch Entwicklungen wie Cloud-Quantum Computing und macht die Technologie so zugänglich wie nie zuvor. Somit ist es wenig verwunderlich, dass auch das generelle Interesse an Quantum Applications kontinuierlich wächst. Letztendlich wird auch weiterhin genau dieses Interesse und zusätzlicher Enthusiasmus benötigt, um mit neuem Talent dem Computing zum wortwörtlichen Quantensprung zu verhelfen.

Quellen und Referenzen

[1] https://www.youtube.com/watch?v=zOGNoDO7mcU&feature=youtu.be&t=542

[2] https://ai.googleblog.com/2019/10/quantum-supremacy-using-programmable.html

[3] https://www.daimler.com/magazin/technologie-innovation/quantencomputing.html

[4] https://thequantumdaily.com/2020/11/20/algodynamix-partners-with-d-wave-for-quantum-computing-boost-to-financial-forecasting/

[5] https://www.airbus.com/innovation/industry-4-0/quantum-technologies/airbus-quantum-computing-challenge.html#faq

Jannes Klinck ist Entwickler und Data Scientist bei bytabo, einem Technologieunternehmen, das sich darauf spezialisiert hat, Mittelständler in die digitale Zukunft zu begleiten. Dabei befasst er sich nicht nur mit Thematiken der Informatik und Statistik sondern ist am Innovationsprozess beteiligt.

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