Augmented Analytics – Auf die Plätze, fertig, los!

Von   Dr. Franziska Deutschmann   |  Data Science Consultant   |  QUNIS GmbH
27. Oktober 2020

Abstract: Der Markt an Analyse-Tools wandelt sich stark. Ein großer Treiber ist die steigende Nachfrage an Produkten mit Augmented Analytics Funktionalitäten. Viele Gründe sprechen dafür, damit jetzt zu starten und nicht länger zu warten. Doch bevor richtig losgelegt werden kann, müssen einige Fragen geklärt werden: Was können diese Tools eigentlich genau? Welches Tool ist das richtige? Kann jeder Mitarbeiter Augmented Analytics betreiben? Welche Fähigkeiten und Grundlagen werden vorausgesetzt? Der vorliegende Artikel beantwortet all diese Fragen und noch viele weitere.
Überall im Alltag werden wir mit Künstlicher Intelligenz beziehungsweise, wenn man es weniger aufgebläht formulieren möchte, mit fortgeschrittenen Datenauswertungen konfrontiert: Sei es bei den vorsortierten News auf der Startseite des Internetbrowsers, bei den Freundschaftsvorschlägen auf Facebook oder beim Bremsassistenten im neuen Auto. Auch unbewusst profitieren wir täglich von modernen Datenauswertungen. So wertet die Drogeriemarktkette dm gezielt Umsatzdaten aus, um ihre Logistik zu optimieren und ihre Mitarbeiter bestmöglich einzusetzen [1]. Die Vorteile für den Verbraucher liegen klar auf der Hand:  stets gefüllte Regale und geringere Wartezeiten an den Kassen.

Angefixt von den Vorteilen im Alltag oder durch einen Blick auf die Konkurrenz streben zunehmend mehr Berufsgruppen danach weiterführende Datenanalysen auch in Ihrem Arbeitsalltag einzusetzen. Der Controller träumt von einer verbesserten Planung basierend auf zuverlässigen statistischen Vorhersagen. Der Vertrieb wünscht sich einen Indikator für Kunden, die erwägen ihren Vertrag zu kündigen oder für Kunden, die für einen Ausbau der Leistung empfänglich sind. Der Angestellte in der Kundenbetreuung hätte gerne eine Hilfestellung dafür, wann bzw. wie der jeweilige Kunde am besten erreichbar ist. Im Marketing fragt man sich, welcher Werbe-Mix die stärksten Umsatzeffekte bewirkt. Solche und noch viele weitere großartige Ideen für fortgeschrittene Datenanalysen schweben in den Köpfen vieler Mitarbeiter, doch nicht selten fehlt es am Know-how die Daten auszuwerten. Der Data Scientist wird als ultimative Lösung proklamiert. Die Nachfrage nach dieser Berufsgruppe ist groß, das Angebot knapp.Für die Mehrheit der Datenauswertungen benötigt es jedoch keinen Data Scientist, der die Finessen der neuesten Machine-Learning-Techniken kennt. Mit dem richtigen Tool lassen sich viele Fragen ganz ohne tiefgreifendes Data Science Wissen beantworten. Das Zauberwort heißt „Augmented Analytics“. Augmented Analytics bedeutet wortwörtlich übersetzt „erweiterte Analytik“ und erfüllt den Zweck, bisherige Standardanalysen um automatisierte Machine-Learning-Analysen zu ergänzen. Sei es das Clustern von Kunden oder Produkten in ähnliche Gruppen (Cluster-Analysen), die Vorhersage der monatlichen Bestellmengen unter Berücksichtigung von Monats-Schwankungen (Zeitreihenvorhersagen), die Vorhersage einer Kundenabwanderung oder der Effekt einer zusätzlichen Werbekampagne auf den Umsatz: Die Idee von Augmented Analytics ist, dass all dies mit einem Knopfdruck – oder zumindest mit sehr wenigen – durchführbar ist.

Die Betreiber von Analytics Tools haben das steigende Interesse an einfachen schnellen Datenauswertungen bereits erkannt. Der Bedarf an Augmented-Analytics-Funktionalitäten und einer hohen Benutzerfreundlichkeit (User Experience) kennzeichnet den aktuellen Wandel im Markt der Analyse-Werkzeugen. Jedes Jahr verkünden bestehende BI- und Analytics-Tools neue Updates und vor allem auch Upgrades. Zudem sprießen derzeit überall neue Software-Lösungen aus dem Boden. Oft handelt es sich hierbei um kleinere branchen- oder fachbereichsspezifische Produkte, die Lösungen für ganz bestimmte Fragestellungen anbieten oder größere Analytics-Plattformen mit einer Art Add-on ergänzen. Allein auf dem sogenannten Marketplace für Power BI, dem Marktführer für BI- und Analytics-Plattformen, kann man sich nahezu täglich mit neuen Erweiterungsprodukten vertraut machen. Solche Erweiterungen von „Allround“-Analyse-Plattformen sind nicht selten von kleineren IT-Firmen für sehr spezielle Fragestellungen entwickelt. Aber auch die großen Analysetool-Anbieter selbst bauen stets an Weiterentwicklungen. So, vergeht beispielsweise kein Monat ohne ein Tutorial über die neuesten Erweiterungen von Power BI. Und auch bei der Konkurrenz sieht es nicht anders aus. Die Produkte von Tableau, Qlik und Thoughtspot werden ebenfalls mehrmals im Jahr ausgebaut.

Bei den Erweiterungen handelt es sich sowohl um kleinere Finessen, die die Benutzerfreundlichkeit erhöhen, als auch um Augmented-Analytics-Funktionalitäten. Die bisher am häufigsten integrierten Augmented-Analytics-Funktionalitäten sind Cluster-Analysen und Zeitreihenvorhersagen. Im Hintergrund dieser beiden Analyseklassen verstecken sich Machine-Learning-Methoden, die vergleichsweise wenig Inputinformationen benötigen. Der Nutzer erhält nach nur wenigen Klicks eine Gruppierung der Daten in eine durch ihn vorgegebene Anzahl an Clustern (Cluster-Analysen) oder im Falle einer Zeitreihenanalyse eine Vorhersage über die zukünftigen Bestellmengen unter Berücksichtigung monatlicher Saisonalitätsschwankungen.

Eine weitere beliebte Erweiterung, die in den Bereich Augmented Analytics fällt, ist „AutoML“ – ausgeschrieben „Automated Machine Learning“. Hierbei wird der Anwender durch die Erstellung einer Datenanalyse, die auf Machine Learning Methoden beruht, begleitet. Dabei kann der Anwender je nach Analyse-Software zwischen

          • einer Zeitreihe: Vorhersage der zeitlichen Entwicklung einer numerischen Größe
          • einer Regression: Vorhersage einer numerischen Größe in Abhängigkeit anderer Bezugsgrößen
          • einer Klassifikation: Vorhersage einer Kategorie
          • einer Cluster-Analyse: Gruppieren von Beobachtungen und
          • einer Anomalie-Erkennung: Detektieren von auffälligen Beobachtungen

wählen. Zudem wählt der Anwender die für die Analyse zu verwendenden Daten und kann nach etwas Warten, bis im Hintergrund das ML-Modell bestmöglich kalibriert wurde, die Ergebnisse auswerten.

Der Reifegrad dieser AutoML-Möglichkeiten variiert derzeit noch sehr stark zwischen den Anbietern. So gelingt es den Produkten unterschiedlich gut, die Zielgruppe abzuholen und die Gradwanderung zwischen Anpassbarkeit und Informationsflut zu meistern. Auch unterscheiden sich die Produkte in ihrem Fokus auf Kollaborationen innerhalb des Unternehmens. Da sich sowohl Anbieter von Data Science-Plattformen als auch von BI- & Analytics-Plattformen diesem Marktsegment nähern, unterscheiden sich die Tools auch in ihren technischen Möglichkeiten. Während in BI- & Analytics-Plattformen vor allem das Portfolio an Analyse-Möglichkeiten erweitert wird, werden in Data-Science-Plattformen Analysen und Analysebausteine, die vorerst nur durch mehrere Schritte und viel Data-Science-Vorwissen umsetzbar waren, nun automatisiert angeboten. Die Folge ist, dass sich mit diesen ursprünglich reinen Data-Science-Plattformen alle Advanced Analytics-Fragestellungen beantworten lassen, das Tool für den reinen Augmented Analytics-Nutzer aber technisch zu überladen und abschreckend wirken kann. Die BI- & Analytics-Plattformen, die ihr Portfolio um Augmented-Analytics erweitern, stehen hingegen einer anderen Gefahr gegenüber: Um den Anwender so wenig wie möglich zu überfordern, werden hier zusätzliche Informationen auf ein Minimum reduziert. Dadurch werden jedoch manchmal wichtige, für eine fundierte Auswertung notwendige Informationen unterschlagen.

Kurzum: Die Augmented Analytics Tools stecken noch in den Kinderschuhen, aber das große Potential ist bereits erkennbar und es lohnt sich dieses zu nutzen. Denn die vielen derzeitigen Anpassungen und Erweiterungen bei den Analytics-Tools bedeuten nicht, dass die Produkte noch keine guten Lösungen bieten und man Sie noch nicht verwenden kann. Ganz im Gegenteil: Es zeigt den Wandel, in dem wir uns gerade befinden und wie wichtig es ist, am Ball zu bleiben. Auf die Frage, ob es sich jetzt schon lohnt, Softwarelösungen, die erste Augmented-Analytics-Funktionalitäten integrieren, zu nutzen, kann ich ganz klar antworten: Ja! Warten Sie nicht! Und dafür gibt es gleich mehrere Gründe.

Grund 1: Es braucht nicht nur Tools für Augmented Analytics, sondern auch Köpfe, Anwender und vor allem das richtige Mindest!

Wie im Data Science Umfeld mühselig die Erkenntnis und Erfahrung erlangt werden musste, dass es für explorative Datenanalysen ein anderes Mindset, eine andere Herangehensweise als für klassische Aufgaben des Tagesgeschäftes benötigt, so ist dies auch mit Augmented Analytics der Fall.

Auch wenn die Methoden automatisiert mit Hilfe von Machine Learning im Hintergrund ablaufen, so müssen dennoch die Daten der Fragestellung entsprechend vor- und aufbereitet sein. Die Interpretation der Ergebnisse muss nicht direkt zum Ziel führen, sondern kann weitere Fragen aufwerfen, die – ohne zu voreiligen Schlüssen zu kommen – zunächst beantwortet bzw. überprüft werden müssen. Anders als im Tagesgeschäft lässt sich die Zeit zur Beantwortung einer Fragestellung schwer einschätzen. Zunächst muss die Verfügbarkeit der Daten überprüft werden sowie die Qualität dieser, Verknüpfungen zu anderen Daten müssen erstellt werden. Zudem liegen oft die Daten nicht in der notwendigen Form vor, können aber aus anderen Informationen abgeleitet werden. Und erst wenn all diese Grundvoraussetzungen erfüllt sind, kann mit der Analyse begonnen werden. Ob diese sofort zielführend ist oder ob man durch die Ergebnisse nur erkennt, dass man noch weitere Einflussfaktoren mitberücksichtigen sollte, zeigt sich erst dann.

Mit Data Science verhält es sich wie mit jeder Datenanalyse. Am Anfang steht eine Fragestellung oder Aufgabe, die man mithilfe von Daten beantworten möchte. Indem man das tut, begibt man sich auf unbekanntes Terrain – ungefähr so wie James Cook als er damals in Australien an Land ging. Man kennt die Daten und die darin schlummernden Muster und Zusammenhänge noch nicht, wenn man beginnt die Daten zu analysieren. Doch schnell tun sich neue Fragen oder Hindernisse auf. Und auch neue unerwartete Erkenntnisse kommen ans Licht. Man befindet sich auf einer Exploration – einer Exploration in der Welt der Daten mit dem Ziel die anfangs abgesteckte Fragestellung bestmöglich zu beantworten.  Meilensteine und Teilaufgaben lassen sich hierbei weniger genau abstecken wie im allgemeinen Tagesgeschäft. Auch die zeitliche Einschätzung wie lange es brauchen kann, bis man zu einer zufriedenstellenden Antwort kommt, ist schwieriger. Das ist eine große Umstellung für alle Beteiligten: für Manager und auch für Mitarbeiter.

Es geht um Verständnis wie Datenarbeit funktioniert, wie langwierig der Prozess bis zu einer gewinnbringenden Erkenntnis sein kann und wie wertvoll auch vermeintliche Erkenntnisse sind, die sich nicht einstellen. So sind Informationen wie „Die weibliche Zielgruppe ändert sein Kaufverhalten nicht, wenn der „Jetzt-kaufen“-Button pink hervorgehoben ist.“ auch wertvoll. Auf ein geschlechterspezifisches Design kann verzichtet werden. Oft wird das aber heutzutage noch nicht so wahrgenommen, da man mit der Information, dass die Button-Farbe egal ist, keine Umsatzsteigerung auslösen kann.

Neben dem Verständnis für die explorative und teils unvorhersehbare Arbeit der Datenanalyse und dem Würdigen neuer Erkenntnisse, gehört das Kommunizieren und Teilen von Erkenntnissen ebenso zum notwendigen Mindset in einer „data-driven Company“. Daten- und Informationssilos, die nur einzelnen Unterabteilungen vorenthalten sind, bilden immer Hürden. Wie oft hören wir als Berater noch wie einzelne Fachabteilungen Informationen horten und nicht an andere Abteilungen herausgeben wollen. So kann der Geist einer Data-Driven Company nicht sprießen.

Natürlich dauert es lange bis sich ein solches Mindset und die Akzeptanz für datenbasiertes Entscheiden zu etabliert. Daher lohnt sich hier umso früher anzufangen und ALLE Mitarbeiter mitzunehmen – nicht nur die Fachabteilung, die Sie gerade im Kopf haben, auch deren „Konkurrenzabteilung“, die IT und das Management. Umso früher Sie damit starten, umso besser.

Grund 2: Kompetenzen in der Auswertung von Daten vorantreiben.

Auch Augmented Analytics benötigt Grundlagenwissen: Führt man bei der vorliegenden Fragestellung eine Clusteranalyse oder eine Klassifikation durch? Welche Voraussetzungen an die Daten müssen erfüllt sein, damit sich eine Zeitreihenvorhersage umsetzen lässt? Wie kann man die Daten so anpassen, dass sie diese Voraussetzungen erfüllen? Wie interpretiert man die Ergebnisse der Analyse? Durch die Nutzung der ersten Augmented-Analytics-Funktionalitäten können Sie Ihre Mitarbeiter frühzeitig und schrittweise daran heranführen solches Wissen aufzubauen und sie zielgerichtet schulen.

Grund 3: Nutzen Sie die Neugierde und Kreativität Ihrer Mitarbeiter!

Eine der wichtigsten Anforderungen an den Anwender ist Neugierde und Kreativität. Kreativität spielt sogar in zweierlei Hinsicht eine große Rolle. Erstens beim Generieren businessrelevanter Fragestellungen, die sich mit den vorliegenden Daten beantworten lassen, und zweitens bei der Datenanalyse selbst. Wenn es darum geht, welche Daten einen Einfluss auf das Ergebnis haben könnten, wenn um die Verknüpfung von Daten geht, oder darum nicht explizit abgespeicherte Informationen aus vorliegenden Daten abzuleiten.

Meine Erfahrung ist, dass viele Mitarbeiter bereits von Ideen weiterführende Analysen durchzuführen, übersprudeln. In ihrem täglichen Arbeitsalltag kommen ständig neue Fragen auf, die man anhand der vielen im Unternehmen gesammelten Daten doch beantworten können müsste. Dieser Einschätzung folgt dann jedoch oft der Nachtrag, dass – neben Zeit – vor allem auch das Know-how fehlt. Die Bereitschaft sich selbst weiterzubilden, um diese Fragen beantworten zu können und die Neugierde zu stillen, zeigten bisher alle. Daher appelliere ich an Sie: Nutzen sie diese Neugierde und Kreativität Ihrer Mitarbeiter bevor sie erlöschen. Die notwendigen Fähigkeiten sind überschaubar: Zahlenaffinität, die Fähigkeit Ergebnisse zu interpretieren und die gewonnenen Erkenntnisse zielgruppengerecht zu kommunizieren. Ein gewisses mathematisches bzw. statistisches Grundverständnis ist ebenfalls nicht von Nachteil.

Grund 4: Die Tools bieten auch jetzt schon einen Mehrwert

Es wird immer Weiterentwicklungen geben. Doch viele Augmented-Analytics-Funktionalitäten auf dem Markt sind in der Lage einen großen Mehrwert zu stiften. Ob durch eine schnelle sprachgesteuerte Ausgabe von Kennzahlen, oder dem automatisierten Clustern von Daten, oder der Anwendung von AutoML, durch all diese Möglichkeiten werden zusätzliche Kenntnisse über die Situation im Unternehmen gewonnen, die ohne Augmented-Analytics nicht aufgedeckt würden.

Natürlich eignet sich nicht jedes Tool mit Augmented-Analytics-Funktionalitäten für jedes Unternehmen. Wie bereits einleitend erwähnt, ist der Markt groß. Meine Bitte an Sie: Gehen Sie bei der Auswahl strategisch vor und berücksichtigen Sie neben allen technischen, inhaltlichen und organisatorischen Anforderungen in Ihrem Unternehmen, auch die Fähigkeiten und Wünsche der Mitarbeiter.  Aus meiner eigenen Arbeit als Data Scientist weiß ich, welchen Einfluss das richtige Tool auf die Effizienz hat: „Fühle ich mich wohl mit einem Tool, weil es intuitiv funktioniert und ich mich unproblematisch mit Kollegen über Zwischenschritte austauschen kann, dann arbeite ich viel motivierter an dem Projekt, arbeite schneller und bin gut gelaunt.“

 

 

Quellen und Referenzen

[1] http://www.isis-specials.de/profile_pdf/1b995_ab_bi0212.pdf (abgerufen am 11.05.2020).

Dr. Franziska Deutschmann, Data Science Consultant bei der QUNIS GmbH und Referentin der CA Controller Akademie AG. Sie berät und unterstützt internationale Unternehmen in Advanced Analytics, Machine Learning und Data Science Projekten.

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