Mehr als die Hälfte der Investitionen in digitale Innovationen wird verschwendet

Ein kürzlich veröffentlichter, internationaler Report macht deutlich, wie wichtig die produktorientierte Ausrichtung von Projekten bzw. Betriebsmodellen ist. Der "2023 Project to Product State of the Industry Bericht" von Planview hat herausgefunden, dass viele Organisationen oder Unternehmen aufgrund unausgereifter Betriebsmodelle und Managementsysteme nicht in der Lage sind, produktorientierte Strukturen erfolgreich zu implementieren. Der Studie zufolge ist es weltweit nur 8 Prozent der Unternehmen gelungen ihre Workflows von projektbasierten Strukturen auf produktbasierte Workflows umzustellen. Woran liegt das, wie stellt sich die Situation in Deutschland dar und welche Konzepte können helfen, das Dilemma zu beenden?
Von   Adrian Jones   |  Enterprise VSM Transformation Advisor (EMEA)   |  Planview
26. Juni 2023

Diese geringe Erfolgsquote bei der Transformation der Prozesse entlarvt die optimistischen Zukunftsprognosen vieler Geschäftsführer – und zwar weltweit. In einer Gartner-Studie im Jahr 2018 gaben 85 Prozent der befragten Führungskräfte an, bereits ein produktzentriertes Modell eingeführt zu haben oder dies für die nahe Zukunft zu planen. Hier dürfte der Wunsch, Vater des Gedanken gewesen sein. Denn bereits seit längerem ist klar, dass der Zeitfaktor bei der Markteinführung von neuen Produkten zu einem immer wichtigeren Kriterium wird. Folglich geht es in vielen Unternehmen darum, den Markteinführungsprozess zu beschleunigen. Das wiederum geht nur mit mehr Agilität. Die Herausforderung dabei: Agilität lässt sich ihrerseits mit produktorientierten Prozessen besser erzielen als mit projektbasierten Workflows.

Der Druck nimmt zu

Stellt man die Ergebnisse der Gartner-Erhebung in den Kontext zu den Zahlen des aktuellen State-of-the-Industry-Reports, zeigt sich, dass noch viel zu tun ist. Die aktuellen Zahlen unterstreichen, dass die Transformation von projektbasierten Strukturen zu produktorientierten Abläufen extrem komplex und langwierig ist. Unabhängig davon, dass die Unternehmen ausreichend viel Zeit einplanen müssen, gilt es auch die Transformation auf allen Ebenen der Organisation engagiert zu unterstützen.

Dass hier inzwischen ein Umdenken stattfindet, lässt sich durchaus beobachten. In den Vorstandsetagen auf der ganzen Welt erkennen immer mehr Führungskräfte, dass sie einerseits ihre Investitionen in neue Technologien priorisieren und andererseits auf ein produktbasiertes Betriebsmodell wechseln müssen, um das Überleben bzw. das Wachstum ihres Unternehmen sicherzustellen. Doch die Erkenntnisse allein reichen nicht aus. Wie der State-of-the-Industry-Report herausgefunden hat, verfügen – international gesehen – 92 Prozent der Unternehmen überhaupt nicht über die Grundlagen, ein produktorientiertes Modell einzuführen. Auch wenn Deutschland grundsätzlich hinsichtlich der Digitalisierung eher hinterherhinkt, steht es um die Voraussetzungen zur Einführung eines produktbasierten Betriebsmodells etwas besser. Hier fehlen, im internationalen Vergleich, „nur“ 88 Prozent die Voraussetzungen für den Switch.

Wo stehen Unternehmen bei ihrer Umstellung?

Immerhin befinden sich, laut eigenen Angaben, 46 Prozent in der sogenannten Experimentierphase, sprich sie haben bereits erste Schritte hin zum produktbezogenen Betriebsmodell eingeleitet und Erfahrungen gesammelt. Aber: die erreichten Veränderungen sind lokal begrenzt oder befinden sich noch in der Pilotphase. Knapp ein Drittel (29 Prozent) sind schon einen Schritt weiter und befinden sich in der Ausbauphase. Das bedeutet, dass sie schon erste Lehren aus den gewonnenen Erkenntnissen ziehen und die Anwendung des Produktmodells ausweiten können.

Stellt man diese Zahlen in Korrelation zu den verschiedenen Branchen zeigt sich, dass die größten Fortschritte bei Technologieunternehmen zu verzeichnen sind; hier befinden sich die meisten Organisationen sogar schon in der Phase der Operationalisierung oder dem Reifeprozess. Hervorzuheben ist, dass es sich dabei zumeist um etablierte Unternehmen handelt, die früher lange Zeit nach dem Projektmodell gearbeitet haben. Ein funktionsübergreifender, integrierter und kundenorientierter Ansatz könnte der Grund dafür sein, dass ihnen die Umstellung des Betriebsmodells leichter fällt als anderen.

Zu diesen zählen etwa Unternehmen in stark regulierten Branchen, wie dem Gesundheitswesen und Finanzdienstleistungen. Hier befindet sich das Gros in der Experimentierphase bzw. im Ausbau. Diese Organisationen machen jedoch langsamere Fortschritte als Tech-Unternehmen, was möglicherweise auf die komplexen regulatorischen Vorgaben sowie die damit verbundenen langwierigen Prozesse zurückzuführen ist.

Toolkit für die Umstellung von Projekten auf Produkte

Der erste Baustein ist das Value Stream Management (VSM). Forrester definiert dies als „eine Kombination aus Menschen, Prozessen und Technologien, die den Flow des geschäftlichen Mehrwerts durch heterogene Softwarebereitstellungspipelines abbildet, optimiert, visualisiert, misst und steuert“. Beim VSM werden die Prozesse der Softwarebereitstellung in produktorientierten Value Streams organisiert, von denen jeder einen konkreten Mehrwert für den Kunden erbringt.

Das zweite wichtige Element ist ein Satz ergebnisorientierter Kennzahlen, anhand derer die Performance dieser Product Value Streams sowie die inkrementellen Verbesserungen während der Umstellung auf ein Produktmodell gemessen werden können. Bei der Softwarebereitstellung werden dafür die Flow-Metriken genutzt. Sie werden aus verschiedenen Tools über alle Product Value Streams hinweg zusammengestellt und quantifizieren die Werterbringung aus Sicht der internen oder externen Kunden eines Produkts.

Laut dem Bericht „The State of VSM Report 2022“ des Value Stream Management Consortiums nutzen Organisationen unterschiedliche Strategien zur Gewinnung von Daten rund um den Value Stream Flow: 62,5 Prozent der Befragten aggregieren oder sammeln die Daten manuell aus unterschiedlichen Quellen und Tools. 20 Prozent der Organisationen verwenden bereits ein spezielles VSM-Tool für die Datenerhebung, und weitere 15,7 Prozent ziehen den Einsatz eines solchen Tools in Betracht.

Was sind die Erfolgsfaktoren?

Anhand der Ergebnisse der Studie lassen sich fünf Erfolgsfaktoren identifizieren:

Erfolgsfaktor 1: Kontinuierlich finanzierte Build-and-Run-Teams

In Unternehmen, die ihr Portfolio in kontinuierlich finanzierten Build-and-Run-Teams organisieren, findet die Budgetzuteilung zwar kontinuierlich statt, wird jedoch nur jährlich, halbjährlich oder
bestenfalls vierteljährlich überprüft und angepasst. Diese Anpassungen hängen von den gewünschten
Geschäftsergebnissen ab. Funktionsübergreifende Teams allein sind nicht ausreichend. Den meisten internen und externen Produkten sollten funktionsübergreifende Build-and-Run-Teams zugewiesen werden, die während des gesamten Lebenszyklus für das Produkt verantwortlich sind.

Problematisch allerdings ist, dass Geschäftsziele nicht selten auf der Grundlage unrealistischer Erwartungen festgelegt werden. Der Grund: CIOs und CFOs sind sich nicht darüber bewusst, wie viel Arbeit durch die jährlichen projektbasierten Top-Down-Budgetierungszyklen ohne Feedback und Flexibilität zur Neuzuteilung liegen bleibt. Die Flow-Metriken tausender Value Streams zeigen jedoch, in welchem Maße ein projektbasiertes Finanzierungsmodell dazu beiträgt, dass sich eine große Anzahl an Anforderungen ansammelt, die die Kapazitäten der Delivery-Teams bei Weitem übersteigt.

Erfolgsfaktor 2: Abhängigkeitenmanagement

Das Abhängigkeitsmanagement ist in der Softwareentwicklung keine leichte Angelegenheit, da Value Streams keine linearen Fertigungsprozesse sind. Ihre Struktur ähnelt eher der eines Streckennetzes von Fluggesellschaften als der einer Fertigungslinie. Wenn alle intern genutzten Funktionen als Self-Service verfügbar sind, erhöht dies die Wahrscheinlichkeit für die Einführung eines Produktmodells. Obwohl die meisten Befragten eine SLA-gesteuerte Ausführung nach dem Projektmodell hinter sich gelassen haben, hat die Mehrheit noch immer mit Abhängigkeiten zu kämpfen.

87 Prozent der in der Studie Befragten sind von technischen, prozessbedingten und kompetenzbezogenen Abhängigkeiten betroffen, oder es entstehen Verzögerungen durch Übergaben und die Koordination von Shared-Services. 5 Prozent der Organisationen haben Schwierigkeiten, organisatorische und architektonische Strukturen zu schaffen, die einen schnellen Flow unterstützen. Die Systemdaten zeigen, dass agile Entwicklungsteams kleine Arbeitseinheiten zwar schnell abschließen, aber auf den letzten Metern des Release-Prozesses häufig Engpässe auftreten. Dies passiert vor allem an den Stellen, an denen die Arbeit mehrerer Beteiligter zusammenläuft.

Erfolgsfaktor 3: Fähigkeit, Kundenfeedback innerhalb von Wochen umzusetzen

Lange Release-Zyklen mit streng geregelten jährlichen oder halbjährlichen Zeitfenstern sind ein typisches Merkmal projektorientierter Organisationen, was auf 16 Prozent der Befragten zutrifft. Die Umsetzung eines Produktmodells ist sehr viel wahrscheinlicher, wenn der Weg zur Produktion für alle Produkte unabhängig verwaltet wird und Feedback innerhalb von Wochen integriert werden kann.

Laut Studie entscheiden sich 30 Prozent der Organisationen nur in Notfällen, wie Bugs oder Ausfällen, für ein schnelles Release. Dies deutet darauf hin, dass ihre Beschränkungen nicht technischer
Natur, sondern prozessbedingt sind. Mehr als die Hälfte, 54 Prozent, geben an, dass einige oder alle Produkte einen unabhängigen Weg zur Produktion haben und schnellere Feedbackzyklen bestehen; 10 Prozent der Befragten integrieren Kundenfeedback sogar innerhalb weniger Wochen.

Erfolgsfaktor 4: Einbindung von Flow-Metriken und Geschäftsergebnissen des Produktmodells ist es, die Diskrepanz zwischen

Um die Kluft zwischen dem Geschäftsmodell und der IT-Abteilung zu überwinden, ist eine direkte Korrelation von Delivery-Team-Kennzahlen mit Geschäftsergebnissen notwendig; nur so lässt sich die Entscheidungsfindung erleichtern und eine Umsetzung einer produktorientierten Strategie sicherzustellen. Das Einbeziehen von Flow-Metriken und Geschäftsergebnissen in regelmäßige Betriebsprüfungen erhöht nachweislich die Wahrscheinlichkeit, die Operationalisierungsphase des Umstellungsprozesses schneller zu erreichen. Die Umfrageergebnisse zeigen jedoch, dass dieser Aspekt der Transformation eine große Herausforderung darstellt. 51 Prozent der Unternehmen messen den IT-Erfolg noch immer anhand von Qualitäts- und Kostenkennzahlen, die jedoch für ein Produktmodell zu eindimensional sind. Weniger als 10 Prozent der Value Streams überprüfen regelmäßig die Flow-Metriken unter Berücksichtigung der Geschäftsergebnisse. Diese Diskrepanz zwischen Strategie und Ausführung ist sinnbildlich für die Kluft, die das Business von der IT in den Organisationen trennt, die sich noch in der Anfangsphase ihrer Umstellung auf ein Produktmodell befinden.

Erfolgsfaktor 5: Ausgereiftes Produktmanagement

Beim projektorientierten Management bestimmt der Projektplan die Prioritäten, und die langfristigen Auswirkungen von Entwicklungsentscheidungen werden nur selten berücksichtigt. Die Umfrage zeigt jedoch, dass ein ausgereiftes Produktmanagement unerlässlich ist – ein Produktmanagement mit qualifizierten Produktmanagern, die für ein gesundes Gleichgewicht im Produktportfolio sorgen, indem sie die Roadmap, Teamkapazitäten, Vor- und Nachteile sowie die Priorisierung mit den übergeordneten geschäftlichen Anforderungen abgleichen. In fast einem Viertel der Organisationen herrscht ein projektorientiertes Mindset, bei dem die Entscheidungen auf Projektplänen und festen Zeitplänen basieren. Mit 41 Prozent gab die Mehrzahl der Befragten an, dass die gewünschten Funktionen und Entwicklungsprioritäten nach wie vor von einem primären Stakeholder vorgegeben werden. 36 Prozent der Befragten bestätigen eine stärkere Rolle der Produktmanager.

Produktorientierte Modelle haben Value Streams, die zu gleichen Anteilen an Features (neuen Funktionen), Defects (Qualitätsmängeln), Risks (sicherheits- und Compliance-bezogenen Risiken) und Debts (technischen Problemen) arbeiten. Dennoch zeigen die Systemdaten für die meisten Product Value Streams, dass zu wenig in die oft nicht sichtbare jedoch grundlegende Arbeit investiert wird, die die Produkte langfristig am Laufen hält.

Fazit

In den letzten fünf Jahren ist es immer wichtiger geworden, Mehrwerte durch die digitale Transformation zu realisieren. Laut McKinsey müssen Unternehmen aller Branchen ihre Bemühungen beim Aufbau neuer Geschäftsmodelle erheblich verbessern, um zukünftige Umsatzziele zu erreichen. Diese neuen Businesses werden auf neuen Technologieprodukten basieren, von Daten- und
Analyseplattformen über vernetzte Produkte bis hin zu Software-as-a-Service. Die Operationalisierung eines Produktmodells ist von entscheidender Bedeutung, um die Time-to-Market-Zyklen zu verkürzen und schnelle Feedback-Loops zu ermöglichen. Diese sind notwendig, um neue Funktionen mit ausreichender Geschwindigkeit zu entwickeln und auf den Markt zu bringen.

Der „2023 Project to Product State of the Industry Bericht“ zeigt, dass eine Umstellung von Projekten auf Produkte möglich ist, wenn die Bemühungen stetig und zielgerichtet unternommen werden, um bei allen sieben wichtigen Aspekten die letzte Phase der Transformation zu erreichen. Die meisten Organisationen haben diesen Prozess bereits eingeleitet: 29 Prozent sind nur noch eine Phase von der Operationalisierung des neuen Modells entfernt, und 46 Prozent arbeiten derzeit am Playbook für den Ausbau der Umsetzung. Mit der richtigen Priorisierung, einer konkreten Roadmap und einem datengesteuerten Ansatz können Organisationen ihre weitere Transformation beschleunigen.

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