AI Readiness in der Fertigung: Der Schlüssel zur Wettbewerbsfähigkeit

Die Einführung von künstlicher Intelligenz (KI) in der Fertigung verspricht enorme Potenziale für Effizienz, Qualität und Innovationskraft. Doch viele Unternehmen tun sich noch schwer damit, KI-Lösungen erfolgreich zu implementieren und zu skalieren. Daher braucht es einen strukturierten Ansatz, um die KI-Reife für Fertigungsunternehmen zu bewerten und gezielt zu verbessern.
Von   Martin Schiesser   |  Head of Manufacturing Industries   |  Detecon International
15. August 2025

AI Readiness in der Fertigung: Der Schlüssel zur Wettbewerbsfähigkeit

 

Trotz des Hypes um die Industrie 4.0 bleibt die Einführung vieler digitaler Schlüsseltechnologien in der Praxis überraschend zaghaft: Wie eine aktuelle Befragung von unter Entscheidungsträger*innen der Branche zeigt, haben nur 20 Prozent der internationalen Fertigungsunternehmen Künstliche Intelligenz aktuell vollständig implementiert – von der vorausschauenden Wartung über die Optimierung von Lieferketten bis hin zur Qualitätskontrolle in Echtzeit.

Die vierte industrielle Revolution ist also keineswegs ein Selbstläufer. Zwar haben die meisten  Fertigungsunternehmen erste KI-Pilotprojekte gestartet, doch der Schritt zur flächendeckenden Implementierung und Skalierung fällt oft schwer. Woran liegt das? Häufig fehlt es an den notwendigen organisatorischen und technologischen Grundlagen, um KI-Lösungen erfolgreich im gesamten Produktionsnetzwerk zu skalieren. Viele Unternehmen unterschätzen zudem die Komplexität der KI-Einführung und gehen nicht strukturiert genug vor. Um diese Hürden zu überwinden, ist ein systematischer Ansatz zur Bewertung und Verbesserung der KI-Reife erforderlich.

 

Reifegrad sichtbar machen

Der sogenannte Artificial Intelligence Maturity Readiness Index (AIMRI) bietet Unternehmen einen Kompass für ihre KI-Entwicklung. Anders als klassische Digitalisierungs-Assessments bewertet er gezielt KI-spezifische Erfolgsfaktoren in drei Dimensionen:

  1. KI-Zweck: Wie klar ist die Vision des Unternehmens für den Einsatz von KI definiert? Gibt es eine übergreifende KI-Strategie? Wie gut sind die KI-Initiativen mit den Geschäftszielen verknüpft?
  2. Daten- und Technologiefundament: Verfügt das Unternehmen über die notwendigen Datenressourcen, Datenqualität und technischen Infrastrukturen, um KI-Anwendungen effektiv zu entwickeln und zu betreiben? Wie ausgereift sind Datenmanagement, Cloud-Lösungen, Schnittstellen sowie die Integration von KI-Systemen in bestehende IT-Landschaften?
  3. Organisatorische Verankerung und Kompetenzen: Welche Rolle spielt KI im organisatorischen Aufbau und in der Unternehmenskultur? Gibt es klare Verantwortlichkeiten, ausreichend Fachwissen sowie Weiterbildungsangebote? Wie hoch ist die Bereitschaft, KI-gestützte Prozesse im Arbeitsalltag zu adaptieren?

Für jede dieser Dimensionen definieren und bewerten KI-Expert*innen konkrete Kriterien und Indikatoren. Dadurch entsteht ein detailliertes Bild des aktuellen Reifegrads. Gleichzeitig identifizieren die Expert*innen gezielt Lücken und erkennen Verbesserungspotenziale.

 

So entsteht Klarheit im KI-Dschungel

Der AIMRI-Ansatz passt sich flexibel an den Unternehmenskontext an. Denn nicht für jedes Unternehmen ist der höchstmögliche Reifegrad in allen Bereichen sinnvoll oder notwendig. Er identifiziert die für das jeweilige Geschäftsmodell relevanten KI-Aspekte und entwickelt sie gezielt weiter.

Die AIMRI-Methodik sieht dafür einen dreiwöchigen Prozess vor:

  • Woche 1 – Planung und Vorbereitung: In dieser Phase definieren Unternehmen gemeinsam mit Expert*innen die Ziele der KI-Bewertung, identifizieren relevante Stakeholder und sammeln erste relevante Daten.
  • Woche 2 – Evaluation vor Ort: Im nächsten Schritt führen sie Interviews mit Schlüsselpersonen durch und inspizieren zentrale Prozesse im Unternehmen, um die KI-Reife in jeder Dimension zu bewerten. Dabei kommen standardisierte Fragebögen und Bewertungsraster zum Einsatz.
  • Woche 3 – Berichterstattung: Abschließend analysieren die Expert*innen die gesammelten Erkenntnisse und fassen sie in einem detaillierten Bericht zusammen. Dieser enthält neben der Reifegradeinschätzung auch konkrete Handlungsempfehlungen und Vorschläge für nächste Schritte.

Anhand dieses Prozesses stellt der AIMRI-Ansatz sicher, dass Unternehmen ihre KI-Initiativen auf ein solides Fundament stellen. Er hilft dabei, Prioritäten zu setzen, Ressourcen effektiv einzusetzen und einen klaren Fahrplan für die weitere Entwicklung zu erstellen.

 

Erfolgsfaktoren für den KI-Einsatz im Unternehmen

Doch wie sieht die praktische Umsetzung nach der Erhebung der KI-Reife aus? Mit welchen konkreten Schritten können Fertigungsunternehmen ihren KI-Einsatz konkret verbessern?

Am Anfang steht eine klare Strategie. Unternehmen müssen festlegen, welche Rolle Künstliche Intelligenz künftig für sie spielt und welche Ziele sie mit dem Einsatz der Technologie verfolgen. Statt KI pauschal einzuführen, sollten sie sich auf konkrete Anwendungsfälle mit hohem Nutzen konzentrieren. Wichtig ist dabei, Use Cases zu identifizieren und diese nach ihrem geschäftlichen Wert zu priorisieren. Pilotprojekte helfen, erste Erfahrungen zu sammeln. Sie schaffen Vertrauen und fördern die Akzeptanz für weitere KI-Initiativen.

Jede KI-Anwendung braucht eine solide Datenbasis. Unternehmen sollten daher schon bei der Datenerhebung auf Relevanz, Struktur und Qualität achten – statt Daten wahllos „auf Vorrat“ zu sammeln. Darauf aufbauend sichern eine einheitliche Datenarchitektur und klare Regeln für die Datenverwaltung (Data Governance) den verantwortungsvollen KI-Einsatz. Denn ein KI-System liefert nur dann belastbare Ergebnisse, wenn es auf verlässlichen Daten basiert. Auch die technische Infrastruktur muss stimmen. Fehlt sie, sollten Unternehmen in leistungsfähige Hardware, Cloud-Dienste oder spezialisierte Plattformen investieren. Nur so lassen sich die nötige Rechenleistung und Flexibilität für KI-Projekte bereitstellen.

Gleichzeitig darf bei aller Technologiebegeisterung der Mensch nicht aus dem Blick geraten. Der erfolgreiche Einsatz von KI erfordert Fachwissen bei Data Scientists, IT-Expert*innen, Führungskräften und Fachabteilungen. Gezielte Schulungs- und Weiterbildungsprogramme helfen, das notwendige Wissen aufzubauen und auf breiter Basis im Unternehmen zu verankern. Die Einführung von KI geht zudem oft mit Veränderungen in Arbeitsweisen und Entscheidungsprozessen einher. Deshalb ist eine offene, experimentierfreudige Kultur wichtig, die Fehler zulässt und Innovation fördert. Führungskräfte spielen hierbei eine Schlüsselrolle, indem sie den Wandel aktiv unterstützen und als Vorbilder agieren. Angesichts der hohen Dynamik im KI-Bereich kann es zudem sinnvoll sein, auf externe Partnerschaften zu setzen. Die Zusammenarbeit mit Technologieanbietern, Start-ups oder Forschungseinrichtungen eröffnet Zugang zu Know-how, beschleunigt Entwicklungsprozesse und fördert Innovation.

 

KI entscheidet über Zukunft und Marktposition

In einem globalen Umfeld, das von Automatisierung, individualisierten Produkten und volatilen Lieferketten geprägt ist, entscheidet der effektive Einsatz von Künstlicher Intelligenz zunehmend über Marktanteile, Innovationskraft und Resilienz. Der AIMRI-Ansatz bietet dabei eine praxisnahe Orientierung: Er hilft, den aktuellen Stand der KI-Reife präzise zu erfassen und konkrete Schritte zur Weiterentwicklung abzuleiten.

Dabei ist es wichtig zu verstehen, dass die Verbesserung der KI-Readiness ein kontinuierlicher Prozess ist. Die Technologie entwickelt sich rasant weiter, neue Anwendungsmöglichkeiten entstehen. Unternehmen müssen agil bleiben und ihre KI-Strategien und -Fähigkeiten ständig weiterentwickeln. Wer seine KI-Readiness systematisch verbessert, schafft die Voraussetzungen, um gestärkt aus dem digitalen Wandel hervorzugehen.

Martin Schiesser ist Senior Partner für den Bereich Manufacturing Industries bei Detecon in der Schweiz. Er berät multinationale Unternehmen bei der strategischen Verknüpfung von Business und IT, um Wachstum, operative Exzellenz, Innovation und Nachhaltigkeit voranzutreiben. Sein Fokus liegt auf digitalen Transformationen in den Branchen Industrie, Maschinenbau, Automobil und Pharma. Seit mehr als 30 Jahren begleitet Martin Unternehmen als Führungskraft und Berater in globalen Transformationsprojekten. Bevor er zu Detecon kam, hatte er leitende Positionen in internationalen Unternehmen inne und verantwortete Projekte an der Schnittstelle von Technologie und Unternehmensstrategie. Martin ist studierter Ingenieur und hält einen Masterabschluss in Economics.

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