Marode Infrastruktur
– das unsichtbare Nadelöhr der Wirtschaft
Europa steht für Verlässlichkeit und dichte Netze, sei es in der Energieversorgung, im Transport oder in der Industrieproduktion. Doch unter der Oberfläche zeigen sich Risse, die das Fundament der Lieferketten bedrohen. Eine veraltete Infrastruktur, wie beispielsweise beschädigte Brücken, überlastete Energie- und Digitalnetze, beschädigte Straßen oder Staus in Häfen, bringt logistische Abläufe zunehmend ins Wanken. Dabei sind es nicht abstrakte Risiken, sondern konkrete Disruptionen, die Unternehmen tagtäglich treffen. Und die Folgen reichen weit in die Wertschöpfung hinein.
Unternehmen sollten sich verstärkt auf die Risiken in der Lieferkette vorbereiten, denn die Last auf die angeschlagene Infrastruktur steigt stetig und Lösungen für die Engpässe dauern teilweise Jahre. Firmen, die Teil einer Lieferkette sind oder auf bestimmte Bereiche der Infrastruktur Europas angewiesen sind, sollten immer einen Plan B parat haben, um bei einem Engpass oder einer Panne in der Lieferketten-Infrastruktur schnell auf eine Alternative zurückgreifen zu können. Dafür braucht es aber detailliertes Wissen über die gesamte Lieferkette.
Unternehmen in Europa und auf der ganzen Welt arbeiten am Limit der Belastbarkeit der Infrastruktur. Es ist viel weniger die Frage, ob ein Vorfall die Lieferkette stört, sondern vielmehr wann und wo. Marode Infrastrukturen müssen nicht lange gesucht werden. Wenige Beispiele zeigen auf welchem wackligen Fundament die Wirtschaft operiert:
Ein Blick nach Rotterdam, Antwerpen oder Hamburg zeigt die Dimension des Lieferkettenproblems auf dem Wasser, denn die größten Seehäfen Europas erreichen ihre Kapazitätsgrenzen. Im Frühjahr 2025 wartet ein Binnenschiff im Schnitt 66 Stunden in Antwerpen und 77 Stunden in Rotterdam, bis es Container laden kann. Ursache sind gestreute Handelsrouten sowie niedrige Pegelstände des Rheins, die das Laden von Gütern massiv verzögern. Für produzierende Betriebe, die sich auf Just-in-Time-Lieferungen verlassen, sind solche Verzögerungen hochriskant. Produktionslinien geraten ins Stocken, Lagerbestände reichen nicht aus, um die Wartezeiten aufzufangen, und Kundenaufträge verschieben sich. Was nach einem logistischen Detail klingt, wird schnell zum Dominoeffekt mit internationaler Tragweite.
Noch unmittelbarer spürbar sind Stromausfälle. Fast die Hälfte der europäischen Hochspannungsleitungen ist älter als vier Jahrzehnte. Der Europäische Rechnungshof bestätigt, dass etwa 40 % der Verteilernetze in Deutschland älter als 40 Jahre sind. Im April 2025 zeigte sich die Dramatik, als überlastete Umspannwerke in Spanien und Portugal zu einem flächendeckenden Blackout führten. Innerhalb weniger Minuten standen ganze Industrien still. In der Chemieproduktion mussten Kühlprozesse unterbrochen werden, in der Lebensmittelbranche drohten Verluste durch verdorbene Ware. Oft lassen sich Produktionsanlagen nach einem Blackout nicht sofort wieder hochfahren, was die Lage zusätzlich verschärft. Für Lieferketten bedeutet ein solcher Ausfall nicht nur einen zeitlichen Verzug und ein damit einhergehender wirtschaftlicher Schaden, sondern auch den Verlust von Verlässlichkeit, der sich in langfristigen Geschäftsbeziehungen negativ niederschlägt.
Auch die Straßeninfrastruktur zeigt Schwächen. Der Hitzesommer 2025 ließ Asphalt aufbrechen und Betonplatten verformen. Für Transportunternehmen bedeutet das steigende Fahrzeugschäden, zusätzliche Wartungskosten und häufigere Ausfälle. Zudem steht die Transit- und Exportnation Deutschland exemplarisch für den Sanierungsstau im Brückenbau. Rund 16.000 Brücken gelten als dringend sanierungsbedürftig. Sperrungen und Baustellen führen zu kilometerlangen Umleitungen, verlängern Lieferzeiten und treiben die Transportkosten in die Höhe. Für Unternehmen, deren Lieferketten auf schnelle Straßenverbindungen angewiesen sind, wird dies zu einem strukturellen Risiko.
Darüber hinaus setzt die Wirtschaft immer stärker auf digitale Plattformen, Echtzeit-Tracking und automatisierte Logistik. Auch hier hinkt die Infrastruktur vieler Regionen hinterher. Oft sind Glasfaserleitungen Jahrzehnte alt oder gar nicht flächendeckend vorhanden. Logistikunternehmen beklagen sich über “black holes” im Mobilfunknetz, in denen GPS-Daten verloren gehen oder Echtzeitbenachrichtigungen beim Transport nicht ankommen. Diese Informationslücken führen zu Verzögerungen, falschen Dispositionen und Verlusten.
Von der Störung zur Kettenreaktion
Die Beispiele verdeutlichen, dass die Auswirkungen auf Lieferketten vielfältig sind. Verzögerungen an Häfen und Brücken, Stromausfälle oder schwache digitale Infrastrukturen wirken wie einzelne Dominosteine. Sobald einer fällt, geraten andere ins Wanken. Verstärkt wird dieses Risiko vermehrt durch klimabedingte Schäden, welche die Infrastruktur der Lieferketten zusätzlich und immer öfter bedrohen. Besonders gefährlich sind die Kettenreaktionen: Ein Hafenstau in Antwerpen kann Engpässe in deutschen Werken auslösen, ein Stromausfall in Spanien kann Liefertermine in Frankreich verschieben, und eine beschädigte Brücke auf einer Transitroute durch Deutschland kann Lieferzeiten auf Wochen verzögern.
Die Risikodynamik in den Lieferketten bedeutet auch, dass Unternehmen längst nicht mehr nur auf einzelne Schwachstellen achten sollten. Vielmehr müssen sie komplexe Risikocluster in ihrer Lieferkette erkennen und antizipieren, bevor sie die gesamte Wertschöpfung bedrohen oder gar lahmlegen.
Transparenz senkt das Lieferkettenrisiko:
Genau an dieser Stelle setzen digitale Lösungen für Risikomanagement an. Werkzeuge, die speziell auf die Komplexität moderner Lieferketten zugeschnitten sind, geben Unternehmen tiefe Einblicke in Ihre Lieferkette und ermöglichen die Überwachung in Echtzeit. Derartige Lösungen beheben zudem ein weiteres Problem: Eine weitere Studie verdeutlicht, dass für die meisten Unternehmen das detaillierte Wissen über die Zusammenarbeit in einem Lieferantennetzwerk üblicherweise bei den Tier-1-Lieferanten endet. Der Grund dafür ist, dass viele Tier-1-Lieferanten ihre Lieferantenbeziehungen nicht offenlegen. Damit ist für Unternehmen keine durchgehende Transparenz über ihre gesamte Lieferkette möglich. Dies schränkt maßgeblich die Fähigkeit ein, Probleme in der Lieferkette oder Lieferantenausfälle frühzeitig zu erkennen rechtzeitig zu reagieren. Da gleichzeitig 85 Prozent der Risiken und kritischen Vorfälle bei Tier-2- bis Tier-4-Lieferanten auftreten, werden N-Tier-Lösungen zu einer strategischen und operativen Notwendigkeit.
Besonders entscheidend ist daher die Fähigkeit, Risiken tief in der Lieferkette zu identifizieren. Frühwarnsysteme zeigen an, wenn sich ein Hafen staut, eine Brücke gesperrt wird oder ein Extremwetterereignis droht. Unternehmen sind dadurch in der Lage, rechtzeitig zu reagieren, alternative Lieferanten einzubinden oder Transporte umzuleiten, bevor es zu gravierenden Ausfällen kommt.
Dass Handlungsbedarf besteht, zeigt eine weitere Zahl: 26 Prozent der Unternehmen setzen nach wie vor auf manuelle Risikobewertungen. Angesichts der Komplexität heutiger Netzwerke ist dies ein Anachronismus, der zu verspäteten oder fehlerhaften Entscheidungen führen kann.
Infrastruktur modernisieren, Risiken digital managen
Die Lehre aus der Ist-Situation ist eindeutig: Die veraltete Infrastruktur in Europa und darüber hinaus ist längst nicht mehr nur ein Ärgernis im Alltag, sondern ein systemisches Risiko für Lieferketten. Während die Modernisierung physischer Netze, Straßen und Anlagen Zeit braucht, können digitale Lösungen sofort helfen. Frühwarnsysteme, Szenarioplanung und N-Tier-Transparenz schaffen die Grundlage, Risiken aktiv zu managen.
Europas Lieferketten können nur so stabil sein wie das schwächste Glied in der Infrastruktur. Solange Brücken bröckeln, Straßen aufreißen und Netze zusammenbrechen, bleibt jede Lieferung anfällig. Doch durch systematisches Risikomanagement mit den richtigen Werkzeugen lässt sich die Verwundbarkeit maßgeblich reduzieren – bis die physische Modernisierung Schritt hält.



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