48,76 Millionen Pkws waren am 1. Januar 2023 hierzulande gemeldet – ein neuer Höchststand. Deutschland ist und bleibt ein Autoland, und doch bestehen für Städte, Gemeinden und Verkehrsverbünde durchaus Chancen, die Zukunft der Mobilität mitzugestalten, den Verkehr und Fortbewegungsmittel smarter und vernetzter zu organisieren und dadurch die Notwendigkeit eines eigenen Fahrzeugs für viele Bürger zu minimieren. Doch wie kann das in der Praxis gelingen? Madeleine Samios, Senior Account Group Unit Manager für Mobility-Projekte, gibt einen Ausblick:
Wachstum ist das Credo vieler Unternehmen, doch mit traditionellen Pipeline-Geschäftsmodellen lässt sich dieses oft nur noch bedingt erreichen. Deshalb versuchen sie umzuschwenken und sich als Plattform neu zu erfinden, mit der sie die Infrastruktur bereitstellen und als Vermittler zwischen verschiedenen Parteien auf dem Markt agieren. Ein bekannter Onlinevertrieb ist sicherlich ein Prototyp eines solchen Plattformunternehmens, aber auch Lieferdienste und Online-Marktplätze für Wohnungen oder Autos zählen dazu.
Elektrifizierung ist kein Allheilmittel
Die Idee hinter Plattformen lässt sich dabei in vielen verschiedenen Bereichen anwenden, beispielsweise auf die Mobilität und die Frage, wie wir uns in Zukunft – gerade mit Blick auf die verkehrsbedingten Klimaschäden – fortbewegen wollen. Denn die Anzahl der Pkws mit Elektro- oder Hybridantrieb nimmt zwar stetig zu, aber aktuell sind die Verbrenner auf deutschen Straßen noch deutlich in der Überzahl:
- Benzin – 63 Prozent
- Diesel – 30 Prozent
- Hybrid – 5 Prozent
- Elektro – 2 Prozent
Und man muss sich auch fragen, wie sinnvoll es ist, die derzeit gut 45 Millionen Benziner und Diesel 1:1 durch Elektro- und Hybridfahrzeuge zu ersetzen. Schließlich muss auch der notwendige Strom für all diese Autos erstmal erzeugt werden – vorzugsweise aus erneuerbaren Energiequellen. Doch der Ausbau dieser kommt nur langsam voran, zumal beispielsweise auch Wärmepumpen, die künftig vermehrt in Häuser eingebaut werden sollen, Strom benötigen. Gleichzeitig gibt es Zweifel, ob die Verteilnetze mit diesem höheren Strombedarf umgehen können.
Das heißt, die Anzahl der Autos müsste eigentlich ab- statt zunehmen, damit die Versorgung mit Strom sichergestellt werden kann. Erreichen lässt sich das mithilfe eines besseren öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) genau wie durch ein besseres Shared-Mobility-Angebot. Und an dieser Stelle kommen Plattformen ins Spiel.
Angebote, die flexibel und praktisch sind
So hat ein Forscherteam der Universität Kassel kürzlich Ergebnisse einer Untersuchung zur Einstellung gegenüber dem ÖPNV vorgestellt, die durch die Einführung des 9-Euro-Tickets inspiriert wurde. Eine zentrale Erkenntnis war, dass viele Kunden neben dem Preis insbesondere die einfache Nutzbarkeit und Flexibilität des vergünstigten Tickets schätzten. Für die Nutzer war klar, wie und wo sie es verwenden konnten und das in ganz Deutschland – das Gegenteil vom hierzulande üblichen Tarifdschungel.
Auch das Deutschlandticket – der Nachfolger des 9-Euro-Tickets – macht in dieser Hinsicht vieles richtig und kann für die Verkehrsverbünde durchaus als Schritt in Richtung Plattform gewertet werden. Schließlich können die Nutzer durch das bei ihrem lokalen Verkehrsbetrieb gekaufte Ticket in Tarifgebieten fahren, die eigentlich von einem anderen Verbund abgedeckt werden. Das sollte aber nur der Anfang sein. Einige Verkehrsverbünde sind schon einen Schritt weiter und bieten über ihre Apps Zugang zu Leihfahrrädern oder E-Scootern sowie die finanzielle Abwicklung dieser Shared-Mobility-Services. Gerade in der Stadt, wo die Wege oft kurz sind, können diese Fortbewegungsmittel ihren vollen Nutzen entfalten und die Umweltbelastung durch Autos reduzieren. Entscheidend ist dafür aber, dass sie einfach zu verwenden sind. Und das ist der Fall, wenn ÖPNV-Nutzer die Freischaltung, Abschaltung und Bezahlung über eine App regeln können, in der ihre (Finanz-)Daten schon hinterlegt sind.
Darüber hinaus können Städte auch Plattformen entwickeln, um den Verkehr besser zu steuern. So schätzt der ADAC, dass Autofahrer, die auf der Suche nach einem Parkplatz sind, 30 bis 40 Prozent des innerstädtischen Verkehrs ausmachen. Städte könnten versuchen, diese Situation zu entspannen, indem sie über eine Plattform die Autofahrer schneller zu freien Parkplätzen leiten. Sinnvoll wäre es dabei, Informationen nicht nur zu öffentlichen Parkplätzen und Parkhäusern anzubieten, sondern auch zu privaten Parkhäusern sowie leeren Supermarkt- und Unternehmensparkplätzen, um diese besser auszulasten.
Natürlich könnten sich Städte, Verkehrsbetriebe und Unternehmen auch zusammenschließen, um ein allumfassendes Mobilitätsangebot zu schaffen, das größtmögliche Flexibilität bei der Mobilität ermöglicht. Nutzer wären damit in der Lage, jeden Tag mit einem Blick in ihre App aufs Neue zu entscheiden, welches Verkehrsmittel sich am meisten lohnt – je nachdem, wie dicht die Straßen oder voll die Busse und Straßenbahnen sind, ob ein Leihfahrzeug in der Nähe verfügbar ist und der Akku bis zum Ziel ausreicht und wo sich die bequemsten Umsteigemöglichkeiten ergeben.
Der Weg zur Plattform führt über Daten
Was aber können die unterschiedlichen Partner tun, um Plattformen zu eröffnen und effektiv zu gestalten? Zum einen braucht es erst einmal Offenheit, mit anderen Dienstleistern zusammenzuarbeiten und Daten, Kosten sowie auch Einnahmen zu teilen. Denn natürlich werden Verkehrsunternehmen und -verbünde am Umsatz jeder Buchung über ihre App beteiligt werden wollen, aber dafür müssten bestehende Vereinbarungen angepasst oder ganz neue getroffen werden.
Des Weiteren brauchen effektive Plattformen eine gute Datengrundlage und die ist bislang nicht unbedingt gegeben. Um etwa Autofahrer zu freien Parkplätzen zu führen, müssen erstmal Daten zu den grundsätzlich vorhandenen Parkplätzen und ihrem Zustand (frei oder belegt) vorliegen. Dafür sind IoT-(Internet of Things)-Sensoren und Kameras notwendig, die diese Informationen anonymisiert, sprich DSGVO-konform, in Echtzeit übermitteln. Und auch um Shared-Mobility-Angebote möglichst effizient und auf die Bedürfnisse der Kunden zugeschnitten anzubieten, ist es erforderlich, Daten zu deren Nutzung regelmäßig auszuwerten. Dadurch lässt sich feststellen, wo welche Verkehrsmittel besonders stark nachgefragt sind, wo entsprechende Möglichkeiten noch fehlen und wie sich Übergänge zwischen den verschiedenen Fortbewegungsmitteln optimieren lassen.
Für die effektive Analyse der riesigen Datenmengen, die dabei entstehen, wird es Big-Data-Anwendungen und künstliche Intelligenz (KI) brauchen. Solche Tools sind in der Lage, große Datenmengen schnell zu verarbeiten, dabei Muster zu erkennen und nützliche Erkenntnisse zu generieren. Das bedeutet, dass insbesondere Städte und Verkehrsverbünde ihre digitale Transformation vorantreiben und mehr Daten – natürlich datenschutzkonform – erheben müssen. Die daraus resultierenden Einblicke in das Nutzerverhalten, die Verkehrsteilnehmer und die Verkehrsflüsse können dazu beitragen, Städte lebenswerter zu machen und gleichzeitig die negativen Auswirkungen des Verkehrs auf die Umwelt und das Klima zu reduzieren.
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