Mit der Blockchain die Energiewende meistern?

Von   Dr. Axel von Perfall   |  Senior Manager   |  PricewaterhouseCoopers GmbH
21. Juli 2017

Neben dem Finanzsektor ist der Energiebereich die Branche mit den meisten Aktivitäten rund um die Blockchain-Technologie. Häufig geht es bei der Anwendung der Technologie um die Möglichkeit, dezentrale Akteure direkt – also ohne zwischengeschaltete Ebenen – zusammenzubringen. Damit wird eine ganz wesentliche Herausforderung der Energiewende angegangen: die zunehmende Dezentralität ist allseits gewünscht, muss aber auch steuerbar bleiben. Hier kann die Blockchain einen wichtigen Beitrag leisten.
Durch die Verbindung von Blockchain-Technologie und Smart Contracts könnte der Strommarkt im Endkundengeschäft idealerweise komplett automatisiert werden. Zielbild ist eine App, über die sowohl Erzeuger als auch Kunden ihre Präferenzen einstellen. Über die Blockchain-Plattform findet dann – z.B. alle 15 Minuten – ein Settlement zwischen Angebot und Nachfrage statt. In der Theorie kommt dieses Modell u.a. ohne Vertriebsgesellschaften, Abrechnungsfirmen und Messstellenbetreiber aus. In der Praxis erschwert natürlich das komplexe, mehrstufige System des Energiemarkts einschließlich des regulatorischen Umfelds eine rasche Umsetzung solcher Modelle. Aber erste Schritte in diese Richtung sind deutlich erkennbar.

Blockchain in der Praxis: Energiesektor bietet diverse Anwendungsbereiche

Die nachfolgende Übersicht zeigt die uns derzeit international bekannten Aktivitäten rund um die Blockchain-Technologie im Energiebereich.

Unternehmen und Projekte, die Blockchain für Energie und Energiewende einsetzen.
Unternehmen und Projekte mit Blockchain-Anwendung im Energiebereich

Eine der ersten Anwendungen der Blockchain im Energiebereich wurde 2016 in Brooklyn (USA) im Projekt Transactive Grid/Brooklyn Microgrid umgesetzt. Das Projekt wurde als Peer-to-Peer Nachbarschaftsprojekt mit den Photovoltaikanlagen von fünf Häusern realisiert. Die Startups Conjoule (von innogy initiiert), „Kleine Racker“ (Kooperationsprojekt von Stadtwerke Energieverbund, Discovergy, Grünstromjeton und Sunride) und Powerledger (Australien) arbeiten derzeit aktiv an ähnlichen Modellen.

Eine Einsatzmöglichkeit im Bereich Elektromobilität erprobt derzeit share & charge, auch ein von innogy initiiertes Startup. Den Nutzern dieser Plattform soll ermöglicht werden, bei teilnehmenden Ladesäulen ohne weitere Formalitäten Ladevorgänge in Anspruch zu nehmen und abzurechnen. Damit wird ein „Roaming“ bei der Nutzung fremder Ladesäulen möglich werden.

Mehrere Unternehmen arbeiten an der Nutzung der Blockchain-Technologie zur Verbesserung der Netzsteuerung – sowohl auf Verteilnetz- wie auf Übertragungsnetzebene: TenneT kooperiert mit Sonnen, um im Fall von Lastspitzen auf die Batteriespeicher der Sonnen Community zuzugreifen. Dadurch sollen teure Redispatch-Maßnahmen im Netz vermieden werden. Die Steuerung läuft über eine Blockchain-Applikation, die auf Hyperledger läuft.

Unter dem Namen Enerchain hat der Blockchain-Entwickler Ponton hat ein Konsortium zahlreicher Energieunternehmen zusammengebracht, um die Blockchain-Technologie für den Energiehandel voranzubringen.

Ausblick/Potenziale der Blockchain-Technologie im Energiebereich

Die Blockchain-Technologie erfährt derzeit eine enorme Aufmerksamkeit. Dies liegt zum einen daran, dass die Technologie in gewisser Weise „mystifiziert“ wird: Oftmals wird sie als komplexer angenommen, als sie tatsächlich ist. Viel Interesse im Markt ensteht aus dem Wunsch heraus, die neue „Wundertechnologie“ genauer zu verstehen und ihre Anwendungsmöglichkeiten abschätzen zu können. Zum anderen hat die Technologie eine bedeutsame strategische Konsequenz für die Energiewirtschaft: die zugrundeliegenden Ideen von „Peer-to-Peer“ und Unabhängigkeit von zentralen Instanzen könnten eine erhebliche Bedrohung für eingespielte Geschäftsmodelle bedeuten. Die Energieversorger zwingt dies, sich noch schneller und intensiver mit den neuen digitalen, dezentralen Geschäftsmodellen zu beschäftigen.

Die Blockchain-Technologie selbst ist noch in einem „Beta-Stadium“, die Projekte werden aber immer konkreter. Bislang waren es vor allem Projektideen und Simulationen, inzwischen gibt es zahlreiche Pilotprojekte mit Testkunden. Wir erwarten, dass im Laufe des Jahres 2017 immer mehr Projekte mit immer mehr „echten Kunden“ und „echten Haushalten“ an den Markt gehen.

Es bleiben aber auch noch zahlreiche offene Themen, die in der nächsten Zeit von der Blockchain-Community zu erarbeiten und zu klären sind: wie sehen die Erlösströme in den neuen Blockchain-Geschäftsmodellen aus? Wie profitabel sind die Geschäftsmodelle langfristig? Wie können die Schnittstellen zwischen digitaler Blockchain-Welt und Hardware (z.B. Smart Meter) zuverlässig hergestellt werden? Welche Daten und Algorithmen werden tatsächlich über die Blockchain abgedeckt, welche über andere IT-Systeme? Wird es eine Interoperabilität zwischen verschiedenen Blockchain-Systemen geben? Wie können regulatorische Hürden überwunden werden?
Sicher ist, dass die Blockchain-Technologie die Energiewirtschaft derzeit mobilisiert und die Digitalisierung der Branche insgesamt noch weiter vorantreibt.

Dr. Axel von Perfall ist Experte für Energie & Blockchain beim Beratungsunternehmen PricewaterhouseCoopers (PwC). Er berät Energieversorger rund um die Digitalisierung und die damit verbundenen Themen (Digitale Agenda, Business Analytics, neue Geschäftsmodelle, Smart Metering, Blockchain). Herr von Perfall ist Autor der Studien „Deutschlands Energieversorger werden digital“ und „Blockchain im Energiesektor“. Axel von Perfall ist promovierter Diplom-Kaufmann und ist seit über 15 Jahren im Consulting aktiv.

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