Brücken in die Zukunft: Wie moderne ANÜ Engineering und IT transformiert

Die Arbeitnehmerüberlassung (ANÜ) hat sich über die Jahre erheblich gewandelt und ist heute – insbesondere in den Bereichen Engineering und IT – zu einem festen Bestandteil moderner Projektarbeit geworden. Unternehmen nutzen sie zunehmend nicht nur zur kurzfristigen Überbrückung personeller Engpässe, sondern auch als gezieltes Instrument zur Gewinnung von Fachkräften und strategischer Unterstützung im Unternehmen.
Von   Markus Wolfgramm   |  Director   |  SALT AND PEPPER Technology
5. Dezember 2025

Brücken in die Zukunft:

Wie moderne ANÜ Engineering und IT transformiert

 

 

Die Arbeitnehmerüberlassung (ANÜ) hat sich über die Jahre erheblich gewandelt und ist heute – insbesondere in den Bereichen Engineering und IT – zu einem festen Bestandteil moderner Projektarbeit geworden. Unternehmen nutzen sie zunehmend nicht nur zur kurzfristigen Überbrückung personeller Engpässe, sondern auch als gezieltes Instrument zur Gewinnung von Fachkräften und strategischer Unterstützung im Unternehmen.

Gleichzeitig nimmt die Komplexität im Umgang mit ANÜ zu: Regulatorische Rahmenbedingungen wie die gesetzlich begrenzte Überlassungsdauer sowie verbreitete Vorbehalte gegenüber dieser Beschäftigungsform – etwa hinsichtlich Vergütung oder fehlendem Zugehörigkeitsgefühl – stellen Unternehmen vor Herausforderungen. Um zukunftsfähig zu bleiben, muss die ANÜ sowohl Flexibilität als auch soziale Sicherheit gewährleisten. Neue Konzepte wie Expert-Sharing und technologische Entwicklungen wie der verstärkte Einsatz Künstlicher Intelligenz eröffnen innovative Gestaltungsmöglichkeiten.

 

Vom Helferjob zum strategischen Fachkräfte-Modell – ein Blick in die Historie

Der Grundstein für die moderne Arbeitnehmerüberlassung wurde 1948 gelegt, als zwei US-Anwälte vergeblich nach Ersatz für ihre erkrankte Sekretärin suchten. Aus Mangel an Alternativen entwickelten sie schließlich das Modell der Zeitarbeit – die Geburtsstunde von Manpower Inc. In Deutschland erhielt die Branche in den 1960er-Jahren nach dem Krieg einen wichtigen Impuls durch die Gründung erster Zeitarbeitsunternehmen. Dadurch wuchs die Relevanz von Zeitarbeit – genau wie der Bedarf nach klaren gesetzlichen Regelungen: 1972 trat das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) in Kraft. Es schuf erstmals verbindliche Rahmenbedingungen, machte die gewerbsmäßige Überlassung erlaubnispflichtig, trennte sie von der Arbeitsvermittlung und legte soziale Mindeststandards fest.

Parallel dazu wandelte sich das Einsatzfeld der Zeitarbeit. Während sie zunächst vor allem in gewerblich-industriellen Bereichen eingesetzt wurde, gewannen zunehmend qualifizierte Tätigkeiten in IT, Gesundheit und Verwaltung an Bedeutung. Die Branche hat sich professionalisiert – sie ist nicht mehr nur kurzfristige Lösung, sondern integraler Bestandteil moderner Personalstrategien. Auch ein kurzer Blick in die Zahlen zeigt, dass die Arbeitnehmerüberlassung aus dem Arbeitsmarkt nicht mehr wegzudenken ist: Laut Bundesagentur für Arbeit waren im Juni 2024 rund 675.000 Menschen in der Zeitarbeit beschäftigt – vor der Corona-Pandemie waren es zu Hochzeiten im Jahr 2017 sogar knapp über eine Million. Der Anteil an der Gesamtbeschäftigung lag damit bei rund 2,0 Prozent.

Doch obwohl die Arbeitnehmerüberlassung längst gelebte Unternehmensrealität ist, haftet ihr noch immer ein negatives Image an: schlechte Bezahlung, geringe Wertschätzung, wenig Zugehörigkeitsgefühl. Dabei ist diese Sichtweise längst überholt – zumindest bei professionellen Anbietern und insbesondere im White Collar-Bereich, also bei der Überlassung von Fach- und Führungskräften in Büro- und Wissensarbeit.

 

Zwischen Fachkräftemangel, Regulierung und Wertewandel

Genau wie die Arbeitnehmerüberlassung selbst haben sich ihre Rahmenbedingungen stark verändert. Die Novelle des AÜG von 2017 führte unter anderem Equal-Pay-Regelungen sowie eine maximale Überlassungsdauer von 18 Monaten ein. Damit soll ANÜ sozial gerechter werden – doch gleichzeitig wächst die Komplexität in der Umsetzung. Unternehmen und Dienstleister müssen Fristen überwachen, Verträge absichern und den Überblick behalten. Der administrative Aufwand steigt – genau wie die Anforderungen der Talente.

Denn in den letzten Jahren wandelte sich das Selbstverständnis vieler Beschäftigter. Vor allem jüngere Generationen fordern mehr Selbstbestimmung, Abwechslung und Sinn in ihrer Arbeit. Moderne Arbeitnehmerüberlassung kann genau das bieten: wechselnde Projekte mit immer wieder neuen Herausforderungen, Teams und Perspektiven bieten Wachstumspotenzial. Wer ANÜ nicht als Notlösung, sondern als Karrierebaustein versteht, erkennt das Potenzial eines dynamischen Beschäftigungsmodells.

Gleichzeitig verleiht auch der Fachkräftemangel der Arbeitnehmerüberlassung neue Relevanz. Unternehmen suchen nicht mehr nur schnelle Lösungen für Auftragsspitzen, sondern setzen verstärkt auf strategische Flexibilität: Know-how auf Abruf, projektbezogene Einsätze von Expert:innen, internationale Teams. Ingenieurdienstleister übernehmen dabei neue Rollen – als Talentnetzwerkende, Bildungspartner:innen oder Innovationsvermittelnde.

 

Technologie als Enabler moderner ANÜ

Die gestiegenen Anforderungen von Politik, Unternehmen und Fachkräften an Arbeitnehmerüberlassung im White Collar-Bereich zeigen deutlich: Ohne digitale Unterstützung ist ANÜ kaum noch effizient umsetzbar. Heute stellen KI-gestützte Matching-Systeme eine gute Unterstützung dar, etwa bei der Zuordnung von Profilen zu Projekten – basierend auf Fähigkeiten, Erfahrung, Verfügbarkeit und branchenspezifischen Anforderungen. Der Dienstleister muss jedoch noch auf die Wünsche der Talente sowie Kunden eingehen.

Als Grundlage dient eine strukturierte Auswahl eines Tools. Dabei müssen Anforderungen an das Tool gesammelt, ein Lastenheft erstellt und Anbieter sorgfältig verglichen werden. Nur so lassen sich die passenden Lösungen für Bewerbungsmanagement, Vertrieb und Abrechnung auswählen. Plattformlösungen übernehmen die zentrale Steuerung und Dokumentation des gesamten ANÜ-Prozesses: Sie vernetzen Talente mit den jeweiligen Einsätzen, verwalten Verträge und Fristen, erfassen Arbeitszeiten und Projektfortschritte, dokumentieren die Einhaltung von Equal-Pay-Regelungen und liefern HR und Compliance in Echtzeit aussagekräftige Reportings.

Doch Technologie geht noch weiter: Digitale Skills-Datenbanken ermöglichen eine dynamische Erfassung und kontinuierliche Aktualisierung der Qualifikationen von Mitarbeitenden – inklusive Zertifikaten, Schulungen und Erfahrungsprofilen. Automatisierte Compliance-Prüfungen kontrollieren bei jeder Projektbesetzung systematisch die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften, wie Höchstüberlassungsdauer, Branchenzuschläge oder Dokumentationspflichten. Gerade die korrekte Berechnung von Branchenzuschlägen ist dabei ein kritischer Pain Point: Die Zuschläge verändern sich monatlich z. B. in Abhängigkeit der Branchenzuschlagsstufen bzw. der Einsatzdauer – ein manuell kaum fehlerfrei beherrschbarer Prozess, den digitale Systeme automatisiert und zuverlässig abbilden. Hybride Workforce-Management-Plattformen kombinieren Festangestellte, freie Mitarbeitende und überlassene Kräfte in einem System, das projektbezogene Bedarfe flexibel mit verfügbaren Ressourcen abgleicht und zentral steuert.

In der Praxis bedeutet das: Dienstleister, die ihre Prozesse automatisieren und skalieren, gewinnen mehr Transparenz und reduzieren Risiken. Unternehmen profitieren von schnell verfügbarer, rechtskonformer Expertise, und Mitarbeitende erhalten gezielte Projektvorschläge, die auf ihre individuellen Fähigkeiten und Karriereziele abgestimmt sind. Besonders beim Matching zeigt sich, dass nicht nur die Skills zählen: Während einfache Systeme ausschließlich technische Fähigkeiten abgleichen, liegt der eigentliche Mehrwert darin, auch die Persönlichkeiten und die „zwischen den Zeilen“ erkennbaren Anforderungen zu berücksichtigen. So entstehen passgenauere Besetzungen, die über reine Qualifikationen hinausgehen.

 

Expert-Sharing als nächste Evolutionsstufe

Ein Konzept mit besonderem Potenzial für wissensintensive Branchen ist das sogenannte Expert-Sharing. Hierbei werden hochqualifizierte Fachkräfte nicht exklusiv einem Unternehmen überlassen, sondern arbeiten projektbezogen für mehrere Kunden gleichzeitig – strukturiert, rechtssicher und auf ihre Expertise fokussiert. Ein nicht zu unterschätzendes Konzept, denn gerade im Zuge des Fachkräftemangels wird ein solches Teilen von Know-how immer wichtiger: Innerhalb größerer Unternehmen können bestimmte Expert:innen teamübergreifend eingesetzt werden, während unternehmensübergreifend insbesondere bei der Einführung neuer Technologien punktuell benötigtes Wissen verfügbar gemacht wird. Das spart Kosten, da Unternehmen Expertise nur in den notwendigen Projektphasen abrufen und nicht dauerhaft vorhalten müssen. In der Praxis kann das z. B. so aussehen, dass ein ANÜ-Projekt in der Aerospace-Branche parallel zu einem Werkvertrag im Schienenverkehr zur Entwicklung einer Kapazitätsplanung und -steuerung besteht.

Wichtig für ein erfolgreiches und rechtssicheres Expert-Sharing sind eine saubere Dokumentation und entsprechende vertragliche Regelungen mit den beteiligten Kunden und Mitarbeitenden, insbesondere für die Geheimhaltung. Die gesetzlichen Regelungen wie z. B. maximale Arbeitszeit müssen ebenfalls eingehalten werden. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, gibt es verschiedene Modelle für die praktische Umsetzung: Häufig werden feste Zeitkontingente im Vorfeld abgestimmt – etwa 24 Stunden pro Woche für Kunde A und 16 Stunden für Kunde B. Alternativ können kleinere Bedarfe flexibel innerhalb der Projekte gesteuert werden. Mitarbeitende können dabei remote oder vor Ort beim Kunden eingesetzt werden. Auch können ANÜ-Beschäftigte während ihrer Tätigkeit auf ein Expert:innenteam beim Dienstleister zurückgreifen, um punktuell zusätzliches Fachwissen ins Projekt zu holen.

Für Unternehmen bedeutet Expert-Sharing einen flexiblen Zugriff auf seltene Kompetenzen, ohne diese langfristig binden zu müssen oder interne Ressourcen zu überlasten. Fachkräfte wiederum profitieren von Abwechslung, höherer Sichtbarkeit, Selbstbestimmung und oft auch einer schnelleren Weiterentwicklung durch wechselnde Herausforderungen. Ingenieurdienstleister schließlich können sich als strategische Partner:innen positionieren, die nicht nur Fachkräfte und Know-how zur Verfügung stellen, sondern moderne, passgenaue Personalkonzepte entwickeln und koordinieren – eine Win-Win-Win-Situation.

Damit diese Vorteile wirken, müssen Spielregeln und Transparenz von Beginn an klar definiert werden. Denn die Vorstellung, für mehrere Unternehmen gleichzeitig zu arbeiten, kann bei Fachkräften zunächst Befürchtungen wecken – etwa, wie Prioritäten gesetzt werden, wenn verschiedene Auftraggebende zur gleichen Zeit Ansprüche stellen. Klare Rahmenbedingungen schaffen hier Rechtssicherheit und Planbarkeit für alle Beteiligten.

Sind diese Modelle installiert, kann Expert-Sharing zum echten Gamechanger werden – insbesondere im Engineering oder in agilen Softwareprojekten, wo der Bedarf an Know-how kurzfristig schwankt. Es erlaubt maximale Flexibilität für Unternehmen und Fachexpert:innen gleichermaßen, ohne auf Qualität und Kontinuität zu verzichten.

 

Die zeitgemäße Positionierung von ANÜ

Moderne ANÜ bietet spannende neue Arbeitsmodelle, strukturierte Onboarding-Prozesse, individuelle Weiterbildungen, transparente Karrierepfade und wettbewerbsfähige Gehälter. Dennoch bleiben Vorurteile – sowohl auf Unternehmens- als auch auf Mitarbeitendenseite.

Was hilft, um diese abzubauen? Vor allem Transparenz: Unternehmen sollten klar und offen über Einsatzdauer, Aufgaben und Entwicklungsmöglichkeiten kommunizieren. Ebenso wichtig ist die Einbindung der temporären Mitarbeitenden – sie sollten fachlich wie sozial als vollwertige Teammitglieder wahrgenommen werden. Schließlich spielt auch die Positionierung eine entscheidende Rolle: Arbeitgeber sollten deutlich machen, dass ANÜ kein Notnagel ist, sondern ein modernes, zukunftsweisendes Beschäftigungsmodell.

 

Fazit: Die ANÜ der Zukunft ist hybrid, technologisch und menschenzentriert

Arbeitnehmerüberlassung, und insbesondere die White Collar-ANÜ, steht an einem Wendepunkt. Sie ist längst kein Randphänomen mehr, sondern insbesondere in Engineering und IT strategischer Baustein moderner Workforce-Konzepte. Die Verbindung aus rechtlichem Rahmen, technologischem Fortschritt und neuem Werteverständnis schafft die Basis für eine moderne Art der Zusammenarbeit.

Expert-Sharing bringt frischen Wind in festgefahrene Modelle, Matching-Plattformen erhöhen Effizienz und Fairness, und ein differenzierter Umgang mit Vorurteilen stärkt die gesellschaftliche Akzeptanz des einst vermeintlichen Stiefkinds am Arbeitsmarkt.

Wenn ANÜ richtig gedacht wird – als flexibles, rechtssicheres und chancengerechtes Modell – kann sie zur Brücke werden: zwischen Fachkräftemangel und Innovationsdruck, zwischen individueller Selbstbestimmung und betrieblicher Stabilität.

Markus Wolfgramm ist Director bei SALT AND PEPPER Technology und verantwortet die Leitung der deutschen Standorte. Sein Anliegen ist es, Menschen zu fördern und greifbare Ergebnisse zu schaffen – ob durch Innovationen für Kunden oder als leidenschaftlicher „Macher“ auf Baustellen.

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