Über nachhaltige Technologie und 25 Fernflüge

Eine Website hat etwa den gleichen CO₂-Ausstoß wie 25 Transatlantikflüge. Zu viel, wenn wir in Anbetracht des Klimawandels noch retten wollen, was vielleicht gar nicht mehr zu retten ist. Nachhaltiges Programmieren ist mitunter der letzte Strohhalm.
Von   Anu Einberg   |  CEO   |  Mooncascade
12. September 2023

Es mag dem einen oder anderen paradox erscheinen, wenn die Worte nachhaltig und Fernflug gemeinsam in einer Überschrift auftauchen. Und um ehrlich zu sein: Zwei Dutzend Langstreckenflüge haben im eigentlichen Sinne natürlich überhaupt nichts mit nachhaltiger Technologie zu tun – ganz im Gegenteil. Doch sind diese beiden Dinge über eine Statistik miteinander verbunden, die alarmierend und einprägsam zugleich ist. Der jährliche CO₂-Ausstoß einer durchschnittlichen Website entspricht etwa dem von 25 Flugreisen zwischen Amsterdam und New York – oder 3,7 Erdumrundungen und einer Distanz von fast 150.000 Flugkilometern. Solche Zahlen verdeutlichen nur allzu gut, dass nachhaltig gestaltete Technologien schon heute unerlässlich und im Kampf um eine lebenswerte Zukunft von entscheidender Bedeutung sind. Doch welche Schritte braucht es, damit sie uns wirklich weiterhelfen?

Nachhaltigkeit – leichter gesagt als getan

Nachhaltigkeit ist ein Begriff, der besonders in Verbindung mit dem Thema Klimawandel mit einer beinahe inflationären Häufigkeit verwendet wird. Doch ist wirklich immer klar, was mit diesem Wort gemeint ist? Nachhaltigkeit umfasst eine Vielzahl von Dimensionen. Die Entwicklung nachhaltiger Anwendungen muss daher verschiedene Facetten berücksichtigen. Es ist dementsprechend wichtig, den Anforderungen ökologischer, gesellschaftlicher sowie individueller Nachhaltigkeit gleichermaßen Rechnung zu tragen.

Um diesem Anspruch gerecht werden zu können, stellt sich ganz zu Beginn eines jeden Entwicklungsprozesses erst einmal die Frage, ob sich die Digitalisierung eines Prozesses überhaupt lohnt. Zu evaluieren ist zum Beispiel, ob das zu lösende Problem über die nötige Relevanz verfügt und eine Digitalisierung für dessen Lösung signifikante Verbesserungen herbeiführen würde. Denn – obwohl mit Blick auf positive Beispiele wie das E-Invoicing, welches durch massive Einsparungen von Ressourcen auf allen Ebenen hervorsticht, häufig angenommen wird, dass die digitale Transformation von Natur aus die Nachhaltigkeit fördert, ist dies nicht immer der Fall. Tatsächlich hinterlassen auch digitale Produkte ihren eigenen Fußabdruck auf der Erde. Manchmal genügt bereits eine Optimierung bestehender Problemlösungsprozesse, um Abhilfe im Sinne der Nachhaltigkeit zu schaffen. Aus diesem Grund ist eine differenzierte Analyse aller zur Verfügung stehenden Optionen unabdingbar. Nur so kann sichergestellt werden, die effektivste aller Alternativen zu identifizieren und überstürzten Aktionismus zu vermeiden.

Digitalisierung soll den Menschen helfen

Das Lösen eines Problems durch die Digitalisierung eines Prozesses ist kein Selbstzweck. Eine Lösung, die nichts weiter tut als einen vorhandenen Prozess in eine digitale Form umzuwandeln, ist wertlos. Es muss einen Mehrwert geben. Dieser kann sich zum Beispiel in Kosten-, Zeit- und Personalersparnis oder besserer Zugänglichkeit zu der Dienstleistung für die Menschen widerspiegeln. Wurde nach gründlicher Abwägung die Entscheidung getroffen, eine Anwendung für die Problemlösung zu entwickeln, kommt es zum Entwurf erster Ideen, wie diese konkret aussehen könnte. In diesem Schritt ist ein besonderes Augenmerk auf die einzelnen Teilaspekte der gesellschaftlichen wie individuellen Nachhaltigkeit zu richten. Eine Gesellschaft kann nur von einer Anwendung profitieren, wenn sie einen Sinn stiftet. Sie muss Verbindungen zwischen den Menschen schaffen, anstatt diese zu trennen. Im Zuge des Strebens nach Nachhaltigkeit innerhalb der Gesellschaft muss die Technologie einen Beitrag leisten, dass Diskriminierung und Ungleichheit überwunden werden. Dies geschieht unter anderem, indem sich der positive Effekt einer Anwendung nicht auf die eigentlichen Benutzer*innen selbst beschränkt.

Auf der Ebene der individuellen Nachhaltigkeit ist es von Belangen, dass die Technologie die Anwender*innen dabei unterstützt, sich auf die Aufgabe zu konzentrieren, anstatt deren Fokus zu spalten und zu versuchen, sie so lange wie möglich in der Anwendung zu halten. Das Ziel, extreme Emotionen durch App-Interaktionen zu erzeugen, ist kontraproduktiv. Anstatt die Kreativität der Benutzer*innen zu töten, sollten wir diese anregen, damit sie den Prozess positiv beeinflussen kann.

Um überprüfen zu können, ob alle gesteckten Ziele auf dem Weg zu mehr gesellschaftlicher und individueller Nachhaltigkeit erreicht wurden, erweisen sich verschiedene Tools der Evaluation dienlich. Envisioning-Karten – ein spezifisches Tool, das von den Autoren des Value Sensitive Design entwickelt wurde – und Stakeholder-Mapping helfen, sich den Auswirkungen, welche über jene, die eine Technologie auf die direkten Nutzer*innen hat, hinausgehen, bewusst zu werden. Mittels eines Leitfadens für  humanes Design lässt sich beurteilen, inwieweit das Design einer Anwendung Menschen als humane Wesen behindert oder unterstützt.

Damit es auch morgen noch weitergeht

Die Assoziationen der meisten Menschen mit dem Begriff Nachhaltigkeit beziehen sich auf die Auswirkungen unseres Handelns auf die Umwelt. Um der ökologischen Nachhaltigkeit zuträglich zu sein, braucht eine Anwendung ein Design, das lediglich minimale CO₂-Emissionen erlaubt. Dafür ist es wichtig, zu beachten, dass jene Elemente, welche die meiste Energie verbrauchen, möglichst selten genutzt werden. So können zum Beispiel die verwendeten Farben den CO₂-Ausstoß beeinflussen.

Cloud-Lösungen sind mittlerweile unverzichtbar. Doch verbrauchen die Server in den Rechenzentren große Mengen Energie. Dennoch bestehen Möglichkeiten, auch auf diesen Plattformen auf ökologische Nachhaltigkeit zu achten.

Bei der Programmierung einer Anwendung sind nachhaltige Code-Prinzipien zu befolgen, um Anwendungen ganz im Sinne der ökologischen Nachhaltigkeit entwickeln zu können. Für die maximale Effizienz muss der Ressourcenverbrauch auf ein Minimum reduziert werden. Bereits die Auswahl der verwendeten Programmiersprache kann hierfür einen wichtigen Beitrag leisten. Darüber hinaus unterstützt die Anwendung von Clean-Code-Prinzipien – und das Schreiben von sauberem und verständlichem Code, der sich energiesparend warten lässt das Bestreben nach Nachhaltigkeit. Ist ein Code nicht skalierbar, führt dies zu einem erhöhten Ressourcenbedarf. Es erscheint beinahe überflüssig, zu erwähnen, dass der CO₂-Ausstoß der Anwendung kontinuierlich überwacht werden muss – genauso wie ein Flugzeug auf dem Weg von Amsterdam nach New York.

Fazit

Der Begriff Nachhaltigkeit umfasst weit mehr als nur den Schutz unserer Umwelt. Es ist nötig, ihn auf die Dimensionen der gesellschaftlichen wie individuellen Nachhaltigkeit auszuweiten. Alle Komponenten sind während des Entwicklungsprozesses gleichermaßen zu berücksichtigen. Bevor dieser startet, ist genauestens zu analysieren, ob eine digitalisierte Problemlösung wirklich nötig ist und deutliche Verbesserungen mit sich bringt. Um die ganzheitlichen Anforderungen an Nachhaltigkeit zu erfüllen, muss eine Anwendung einen Nutzen stiften, der sich nicht nur auf die direkten Nutzer*innen beschränkt, sondern die Gesellschaft zusammenbringt. Damit diese auch in Zukunft noch auf unserem Planeten als diese fortbestehen kann, müssen bei der Umsetzung der Entwicklung alle technischen Möglichkeiten, die einen minimierten Ressourcenverbrauch herbeiführen, ausgeschöpft werden.

Anu Einberg lautet der Name der CEO des Software Development Unternehmens Mooncascade. Mittlerweile arbeitet sie seit neun Jahren bei Mooncascade. Seit über vier Jahren leitet sie das Unternehmen als CEO und hat währenddessen schon viele Erfahrungen gesammelt, was es bedeutet, ein weiblicher CEO in der Tech-Branche zu sein. Ihr Bildungshintergrund liegt in den kognitiven Neurowissenschaften. Während ihrer akademischen Studien begann sie, die Funktionsweise der menschlichen Kognition zu erforschen. Ihre Branchenerfahrung in der Softwareentwicklung führte dazu, dass sie untersuchte, wie man intuitive und menschenzentrierte Technologien entwickelt. Als Geschäftsführerin eines Technologieunternehmens diskutiert sie leidenschaftlich gern über die Zukunft der Technologie.

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