Digitales Zentralbankgeld: Das Beste aus zwei Welten

Mehr als 60 Marktakteure verprobten mit der Europäischen Zentralbank von Mai bis November 2024 die Wholesale CBDC (Central Bank Digital Currency), eine institutionelle Variante des digitalen Euro. Wenn er kommt, könnte das den Interbankentransfer fundamental verändern, glaubt Jens Siebert. Mit seiner Kollegin Anne-Sophie Gógl erklärt der Partner im Bereich Financial Services bei KPMG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft AG, warum die Tests ein guter Schritt sind – und wohin sie führen.
12. März 2025

Digitales Zentralbankgeld: Das Beste aus zwei Welten

 

Der Euro hat die Welt verändert. Und er steht im Begriff es wieder zu tun. Als die Währung 2002 eingeführt wurde, war es die größte Bargeldumstellung der Geschichte. Ein neues Gegengewicht für den US-Dollar neben dem Japanischen Yen und dem Britischen Pfund. Zwölf Staaten der Europäischen Union (EU) zählte der Währungsraum damals. Heute sind es 20. Der Euro ist die zweitwichtigsten Reservewährung der Welt.

Jetzt steuert die europäische Währung die nächste Evolutionsstufe an: Der Euro will digital werden. Bereits seit einigen Jahren beschäftigt sich die Europäische Zentralbank (EZB) mit der Digitalisierung des Geldes. Zunächst vor allem im Retail-, aber mit zunehmendem Wettbewerbsdruck auch im Wholesale-Bereich. Hier ist der EZB im Frühjahr 2024 ein Durchbruch gelungen: Die „Wholesale Settlements auf der DLT“ – das digitale Zentralbankgeld – wurden endlich verprobt. Mehr als 60 Teilnehmer wurden bei der Ausschreibung ausgewählt. Die hohe Nachfrage zeigt: Das digitale Zahlungsmittel wurde sehnsüchtig erwartet. Aber warum eigentlich? Was erhoffen sich die Banken von ihm?

Das ist eine gute Frage, schließlich war die Resonanz auf die erste Ausschreibung zwischen Ende 2023 und Anfang 2024 nicht sonderlich groß. Das könnte etwa am Zeitraum „zwischen den Jahren“ oder auch daran gelegen haben, dass die EZB bis dahin abgesehen von einer Working Group noch keine größeren Signale in Richtung eines Wholesale-digitalen-Euro gesendet hat. So oder so: Ein Vierteljahr später sah die Welt anders aus. Seit Mai testen einige wenige, seit Juni schließlich mehr als 40 Geldhäuser – darunter fast alle europäischen Großbanken wie die Deutsche Bank oder die Commerzbank – gleich drei verschiedene Lösungen. Alle ermöglichen sie die Verzahnung auf DLT (Distributed Ledger Technology) oder der Blockchain-Technologie, also auf der dezentralen, transparenten Speicherung von Zahlungsdaten in einem kryptographisch System. Aber es gibt auch Unterschiede.

 

Aller guten Dinge sind drei

Der erste Vorschlag kommt aus Deutschland. Die Bundesbank hat sich eine Trigger-Lösung überlegt. Das heißt: Wenn eine Bank eine Zahlung auslöst, triggert das die Blockchain und die Transaktion wird auf der Krypto-Kette vermerkt. Die zweite Idee stammt von der Banca d’Italia. Sie kommt der deutschen Variante zwar recht nahe. Allerdings hat sich die italienische Zentralbank bei ihrem Projekt TIPS Hash-Link statt eines Triggers für eine API-Lösung entschieden. API steht für „Application Programming Interface“. Das ist eine Schnittstelle, die als Brücke zwischen den Systemen einer Bank und dem dezentralen Speichermedium wie etwa der Blockchain dient. Einzig die dritte Lösung, eine Idee der Banque de France, geht über diese zwei Vorschläge hinaus. Die Franzosen wollen keine bestehende Infrastruktur nutzen, sondern haben eine eigene DLT aufgesetzt.

Welche der drei Varianten die meisten Vorteile bietet, galt es in den Tests herauszufinden. Es ist deshalb eine gute Nachricht, dass sich einzelne Banken nicht nur dazu entschieden haben, eine der drei Lösungen zu testen, sondern zwei oder sogar drei Systeme parallel zu erproben. Nur so entsteht eine echte Vergleichbarkeit zwischen den einzelnen Lösungen – und das von Anwendungsfall zu Anwendungsfall. Was alle drei System miteinander gemein haben: Sie werden den Interbankentransfer einfacher, schneller und effizienter machen. So viel steht schon jetzt fest. Und das ist auch die große Hoffnung, die Banken in die Wholsale CBDC stecken.

 

Ein Behelf für das Cashleg

Allerdings ist es aktuell noch wichtig, zu unterscheiden. Also den digitalen Euro im Retail- und im Wholesale-Bereich jeweils als eigene, voneinander unabhängige Initiative zu betrachten. Beim digitalen Retail-Euro handelt es sich um das technische Pendant zu Münzen und Scheinen – und ist damit eine Erweiterung des Bargelds. Allerdings befindet sich dieses Bargeld nicht in einer Geldbörse, sondern in einer digitalen Wallet. Anders als Giralgeld, das auf Bankkonten der Kunden schlummert und per Überweisungen transferiert wird, fußt der digitale Euro auf Zentralbankgeld, das ohne die Hilfe einer Bank weitergereicht werden kann.

Weniger Menschen und weniger Prozesse innerhalb des Überweisungsprozesses bedeuten aber nicht nur weniger Zeit und weniger Ressourcen, sondern auch: mehr Sicherheit. Das klingt zunächst komisch, weil mit Technologie immer auch Sicherheitslücken verbunden werden. Doch in diesem Fall ist es so, dass Informationen kryptographisch auf abgesicherte Blöcke verteilt werden. Diese Blöcke erschweren es Kriminellen, an sensible Informationen zu gelangen. Denn selbst wenn sie es geschafft haben einen Block zu knacken, können sie mit den dort enthaltenden Informationsschnipseln in der Regel nichts anfangen.

Darüber hinaus bringen die dezentralen Infrastrukturen auch „bauliche“ Sicherheitsvorteile mit sich. So gibt es beim Transfer von Kryptogeld beispielsweise viel weniger Schnittstellen zu fremden Systemen als etwa bei einer konventionellen Überweisung. Dort birgt jede Verbindung die Gefahr, als Einfallstor von Hackern ausgenutzt zu werden. Gleiches gilt für den Unsicherheitsfaktor Mensch – und Menschen sind bei einer klassischen Transaktion eine ganze Menge involviert. Abgesehen von all dem gilt ganz grundsätzlich: Wenn eine Datenbank existiert, muss sie abgesichert werden. Ganz egal, ob die sie auf den Servern im Keller einer Bank gehostet wird, in einer Cloud gespeichert ist oder auf der Blockchain liegt.

Neben der Sicherheitslücke deckt der digitale Euro im Wholesale-Bereich zudem einen konkreten Bedarf ab Während einzelne Transaktionen wie beispielsweise jene von Wertpapieren oder Assets bereits auf der Blockchain stattfinden, fehlt an dieser Stelle das Gegenstück Geld – das sogenannte „Cashleg“. Assets können also dezentral und verschlüsselt über digitale Infrastruktur gehandelt werden. Cash jedoch nicht. Dies muss über die Banken transferiert werden. Dadurch entsteht ein Medienbruch, den der (Wholsale) digitale Euro aus der Welt schaffen könnte.

 

Plattformen der Privatwirtschaft

Wie das gelingt, zeigen die EZB-Tests bereits. Hier wirkt zum Beispiel ein Frankfurter Finanz-Startup mit. Das Startup hat eine Marktinfrastruktur für tokenisierte Wertpapiere auf einer Proof-of-Stake (PoS) Blockchain entwickelt. In den gemeinsamen Tests mit den Banken kann das junge Finanzunternehmen nun überprüfen, wie sich ihre Anwendung auf den Wholesale-Bereich der Finanzinstitute auswirkt. Entsprechend dürfte sich auch die FinTech-Szene auf die Möglichkeiten, die eine Wholesale CBDC bieten, freuen. Erst kürzlich erhielt das Finanz-Startup als erster eine Lizenz für Austausch und Abwicklung von Wertpapieren im Rahmen des DLT-Pilot Regime.

Eine auf Basis der Blockchain-Technologie regulierte Marktinfrastrukturen für tokenisierte Wertpapiere – damit ist das junge Frankfurter Finanzunternehmen ein echter Vorreiter. Hinzu kommen all jene digitalen Lösungen, die aktuell im Rahmen des EZB-Programmes erprobt werden. Für die Digitalisierung des Geldes sind das gute Zeichen: Die klassische und die digitale Finanzwelt wachsen zu einer neuen Welt zusammen. Aber wie könnte sie aussehen?

Fest steht: Das digitale Zentralbankgeld hat das Potenzial, den Interbankentransfer fundamental zu verändern. Der Schlüssel dafür liegt in der Technologie. Aktuell ist Finanzmarktinfrastruktur ein öffentliches Gut. Die Zentralbanken stellen es zur Verfügung, die Privatwirtschaft bedient sich daran. Für die Welt des digitalen Geldes könnte es möglicherweise zwei Systeme geben: Eine zentrale, öffentlich verwaltete Finanzmarktinfrastruktur, wie wir sie aktuell kennen. Und eine auf der DLT oder Blockchain, die ebenfalls von der Zentralbank verwaltet wird. Es macht aber natürlich keinen Sinn, zwei Marktinfrastrukturen parallel zu betreiben. Deshalb ist es wichtig, dass sie interoperabel sind und die klassische mit der digitalen Finanzwelt verschmelzen. So, wie es in den aktuellen Versuchen der EZB bereits getestet wird.

Es ist daher besonders von Vorteil, dass zwei von drei Lösungen derzeit bereits in den Aktivsystemen der Banken getestet werden. Bei der italienischen API- und der deutschen Trigger-Variante werden konkrete Anwendungsfälle in den bestehenden Infrastrukturen erprobt. Die Tests der französischen Idee einer neuen DLT finden dagegen auf einem Prototyp statt. Gleichwohl lassen sich die Lösungen der Banca d’Italia und der Bundesbank auch kurzfristig umsetzen, während die eigene Infrastruktur der Banque de France erst aufgesetzt werden müsste – und wenn, dann erst in ferner Zukunft eine wirkliche Lösung darstellen könnte.

Aber ganz egal ob lang-, mittel- oder kurzfristig: Es ist ein gutes Zeichen, dass überhaupt und endlich getestet wird. Ebenso wie die große Beteiligung ein klares Signal des Marktes ist, dass „Cash on Ledger“ gebraucht wird. Die Tests legen die Grundlage dafür, dass Eurosystem und Kreditwirtschaft gemeinsam skalierbare, marktfähige Lösungen entwickeln und innerhalb der EU auf den Weg bringen. All das hat es in dem Maße zuletzt vor mehr als 20 Jahren gegeben. Bei der Einführung des Euros. Es ist wieder an der Zeit.

Jens Siebert ist mitverantwortlich für den Bereich Financial Services Management Consulting und Experte für die Transformation von Geschäfts- und Betriebsmodellen von Banken, Asset Managern und Marktinfrastrukturanbietern. Darüber hinaus leitet er die Digital Assets Practice in Financial Services von KPMG Deutschland.

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