Der Weg zur Smart Supply Chain

Die Erfahrungen der letzten Jahre haben der Deglobalisierung ein gewisses Momentum verschafft – darüber gilt es, Lieferketten intelligent anzupassen.
Von   Matthias Reichle   |  Data & AI Lead DACH   |  Avanade Deutschland GmbH
21. Juni 2024

Die Rückführung von Produktionskapazitäten spielt in Zeiten internationaler Krisen sowie der nach wie vor nicht vollständig ausgestandenen Pandemiefolgen eine zunehmend größere Rolle – ist sie doch ein probates Mittel, um resiliente Wertschöpfungsketten aufzubauen und mehr Unabhängigkeit zu erreichen. Rückführung meint dabei die Verlagerung von Anlagen und Know-how, inklusive Prozesswissen.

Dabei ist zu beachten: Die Verlagerung der Produktionsprozesse ist ein interdisziplinäres Unterfangen, das speziell die Zusammenarbeit von Produktion und IT benötigt. Dabei sind auch erforderliche Anpassungen an die Produktionsumgebungen in Europa zu berücksichtigen, unter anderem etwa überdurchschnittlich hohe Energiekosten sowie regulative Aspekte.

 

Prozesse und IT-Infrastruktur in Einklang bringen

 

Nun zu den grundlegenden Aktivitäten, derer es drei zu befolgen gibt. In einem ersten Schritt sind die vorhandenen Rahmenbedingungen des laufenden Prozesses hinsichtlich der Daten aufzunehmen und mit der originären Prozessbeschreibung abzugleichen – im Sinne einer Prüfung „Blueprint vs. Realität“. Sofern ein Delta vorhanden ist, gilt es selbstredend, dieses zu dokumentieren, wobei sich grundsätzlich beide Seiten anpassen lassen.

Ein zweiter Schritt führt zu einer Evaluierung der neuen Lokalität samt der Rahmenbedingungen. Hier spielen Simulationen – etwa auch über Digital Twins – und Visualisierung der neuen Supply Chain eine wichtige Rolle, um eine sinnvolle Beplanung und den operativen Aufwuchs zu initiieren.

Gerade bei den Rahmenbedingungen gilt es, in einem dritten Schritt auch die IT- und OT-Infrastruktur zu prüfen, bis hin zur Verfügbarkeit hinreichender Glasfaseranbindungen bzw. 5G-Verfügbarkeit etc. Denn in der Regel werden bzw. sollten neue Produktionsumgebungen leistungsstarke IT-/OT-Systeme enthalten; darüber hinaus ist die Datenverfügbarkeit und -qualität aus unterschiedlichen IT-Systemen wie ERP, CRM oder MES ein entscheidender Faktor. Über die Durchführung dieser drei Schritte entsteht letztlich ein Datensatz, mit dessen Hilfe sich Abweichungen angehen und gelöst von der realen Verlagerung lösen lassen.

 

Ziel: Smart Supply Chain

 

Empfehlenswert ist es demnach, das Supply-Chain-Management für rückgeführte Prozesse und Produkte zu überdenken bzw. anzupassen, einschließlich der Anbindung an das Enterprise Resource Planning an die gesamte IT-Landschaft – mit dem Ziel, daraus ein „Smart-Supply-Chain-Management“ zu machen, also ein tief und breit in der IT-verzahntes, womöglich um Machine Learning & Co. angereichertes Handling der Lieferketten. Um all diese Aspekte erfolgreich einzubeziehen, ist ein dediziertes Framework hilfreich.

Es sei nochmals erwähnt, dass es ratsam ist, nicht nur die Verlagerung des bestehenden Wertschöpfungsprozesses von einer Lokalität zu einer anderen zu planen, sondern in diesem Zusammenhang ganzheitlich zu denken und die laufenden Prozesse einer kritischen Analyse zu unterziehen. Erst durch diese begleitende Betrachtung können Fehlerquellen oder ineffiziente Prozessschritte identifiziert sowie Abweichungen vom beschriebenen zum gelebten Prozess behoben werden. Auf diese Weise lässt sich die Lokalität, an der ein Wertschöpfungsprozess installiert werden soll, mit einem State-of-the-Art-Prozess versehen, einschließlich qualitätssichernder Maßnahmen.

 

Die smarte Supply Chain zum Leben erwecken

 

An dieser Stelle geht es an die zukunftsabsichernden Aktivitäten. Für Unternehmen wäre es grundsätzlich ein guter Zeitpunkt, sich im Zuge einer Relokation der Einbettung von digitalen Lösungen zu widmen. Denn während eines derartigen Projekts findet eben ohnehin viel Änderung statt, und die langfristige Versorgung durch effizienten und intelligenten Betrieb wird in den Fokus gerückt. Wer die Gelegenheit nutzt, kann viele Mehrwerte realisieren, um etwa ein wahrhaftes Smart-Supply-Chain-Management zu erreichen.

Ein wichtiger Bestandteil dieser zukunftsabsichernden Aktivitäten ist eine weitergehende Digitalisierung der Arbeitsplanung und des gesamten Shopfloor-Managements. Um den Spielraum für Optimierungen weiter zu nutzen, lassen sich zudem Tätigkeiten automatisieren, die bisher manuell durchgeführt wurden. Unter dem Strich stehen nicht nur niedrigere Kosten, sondern auch Chancen für eine Steigerung der (Prozess-) Qualität und erhöhte Kundenzufriedenheit durch die Einhaltung oder gar Verkürzung von Lieferzeiten im Raum.

 

Nachhaltigkeit berücksichtigen

 

Wenn Unternehmen ihre Lieferketten anhand des oben dargestellten Vorgehens neu aufstellen und Teile der Fertigung zum Beispiel wieder „re-europäisieren“, ist in diesem Zuge die Berücksichtigung einer weiteren Dimension empfehlenswert: Nachhaltigkeit. Wer seine Supply Chain ohnehin anpackt, sollte unbedingt auch verstärkt die Chance nutzen, diese nach den sogenannten ESG-Kriterien (Environmental Social Governance, also Umwelt, Soziales und eine entsprechende Unternehmensführung) auszurichten.

Denn die ESG-Anforderungen werden sowohl seitens der Gesetzgeber als auch der Auftraggeber rasch zunehmen; 2023 wurde etwa bereits die EU-Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen (Corporate Sustainability Reporting Directive, CSRD) verabschiedet, die voraussichtlich im Sommer 2024 in Kraft tritt – demnach müssen Unternehmen der Nachhaltigkeit Priorität einräumen und transparent über ihre Fortschritte berichten, mit dem Ziel einer Netto-Null-Wirtschaft bis 2050.

Für einen echten dahingehenden Wandel braucht dabei gar nicht immer große Vorstandsprojekte; wichtiger sind viele kollektive Erfolge. Wer all das jetzt berücksichtigt, schlägt sprichwörtlich zwei Fliegen mit einer Klappe.

Matthias Reichle leitet bei Avanade den Geschäftsbereich „Data & AI“ in der DACH-Region und unterstützt Kunden auf ihrem Weg zum datengetriebenen Unternehmen. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf den Teildisziplinen intelligente Datenplattformen, Künstliche Intelligenz und intelligente Prozessautomatisierung.

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