Life Sciences: So profitieren Pharmaunternehmen vom Metaverse

Das Metaverse steckt noch in den Kinderschuhen. Der Blogpost diskutiert, warum Pharmaorganisationen dennoch bereits jetzt handeln sollten, um dessen Potenziale für sich zu nutzen und Wettbewerbsvorteile zu generieren
Von   Bryan Hill   |  VP Digital Health & Innovation, CTO - Life Sciences   |  Cognizant
  Naveen Sharma   |  Head of Digital Business & Technology - Life Sciences   |  Cognizant
11. Januar 2023

Das Metaverse steht noch am Anfang. Zahlreiche Unternehmen, inbesondere im Life Sciences-Bereich, sind noch unsicher, ob sie sich bereits jetzt auf die digitale Welt einlassen sollen. Schließlich befindet sich das Metaverse noch Mitten in der Entwicklung. Das Ziel: Das Metaverse soll ein interoperabler, beständiger Raum werden, in dem Menschen virtuell reisen, interagieren und eine Vielzahl von Aufgaben ausführen können – und all dies mit einer einzigen Identität.

Aktuell ist das Metaverse von dieser Vision allerdings noch weit entfernt: Derzeit besteht der virtuelle Raum noch vorwiegend aus unterschiedlichen Plattformen, Anwendungen und Spielen – diese sind untereinander nicht verknüpft und bieten unterschiedliche User-Erlebnisse. Diese Erlebnisse und Erfahrungen basieren jedoch auf den gleichen technologischen Bausteinen: unter anderem Augmented Reality (AR), Virtual Reality (VR), Blockchain und Gamification.

Doch diese Gleichung kommt mit mehreren Unbekannten daher. Es überrascht deswegen nicht, dass viele Life Sciences-Organisationen – deren Tätigkeit sich direkt auf die öffentliche Gesundheit auswirkt – das Metaverse bisher eher aus der Ferne beobachten und sich nur langsam daran machen, die Potenziale der virtuellen Welt zu entdecken.

Andererseits lebt insbesondere die Life Sciences-Branche von Mut und Unerschrockenheit: Wissenschaftliche Experimente sind ihr Lebenselixier und neue, bahnbrechende Therapien erfordern stets die Erforschung des Unbekannten. Und obwohl sich das Metaverse noch in der Entwicklung befindet, lassen sich bereits jetzt signifikante Potenziale identifizieren. Tatsache ist: Es gibt gute Argumente für Life Sciences-Unternehmen, sich bereits jetzt einen Platz im Metaverse zu sichern – solange die Eintrittsbarrieren noch niedrig und die möglichen Kosten für verpasste Chancen hoch sind.

Die Kunst des Möglichen
Das Metaverse kann eine Brücke zwischen der physischen und der digitalen Welt schlagen. Das Ziel dabei: die Wissenschaft vorantreiben und Gesundheitsergebnisse verbessern – und damit den Weg für neue digitale Ansätze in der Gesundheitsversorgung sowie für mehrwertorientierte Modelle ebnen, die Anreize für messbare reale Patient:innenergebnisse schaffen.

Eine gemeinsame Nutzung von Daten sowie Interoperabilität haben zudem das Potenzial, Betriebskosten zu senken und Stakeholder-Erlebnisse zu verbessern. Das Metaverse ermöglicht darüber hinaus eine bessere Zusammenarbeit zwischen Kostenträgern, Anbietern und Herstellern – Therapien können so schneller entwickelt werden.

Erste Schritte im Metaverse
Life Science-Organisationen, die warten, bis der erste Ansturm sich legt, könnten sich schnell in einer Aufholjagd wiederfinden. Folgende Faustregeln sollten traditionelle Pharmaunternehmen befolgen, wenn sie im Metaverse Flagge zeigen wollen.

1.    Das Metaverse als neuer Interaktionskanal
Life Science-Unternehmen sollten das Metaverse als Teil eines Kontinuums an Interaktionskanälen betrachten, dessen bisherige Entwicklung sich von Printmedien über Radio und Fernsehen bis hin zum Internet erstreckt. Was jeden aufeinanderfolgenden Interaktionskanal vom vorhergehenden unterscheidet, ist ein zunehmender Grad der Immersion.

Das Metaverse ist ein weiterer Schritt in dieser Entwicklung. Es ermöglicht Anwender:innen, sowohl in einer virtuellen Welt präsent zu sein als auch mit anderen Nutzer:innen in dieser Welt zu interagieren. Mithilfe von Augmented Reality, also der computergestützten Erweiterung der Realitätswahrnehmung, können User zudem die virtuelle und die physische Welt harmonisch miteinander verbinden und erleben.

Life Science-Unternehmen sollten ihre Metaverse-Ambitionen deshalb darauf konzentrieren, Anbieter:innen von Gesundheitsleistungen und Patient:innen bereichernde, immersive Erfahrungen zu bieten. Ein Beispel: Das digitale Engagement im Bereich Medical Affairs begrenzt sich aktuell hauptsächlich auf Bildschirmfotos, Folienpräsentationen und Informationsvideos. Im Metaverse könnten medizinisch-wissenschaftliche Mitarbeiter:innen mithilfe eines 3D-Modells erklären, wie ein bestimmtes Medikament T-Zell-Rezeptoren angreift. Die Interaktionsmöglichkeiten sind damit signifikant umfangreicher und effektiver.

2.    Anwendungsfälle mit einer „weltbildenden” Denkweise schaffen
Um im Metaverse aktiv zu werden, benötigen Life Science-Organisationen nicht unbedingt vollkommen neue Skills und Kapazitäten. Projekte wie digitale Zwillinge in Fabriken, VR-Simulationen und virtuelle Laborbegehungen der nächsten Generation lassen sich unkompliziert über die einzelnen technologischen Bausteine des virtuellen Raums umsetzen.

Die „Magie“ des Metaverse liegt also weniger in den ihm zugrunde liegenden Technologien, sondern vielmehr in der Art und Weise, wie diese zu einer offenen und kollaborativen Plattform zusammenwachsen.

Um das volle Potenzial auszuschöpfen, müssen Unternehmen ihre Initiativen mit Fokus auf die Pattform angehen. Die Entwicklung eines VR-Schulungsmoduls für die Mitarbeiter:innen einer Arzneimittelherstellungsanlage, bei der jemand ein Headset aufsetzt, ein Schulungsmodul absolviert und es dann nie wieder tut, ist keine metaverse Erfahrung. Ein digitaler Zwilling derselben Produktionsstätte, in dem mehrere Anwender:innen gleichzeitig verschiedene Anwendungsfälle (einschließlich VR-Schulungen) erforschen, entdecken und ausprobieren können, hingegen schon.

Der offene Charakter des Metaversums bietet den größten Mehrwert. Firmen sollten Anwendungsfälle aus diesem Grund mit Weitsicht planen. Denn: Richtig angegangen und entwickelt, existiert der Anwendungsfall nicht nur im eigenen Kosmos, sonden findet den Weg in ein breiter gefasstes Umfeld oder Ökosystem – und gewinnt damit signifikant an Wert.

3.    Experimentieren, aber mit Ziel und Zweck
Das Metaverse hat ein offenes Ende: Der virtuelle Raum befindet sich in der Entwicklung und hat seinen Endzustand noch lange nicht erreicht. Darüber hinaus ist das Metaverse eher auf Zusammenarbeit als auf reine Zielsetzung ausgerichtet – und damit endlos iterativ. Nutzen Unternehmen tatsächlich die Plattform, um Anwendungsfälle zu bestimmen, führt ein Fall zum nächsten und dieser wiederum zum nächsten – die Möglichkeiten sind umfassend und mannigfaltig. Der digitale Zwilling eines Krankenhauses, der zunächst zur Unterstützung eines Pflegemanagement-Anwendungsfalls entwickelt wurde, kann durchaus derselbe digitale Zwilling sein, den medizinische Betreuer:innen bei einer Demonstration vor Vertreter:innen des Gesundheitswesens einsetzen.

Experimentieren ist hier das Zauberwort – dies sollten jedoch zielgerichtet sein. Das bedeutet: Unternehmen benötigen kleine, schnelle Erfolge, die weitere Experimente rechtfertigen und die Aufmerksamkeit der Stakeholder auf sich ziehen. Es bedeutet aber auch: Es reicht nicht aus, ausschließlich eine punktuelle Lösung für einen Anwendungsfall zu entwickeln.

Ebenso wichtig sind Anpassbar- und Veränderbarkeit. Wie schnell können Unternehmen eine VR-Schulungsanwendung skalieren, um sie für mehrere Anwender:innen zugänglich zu machen oder um ein gewisses Maß an Gamification hinzuzufügen? Sind Sensoren und Konnektivität, die für einen ersten Anwendungsfall entwickelt wurden, flexibel und belastbar genug, um später auch andere, noch unbekannte Anwendungsfälle zu unterstützen? Wie können Daten aus dem Internet der Dinge (Internet of Things / IoT) den digitalen Zwilling in Zukunft „realer“ und präziser machen?

Der Mittelweg ist die Lösung
Die größte Herausforderung bei Investitionen in das Metaverse heute: Die Lücke zwischen dem, was die virtuelle Welt aktuell darstellt, und dem, was sie zu werden verspricht, muss geschlossen werden. Konzentrieren sich Unternehmen ausschließlich auf den momentanen Status, werden sie mit einer Reihe von VR- und AR-Anwendungen konfrontiert, die den offenen, kollaborativen Charakter des Metaverse nicht gänzlich ausschöpfen. Sind sie jedoch zu sehr auf die Zukunft ausgerichtet, könnte es schwierig werden, erste Erfolge zu erzielen, die der Unternehmensleitung einen weiteren Business Case rechtfertigen.

Der Sweet Spot liegt also zwischen diesen beiden Extremen. Organisationen sollten bereits jetzt ihre Metaverse-Fähigkeiten trainieren, um sich für künftige Anpassungen und Weiterentwicklungen des Metaverse fit zu machen. Damit bereiten sie sich gewissermaßen auf das Unerwartete vor.

Naveen Sharma

Head of Digital Business & Technology - Life Sciences bei Cognizant

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