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Digitalisierungs-Desaster im Handwerk – warum digitale Tools häufig am Handwerk vorbei entwickelt werden

Das braucht die Handwerksbranche um digital zu werden: Viele kleine Betriebe, Betriebsinhaber:innen, die keine Digital Natives sind und unterschiedlichste Anforderungen. Nicht gerade gute Voraussetzungen für Digitalisierung. Dazu beschäftigen die Branche aktuell Personalmangel und aufwendige Materialbeschaffung. Jetzt ist es an den Digitalisierung-Dienstleistern, innovative Lösungen zu kreieren und den Betrieben die Skepsis vor digitalen Tools ein für alle Mal zu nehmen.
Von   Josef Sima   |  Chief Technologie Officer   |  Woltair
2. November 2023

Wenn man an Handwerk denkt, ist Digitalisierung bei den meisten nicht das Erste, was ihnen in den Sinn kommt. Aber warum eigentlich? Die Handwerksbranche besteht traditionell aus vielen kleinen und mittleren Betrieben mit unterschiedlichsten Bedürfnissen. Oft fehlen daher Ressourcen, Fachwissen oder die Infrastruktur, um schnell digitale Technologien zu integrieren. Während große Unternehmen oft einen eigenen Digitalisierungsbeauftragten haben, können kleinere Firmen das nicht stemmen und greifen deswegen weiterhin auf Stift, Papier und Excel Tabellen zurück.

Digitale Lösungen bei Unternehmen neu einzuführen, wird in der Regel von jüngeren Generationen vorangetrieben. Im Handwerk sind beinahe 60 Prozent aller Betriebsinhaber über 50*. Wahrscheinlich ein weiterer Grund, warum die Digitalisierung in diesem Wirtschaftszweig nur schleppend vorangeht. Denn mit zunehmendem Alter steigt oftmals die Skepsis vor digitalen Tools und auch die Bereitschaft, große Investitionen in Neuerungen zu tätigen, nimmt ab. Das erklärt auch die Ergebnisse einer Bitcom Studie, dass ein Drittel aller Handwerksbetriebe in Deutschland noch überhaupt keine digitalen Tools nutzen. Die anderen zwei Drittel nutzen laut eigenen Aussagen digitale Anwendungen.  Dahinter stecken allerdings Technologien wie Cloud Computing, smarte Trackingsysteme, oder die Nutzung von Social Media zur Kundengenerierung. Klingt fortschrittlich, ist aber nicht wirklich Digitalisierung.

Auch wenn in den letzten Jahren – speziell während der Coronakrise – digitale Tools im Handwerk auf dem Vormarsch waren, steht Handwerker:innen im Gegensatz zu anderen Branchen noch ein langer Weg bevor. Tatsache ist: Digitale Technologien können darüber entscheiden, ob ein Betrieb langfristig zukunftsfähig ist. Denn nur wer sein Geschäftsmodell neu denkt, seine Effizienz optimiert, neue Verkaufs- und Werbekanäle nutzt und Abläufe für Kund:innen vereinfacht, kann sich auf dem Markt durchsetzen. Solange Handwerksunternehmen das nicht berücksichtigen, geht viel Potenzial verloren.

 

Das fehlt der Handwerksbranche 

 

Aber worunter leidet die Handwerksbranche denn momentan am meisten und was hat das mit Digitalisierung zu tun? Laut einer Statista Umfrage gaben 2022 77 Prozent der befragten Handwerksbetriebe an, dass sie Probleme haben, qualifizierte Mitarbeiter:innen zu finden. Ein weiteres großes Problem sind Materialengpässe.

Aktuell ist es keine Seltenheit, dass Handwerksbetrieben Baumaterialien aller Art fehlen. Genau das gleiche gilt auch für speziellere Komponenten aus Stahl oder Kunststoff, die zum Beispiel für die Produktion von Wärmepumpen gebraucht werden. Diese Lieferengpässe sind unter anderem zurückzuführen auf Krisen wie die Corona-Pandemie oder den Ukraine-Krieg. Da mit solchen Krisen auch zukünftig gerechnet werden muss, ist es wichtig, robustere Lieferketten aufzubauen. Denn, wenn Handwerker:innen die benötigten Materialien immer wieder fehlen, kann im schlimmstenfalls eine Geschäftsaufgabe drohen. Mögliche Ansätze sind verschiedene Bezugsquellen, kürzere Lieferketten, regionale Produktion und digitale Lösungen, die für Handwerksbetriebe automatisiert benötigte Materialien zusammensuchen, ordern und liefern. Genau solche Services gibt es bereits, die in Form von Apps abgebildet werden. Bei diesen Lösungen haben Handwerksbetriebe dann rein gar nichts mehr mit der Beschaffung der Materialien zu tun. Per App verfolgen sie, wann das Paket am gewünschten Ort eintrifft, sind zum genannten Termin vor Ort und können ihre volle Arbeitskraft für ihren eigentlichen Job einsetzen. Hinter den Apps sitzen oft große Unternehmen, die international agieren und somit viel größere Bestellmengen sowie entsprechende Partnerschaften haben. Ihre angemieteten Lagerhallen machen eine Zwischenlagerung möglich, sodass eine breite Produktpalette und Materialien immer verfügbar sind. Ab Auftragsbestätigung durch eine:n Kund:in können diese Unternehmen ihre Ware dann schnell versenden und Handwerker:innen vor Ort versorgen, die dann nur noch die Installation abschließen müssen.

 

Keine Digitalisierung, kein Problem?

Von wegen! 

 

Die effiziente Nutzung der Arbeitszeit von Handwerker:innen ist durch die stetig hohe Auftragslage daher umso wichtiger. Das Problem: Auch die Handwerksbranche ist, wie viele andere Industrien, vom Fachkräftemangel betroffen. Umso wichtiger ist es, dass die Fachkräfte, die es gibt, ihre Zeit gewinnbringend und sinnvoll einsetzen – anstatt sich stundenlang mit Materialsuche im Internet zu beschäftigen.

Bei der Suche nach der Antwort auf die Frage, warum die Branche Probleme hat, kompetentes Personal zu finden, wird oft immer wieder ein Punkt genannt: Flexibilität. Besser gesagt, die nicht vorhandene Flexibilität als Handwerker:in. Zumindest waren Jobs im Handwerk bisher oft recht unflexibel. Ein Grund mehr, digitale Lösungen im Handwerk umzusetzen – denn Digitalisierung bringt Flexibilität. Ein Beispiel hierfür ist der Einsatz digitaler Terminvergabe. Jede:r einzelne Handwerker:in hat ihren/seinen individuellen Terminkalender und kann bei eintreffenden Anfragen selbst bestimmen, wann Termine angenommen werden und wann nicht. Zum Beispiel dann, wenn Kinder von der Schule abgeholt werden müssen oder ein Arztbesuch ansteht. Digitale Terminkalender machen es aber nicht nur einfacher, flexibel zu arbeiten, auch auf Kundenseite steigt in der Regel die Zufriedenheit. Denn mit nur einem Klick kann ein Termin angefragt werden, wofür Kund:innen früher oft unzählige Male beim Betrieb anrufen mussten, bis jemand ans Telefon ging. Diese Vereinfachung bei der Kundeninteraktion sollte bei der Terminvergabe nicht stoppen. Auch das Angebot, die Verwaltung von Kundendaten, alles rund um die Buchhaltung, wie die Rechnungsstellung, kann schnell und einfach digital abgewickelt werden. Weitere automatisierte Funktionen wie das Erstellen von Berichten ermöglichen eine bessere Übersicht über abgeschlossene Aufträge.

 

Digital ist nicht gleich digital

 

Generell wichtig bei allen digitalen Lösungen: Sie müssen so einfach zugänglich und bedienbar sein, dass selbst Skeptiker:innen die Vorteile von neuen Technologien sofort erkennen. Denn laut einer Studie von Handelsforschern des ECC Köln in Kooperation mit der Digitalagentur Dot Source zur Digitalisierung im Handwerk betrachten 47 Prozent von über 350 befragten Handwerksbetrieben digitale Technologien als irrelevant für ihr Geschäft.

Außerdem haben knapp 60 Prozent aller Handwerksbetriebe** weniger als fünf Beschäftigte. Das bedeutet, der/die Geschäftsinhaber:in kümmert sich neben vielen anderen Aufgaben auch um alle Neuerungen. Deshalb ist es wichtig, die Einführung von digitalen Tools so schnell und unkompliziert wie nur möglich zu gestalten, um diese Hürde direkt aus dem Weg zu räumen. Das heißt konkret: Unternehmen, die digitale Lösungen für Handwerksbetriebe entwickeln, sollten nicht nur an das Produkt denken. Das Heranführen an das Tool ist ebenso essentiell bei einer Branche, die erst überzeugt werden muss. Denkbar sind individuelle Gespräche mit einzelnen Betrieben, in denen das Produkt live getestet werden kann. Noch effizienter sind Einführungskurse oder Tagesseminare, zu denen man viele Betriebe einer Region einlädt und ihnen die Vorteile digitaler Tools vor Ort demonstriert und die Angst vor Themen wie Datenschutz nimmt.  Am besten anhand von Best Practices, die von User:innen des jeweiligen Tools selbst vorgestellt werden.

Ein weiterer wichtiger Punkt bei digitalen Produkten für die Handwerksbranche: Die Anforderungen je nach Handwerkszweig unterscheiden sich stark. Dienstleister müssen also ausgeklügelte Lösungen für unterschiedliche Anforderungen bereithalten oder sich auf bestimmte Bereiche spezialisieren, um echten Mehrwert für die Kund:innen zu bieten.

 

Digitale Tools sind da 

 

Einige Anbieter wie Bosch, Hero oder Woltair zeigen bereits mit ihren Apps, wie das Handwerk der Zukunft aussehen kann. Natürlich gibt es neben Apps noch viele andere digitale Tools wie beispielsweise 3D-Software, die Handwerker:innen das Leben erleichtern. Die App-Lösungen bieten von der Zeiterfassung über das Mitarbeitermanagement bis hin zur Baudokumentation, Rechnungserstellung und Dokumentenerstellung schon viele gute Hilfen für den Handwerker-Alltag. Mit der Bosch Toolbox App beispielsweise können Handwerker Längen und Winkel auf Fotos mittels eines elektronischen Zollstocks eintragen. Außerdem können mehr als 50 verschiedene Maßeinheiten schnell umgerechnet werden und grundlegende Projektdokumentationen erstellt werden, in denen beispielsweise die Arbeitszeiten zu Aufträgen festgehalten werden können. Zeiterfassung, digitale Kommunikation, mobile Dokumentenerstellung uvm. bietet die Hero Pro App. Eine App, die auf den Bereich Wärmepumpen spezialisiert ist, bietet Woltair: Superfix. Von der Auftragserstellung, über die Materialbeschaffung bis hin zum Kundensupport wird hier alles für die Handwerker:innen übernommen. Mehr als die eigene Arbeitskraft muss ein Betrieb oder Handwerker:in nicht mehr mitbringen – selbst das Erstellen von Rechnungen und Annehmen von Auftragsanfragen ist hier abgedeckt. Es wird also klar: Die dringend benötigten Tools zur Digitalisierung im Handwerk gibt es bereits zum Teil. Sie müssen nur noch ihren Weg bis in den letzten Handwerksbetrieb finden, damit die Branche endlich wirklich effizient arbeitet.

 

Fazit:

 

Das Handwerk braucht dringend kompetente Digitalisierungs-Helfer:innen

Eine von Statista durchgeführte Befragung von Handwerksbetrieben zur Bedeutung der Digitalisierung für ihre Unternehmen in Deutschland im Jahr 2020 ergab: 36 Prozent der Befragten gaben an, dass die Aussage „Wir haben Probleme, die Digitalisierung zu bewältigen“ voll und ganz oder eher auf sie zutrifft. Das gibt einen Einblick, warum die Digitalisierung im Handwerk stagniert. Egal, ob die Größe der Betriebe, das Alter der Betriebsinhaber:in oder fehlende Zeit aufgrund von Personalmangel die Ursache für die träge Digitalisierung sind, eins steht fest: Jetzt sind Dienstleister im Bereich Digitalisierung in der Pflicht. Denn nur sie können den Unterschied machen und diesen verstaubten Wirtschaftszweig in die digitale Zukunft führen. Wie? Indem sie Handwerker:innen da abholen, wo sie stehen, sich mit den wirklichen Anforderungen der Branche beschäftigen und so echte Vorteile für den einzelnen Betrieb kreieren und über ihre Produkte informieren. Auf einem Kanal, der das Handwerk erreicht. Denn nur Betriebe, die jetzt den Weg in die Digitalisierung schaffen, werden junge Generationen an sich binden können: Als Kund:innen und auch als Arbeitnehmer:innen.

 

* https://www.hwk-ff.de/wp-content/uploads/2018/03/180123_Bericht-Strukturumfrage.pdf

** https://www.zdh.de/fileadmin/Oeffentlich/Wirschaft_Energie_Umwelt/Themen/Daten_Fakten/Betriebe_Beschaeftigte_Umsaetze/Verteilung-BKL-2021.pdf

 

Josef Šíma aus Prag verantwortet als CTO bei Woltair ein 50-köpfiges Team. Unter seiner Führung entwickelt Woltair Superfix, eine innovative Plattform, die die Arbeitsabläufe von Handwerksbetrieben optimiert und ihre Effizienz signifikant steigert. Privat fährt er Autorennen oder erkundet Japan.

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