Banken im Umbruch:
Wie der Kreditprozess der Zukunft aussehen kann
Stellen wir uns eine Montagehalle vor, in der Autos lackiert werden, bevor die Karosserie vollständig montiert ist, oder der Tacho und das Lenkrad eingebaut werden, bevor alle elektrischen Kabel verlegt sind. Die Folge wären Verzögerungen, Doppel- bzw. Nacharbeiten und hohe Kosten. In der Fahrzeugherstellung wäre das unvorstellbar, im Kreditgeschäft für Firmenkunden, dem Wholesale Banking, lässt sich dieses Phänomen nach wir vor nahezu täglich beobachten. Der Kreditprozess ist aus der Perspektive einzelner Teams gestaltet und endet häufig an Bereichsgrenzen in der Bank. Das führt zu Brüchen im Ablauf, Doppelerfassung von Informationen, mehrfachen Rückfragen und Schleifen sowie zu mangelnder Steuerbarkeit. Wenn Abläufe optimiert werden, dann passiert das meist lokal und ohne den Blick auf den Gesamtprozess. Verstärkt wird diese Situation durch eine fragmentierte IT-Landschaft: Veraltete Host-Systeme, isolierte Anwendungen und fehlende Workflows verhindern durchgängige Datenflüsse, moderne Technologien wie KI kommen nur punktuell oder überhaupt nicht zum Einsatz. Vorhandenes Potenzial für Effizienzsteigerungen bleibt auf diese Weise ungenutzt.
Was Operational Excellence ausmacht
Das Potenzial ist da. Mit einem modernen Operational-Excellence-Ansatz lässt es sich ausschöpfen. Schließlich wird der Kreditprozess nicht länger aus der Perspektive der Organisation und Bereiche, sondern vielmehr entlang des Kundennutzens und des Finanzierungsbedarfs gedacht. Operational Excellence setzt außerdem harmonisierte Datenflüsse voraus. Diese sind im Wholesale Banking häufig nicht vorhanden. Die Folge: Daten werden manuell übertragen und somit mehrfach redundant erfasst. Bleibt ein Kreditantrag beispielsweise länger liegen, lässt sich für Führungskräfte nicht nachvollziehen, was die Ursache dafür ist. Erst mit adäquaten Workflow-Lösungen werden Abläufe mess- und damit steuerbar. In Kombination mit klaren Prozessverantwortlichkeiten, einem End-to-End-Verständnis und dem systematischen Einsatz technischer Lösungen können Banken eine skalierbare Exzellenz schaffen. Das kann ihre Effizienz verbessern, lässt sie kundenorientierter agieren und macht sie wettbewerbsfähiger.
Die Banken in Deutschland wissen bereits um das Optimierungspotenzial im Wholesale-Kreditgeschäft. Doch es gibt noch Nachholbedarf. Das hat mehrere Gründe. Erstens sind die Finanzinstitute noch immer überwiegend nach Funktionen organisiert und die Ziele, die Führungskräfte mit den Mitarbeitern vereinbaren, fokussieren sich auf das jeweilige Aufgabengebiet. Das begünstigt ein Silodenken und verhindert einen Blick über den Tellerrand. Zweitens sind die Beschäftigten aufgrund von regulatorischen Anforderungen und einer Vielzahl manueller Arbeitsschritte ohnehin sehr stark ausgelastet. Das führt dazu, dass bestehende Prozesse und Strukturen nicht hinterfragt werden.
Drittens erschwert die bestehende IT große Veränderungen: Banken arbeiten mit teilweise Jahrzehnte alter IT-Architekturen, in die zwar laufend weitere Anwendungen eingebunden wurden, aber alte Anwendungen wurden selten abgelöst. Mittlerweile sind die technologischen Möglichkeiten durch innovative Workflow-Tools, kombiniert mit KI-Anwendungen, in der Lage, auch die komplexen Abläufe im Wholesale Banking zu automatisieren. Viertens ist der Mut für radikale, disruptive Änderungen sehr häufig nicht vorhanden, da diese meist mit hohen Investitionen aber auch einem „Change in Mind“ beim den End-to-End-Prozess einhergehen. Und fünftens bestand lange keine Notwendigkeit: Banken haben das Effizienzpotenzial bisher nicht erschlossen, weil sie mit ihren bisherigen Systemen, Strukturen und Prozessen noch erfolgreich wirtschaften konnten.
Wer nicht handelt, verliert den Anschluss
Bislang sahen die Institute also nur einen geringen Anlass zum Handeln. Doch nun wächst die Notwendigkeit zur Transformation. Einerseits macht sich der demografische Wandel bei Banken immer stärker bemerkbar. Viele Mitarbeiter sind Mitte 50 oder älter, sodass der (Vor-)Ruhestand näher rückt. Da die Personalkapazitäten in den letzten Jahren ohnehin stark ausgedünnt wurden, bedeutet der bevorstehende Renteneintritt auch einen Verlust von wertvollem Know-how rund um Systeme und Prozesse. Andererseits erwarten junge Mitarbeitende eine hohe Attraktivität des Arbeitsplatzes, die die Nutzung von KI und moderner Technologie einschließt. Mittlerweile gibt es aber bereits zahlreiche Initiativen in Banken, auch das komplexe Wholesale-Kreditgeschäft durch fokussierte Standardisierung der Prozesse, Einsatz von Workflows und Modularisierung einzelner Komponenten effizienter zu gestalten.
Ein weiterer Druckpunkt ist Künstliche Intelligenz, die insbesondere auch im komplexen Kreditgeschäft viele Einsatzmöglichkeiten bietet. Doch um ihren Nutzen zu erschließen, braucht es eine leistungsfähige IT-Infrastruktur und ein modernes Datenmanagement. Ein Institut, das Systeme, Strukturen und Prozesse jetzt nicht modernisiert, wird ins Hintertreffen geraten und mittelfristig den Anschluss an die Wettbewerber verlieren. Denn KI-Agenten entfalten ihre ganze Wirkung erst bei gut integrierten Prozessen und Daten.
Stellschrauben für Exzellenz
Die entscheidende Frage lautet also nicht, ob Handlungsbedarf besteht, sondern wie Banken ihn am besten angehen. Um Stückwerk zu vermeiden und eine spürbare Verbesserung zu erreichen, brauchen die Institute zunächst eine ganzheitliche Vision. Ein weiterer entscheidender Erfolgsfaktor sind die Führungskräfte. Sie müssen den Transformationsprozess anstoßen und entschlossen vorantreiben. Doch anders als die nachrückenden jungen Mitarbeitenden im Kreditprozess, die neue Technologien und moderne Prozesse und Arbeitsplätze erwarten, sind die meist älteren Vorgesetzten häufig noch sehr zurückhaltend. Über klar formulierte Ziele und Ambitionsniveaus kann die Motivation für die Transformation Top-Down durch das Management verstärkt werden. Das können beispielsweise Effizienz-KPIs wie geringere Prozesszeiten, Reduktion redundanter Datenerfassung oder aber die Umsetzung erster KI-Use-Cases als „Leuchttürme“ sein, die direkt die Arbeit für die Mitarbeitenden vereinfacht und mit Technologie unterstützt. Gerade durch den Einsatz von KI-Agenten können im Kreditprozess zahlreiche aufwändige und zeitraubende Tätigkeiten vereinfacht oder automatisiert werden. Sei es durch die Zusammenfassung von Informationen aus umfangreichen Dokumenten, der Analyse und Auswertung von Financial Statements und deren Aggregation zu seiner Vorab-Krediteinschätzung bis hin zur Analyse und Plausibilisierung von Immobilien-Informationen. Aufgrund der teilweise mehrjährigen Dauer von umfassenden Transformationsprojekten ist es wichtig, sukzessive positive, spürbare Prozessverbesserungen durch prozessuale Veränderungen (Dinge einfach anders machen, weglassen, reduzieren!) bzw. durch den Einsatz von KI erste Erfolgserlebnisse für die Mitarbeiter erlebbar zu machen.
Typischerweise können solche Transformationen stufenweise entwickelt werden: Zunächst wird ein Minimum Viable Product (MVP) definiert, das in weiteren Iterationsstufen verfeinert und um weitere Funktionen erweitert wird. Ein solch agiles Vorgehen lässt sich auf die Neugestaltung von Strukturen und Prozessen übertragen. Auch hier empfiehlt es sich, zunächst eine Kundengruppe oder ein Produkt im Wholesale Banking herauszusuchen und es ebenfalls in Schritten zu modernisieren. Dieses Vorgehen soll gewährleisten, dass die Bank als Ganzes arbeitsfähig bleibt, und kann Komplexität sowie Risiken reduzieren. Zudem bietet es den Vorteil, dass alle Beteiligten wertvolle Erfahrungen sammeln, die dann direkt in das nächste Modernisierungsvorhaben einfließen können. Darüber hinaus lassen sich so immer wieder kleine Erfolge feiern, was Lust auf die nächsten Schritte macht.
Die Automobilproduktion läuft nur dann reibungslos und effizient, wenn jede Baugruppe zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist und alle Mitarbeiter am Fließband nahtlos ineinandergreifen. Gleiches gilt für Banken: Sie werden ihr Wholesale-Kreditgeschäft nur dann zukunftsfähig und effizient aufstellen können, wenn sie jetzt ganzheitlich die Prozesse und Organisation optimieren, die Möglichkeiten der Technologie- und Datennutzung in den Prozessen verankern und die Mitarbeitenden auf die „Reise in die Zukunft des Kreditgeschäfts“ mitnehmen.



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