Digitale Kundenbindung ohne Abhängigkeit von Drittplattformen
Wie Handelsunternehmen ihre Datenhoheit sichern und Kundenbeziehungen stärken
Personalisierte Kundenansprache wird heute immer mehr zum entscheidenden Wettbewerbsvorteil geworden und dabei rückt ein Thema zunehmend in den Fokus: die Datenhoheit. Wer Kundendaten besitzt und kontrolliert, beherrscht sowohl das digitale Kundenbeziehungsmanagement als auch die Grundlage für langfristige Markenbindung und wirtschaftliche Unabhängigkeit. Also wie gelingt es Handelsunternehmen, digitale Kundenbeziehungen zu stärken, ohne dabei in eine Abhängigkeit von Drittplattformen zu geraten?
Die zentrale Rolle der First-Party-Daten
First-Party-Daten, also direkt vom Kunden erhobene Informationen über Käufe, Interaktionen und Präferenzen, gelten inzwischen als das wertvollste Asset für den Handel. Dieses Potenzial entfaltet sich jedoch nur dann vollständig, wenn Händler eine eigene Customer Data Platform aufbauen und betreiben, losgelöst von externen Loyalitätsprogrammen oder Plattformen. Eine solche zentrale Instanz gibt nicht nur die nötige Flexibilität in der Datenverwertung, sondern verhindert auch die Fragmentierung der Kundensicht über verschiedene Systeme hinweg. Im besten Fall dient sie als Herzstück einer agilen, unternehmenseigenen Systemlandschaft, in der alle digitalen Touchpoints orchestriert werden.
Ein weiterer Aspekt, der die Bedeutung von Datenhoheit unterstreicht, ist die zunehmende Bedeutung der Customer Experience. Kunden erwarten heute reibungslose, personalisierte und konsistente Erlebnisse – kanalübergreifend und in Echtzeit. Handelsunternehmen, die über eigene Daten verfügen und diese zentral auswerten, können Kundenerlebnisse gezielt steuern und verbessern. Ein Beispiel: Ein Bio-Supermarkt mit regionalem Fokus nutzt Echtzeitdaten aus seiner App, um personalisierte Rabattangebote auf bevorzugte Produkte direkt beim Betreten der Filiale auszuspielen – basierend auf früheren Einkäufen, Tageszeit und Standort. Diese Form der Hyperpersonalisierung wäre ohne Datenhoheit und direkten Kundenzugang über eigene Kanäle nicht möglich.
SaaS-Lösungen mit klaren Daten-Grenzen einsetzen
Gleichzeitig sind externe Softwarelösungen, insbesondere im Bereich Loyalty oder Marketing Automation, aus dem Alltag moderner Handelsunternehmen kaum wegzudenken. Ihre Vorteile von kurzen Implementierungszyklen über erprobte Funktionalitäten bis hin zu laufenden Innovationen sind offensichtlich. Doch genau hier gilt es, strategische Weitsicht zu beweisen. Die Integration solcher Lösungen darf nicht mit der Preisgabe der Datenhoheit einhergehen. Stattdessen sollten SaaS-Systeme so angebunden werden, dass sie definierte Aufgaben erfüllen, ohne direkten Zugriff auf Rohdaten zu erhalten. Anonymisierte Übergaben, klar umrissene Nutzungsszenarien und eine Architektur, die jederzeit einen Anbieterwechsel erlaubt, sorgen für Datensouveränität und verhindern den gefürchteten Vendor Lock-in.
Eigene Kanäle als strategisches Fundament
Ein weiterer zentraler Aspekt ist die Kontrolle über die digitalen Schnittstellen zum Kunden. Mobile Apps, Kundenportale oder Self-Service-Terminals sind Ausdruck der direkten Beziehung zwischen Händler und Kunde. Umso wichtiger ist es, dass diese Interfaces dem Händler gehören, sowohl technisch als auch rechtlich. Wer hier auf Lösungen setzt, die von Agenturen oder externen Plattformbetreibern kontrolliert werden, riskiert nicht nur Innovationsfähigkeit und Flexibilität, sondern auch einen strategischen Kontrollverlust. Eigene Kanäle sichern die Hoheit über Nutzererfahrung, Roadmap und Weiterentwicklung und machen den Händler unabhängig von den Strategien Dritter.
Auch regulatorisch verschafft die eigene Datenhaltung Vorteile. Mit der fortschreitenden Datenschutzgesetzgebung – etwa durch die DSGVO oder den Digital Markets Act – stehen Unternehmen unter wachsendem Druck, Transparenz über ihre Datennutzung zu schaffen. Wer seine Daten nicht selbst verwaltet, sondern auf Drittanbieter angewiesen ist, läuft Gefahr, Kontroll- und Nachweispflichten nicht ausreichend erfüllen zu können. Ein großer Non-Food-Händler aus Deutschland hat deshalb alle Kundendaten aus Plattformlösungen zurückgeführt und ein internes Data-Governance-Board eingeführt. Dieses Gremium verantwortet nicht nur die Compliance, sondern entwickelt auch ethische Leitlinien für den Umgang mit Kundendaten – ein Beispiel für unternehmerische Weitsicht in einer zunehmend regulierten digitalen Welt.
Technologische Unabhängigkeit durch internes Enablement
Technologische Unabhängigkeit lässt sich jedoch nicht allein durch Ownership erreichen. Sie erfordert auch internes Enablement. Das bedeutet, dass Händler in der Lage sein sollten, ihre Plattform perspektivisch eigenständig zu betreuen. Externe Partner spielen dabei weiterhin eine zentrale Rolle als Entwickler, Innovationspartner und Berater. Entscheidend ist jedoch, dass der Wissenstransfer konsequent organisiert und dokumentiert wird, sodass keine dauerhafte Abhängigkeit entsteht. Nur so lässt sich eine Systemlandschaft aufbauen, in der zentrale Assets wie Daten, Schnittstellen und Anwendungen in unternehmenseigener Hand bleiben.
Best of Breed statt monolithischer Systeme
Ein besonders vielversprechender technologischer Ansatz, um diese Ziele zu erreichen, ist der sogenannte Best-of-Breed-Ansatz. Anstatt auf ein monolithisches System zu setzen, wählen Unternehmen hier für jede Funktion wie Loyalty, Marketing Automation, CRM oder Analytics die jeweils beste spezialisierte Lösung. Diese Einzeltools kommunizieren über standardisierte Schnittstellen wie REST-APIs oder Event-getriebene Architekturen miteinander. Das Ergebnis ist ein flexibles, modular aufgebautes System, das nicht nur aktuelle Anforderungen erfüllt, sondern sich auch laufend weiterentwickeln lässt. Headless-Architekturen und Microservices ermöglichen es dabei, Frontend, Business-Logik und Datenhaltung klar voneinander zu trennen mit dem Ziel, unabhängig von einzelnen Anbietern oder Technologiestapeln zu bleiben.
Besonders spannend wird die Datenhoheit, wenn Händler mit Predictive Services arbeiten – also Services, die auf Vorhersagen basieren. Ein Möbelhändler, der sowohl stationär als auch online aktiv ist, nutzt First-Party-Daten, um die nächste Kontaktaufnahme mit dem Kunden vorauszusagen: Hat ein Kunde beispielsweise ein Sofa gekauft, erhält er Monate später automatisch Tipps zur Pflege, ergänzt um passende Upselling-Angebote wie Sofadecken oder Reinigungssets. Diese intelligente Orchestrierung über E-Mail, App und In-Store-Display basiert vollständig auf unternehmenseigener Dateninfrastruktur. Die Datenhoheit erlaubt es, Services und Inhalte dynamisch zu personalisieren und so die Kundenbindung langfristig zu erhöhen.
Praxisbeispiel: Digitale Souveränität im Handel
Ein anschauliches Praxisbeispiel zeigt, wie ein solcher Ansatz konkret aussehen kann. Ein Handelsunternehmen setzt auf eine eigene Customer Data Platform auf Basis von Snowflake zur zentralen Datenhaltung. Das Loyalty-Programm wird über eine spezialisierte SaaS-Lösung betrieben, die lediglich auf aggregierte Punktewerte und Kundenlevel zugreifen kann. Die mobile App wurde gemeinsam mit einer Digitalagentur entwickelt, läuft jedoch vollständig unter Kontrolle des Händlers und verfügt über eine eigene API. Für die Marketingautomatisierung kommt eine weitere spezialisierte Lösung zum Einsatz, die über Webhooks und Segmentierungslogik mit der CDP kommuniziert. Das Ergebnis ist ein hochgradig flexibles Setup, das es dem Händler erlaubt, jeden Bestandteil bei Bedarf auszutauschen, ohne die Kundendaten zu verlieren oder die Nutzererfahrung zu beeinträchtigen.
Datensouveränität ist eine unternehmerische Entscheidung
Dieses Beispiel verdeutlicht, dass es möglich ist, digitale Kundenbindung konsequent auf eigenen Systemen und Kanälen aufzubauen, ohne dabei auf den Komfort externer Lösungen zu verzichten. Entscheidend ist die technologische und organisatorische Architektur und der Wille, sich als datengetriebenes Unternehmen zu positionieren, das Kundenbeziehungen nicht aus der Hand gibt, sondern strategisch selbst gestaltet. Heute versuchen Plattformanbieter, große Tech-Konzerne und Datenbroker, den Zugang zum Kunden zu monopolisieren und dies ist nicht nur eine technische, sondern vor allem eine unternehmerische Entscheidung. Wer Kundendaten selbst besitzt, bleibt handlungsfähig, innovativ und wettbewerbsfähig – sowohl heute als auch in Zukunft.
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