Im Zeitalter der KI: Warum Unternehmen einen Chief Ethics Officer brauchen

In der Medizin gibt es den Hippokratischen Eid. Warum sollten Unternehmen, die mit Künstlicher Intelligenz arbeiten, nicht einen ähnlichen Eid ablegen, nämlich den, keinen Schaden anzurichten? Es sprechen viele Gründe dafür, dass Organisationen jemanden benötigen, der die ethische Führung übernimmt.
Von   Simon James   |  Publicis Sapient   |  VP of Data & AI
29. September 2023

Künstliche Intelligenz hat nahezu jeden Aspekt unseres Lebens durchdrungen, von virtuellen Assistenten und personalisierten Empfehlungen bis hin zu vernetzten Fahrzeugen und medizinischen Diagnosen. Während sich die KI mit beispielloser Geschwindigkeit entwickelt, wirft sie wichtige ethische Fragen auf, die unserer Aufmerksamkeit bedürfen. Die rasche Entwicklung und Anwendung von KI-Technologien bringt immense Vorteile mit sich, wirft aber auch tiefgreifende Fragen zu Datenschutz, Fairness, Rechenschaftspflicht und Transparenz auf. Die Kluft zwischen dem, was wir mit Daten und KI tun können, und dem, was wir tun sollten, war noch nie so groß wie heute.

Navigieren durch eine ethische KI-Landschaft

Ethische KI bezieht sich auf die verantwortliche und verantwortungsbewusste Gestaltung, Entwicklung und Nutzung von KI-Systemen, die das Wohlergehen und die Würde des Einzelnen und der Gesellschaft als Ganzes berücksichtigen. Das Gebiet der ethischen KI ist komplex, aber es ist unerlässlich, dass die Unternehmen jetzt lernen, mit den ethischen Implikationen der KI umzugehen.

Die Beziehung zwischen Daten und Ethik war schon immer eine Herausforderung. Unternehmen haben heute Zugang zu einer Fülle von Informationen, einschließlich personenbezogener und sensibler Daten, und sie müssen die ethischen Auswirkungen ihres Handelns berücksichtigen. Der Zugang zu solchen Informationen bringt eine große Verantwortung mit sich. Banken zum Beispiel wissen dank Predictive Analytics, wann ein Kunde sein Konto überziehen wird, lange bevor es dazu kommt. Das ist der einfache Teil. Aber was soll die Bank dem Kunden sagen, um ihm zu helfen, diese negative Situation zu vermeiden? Das ist der schwierige Teil. Es ist nicht klar, welches moralische Recht die Bank hat, sich in unser Leben einzumischen und uns vorzuschreiben, wie wir unser Geld ausgeben sollen – selbst wenn ihre Absichten gut sind und wir alle Geld sparen würden!

Die Rolle der KI bei der Entscheidungsfindung und bei Handlungsempfehlungen ist ein faszinierender Bereich, in dem es schwierig ist, die richtige Balance zu finden. Auch wenn es nicht Aufgabe einer Bank oder eines KI-Systems ist, dem Einzelnen vorzuschreiben, wie er sein Leben zu gestalten hat, werfen Situationen wie diese doch ethische Bedenken hinsichtlich der persönlichen Autonomie und Privatsphäre auf. Ethische KI erfordert einen differenzierten Ansatz.

Compliance ist das Mindeste, was wir von der Wirtschaft erwarten sollten. Ethik in der Entscheidungsfindung und im Verhalten bietet die Chance, nicht nur zu behaupten, ethisch zu handeln, sondern dies auch gegenüber Aktionären, Mitarbeitenden und Kunden unter Beweis zu stellen. Es liegt in unserer gemeinsamen Verantwortung, KI zu einer Kraft des Guten zu machen und dabei ethische Überlegungen in jeden Schritt einzubeziehen. Die Medizin hat ihren Hippokratischen Eid. Warum sollten Unternehmen, die mit KI arbeiten, also nicht ein ähnliches Gelöbnis unterschreiben, mit den erlernten Fähigkeiten keinen Schaden anzurichten?

Die Rolle des Chief Ethics Officers

Ethische Überlegungen im Zusammenhang mit KI sind komplex und erfordern eine engagierte und kompetente Person, die den Weg weist. Es besteht ein dringender Bedarf an einem Chief Ethics Officer, der die Aktivitäten im Unternehmen vorantreibt und die Verantwortung übernimmt. Eine solche Funktion würde die Kluft zwischen Technologie und Ethik überbrücken und sicherstellen, dass KI so eingesetzt wird, dass unsere gemeinsamen Werte gewahrt bleiben und potenzieller Schaden minimiert wird.

Eine der Hauptaufgaben eines Chief Ethics Officer wäre es, ethische Richtlinien für die Entwicklung und den Einsatz von KI festzulegen und durchzusetzen. Dazu gehören die Gewährleistung, dass KI-Algorithmen frei von Voreingenommenheit und Diskriminierung sind, der Schutz der Daten und der Privatsphäre der Nutzer und die Förderung der Transparenz von KI-Entscheidungen. Durch die Einführung eines soliden ethischen Rahmens können Unternehmen das Vertrauen ihrer Nutzer und Stakeholder stärken und ein integratives und verantwortungsbewusstes KI-Ökosystem fördern.

Darüber hinaus würde ein Chief Ethics Officer eine entscheidende Rolle bei der Bewertung der gesellschaftlichen Auswirkungen von KI-Technologien spielen. Er würde potenzielle Risiken und Vorteile bewerten, sich mit relevanten Stakeholdern austauschen und Empfehlungen für ethische und verantwortungsvolle KI-Praktiken aussprechen. Dieser proaktive Ansatz kann Organisationen dabei helfen, ethische Herausforderungen zu antizipieren und zu bewältigen, bevor sie dem Einzelnen oder der Gesellschaft als Ganzes schaden.

KI-Technologien haben das Potenzial, bestehende soziale Ungleichheiten zu verschärfen und Vorurteile zu verstärken, wenn sie nicht sorgfältig überwacht und reguliert werden. Beispielsweise könnten „voreingenommene“ Algorithmen in Einstellungsverfahren die Diskriminierung aufgrund von Geschlecht oder Rasse fördern. Mit einem Chief Ethics Officer können Unternehmen gründliche Prüfungen von KI-Systemen durchführen, um solche Vorurteile zu erkennen und zu beseitigen. Sie können auch darauf hinwirken, dass KI-Entwicklungsteams vielfältiger und integrativer werden, und so Fairness und Gerechtigkeit bei der Entwicklung von KI fördern.

Ein Chief Ethics Officer wäre auch dafür verantwortlich, Mechanismen für Rechenschaftspflicht und Transparenz in KI-Entscheidungsprozessen zu schaffen. Dazu gehört die Entwicklung klarer Richtlinien für die Erklärung von KI-Entscheidungen gegenüber den Nutzern und die Sicherstellung, dass von KI-Systemen betroffene Personen das Recht haben, gegen automatisierte Entscheidungen Einspruch zu erheben oder diese anzufechten. Durch die Förderung von Transparenz können Organisationen das mit KI häufig verbundene „Black Box“-Problem entschärfen und sicherstellen, dass die Menschen verstehen, wie und warum Entscheidungen getroffen werden.

Der Blick über den Tellerrand

Ethik existiert natürlich nicht im luftleeren Raum. Die Kommunikation einer Ethikrichtlinie an interne und externe Stakeholder ist ebenso wichtig wie die Richtlinie selbst. Der Geschäftsbericht ist in der Regel eine viel beachtetes Zeugnis, um über Entwicklungen im Bereich der sozialen Verantwortung von Unternehmen, der Triple Bottom Line von People, Planet & Profit und seit kurzem auch über ESG zu berichten. KI-Ethik ist eine natürliche Weiterentwicklung dieser Art der sozialen Berichterstattung und eine hervorragende Plattform für Unternehmen, um ihre Position zur KI-Ethik gegenüber Aktionären, Stakeholdern, Mitarbeitenden und Kunden zu kommunizieren.

Ethische Überlegungen zur KI gehen über die Unternehmensgrenzen hinaus. Die Zusammenarbeit mit externen Stakeholdern, einschließlich politischen Entscheidungsträgern, Regulierungsbehörden und Interessengruppen, ist für die Entwicklung eines umfassenden ethischen Rahmens unerlässlich. Ein Chief Ethics Officer kann als Verbindungsperson fungieren, die die ethische Position des Unternehmens vertritt und sich an branchenweiten Diskussionen über die Gestaltung von Richtlinien und Vorschriften beteiligt. Durch aktive Beteiligung an der breiteren KI-Gemeinschaft können Unternehmen zur Entwicklung verantwortungsvoller KI-Praktiken auf globaler Ebene beitragen.

Klare Verantwortlichkeiten schaffen

Da KI unsere Gesellschaft weiter verändert, müssen bei ihrer Entwicklung und Nutzung ethische Überlegungen im Vordergrund stehen und ihr Potenzial verantwortungsvoll genutzt werden. Es liegt daher auf der Hand, dass Organisationen, die sich mit KI befassen, einen Chief Ethics Officer benötigen. Diese Funktion würde eine wichtige Rolle bei der Festlegung ethischer Leitlinien, der Bewertung gesellschaftlicher Auswirkungen, dem Abbau von Vorurteilen, der Förderung von Transparenz und der Zusammenarbeit mit externen Interessengruppen spielen. Durch die Priorisierung ethischer KI-Praktiken kann das Potenzial von KI-Technologien genutzt werden, während gleichzeitig menschliche Werte geschützt und eine gerechtere und integrativere Zukunft sichergestellt werden.

Simon James leitet die Data & AI Practice in den Regionen EMEA und APAC. Zu seinem Team gehören Experten aus den Bereichen Data Strategy, Data Science, Data Engineering und Digital Analytics. Als Data Scientist mit mehr als 20 Jahren Erfahrung treibt er hochkomplexe Transformationsprogramme voran.

Um einen Kommentar zu hinterlassen müssen sie Autor sein, oder mit Ihrem LinkedIn Account eingeloggt sein.

43249

share

Artikel teilen

Top Artikel

Ähnliche Artikel