Blockchain: Potenziale und Herausforderungen für Politik und Verwaltung

Von   Jürgen Fritsche   |  Mitglied der Geschäftsleitung   |  msg
16. April 2019

Längst ist Blockchain nicht mehr nur die Technologie hinter inzwischen fast 2000 verschiedenen Internet-Zahlungsmitteln. Vertrauenswürdige Transaktionen und sichere Herkunftsnachweise machen Blockchain für Unternehmen in vielen Branchen und auch für manche Bereiche der öffentlichen Verwaltung zu einer vielversprechenden neuen Technologie. Elf mögliche Anwendungsfälle allein im Energiesektor listet die aktuelle Studie „Blockchain in der integrierten Energiewende“ der Deutschen Energieagentur (DENA). Das größte Potenzial liege wohl im sicheren Herkunftsnachweis für Strom und Gas. Es brauche jedoch noch eine höhere technologische Reife und v.a. Rechtssicherheit und Klarheit, so die Autoren der Studie.
Zweifelsohne sind die Einsatzmöglichkeiten von Blockchain vielfältig und bringen weitreichende ökonomische und gesellschaftliche Veränderungen mit sich. Damit verbunden sind rechtliche Fragestellungen, die die Politik fordern. Die Bundesregierung erarbeitet gegenwärtig eine Blockchain-Strategie, die im Sommer 2019 vorliegen soll. Die-Blockchain-Strategie wird ganz wesentlich auch auf die Online-Konsultation zurückgehen, die jetzt im März gerade gelaufen ist. Sie sammelt Potenziale und Hürden sowie Praxisbeispiele für den Blockchain-Einsatz in Beiträgen von Unternehmen, Verbänden, Organisationen, Institutionen und Experten.

Blockchain-, oder allgemeiner und eigentlich zutreffender: Distributed Ledger Technologien (=Verteilte Hauptbücher) bieten mit dem lückenlosen Nachweis von Transaktionen Schutz vor Betrug. Transaktionen können viel schneller durchgeführt werden, da Intermediäre und die Notwendigkeit der Überprüfung auf Korrektheit und Zulässigkeit durch Menschen an zentralen Punkten entfallen. Alle beteiligten Datenzentren prüfen die Transaktionen dezentral und automatisch und buchen dann die Transaktion. Verträge lassen sich automatisch schließen und abrechnen (Smart Contracts).

Wirtschaftliche Potenziale und Herausforderungen

So kann etwa in der Fertigkeitsindustrie die sichere Herkunft eines Produktes und aller seiner Einzelteile durch Blockchain deutlich besser gewährleistet werden als durch bisher eingesetzte Systeme. Ein Nachweis ist bis zu den verwendeten Rohstoffen möglich. Aufwendige Echtheitsprüfungen lassen sich reduzieren oder ganz eliminieren. Insbesondere bei Investitionsgütern (Maschinen, Flugzeuge, Gebäude, Automobile) lässt sich während der gesamten Lebenszeit die Integrität der Produkte jederzeit sicherstellen. Bisher ist die Verfolgung von Produktfälschungen eine große Herausforderung für den Staat. Darüber hinaus wird Blockchain für Unternehmen der Fertigungsindustrie in den nächsten Jahren deshalb von Interesse sein, weil sie durch den beschleunigten Informationsfluss und die Eliminierung von Intermediären in der Lieferkette Zeit und Geld einsparen können.

Banken können mithilfe von Blockschain ihre Transaktionskosten minimieren und dadurch ihre Wettbewerbsfähigkeit gegenüber FinTechs verbessern. Mit DLT eröffnet sich die Möglichkeit, Banküberweisungen zu einem Bruchteil der Transaktionskosten und innerhalb weniger Sekunden weltweit vorzunehmen. Bei komplett digitaler Abwicklung müssen nicht länger mehrere Server und Clearingstellen mit manuellen Compliance-Prüfungen durchlaufen werden, und Medienbrüche entfallen ebenso wie Umrechnungen von Währungen. Selbst Mikrotransaktionen im Millicent-Bereich werden dadurch rentabel.

Im Versicherungsbereich werden Mikroversicherungen mit niedrigen Abwicklungskosten und smarte Versicherungspolicen möglich. Löst man durch Einsteigen in Verkehrsmittel ein (smartes) Ticket, wird eine Reiseversicherung mitverkauft. Elektronische Marktplätze bieten Versicherungen beim Kauf von Artikeln mit an, beispielsweise eine Unfallversicherung beim Kauf von Skikleidung. Diese Art des Versicherungsverkaufs wird die Branche komplett verändern.

Weitreichende Folgen bringen auch die Smart Contracts mit sich. In ihnen werden beispielsweise bei der Miete beziehungsweise Vermietung von Wohnungen, Maschinen, Fahrzeugen oder anderen Gegenständen Gebühren, Sicherheiten, Zugangs- und Nutzungsberechtigungen festgeschrieben. Fahrtentgelte können automatisch beim Einsteigen in den Zug, den Bus, das Taxi oder den Mietwagen vereinbart werden. Ebenso funktioniert das mit Mautgebühren, dem Aufladen an Elektrostationen oder Parkplatzgebühren. Zahlungseingänge, Berechtigungsverwaltung sowie Kautionsrückzahlungen erfolgen über die Transaktionsdatenbank. Dadurch ist potenziell alles vermiet- oder teilbar. Insbesondere im Mobilitätssektor (Personenbeförderung, Car-Sharing), aber auch im Tourismus sind bereits neue Geschäftsmodelle entstanden, die unter der Bezeichnung Sharing Economy zusammengefasst werden. Weil mieten billiger ist als kaufen, peer-to-peer-vermittelte Unterkünfte – auch wegen des politischen Vakuums und geringeren regulatorischen Auflagen – günstiger sind als Hotels, können sich die Bürger kurzfristig mehr leisten. Mittel- und langfristig führt die Sharing Economy allerdings zu einem Verlust an Eigentum – und auf lange Sicht durchaus auch zu Armut. Der Fahrer des Chauffeur-Dienstes hat sein Auto, das er zur Verfügung stellt. Aber eine Arbeitsplatzsicherheit und eine Versicherung über den Anbieter oder einen Mindestlohn hat er nicht. Auf diese gesamtökonomischen Entwicklungen gilt es Antworten zu finden.

Anwendungsfälle in der öffentlichen Verwaltung

So wie sich Mautgebühren automatisch abrechnen lassen, würde das auch mit Steuern funktionieren. IT-Experten gehen daher davon aus, dass mindestens ein Staat innerhalb der nächsten 10 Jahre Steuern über Blockchain einziehen wird. Vorteile gegenüber konventionellen Verfahren wären eine höhere Transparenz und geringere administrative Kosten. Technisch machbar ist das schon heute. Ebenfalls machbar und in der Diskussion sind die Verwaltung von Grundstücksrechten, die Dokumentation von Eheschließungen, die Gewährung von Patenten und das Ausstellen von Ausweisen. Die amtliche Funktion würde weitaus effizienter abgebildet. Das gilt auch für andere Prozesse wie zum Beispiel den Einsatz von Notaren für Grundbucheinträge und Testamentseröffnungen.

Rechtliche Herausforderungen

Während das Rechtssystem heute auf individuelle Verantwortung ausgerichtet ist, gibt es in der Welt automatisierter Transaktionen und Verträge den verantwortlich handelnden, haftbaren Einzelnen so nicht mehr. Das Verbraucherrecht, zumindest so wie wir es bis heute kennen, ist nicht in der Lage, sich mit solchen neuen Gebilden angemessen auseinander zu setzen. Nicht nur der Dienstleistungsempfänger braucht Schutz, auch der -anbieter und der Besitzer von Gegenständen bedürfen einer rechtlichen Absicherung. Hier werden durch automatisch und weltweit vernetzt ablaufende Geschäftsmodelle Anforderungen an den Gesetzgeber sichtbar, die eine Fülle an Regulierungsaufgaben beinhalten und die ein Staat alleine kaum lösen können wird. Eine Veränderung des Staats- und Rechts- Verständnisses ist geboten.

 

Jürgen Fritsche ist Mitglied der Geschäftsleitung Public Sector bei msg. Er hat langjährige Erfahrung im Aufbau und in der Führung von Beratungs- und Systemintegrations-Einheiten sowie im Management von Beratungsmandaten und Entwicklungsprojekten. Außerdem ist er Autor von Fachartikeln und erfahrener Referent zu Digitalisierungsthemen.

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