Die Vorhersage der saisonalen Nachfrage ist schwierig. Die meisten Unternehmen betrachten sie als ein Muster, das jedes Kalenderjahr regelmäßige und vorhersehbare Veränderungen mit sich bringt, wie zum Beispiel den vermehrten Umsatz von Tönungsfolien im Sommer oder die steigende Nachfrage nach Frostschutzmittel im Winter. Diese Art grobe Vorhersage bildet seit vielen Jahren die Basis für automatisierte Warennachschubsysteme. Aber wie so vieles in der Supply Chain greift eine solche Vereinfachung angesichts der heutigen Komplexität viel zu kurz. Tatsächlich schafft dieser traditionelle Nachschubansatz mehr Probleme, als dass er sie löst.
Eine Schwierigkeit bei der Verwendung von jährlichen Nachfragemustern besteht darin, dass die Nachfrage eher eine Summe täglich auftretender Variablen ist. Dass nicht alle Jahreszeiten an bestimmten Daten beginnen und enden, ist ein weiteres Hindernis. Die saisonale Nachfrage kann sich im Laufe der Zeit verschieben und durch neue Artikel Marktveränderungen und Ereignisse höher oder niedriger ausfallen. Andere kausale Effekte, wie zum Beispiel die Wetterverhältnisse, stellen eine weitere Schwierigkeit bei der Ermittlung der saisonalen Nachfrage dar. Je besser Unternehmen die saisonale Nachfrage nachvollziehen können, desto genauer können sie den optimalen Lagerbestand definieren, bei dem Kosten und Service in Einklang gebracht werden.
Wenn einzelne Ereignisse im Datenrauschen verschwinden
Ein Problem beim Umgang mit diesen saisonbedingten Nachfrage-Anomalien ist, dass die meisten Nachfrageprognosesysteme die aggregierte historische Gesamtnachfrage betrachten, bei dem einzelne wichtige Ereignisse im Datenrauschen verschwinden. Ein solches Beispiel ist das Wetter. Plötzliche Kälteeinbrüche im Oktober lassen die Nachfrage nach Winterreifen ansteigen. Diese Abweichungen von der Norm verursachen ein Rauschen, das von herkömmlichen Nachfrageprognose-Tools nur schlecht gedeutet werden kann. Und es wird noch komplizierter: Die saisonale Nachfrage ist kein globaler, sondern ein lokaler Wert. Jeder Standort eines Unternehmens kann unterschiedliche saisonbedingte Nachfragemuster für einzelne Produkte oder Produktgruppen haben. Auch können Medienereignisse oder virale Trends, die Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes Produkt oder eine bestimmte Kategorie lenken und werden in den Saisonalitätsindex mit aufgenommen, obwohl sie nur punktuell aufgetreten sind.
Die Frage ist, wie solche punktuellen Nachfrageanomalien ausgeschlossen werden können, damit eine bessere Ausgangsbasis für die Vorhersage der saisonalen Nachfrage gefunden wird. Die Antwort liegt wie so oft im Detail. Und zwar müssen Nachfrageprognosesysteme jeden einzelnen ursächlichen Effekt identifizieren und verfolgen. Durch die Analyse von Daten wie Hitze oder Kälte, die Schwankungen der Niederschläge, die Stärke des Windes und andere Kennzahlen lässt sich feststellen, warum die Verbraucher an einem bestimmten Tag mehr oder weniger eingekauft haben und wie die Nachfrage ohne solche punktuellen Ereignissen ausgesehen hätte.
Mit ML das geglättete Nachfragepotential analysieren
Dafür darf aber nicht die aggregierte historische Gesamtnachfrage betrachtet werden, sondern es muss das geglättete Nachfragepotential als Grundlage herangezogen werden. Glätten bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die punktuellen Ereignisse als Rauschen herausgefiltert werden. Mit Tabellenkalkulation oder anderen manuellen Methoden wäre dies zu zeit- und ressourcenaufwendig. Für neue Technologien wie maschinelles Lernen, eine Teildisziplin der Künstlichen Intelligenz (KI), sind diese Berechnungen ideal. Maschinelles Lernen ermöglicht es Systemen, aus Daten zu lernen und intelligente Aufgaben zu erledigen, ohne explizit programmiert dafür zu sein.
Der ML Prozess
Der typische maschinelle Lernprozess ist stark iterativ und umfasst folgende Schritte:
- Datenerfassung: Erfassung und Speicherung relevanter strukturierter und unstrukturierter Datensätze
- Datenaufbereitung: Explorative Datenanalyse, Bereinigung, Transformation, Feature-Engineering, Selektion, Training und Testdatensatzteilung
- Auswahl des Modells: Bereichsgerechte Auswahl von überwachten, unüberwachten oder Reinforcement Learning Algorithmus(en) (z.B. K-Mittel-Clustering, Entscheidungsbäume, Neuronale Netze, etc.)
- Ausbildung: Trainieren des Modells mit dem Trainingsdatensatz
- Auswertung: Messen der Leistung des trainierten Modells auf dem Testdatensatz anhand einer definierten Bewertungsmetrik (z.B. Erreichen einer Prognosegenauigkeit von mindestens 85%)
- Hyperparameter-Tuning: Empirischer Prozess der Änderung von Algorithmusparametern zur Verbesserung der Modellleistung
- Vorhersage: Einsatz des trainierten Modells in einer Produktionssystemumgebung
Das Rauschen herausfiltern
Für die Vorhersage der saisonalen Nachfrage macht es Sinn, ML-Modelle mit probabilistischen Vorhersagemodellen, bei denen fortschrittliche Algorithmen zur Analyse mehrerer Nachfragevariablen genutzt werden, zu kombinieren. In der Supply Chain Planung werden probabilistischen Vorhersagemodelle genutzt, um mehrerer Nachfragevariablen zu analysieren und so die Wahrscheinlichkeiten einer Reihe möglicher Ergebnisse zu identifizieren, von denen dann eines als am wahrscheinlichsten gilt.
Konkret werden die probabilistischen Modelle dazu genutzt, Prognosen auf Grundlage der historischen Daten zu erstellen. Um die Saisonalität zu berücksichtigen, werden dann ML-Algorithmen erst auf diese historische Daten angewandt und dann schrittweise weitere Datensätze zur Nachfragehistorie, Produkteigenschaften und anderen Stammdaten hinzugefügt. Schließlich werden auch externe Datenquellen wie Wetterdaten, Wirtschaftsindikatoren, POS-Daten, Daten aus Sozialen Medien oder IoT-Quellen hinzugezogen um das Rauschen herauszufiltern und festzustellen, wie die Nachfrage ohne eventuelle punktuelle Ereignissen ausgesehen hätte.
Weitere Anwendungsgebiete für ML in der Supply Chain Planung
Maschinelles Lernen ist eine der vielversprechendsten Technologien zur Erstellung marktgerechter Vorhersagen. In der Supply Chain Planung wird sie neben der Vorhersage der saisonalen Nachfrage auch dafür genutzt, Auswirkungen von Promotions und der Einführung neuer Produkte zu prognostizieren. Planungssysteme, die maschinelles Lernen nutzen, „lernen“ tatsächlich und können so die Nachfrage im Laufe der Zeit immer besser vorhersagen. Grundlage für das Lernen sind zwar Daten, aber diese Systeme lernen nicht nur aus einem breiten Spektrum von Nachfrage- und historischen Daten, sondern integrieren auch das Wissen und die Erfahrung der Disponenten und anderer am Planungsprozess Beteiligten. Mit dieser Kombination von maschineller und menschlicher Intelligenz lässt sich die Vorhersage der saisonalen Nachfrage besser in den Griff bekommen. Dadurch können Unternehmen ihren Lagerbestand für saisonale Produkte reduzieren und trotzdem sicherstellen, dass auch bei punktuellem Bedarf genügend Lagerbestand vorhanden ist, um einen erstklassigen Service zu ermöglichen.
Ob beheizte Handgriffe für Motorräder, Winterreifen oder Frostschutzmittel, dank maschinellem Lernen kann man sicherstellen, dass die richtigen Produkte vorliegen, ohne dass zu viel Lagerbestand anfällt.
Um einen Kommentar zu hinterlassen müssen sie Autor sein, oder mit Ihrem LinkedIn Account eingeloggt sein.