Den digitalen Wandel anpacken und alle Beteiligten mitnehmen

Die digitale Transformation ist heute in nahezu jedem Lebensbereich angekommen. Sie verändert die Art zu kommunizieren sowie zu arbeiten und erfordert deshalb von allen Beteiligten in Wirtschaft und Gesellschaft neue Qualifikationen und Kompetenzen. Im internationalen Vergleich liegt Deutschland aktuell im Mittelfeld. Um dies zu ändern, bedarf es einer sinnvollen Digitalstrategie, die den Menschen überzeugt.
Von   M.Sc. Ari Albertini   |  Chief Operating Officer   |  FTAPI Software GmbH
31. Mai 2022

Digitalisierte Abläufe und Technologien machen es möglich, dass die Visionen von gestern schneller Realität sind, als manchem von uns lieb ist. Tablets, Smartphones oder Smart Watches, die noch vor drei Jahrzehnten als Zukunftsmusik galten, sind mittlerweile ein selbstverständlicher Teil des Alltags und der Geschäftsprozesse. Künstliche Intelligenz, Blockchain, digitale Plattformen, Big Data oder das Internet der Dinge werden die Zukunft prägen. Weltweit regiert der Trend, Prozesse global in digitalisierter Form abzubilden und die dafür notwendigen Informationen über Schnittstellen für jeden zugänglich und nutzbar zu machen. Doch das Verflechten von Daten mit modernsten Informations- und Kommunikationstechniken erfordert ein neues Denken und neue Fähigkeiten. Deutschland hinkt hier in vielen Bereichen hinterher. Im Ländervergleich, den das IMD World Competitiveness Center (IMD)  alljährlich in Bezug auf die digitale Reife durchführt, ist Deutschland von Platz 15 im Jahr 2016 auf Platz 18 abgerutscht. Wer die Notwendigkeiten und Ziele dieser neuen Welt nicht versteht, wird es aber schwer haben, sich in ihr erfolgreich zu etablieren.

Die hierzulande offensichtlich vorliegenden Barrieren in Sachen digitaler Zukunft haben unterschiedliche Gründe: Zunächst fehlt es in der Fläche oft noch an den notwendigen Technologien und Infrastrukturen. In einem Netz offen verfügbare Daten rufen zudem Vorbehalte hervor, die gerade Staat, Wirtschaft und Gesellschaft ernst nehmen müssen.

Lückenhafter Ausbau der digitalen Infrastruktur

Der digitale Nachholbedarf Made in Germany ist nicht nur im gern zitierten Funkloch manifest. Schulen und Behörden fehlt es an der notwendigen Technik. Da verwundert es nicht, dass einige Ämter immer noch per Fax kommunizieren. Der Mittelstand, eigentlich der wichtigste Wirtschaftsmotor Deutschlands, sieht sich laut einer Studie des Marktforschungsunternehmens Lünendonk und der Netzwerkplattform Business Factors ebenfalls mit echten Aufgaben konfrontiert. Um die digitale Transformation effektiv vorantreiben zu können, fehlen in den Unternehmen Fachkräfte mit dem notwendigen digitalen Know-how. Essenzielle Maßnahmen wie die Migration der Unternehmens-IT in die Cloud stehen daher oft bereits in einem frühen Stadium unter keinem guten Stern.

Corona hat der Digitalisierung den Weg geebnet

Dabei hat die Corona-Pandemie gezeigt, was möglich ist, wenn der Alltag plötzlich nicht mehr wie gewohnt funktioniert. Unter hohem Zeitdruck mussten Unternehmen ihre Belegschaft für das digitale Arbeiten von zuhause aus fit machen. In Schulen wurde Homeschooling zur Pflicht, Arztpraxen hielten ihre Sprechstunden plötzlich online ab und die Behörden öffneten sich etwa für neue kontaktlose Bezahlmöglichkeiten. Von der Pandemie unter Druck gesetzt, durchlebte Deutschland innerhalb kurzer Zeit einen digitalen Schub. Aus dem digitalen Anfänger wurde zwar kein Digital Native, doch immerhin ein Land, das sich ernsthaft bemüht, sich auf den Weg in eine digitale Zukunft zu machen. Damit das gelingt, müssen sich alle Beteiligten zusammensetzen, Initiativen stärker als bisher bündeln und zu einer sinnvollen Strategie vereinen.

Viele Impulse statt einer sinnvollen Strategie

Staatliche Maßnahmen, um den digitalen Wandel zu beschleunigen, gibt es genügend, aber sie sind nicht immer aufeinander abgestimmt. Mit dem DigitalPakt Schule möchten Bund und Länder beispielsweise erreichen, dass alle Schulen auf ein schnelles Internet zurückgreifen können und über digitale Lernmittel wie interaktive Whiteboards verfügen. Lehrerinnen und Lehrer sollten darüber hinaus hinreichend qualifiziert sein, um digitale Medien nicht nur nutzen, sondern auch digitale Kompetenzen vermitteln zu können. Mit dem Krankenhauszukunftsgesetz fördert das Bundesgesundheitsministerium explizit Maßnahmen des digitalen Wandels im Gesundheitswesen. Es unterstützt Investitionen beispielsweise in moderne Notfallkapazitäten und in bessere digitale Abläufe wie Patientenportale, elektronische Dokumentation von Pflege und Behandlung, Medikationsmanagement, Maßnahmen zur IT-Sicherheit oder sektorenübergreifende telemedizinische Netzwerkstrukturen.  

Regionale Gesetzesentwürfe wie das bayerische Digitalgesetz möchten Leitplanken für die digitale Transformation von Gesellschaft, Wirtschaft und Behörden vorgeben. Es definiert unter anderem Digitalisierungsaufgaben des Freistaats, sieht eine Charta digitaler Rechte und Garantien für die Bürgerinnen und Bürger vor und umfasst ein Programm, um Behörden zu modernisieren.

Auf europäischer Ebene beschloss das Europäische Parlament Anfang letzten Jahres einen Vorschlag für den Digital Services Act (Gesetz über digitale Dienste). Er sieht einheitliche horizontale Regeln zu Sorgfaltspflichten und Haftungsausschlüssen für Betreiber von Online-Plattformen und anderen digitalen Vermittlungsdiensten vor. Dadurch sollen vor allem Behörden illegale Aktivitäten auf Plattformen leichter bekämpfen.

Angesichts der Notwendigkeit eines Gesamtplans, der nicht nur die gesamte Gesellschaft, sondern alle Lebensbereiche, die Wirtschaft oder den Staat umfassend digitalisieren soll, bleiben diese Programme, so erfolgreich sie in ihrem Bereich sein mögen, nicht mehr als Stückwerk. Ohne eine einheitliche Strategie werden Behörden, Betriebe und die Wirtschaft auf der Stelle treten, während digital bestens aufgestellte globale Player in virtuellen Datenräume über Standorte, Ländergrenzen und Kontinente hinweg zusammenarbeiten und ihre internationalen Meetings mittels VR-Brillen abhalten. An der digitalen Zukunft teilzunehmen, ist so für Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen in Deutschland schwer möglich.

Den digitalen Wandel anpacken

Wer glaubt, dass sich digitales Potenzial bereits mit einem Online-Formular und einer App für das Vereinbaren von Online-Terminen erschöpft, der unterschätzt die Kraft dieser nächsten gesellschaftlichen und technologischen Entwicklung. Wenn alles vernetzt ist, laufen alle Prozesse anders ab. An der digitalen Zukunft führt kein Weg vorbei.

Nur mit einem flächendeckenden Digitalisierungsgrad und dem entsprechenden Know-how wird es gelingen, die Chancen dieser neuen Technologien im Sinne der Menschen zu nutzen. Um das digitale Deutschland zukunftssicher, lebenswert, funktionsstark und performant zu gestalten, ist ein übergeordneter Plan notwendig, der die bereits vorhandene Vielzahl von Einzelaktionen zu einer sinnvollen Strategie zusammenführt.

Alle in die Zukunft mitnehmen

Es wäre ein falsches Signal, den digitalen Wandel einzig und allein als Angelegenheit von Ministerien, Behörden, Kommunen oder Unternehmen anzusehen. Technologischer Fortschritt geht alle etwas an, ganz besonders diejenigen, die mit den verabschiedeten Vorschriften leben müssen. Ihre Ansichten sollten deshalb gehört und berücksichtigt  werden. Die Betroffenen sollten zu Mitstreiter*innen werden, wenn es um einen Digitalplan geht, und Ratschläge aussprechen, wie sich die Grundsätze, Leitlinien und Ratschläge sinnvoll mit Leben füllen lassen. Konkret heißt das: Wie soll der Alltag für den Einzelnen funktionieren? Welche Tools, Applikationen und Systeme eignen sich? Und warum?

Es ist schließlich eine bekannte Tatsache, dass Nutzende – besser gesagt: die Menschen – nicht jede an sich geeignete und helfende Technologie akzeptieren. Der digitale Wandel hat aber nur dann Erfolg, wenn ihn die Anwender mittragen. Das erfordert ein neues Denken. Denn wer die neuen digitalen Technologien tagtäglich nutzt, der muss sie – zumindest ein Stück weit – verstehen können. Digitales Wissen darf deshalb in der Zukunft nicht allein den IT-Fachkräften vorbehalten bleiben,  sondern muss als Allgemeingut für alle verfügbar und nutzbar sein.

Dieser Digitalplan sollte zwar auf den technologischen Fortschritt und die wirtschaftlichen Effekte fokussiert sein, aber er muss genauso gut die Menschen im Blick haben, die in dieser neuen digitalen Welt arbeiten, vor allem aber leben und sich wohlfühlen wollen. Nur so erweist sich der digitale Wandel für den Standort Deutschland nicht nur als Sprungbrett für langfristigen wirtschaftlichen Fortschritt und Wohlstand, sondern als Chance, mittels digitaler Technologien Lebensräume ökologisch, ökonomisch und sozial nachhaltig zu gestalten.

 

Ari Albertini ist Chief Operating Officer des Spezialisten für sichere Daten-Workflows FTAPI Software GmbH. Als Wirtschaftsinformatiker und Alumnus der TU München verfügt er über mehr als 10 Jahre Erfahrung im Bereich der Strategieentwicklung, IT-Beratung, Software-Development sowie Produktkonzipierung.

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