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Serie: Braucht mein Unternehmen eine Blockchain und wenn ja, welche? (Teil 2)

Von   Thomas Müller   |  Sprecher der evan.network organization und CEO der evan GmbH   |  evan.network
10. März 2020

Sechs Kernanforderungen zur Identifizierung der richtigen Blockchain-Technologie

Die Zahl der Unternehmen, in denen unternehmensübergreifende kooperative Geschäftsmodelle eine relevante Rolle spielen, wächst stetig – und damit auch das Interesse an Distributed-Ledger-Technologien. Doch mit der zunehmenden Akzeptanz wird auch der Kampf um die technologische Vorherrschaft spürbar intensiver. Umso schwerer ist es, sich in der Menge an Möglichkeiten zurechtzufinden.

Im ersten Teil dieser Serie wurden drei grundsätzliche Szenarien umrissen, für die der Einsatz von Enterprise-Blockchain-Technologien sinnvoll ist: die Digitalisierung von realen Assets, die unveränderliche Transaktions- und Vermögens-Dokumentation sowie die Ende-zu-Ende-Digitalisierung von Prozessen und Transaktionen ohne Intermediär.

Ist der Einsatzzweck geklärt, stellt sich die Frage nach der Auswahl der Enterprise-Blockchain. Für die drei Hauptanwendungs-Szenarien von Enterprise-Blockchain-Technologien sollen daher im Folgenden jeweils zwei zentrale Anforderungskriterien aufgezeigt und erläutert werden, mit denen sich Entscheider bei der Wahl der Blockchain-Technologie auseinandersetzen sollten.

Anforderungen an Enterprise-Blockchain-Technologien

Einsatzszenario 1: Die Digitalisierung von realen Vermögenswerten

1.1: Ist es möglich, die Tokenisierung von physischen Gütern zu implementieren?

Die Tokenisierung ist einer der wichtigsten Aspekte der Blockchain, die es zu verstehen gilt. Nicht zuletzt aufgrund der starken öffentlichen Wahrnehmung von Bitcoin verbinden die meisten Menschen mit Token vor allem spekulative Kryptowährungen oder ICOs, also im weitesten Sinne digitale Aktien. Aber sie sind viel mehr als das.

Mit Token können Waren, Dienstleistungen oder Rechte als digitale Werte abgebildet werden. Diese Werte können sowohl fungibel sein – also jederzeit gleichwertig austauschbar (zum Beispiel Maschinen, Handelswaren, Devisen) – als auch nicht fungibel (zum Beispiel Kunstwerke, Urheberrechte). Tokens erfassen alle wichtigen Parameter des entsprechendes Gutes inklusive entsprechender Nutzungsrechte über den gesamten Lebenszyklus hinweg. So ist beispielsweise über die Transaktionshistorie einer Blockchain direkt sichtbar, welche Stationen ein Token zuvor durchlaufen hat. Diese Mechanismen sind für die Digitalisierung von realen Gütern von großer Bedeutung, da Vertrauen und Werte zwischen Parteien ausgetauscht werden können, ohne dass ein zentraler Vermittler erforderlich ist.

1.2: Bietet das System ausreichende Datensicherheits- und Datenschutzaspekte?

Datensicherheit und Datenschutz gehören bei geschäftlichen Anwendungen zu den elementaren Anforderungen. Dabei gilt es zwei Kernprobleme zu überwinden:

Erstens muss es möglich sein, einzelnen Benutzern oder Rollen spezifische Datenzugriffsrechte zu gewähren. Das ist deshalb so wichtig, weil in einer öffentlichen Blockchain wie Bitcoin alle Daten innerhalb eines Blocks für jeden lesbar sind – was für die meisten Geschäftsanwendungen ausgeschlossen ist.

Das zweite Problem ist die Einhaltung der insbesondere in Europa sehr strengen Datenschutzbestimmungen. So stellt das in der DSGVO verankerte Recht auf Löschung („Recht auf Vergessenwerden“) dezentrale Systeme durchaus vor operative Herausforderungen.

Einsatzszenario 2: Die Ende-zu-Ende-Digitalisierung von Prozessen und Transaktionen ohne Intermediär

2.1: Unterstützt das System eine dezentrale Datenspeicherung und -verarbeitung mit ausreichender Performance?

Neben der Blockchain an sich ist ein ausreichend performantes, dezentrales System zur Speicherung und zum Austausch von Daten eine weitere wichtige Voraussetzung. In Kombination mit einer Blockchain, in der Referenzen auf Daten wie Bilder, Vertragsdaten oder Zertifikate fälschungssicher gespeichert werden, können die eigentlichen Daten somit effizient verwaltet und ausgetauscht werden.

2.2: Bietet das System Smart Contracts, d. h. die Ausführung dezentraler Anwendungen?

Smart Contracts sind nicht nur aus Business-Sicht der interessanteste Teil von Blockchain-Systemen. Denn: Während ein Standardvertrag die Inhalte einer Geschäftsbeziehung festlegt, definiert ein Smart Contract die Bedingungen, unter denen eine Geschäftsbeziehung ausgeführt wird. Ein Smart Contract ist sozusagen die Transformation von Vertragsklauseln in eine Software, die auf der Blockchain ausgeführt wird.

Beispiele sind unter anderem die Festlegung von Kriterien, die eine Zahlung auslösen, die Definition von Qualitätskriterien und die Folgen, wenn diese nicht eingehalten werden. Da solche codierten und manipulationssicher ausgeführten Regeln zentrale Kontrollinstanzen überflüssig machen, spielen Smart Contracts eine wichtige Rolle bei der Automatisierung unternehmensübergreifender Zusammenarbeit.

Einsatzszenario 3: Die unveränderliche Transaktions- und Vermögens-Dokumentation

3.1: Ist die Unveränderlichkeit der Daten gewährleistet?

Die Unveränderlichkeit von Daten ist wahrscheinlich die Eigenschaft, die am häufigsten mit Blockchain verbunden wird. Unveränderlichkeit ist die grundlegende Voraussetzung für den digitalen Austausch von Werten und mit traditionellen Internet-Technologien nicht lösbar, da alle digitalen Daten einfach kopiert und geändert werden können. Wenn zwei Konten oder Systeme Informationen austauschen, werden auf beiden Seiten manipulierbare Kopien gespeichert. Der einzige Weg, dieses Problem ohne Blockchain zu lösen, besteht darin, sich auf einen zentralen Vermittler zu verlassen, der die korrekte Version der Daten speichert. Blockchain dagegen ist durch den Konsens-Mechanismus in der Lage, dieses Funktion technologisch zu erfüllen.

3.2: Werden die Daten dauerhaft gespeichert?

Die permanente Verfügbarkeit von Daten ist die letzte Kernanforderung an  Blockchain-Lösungen. Das „Ledger” der Blockchain vergisst nichts. Was unter Datenschutz-Aspekten durchaus ein Problem darstellen kann (siehe oben), gehört zu den wesentlichen Merkmalen der Blockchain-Technologie. Wenn Blockchain zur Darstellung realer Verträge und deren Daten verwendet wird, sind Unveränderlichkeit und permanente Verfügbarkeit wesentliche Anforderungen, insbesondere aus rechtlicher und regulatorischer Sicht.

Fazit und Ausblick

Diese sechs Kriterien sind die Kernanforderungen, die Sie bei der Auswahl einer geeigneten Blockchain-Technologie berücksichtigen sollten. Wichtig zu wissen ist zudem, dass darüber hinaus die Möglichkeit besteht, Güter, Organisationen und Personen digital abzubilden, um diese in Geschäftsprozesse zu integrieren. Bei der Beurteilung der Technologie-Optionen sollte stets der tatsächlich bestehende Funktionsumfang betrachtet werden und nicht das, was für die Zukunft versprochen wird.

Wenn Sie vor der Aufgabe stehen, ein Blockchain-Projekt zu starten, stehen bereits eine ganze Reihe von Technologien zur Verfügung. Im abschließenden Teil dieser Serie werden exemplarisch dafür Ethereum, Hyperledger oder IOTA vorgestellt: Wo finden sich Gemeinsamkeiten, wo liegen die Unterschiede, und wie sind sie im Hinblick auf die beschriebenen Einsatzszenarien und Kernanforderungen zu bewerten?

Thomas Müller ist Sprecher der evan.network organization. Das evan.network ist eine neutrale, blockchainbasierte Vertrauensinfrastruktur für kooperative Ökosysteme und ermöglicht die Bildung manipulationssicherer Digitaler Identitäten als Basis für automatisierte Prozesse in der Economy of Things.

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