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Blockchain – die Zukunft des Gesundheitswesens?

Von   Timothy Becker   |  Leiter der Tech Venture Unit   |  Turbine Kreuzberg
17. Dezember 2020

Die Blockchain-Technologie ist aktuell eine der meistdiskutierten Innovationen, welche die zukünftige Struktur vieler Branchen grundlegend verändern könnte – so auch im Gesundheitswesen, wo sich unzählige Anwendungsmöglichkeiten für das dezentrale Datennetzwerk bieten. Was schon jetzt möglich ist und wie sich die Branche zukünftig verändern wird, erklärt Timothy Becker, der den Tech Venture-Bereich der Berliner Digitalagentur Turbine Kreuzberg verantwortet.
Wer “Blockchain” hört, denkt heute immer noch am ehesten an Kryptowährungen wie beispielsweise Bitcoin. Und auch wenn der Handel und Austausch von Werten den weitaus bekanntesten Anwendungsfall der Blockchain-Technologie darstellt, bietet der revolutionäre Ansatz einer dezentralen Daten-Transaktion und -Sicherung ebenfalls zahlreiche weitere Möglichkeiten in Bereichen, an die zuvor niemand in diesem Kontext gedacht hätte. Ob es sich dabei um die Justiz, das Steuerrecht oder die kommunale Verwaltung handelt – die neuen Anwendungsfälle der Blockchain rücken seit kurzem immer mehr ins Zentrum des öffentlichen und politischen Interesses. Auch im Gesundheitswesen bieten sich dabei zahlreiche und besondere Vorteile, die bereits heute entwickelt und ausgetestet werden. Um zu verstehen, wie das funktionieren soll, schauen wir uns zunächst einmal die technischen Grundlagen der Blockchain genauer an.

Ein sicheres Datennetzwerk ohne zentrale Instanzen

Die Blockchain stellt eine erweiterbare Liste von Transaktionsdaten dar, die mittels kryptographischer Verfahren miteinander verkettet sind. Der Clou dabei: Die Daten werden dezentral durch ein Netzwerk aller berechtigten Teilnehmer und Teilnehmerinnen verifiziert, was sie nahezu fälschungssicher macht – und das ohne jegliche zentrale Instanz. Die Blockchain bietet dadurch ganz neue Möglichkeiten, um relevante Informationen sicher zusammenzubringen und jederzeit für die jeweils berechtigte Person zur Verfügung zu stellen. Dabei ist es zunächst ganz egal, um welche Daten es sich dabei handelt.

Daten im Gesundheitswesen

Rund ein Drittel der weltweiten Daten entsteht laut einer Deloitte-Studie in der Gesundheitsbranche. Neben der großen Menge werden diese Daten zudem durch viele unterschiedliche Akteure innerhalb des Gesundheitssystems ausgetauscht und verarbeitet: ganz gleich, ob es dabei um Daten in der Forschung, im Krankenhaus, in der Arztpraxis, bei der Apotheke oder bei der Krankenkasse geht. Hinzu kommt bei gesundheitsrelevanten Daten, dass sie besonders sensibel sind und daher umso mehr vor Verlust oder Missbrauch geschützt werden müssen. Dieser Faktor trat nicht zuletzt bei der öffentlichen Diskussion über die Corona-Warn-App offen zutage. Nachdem Datenschutzrechtler die zentrale Speicherung von Standortdaten stark kritisiert hatten, wurde der technologische Ansatz hinter der Tracking-App grundlegend überarbeitet und durch ein dezentrales Konzept ersetzt, bei dem Risiko-Kontakte nur direkt auf dem Smartphone der Nutzer, nicht aber auf zentralen Servern überprüft werden.

Das allseitig positive Feedback auf den sicheren und datensparenden dezentralen Ansatz der Corona-Warn-App zeigt, in welche Richtung sich Datenstrukturen im Gesundheitswesen zwangsläufig in Zukunft entwickeln werden. Die Blockchain ist dabei ein weiterer logischer Schritt, der durch die kryptografische Verschlüsselung und dezentrale Verifikation durch die berechtigten Netzwerk-Teilnehmerinnen und Teilnehmer ein neues Level an Datensicherheit und Interoperabilität gewährleisten kann.

Anwendungsbereiche der Blockchain im Gesundheitswesen

Konkret gäbe es dabei zahlreiche Möglichkeiten, wie die Blockchain unterschiedliche Gesundheitsinformationen zukünftig sicherer und effizienter handhabbar machen könnte. Zum Beispiel werden derzeit in Krankenhäusern oft weiterhin manuelle Listen für das Qualitätsmanagement geführt. Stattdessen könnten Wareneingänge, die Bestandsverwaltung oder medizinische Produkte mit Patientenzuordnung in Form von Datenblöcken verarbeitet und in der Blockchain gespeichert werden. Der große Vorteil ist nicht nur, dass die digitale Datenverarbeitung enorm Zeit einspart und mühsame Dokumentationen obsolet macht. Durch die Verschlüsselung der Daten sowie ihre Unveränderlichkeit wird auch die Gefahr von Missbrauch und Fehlern deutlich reduziert, was in diesem Fall sogar Menschenleben retten kann.

Krankenkassen könnten ebenfalls die Blockchain nutzen, um Bonusprogramme, bei denen Versicherte an Präventionsaktionen teilnehmen, besser zu managen. Dies würde bedeuten, dass die Krankenkassen mit deutlich reduziertem Aufwand die bonusrelevanten Aktivitäten ihrer Versicherten aufnehmen und überprüfen könnten. Zudem könnte die Blockchain für diesen Prozess die Transparenz erhöhen und Manipulationen der Angaben erschweren. Ähnliche Vorteile verbinden sich etwa bei der Medikamenten- und Rezeptvergabe, bei denen die Blockchain ebenfalls Fälschungen und Betrugsversuche vereiteln und die Interoperabilität zwischen allen Akteuren erhöhen könnte.

Eine Blockchain-basierte Gesundheitsakte

Obwohl also eine Vielzahl an potentieller Use Cases für die Nutzung dezentraler Technologien wie Blockchain im Gesundheitswesen denkbar wäre, gibt es aktuell in Deutschland noch keine konkreten Anwendungen in größerem Umfang. Wie sich die Technologie allerdings konsequent in Bezug auf Gesundheitsdaten umsetzen lässt, hat die Berliner Digitalagentur Turbine Kreuzberg versucht herauszufinden. Als Antwort auf die am 1. Januar 2021 in Kraft tretende elektronische Patientenakte, die auf der veralteten Telematik-Infrastruktur (TI) mit zentraler Datenspeicherung basiert, hat die Agentur einen  Ansatz auf Blockchain-Basis entwickelt, der die ePa zukunftsfähig machen könnte.

Die sogenannte dezentrale elektronische Patientenakte (ĐePA) setzt dabei auf zwei weit verbreitete dezentrale Schlüsseltechnologien, die in nahezu allen Applikationen des »web3« eine Rolle spielen: Ethereum und IPFS. Das Ziel der dezentralen Patientenakte ist es, jedem Menschen die Hoheit über ihre medizinischen Daten zu geben. Sie entscheiden selbst, wem sie den Zugriff auf ihre Patientenakte zu welchem Zweck anvertrauen. Die Daten selbst werden stets verschlüsselt gespeichert und übertragen mithilfe der Blockchain-Technologie.

Aufklärung für den Weg in die Zukunft

Die kurz vor der Einführung stehende elektronische Patientenakte wird zurzeit stark aufgrund des mangelnden Datenschutzes kritisiert. Sogar der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber kündigte kürzlich an, Millionen Versicherte mit einer schriftlichen Warnung über die datenschutzrechtlichen Risiken der Telematik-Infrastruktur aufzuklären. Hier wird erneut deutlich, wie wichtig es ist, auf fortschrittliche und sichere Technologien für die zukünftige Verarbeitung von Gesundheitsdaten zu setzen.

Gleichzeitig herrscht aber auch noch viel Aufklärungsbedarf zu den neuen technologischen Möglichkeiten. Denn bisher hatten Ärzte, Krankenkassen, Apotheken, Labore oder Pflegepersonal noch keinen Kontakt zum Blockchain-Ökosystem. Um ihre baldige Erprobung und spätere Einführung zu ermöglichen, gilt es also nicht nur, die Anwendungsfälle technologisch weiterzuentwickeln, sondern vor allem ihre Vorteile in Sachen Datenschutz und Interoperabilität hervorzuheben und allen Akteuren und Entscheidungsträgern des Gesundheitssystems zu verdeutlichen. Politik und Gesundheitsindustrie sind also in gleichem Maße gefragt, sich stärker mit neu aufkommenden Technologien zu befassen und die Entwicklung konkreter Use Cases voranzutreiben. Die dadurch gewonnenen Erfahrungen werden dazu beitragen, die Zukunftsfähigkeit unseres Gesundheitswesens zu sichern.

Timothy Becker leitet die Tech Venture Unit bei Turbine Kreuzberg und treibt neue Geschäftsmodelle hin zur Marktreife – von der Geschäftsidee über ihre Finanzierung hin zur Kommerzialisierung.

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