Smart Mobility: Mobilitätsstationen im ländlichen Raum

Aktuell wandelt sich die Mobilität in Deutschland, aber einige Herausforderungen sind noch zu bewältigen – Platzmangel, Stau und resultierende CO2-Emissionen. Daher wird oftmals mit alternativen Mobilitätsformen wie Sharing-, On-Demand- oder Mikromobilitätsangeboten experimentiert. In der Stadt scheint die Verkehrswende möglich, doch auf dem Land ist sie noch in weiter Ferne.
Von   Alexander Suessemilch   |  Program Manager Mobility and Connected Services   |  EDAG Group, Fulda
  Karina Schaefer   |  Business Development Managerin Smart City   |  EDAG PS, Fulda
  Peter Eckart   |  Prof. für Produktdesign und Integrierendes   |  HfG Offenbach
  Marvin Plueschke   |  Projektleiter/ Dozent Hochschule Fulda   |  EDAG PS, Fulda
17. Mai 2023

Gerade in ländlichen Regionen bleiben viele Bürgerinnen und Bürger aus praktischen Gründen beim motorisierten Individualverkehr (MIV). Ebenso gibt es Bevölkerungsgruppen ohne PKW, die mobil sein wollen. Oftmals empfiehlt sich daher die sinnvolle Kombination verschiedener Angebote. Die Zugänglichkeit eines solchen Mobilitätssystems basiert auf der Vielfältigkeit und der Bereitstellung von Transportmöglichkeiten, Services und digitalen sowie analogen Informationen und Buchungen. Doch welche Funktionen sollte ein Mobilitätssystem bieten? Und wie sollten dabei Gestaltung und Software aussehen?

Kundenfreundliche Mobilitätsstationen

Wichtiger Bestandteil eines solchen Systems ist die Einrichtung sogenannter Mobilitätsstationen – reale Orte, die als Knotenpunkt verschiedener Mobilitätsangebote dienen. Sie bieten gut sichtbare sowie nachhaltige Alternativen. Nutzer können sich hier informieren, um die Nutzung des eigenen Fahrzeugs zu reduzieren. Mobilitätsstationen sollten multimodale Verkehrsangebote und intermodales Verkehrsverhalten fördern. Multimodalität beschreibt im Personenverkehr den Gebrauch von alternativen Verkehrsmitteln zur Überbrückung unterschiedlicher Wege an verschiedenen Tagen. Intermodalität bedeutet die kombinierte Nutzung verschiedener Verkehrsmittel für einen Weg – beispielsweise vom Wohnort zum Arbeitsplatz. Infolgedessen werden die Vorteile der jeweiligen Verkehrsmittel miteinander kombiniert.

Abbildung 1: Visualisierung einer Mobilitätsstation im ländlichen Raum | Quelle: unit-design/netzwerkarchitekten
Abb. 2: Charakteristiken von Mobilitätsstationen | Quelle: EDAG Group

Dank dieser Mobilitätsstationen erhalten Bürgerinnen und Bürger einen einfachen Zugang zu öffentlichen oder geteilten Verkehrsmitteln. Der Großteil der Angebote erfolgt üblicherweise durch den ÖPNV – Busse, U- und S-Bahnen. Darüber hinaus gibt es häufig weitere umweltfreundliche Mobilitätsangebote wie Bike- oder E-Car-Sharing. Insgesamt verbessern Mobilitätsstationen die Verkehrsbedingungen einer Region und sichern eine kostengünstige sowie flexible Mobilität. Des Weiteren dienen sie zunehmend als Informations- und Service-Plattform.

Abb. 3: Wesentliche Ziele einer Mobilitätsstation | Quelle: EDAG Group

Grundlegende Planung

Folgende Überlegungen sind wichtig, um neue Mobilitätsangebote erfolgreich zu etablieren: Wie gut wird das System verstanden? Erkennt der Anwender, dass es sich um ein neues Angebot handelt, und was bietet es ihm? Wie nutzerfreundlich sind Informationen zu den Service-Angeboten verfügbar? Wie fühlt sich die Mobilitätsstation in Bezug auf Nutzung und Aufenthalt an? Kann sich der Nutzer mit dem neuen Mobilitätsangebot ähnlich identifizieren wie mit dem Status eines eigenen Autos? Ist es modern, sicher, sauber und unterstützt es den Nutzer in seiner eigenen Mobilität? Erst wenn diese Fragen ausführlich beantwortet sind, lässt sich ein neues Mobilitätsangebot optimal in einem Gebiet einführen.

Die Aufgaben einer Mobilitätsstation sind äußerst vielfältig. Sie benötigt gut geplante und aufeinander abgestimmte Gestaltungsentscheidungen. Bereits die Positionierung in Verbindung mit bestehenden Mobilitätsangeboten entscheidet über die Attraktivität und Akzeptanz des Mobilitätssystems. Stets sollte das neue Systeme die gesamte Infrastruktur betrachten und verbinden – ÖPNV, Wartemöglichkeiten, Wetterschutz, Paketboxen oder Parkmöglichkeiten.  Auch beim Design sollten sämtliche Angebote „unter einem Dach“ zusammengefasst werden, sodass aber auch jedes Element eindeutig erkennbar ist. Alles muss aufeinander abgestimmt sein – Boden, Möblierung, Kennzeichnung, Piktogramme, Farbgebung und mehr. Das erleichtert den Zugang zu den einzelnen Angeboten und erhöht den Reisekomfort.

Unterschiedliche Segmente und Funktionsbereiche

Eine Mobilitätsstation lässt sich auf den ersten Blick in drei Funktionsbereiche unterteilen: Infrastruktur, Mobilität und Services. Vier Segmente sind bei der Ausstattung dieser Bereiche zu beachten. Beim ersten Segment handelt es sich um die notwendige Infrastruktur selbst und damit die räumliche Grundlage der Mobilitätsstation. Hierzu gehören beispielsweise barrierefreie Zugänge, Beleuchtung, Beschilderungen und Sitzgelegenheiten. Das zweite Segment sind die relevanten Mobilitätsangebote – etwa ÖPNV-Anbindungen oder Möglichkeiten für E-Fahrzeug und -Fahrrad. Im dritten Segment geht es um zusätzliche Ausstattung der angebotenen Services. Darunter fallen unter anderem Aufenthaltsräume, Schließfächer und öffentliche Toiletten. Dem vierten Segment sind alle weiteren Elemente zugeteilt – die Anbindung von E-Scootern oder Rufbussen, Technologien für regenerative Energien und Stellplätze. Ebenso gehören sämtliche intelligenten Objekte wie Sensorik oder Aktorik dazu.

Abb. 4: Ausstattungselemente einer Mobilitätsstation | Quelle: EDAG Group

Essenziell sind vor allen Dingen eine gute Sichtbarkeit und eine Platzierung an verkehrs- und strukturmarkanten Standorten. Die Gestaltungs-, Material- und Verarbeitungsqualität der baulichen Elemente – also Dach, Tragwerk, Beleuchtung oder Möblierung – beeinflussen die Akzeptanz und die Wirkung. Eine Sitzbank mit einer Echtholzoberfläche erzeugt eine andere Wirkung als ein abwaschbares Imitat oder eine kühle Metalloberfläche. Zusätzlich wirken auch gute Pflege und Reinigung im laufenden Betrieb positiv. Kennzeichnungs- und Informationselemente für die Nutzung der einzelnen Mobilitätsangebote, deren Buchung und Bedienung müssen in Korrespondenz zu den digital verfügbaren Informationen gestaltet sein. So empfehlen sich an dieser Stelle beispielsweise einheitliche Farbgebung, Typografie, Piktogramme oder Bedienungselemente.

Ausstattung von Mobilitätsstationen

Mobilitätsstationen sind integrierte Bestandteile eines gesamten Systems aus digitalen, analogen und räumlich erlebbaren Elementen. Erst wenn alles aufeinander abgestimmt ist und sich analog und digital aufeinander bezieht, können Reisende dieses System gut verstehen und bedienen. Und das erhöht die Akzeptanz. Idealerweise sollte sich die Mobilitätsstation harmonisch in die Umgebung integrieren. Die einzelnen Elemente werden daher vom Standort, den Services und der verfügbaren Fläche beeinflusst. Die optimale Integration ins Umfeld und die Qualität des Aufenthalts steigern das generelle Interesse an den neuen Mobilitätsstationen. Wenn alles gut durchdacht ist, werden sie zu attraktiven Orten des öffentlichen Lebens innerhalb zentraler Standorte.

Dank Modularisierung der Elemente lässt sich verhindern, dass es zur Vereinzelung oder Dekomposition komplizierter Systeme kommt. Jedes Modul stellt innerhalb der Mobilitätsstation einen technisch, organisatorisch und räumlich abgegrenzten Bereich dar. Es erfüllt eine definierte Kernfunktion innerhalb der Mobilitätsstation und generiert somit einen Mehrwert für den Reisenden – beispielsweise über den Verleih von E-Scootern. Die modulare Gestaltung gewährleistet langfristige Adaptionsmöglichkeiten und eine Skalierung der einzelnen Elemente. Die unterschiedlichen Verkehrsmittel und Bestandteile der Mobilitätsstation lassen sich einfach und transparent aufeinander abstimmen. Zudem unterstützen solche Module eine effizientere Planung sowie Herstellung. Und zu guter Letzt erkennen Nutzer dadurch einzelne Elemente wieder und verstehen sie besser.

Abb. 5: Eigenschaften zur Wandlungsfähigkeit | Quelle: EDAG Group

Abbildung 5 zeigt die Eigenschaften zur Wandlungsfähigkeit – bezogen auf die Module einer Mobilitätsstation. Dazu gehört vor allem die Fähigkeit, sich schnell und kosteneffizient auf sich verändernde Rahmenbedingungen anzupassen. Dies ist eine zwingende Voraussetzung für jede Mobilitätsstation. Die Eigenschaften zur Wandlungsfähigkeit werden somit an die Anforderungen an die einzelnen Submodule und Elemente der unterschiedlichen Module angepasst.

Passendes Software-Ökosystem für Smart-City und IT-Plattformen

Für eine höhere Akzeptanz einer Mobilitätsstation empfiehlt sich eine intuitiv gestaltete Nutzung – dies gilt besonders für die verwendete Software. Sie sollte auf einer gut strukturierten Informationsarchitektur und einer anwenderfreundlichen Benutzeroberfläche aufbauen, die höchsten Standards digitaler Angebote entspricht. Jedes Element sollte übersichtlich gestaltet sein und Entfernungen, Zeiten und Preise möglichst transparent darstellen. Idealerweise korrespondiert sie mit analogen Informationen, Kennzeichnungen und Hinweisen. Vergleiche der unterschiedlichen Services müssen jederzeit gut möglich sein. Allerdings ist im Falle von Mobilitätsdienstleistungen eine derartige Software, die verschiedene Angebote sinnvoll miteinander verknüpft, aktuell nicht verfügbar. Das liegt an der Vielzahl von unterschiedlichen Services und Betreibern. Hier gibt es also noch Verbesserungsbedarf.

Abb. 6: Software-Ökosystem | Quelle: EDAG Group

Ein Betriebskonzept für den ländlichen Raum ist essenziell. Zudem ist ein passendes Software-Konzept für die Akzeptanz genauso wichtig, wie die Gestaltung der physischen Mobilitätsstation. Alles sollte ganzheitlich und vernetzt bei der Konzeption gestaltet werden. In diesem Zusammenhang müssen einige Fragen geklärt werden: Wer übernimmt Kundenkontakt und Zahlungsabwicklung? Wer wartet die Fahrzeuge und kümmert sich um aufkommende Probleme? Ein Betreiber für alle Aufgaben zu finden ist schwierig – vor allem in einer ländlichen Region. Daher empfiehlt es sich, einen Aggregator zu finden, der Sublieferanten zusammenfasst und kombiniert – beispielsweise E-Ladepunkte, Parkmöglichkeiten oder Sharing.

Das Software-Ökosystem sollte als Teil der individuellen, spezifischen Smart-City-Strategie einer Kommune verstanden werden. Unterschiedliche Partner werden in der Cloud zusammengefasst, Kontextdaten laufen dazu über eine urbane Datenplattform. Sie dient als zentrale Kontext-Daten-Drehscheibe, um die Services transparent zu machen und ein digitales Abbild zu schaffen. In einer speziellen App für Smart Mobility und einem Smart-City-Dashboard lassen sich diese Daten visualisieren und nutzbar machen. Je nach Budget lassen sich in der App neben der Datenaggregation auch Schnittstellen zu Funktionen der einzelnen Services etablieren. Idealerweise sollten Entwicklungsaufwände reduziert werden, indem vorhandene Schnittstellen- und Datenmodell-Standards sowie der Einsatz existierender Open-Source-Software genutzt werden.

Fazit

Der ländliche Raum benötigt dringend neue und smarte Mobilitätsangebote, die auf einer gut geplanten systemischen Struktur basieren. In der frühen Phase eines solchen Projekts sind gutes Zusammenspiel und Vernetzung jedes einzelnen Elements besonders wichtig. Mobilitätsbedarf, fachplanerische Umsetzung, nachhaltiges Energiekonzept und ein smartes Software-Konzept müssen optimal ineinandergreifen. Nur so lässt sich ein Erfolg der Mobilitätsstation gewährleisten. Auf Landes- und Bundesebene existieren bereits verschiedene Förder- und Vernetzungsmöglichkeiten, um diese Projekte auch in Kommunen im ländlichen Raum zu planen und umzusetzen. Dabei empfiehlt sich der Blick über den eigenen Tellerrand. Bereits realisierte oder in der Planungsphase befindliche Projekte zum Thema „Mobilitätsstationen im ländlichen Raum“ können hier als Inspirationsquelle oder Modell dienen. Dies kann helfen, um die Mobilitätswende auch auf dem Land umzusetzen.

Als Program Manager treibt er die digitale Transformation zur nahtlosen Vernetzung der Mobilität zwischen Smart City und Mobilitätsindustrie voran. Vom einzelnen Service bis zur End2End-Verantwortung: Gemeinsam mit den EDAG-Teams erarbeitet er seit 2015 die Software für smarte Mobilitätsservices.

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