Die digitale Transformation der Organisation gestalten

Der Charakter der Digitalisierungsprojekte in den Unternehmen hat sich geändert. Zielten sie früher meist auf das Optimieren einzelner Tätigkeiten und Prozesse ab, so lautet ihr Ziel heute oft, das gesamte Unternehmen neu im Markt zu positionieren. Das erfordert einen integrierten digitalen Transformationsansatz.
Von   Paul Schwefer   |  Associate Expert   |  Kraus und Partner
3. Januar 2024

Das Thema Digitalisierung ist für die Unternehmen nicht neu. Spätestens seit den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, als die ersten PCs in den Büros Einzug hielten, beschäftigt sich das Gros von ihnen mit ihm. Trotzdem stellt das Thema Digitalisierung auch heute noch für viele Unternehmen die größte Herausforderung dar, wenn es um das Weiterentwickeln ihrer Organisation und das Sicherstellen ihrer künftigen Marktfähigkeit geht. 

Eine Ursache hierfür ist: Die Digitalisierung ist weiterhin einer, wenn nicht gar der stärkste Change-Treiber in Wirtschaft und Gesellschaft. Hinzu kommt: Während die Personal- und Organisationsentwicklung in etablierten Unternehmen meist linear verläuft, bewirkt bzw. erfordert der technologische Wandel oft disruptive Brüche. Auch deshalb werden, wenn es um das Thema digitale Transformation geht, so häufig Start-ups gegründet.

Ziel „Kostensenkung“ dominiert oft in der DACH-Region

Interessant in diesem Kontext ist, wie unterschiedlich in der DACH-Region, also im deutschsprachigen Raum, und in den USA die Motive, digitale Transformationsprojekte zu starten, sind. Studien (wie die NTT DATA Transformationsstudie 2023) zeigen: In der DACH-Region ist Kostensenkung ein, wenn nicht gar das zentrale Ziel; in den USA hingegen liegt der Fokus viel stärker auf den Themen Organisation, Kundenservice und neue Geschäftsmodelle. Deshalb wird auch der Erfolg der Transformationsprojekte in der DACH-Region viel kritischer als in den USA gesehen, denn: Das Ziel „Kostensenkung“ wird in den Projekten häufig nicht erreicht; im Gegenteil oft werden die Digitalisierungsprojekte zu Kostenruinen.

Der Projektfokus liegt oft auf der technischen Innovation

Eine zentrale Ursache hier ist: Bei vielen Digitalisierungsprojekten liegt der Fokus auf dem Bereitstellen der neuen Technologie. Die Projekte werden also eher als Innovations- denn als Transformationsprojekte gesehen, bei denen zunächst einmal die oberste Führung verstehen muss, 

  • welche technologischen Möglichkeiten es aktuell und in naher Zukunft überhaupt gibt, 
  • wie diese in unternehmerischen Wert übersetzt werden können und
  • welche Voraussetzungen hierfür organisatorisch, personell und kulturell nötig sind.

Fakt ist: Weil in vielen Digitalisierungsprojekten, die (vorgeblich) auf eine Transformation der Organisation abzielen, der Fokus primär auf der technischen Innovation liegt, werden in ihnen häufig die mit Einführung der neuen Technologien verbundenen strukturellen und kulturellen Aspekte vernachlässigt. Deshalb sind die Veränderungen oft nicht nachhaltig und werden die Entwicklungsziele sowie betriebswirtschaftlichen Ziele nicht erreicht.

Um dies zu vermeiden, bedarf es eines integrierten digitalen Transformationsansatzes, der auch die Organisations- und Kulturentwicklung sowie Digitalkompetenz umfasst. Existiert ein solcher Ansatz nicht, kämpft das Unternehmen beim Planen und Realisieren des Projekts immer wieder mit folgenden Problemen:

  • Den Top-Entscheidern fällt es unter anderem aufgrund der rasanten Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnik schwer, sich für einen Lösungsweg zu entscheiden.
  • Die IT-Budgets werden immer höher, ohne dass die Performance bzw. Wertschöpfung entsprechend steigt. 
  • Die technische Infrastruktur gleicht zunehmend einem Flickenteppich von digitalen Lösungen, ohne eine erkennbare digitale Gesamtarchitektur.
  • Einzelne Geschäftseinheiten preschen unkoordiniert beim Einführen innovativer digitaler Lösungen vor, ohne dass zuvor aus den Unternehmenszielen abgeleitete Standards definiert wurden, die hierbei einzuhalten sind.
  • Die Organisation und Mitglieder fühlen sich von der Transformation zunehmend überfordert, auch weil ein Kompass fehlt, der ihnen eine Orientierung gibt. Entsprechend groß sind die Widerstände.
  • Der digitale Reifegrad der Organisation bleibt trotz aller Anstrengungen hinter dem Wettbewerb zurück.
  • Das Management hat Probleme, das Gesamtprojekt und die Unternehmensentwicklung zu steuern. 

Auch strukturelle und kulturelle Änderungen sind nötig

Ein zentrales Element der digitalen Transformation ist die Veränderung der Unternehmenskultur hin zu mehr Kollaboration, Performance-Orientierung und Transparenz. Dabei sind das angestrebte Ziel nicht lokale und funktionale Verbesserungen. Vielmehr soll im Unternehmen eine End-to-End-Prozessorganisation etabliert werden, die sicherstellt, dass alle in einen Geschäftsprozess involvierten Personen und Bereiche bestmöglich zusammenarbeiten. 

Letztlich zielen integrierte digitale Transformationsprojekte darauf ab, in den Unternehmen ein Zusammenarbeitsmodell zu etablieren, das gewährleistet, dass die angestrebte Art, wie in der Organisation an der Digitalen Transformation gearbeitet wird, zum neuen Standard wird. Wichtig ist es deshalb auch, die neuen Rollen und Verantwortlichkeiten einzuüben. Das erfordert einen prozessbegleitenden Support der Inhaber der verschiedenen Rollen – sowohl fachlich als auch persönlich.

Ziel: Eine ganzheitliche und nachhaltige Unternehmensentwicklung

Bei digitalen Transformationsprojekten entsteht die gewünschte Nachhaltigkeit durch die organische Verbindung der technologischen Innovation mit einer zielorientierten Organisations- und Personalentwicklung. Von zentraler Bedeutung ist hierbei die Management- bzw. Führungskräfteentwicklung, da das Top-Management der Prozesstreiber sein muss.

Bei den Innovationsprojekten der Vergangenheit, deren Ziel es weitgehend war, gewisse Aufgaben durch den Einsatz von IT-Technik zu effektivieren, lag die Verantwortung für das Realisieren der Projekte meist beim Leiter der IT-Abteilung. Sein Team implementierte die Technik und schulte die Mitarbeiter. Die Projektverantwortung trugen also die Personen, die das größte IT-Know-how hatten. Ähnlich verhielt es sich bei den Innovationsprojekten, die auf das Optimieren einzelner Prozesse abzielten. Bei ihnen gab das Top-Management zwar oft zunächst das Projekt und die erforderlichen Mittel frei, die Verantwortung für die Umsetzung lag aber meist bei 

  • dem IT-Leiter oder CIO, also dem Leiter der Abteilung mit dem größten IT-Know-how, und 
  • den Leitern der betroffenen Fachabteilungen, weil sie den sogenannten „Need“ vor Ort am besten kannten.

Dadurch standen beim Projektmanagement solche Fragen im Vordergrund wie 

  • „Was ist die IT-technisch beste Lösung?“ und 
  • „Welche Lösung bietet uns als Fachabteilung den größten Nutzen?“ 

Eine eher untergeordnete Rolle spielten hingegen Fragen wie:

  • „Welche Lösung wäre aufgrund der Strategie und Entwicklungsziele des Unternehmens sinnvoll?“ Und: 
  • „Wie kompatibel sind die angedachten Lösungen mit der (angestrebten) IT-Architektur im Unternehmen?“

Das Top-Management muss die Verantwortung tragen

Eine solche Verlagerung der Projektverantwortung auf die Fachebene ist auch heute noch möglich und zuweilen sogar sinnvoll – unter anderem, weil die Unternehmen heute viel mehr Erfahrung mit dem Implementieren digitaler Problemlösungen als vor 10, 20 oder gar 50 Jahren haben. Deshalb hat sich auch der Charakter vieler Projekte im Digitalbereich geändert: Aus früheren Innovationsprojekten wurden Routineprojekte und aus Akzeptanzprojekten Innovationsprojekte. 

Anders sieht dies jedoch bei den Wandel- oder Transformationsprojekten aus, die darauf abzielen, dass Unternehmen sich strategisch neu in ihren Märkten positionieren und teilweise neu erfinden. Für das Planen und Realisieren solcher Projekte ist neben einem strategischen Denken auch ein unternehmerisches Denken nötig. Es erfordert zudem eine Vision:

  • Wie entwickelt sich voraussichtlich unser Markt?
  • Welche Chancen und Risiken ergeben sich hieraus für unser Unternehmen?
  • Welche neuen Problemlösungen sind künftig auch aufgrund der technologischen Entwicklung möglich?
  • Welche Produkte und Leistungen werden künftig von unseren Zielkunden nachgefragt? 

Deshalb muss die Verantwortung für diese Projekte auf der Top-Ebene der Unternehmen angesiedelt sein und bleiben, selbst wenn die Verantwortung für das Realisieren gewisser Teilprojekte an Fachabteilungen delegiert wird. 

Top-Entscheider brauchen eine höhere Digitalkompetenz

Zudem müssen die Verantwortlichen auf der Top-Ebene, wenn die Entwicklung der IT-Technik einer der größte Change-Treiber ist und bleibt, eine höhere Digitalkompetenz als früher haben. Diese ist nötig, damit sie einschätzen können,

  • welche Problemlösungen aufgrund der technologischen Entwicklung (nicht nur) im IT-Bereich künftig möglich sind und 
  • welche Relevanz diese für die Strategieentwicklung und das Geschäftsmodell des Unternehmens haben. 

Denn nur, wenn das Top-Management über diese Beurteilungskompetenz verfügt, kann es das Gesamtprojekt so aufsetzen, dass dieses dem Bedarf der Organisation und den künftigen Marktanfordernissen entspricht. Zudem kann es nur dann im Projektverlauf beurteilen, inwieweit die Entwicklung des Unternehmens dieses dem Ziel, langfristig einer der Top-Player im Markt zu sein, auch wirklich näherbringt.

Paul Schwefer arbeitet als Associate Expert für die Unternehmensberatung Kraus und Partner, Bruchsal. Die Arbeitsschwerpunkte des studierten Mathematikers und der langjährigen Führungskraft in multinationalen Konzernen liegen in den Bereichen Innovation, Restrukturierung, Turnaround und Digitale Transformation.

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