Der Wettlauf ins All: Kann die EU aufholen?

Europa rüstet auf – nicht nur militärisch, sondern auch im All. Angesichts geopolitischer Spannungen und wachsender Abhängigkeiten drängt die EU auf mehr Raumfahrt-Souveränität, denn auch die europäische Raumfahrtindustrie muss sich den neuen geopolitischen Herausforderungen stellen. Der Übergang von der friedlichen Forschung zur europäischen Sicherheit ist notwendig, aber komplex. IRIS², Europas Antwort auf globale Satellitennetzwerke, soll bis 2030 einsatzbereit sein. Doch langsame Entscheidungsprozesse und hohe Komplexität bremsen den Fortschritt. Handlungsfähigkeit erfordert Tempo, Zusammenarbeit und Cybersicherheitsinvestitionen.
Von   Mathieu Bailly   |  Direktor   |  CYSAT
23. Juni 2025

Der Wettlauf ins All: Kann die EU aufholen?

 

Die europäische Raumfahrtindustrie muss sich den neuen geopolitischen Herausforderungen stellen. Der Übergang von der friedlichen Forschung zur europäischen Sicherheit ist notwendig, aber komplex.

Während sich die geopolitischen Winde drehen, bringt das aufgestockte Verteidigungsbudget Schwung in den europäischen Raumfahrtsektor. Denn die Raumfahrt hat sich zu einem zentralen Schauplatz globaler Sicherheitsfragen entwickelt, und die Kontrolle über den Weltraum ist längst nicht mehr nur ein technologischer Vorteil, sondern eine sicherheitspolitische Notwendigkeit. Aus diesem Grund ist der Weltraum ein entscheidender Schauplatz für Europas Verteidigungsstrategie: Das am 19. März von der Europäischen Kommission veröffentlichte Whitepaper über die Verteidigungsbereitschaft Europas bis 2030 („Readyness 2030“) ist eine Reaktion auf mögliche künftige „Konfrontationen“ mit Russland und erkennt den Weltraum als kritischen Sektor an.

Die Notwendigkeit von Investitionen in die Raumfahrt ist in Europa mittlerweile unumstritten. Die Stärkung der europäischen Weltraumautonomie und der Schutz strategischer Infrastrukturen sind von entscheidender Bedeutung für die Zukunft des Kontinents. Verfügt Europa über die notwendigen Ressourcen, um diese Souveränität zu gewährleisten, oder sind unsere globalen Abhängigkeiten bereits zu groß?

 

Weltraum im Wandel: Abschied von der Allianz

Die Weltraumforschung beruhte lange Zeit auf internationaler Zusammenarbeit, wobei Europa für einen Großteil seiner Weltraumprodukte und -dienstleistungen von den USA, China und Russland abhängig blieb. Amerikanische Technologien und Satelliten galten lange Zeit als verlässliche Grundlage für europäische Weltraumaktivitäten. Doch nun weht ein anderer Wind: Die politischen Veränderungen in den USA und der wachsende Einfluss privater US-Technologieunternehmen haben diese Stabilität weitgehend erschüttert. Europäische Staats- und Regierungschefs betonten bereits mehrfach, dass die USA nicht mehr uneingeschränkt als verlässlicher Partner angesehen werden können – und in einigen Bereichen sogar zu einem geopolitischen Rivalen werden könnten. Das geopolitische Umfeld hat sich grundlegend verändert, was die EU-Staaten dazu treibt, ihre Verteidigungsausgaben deutlich zu erhöhen. Angesichts der zunehmenden Verknüpfung von Raumfahrt mit Verteidigungsfragen muss Europa auch hier dringend eigene Kapazitäten aufbauen – und zwar schnell. Im Zentrum dieser Herausforderung steht die Souveränität.

 

Europas Achillesferse im All: Die Abhängigkeit

Mehr als 7.500 aktive Satelliten umkreisen die Erde und sind aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Der Weltraum bildet das unsichtbare Rückgrat der digitalen Welt: Vom Bankwesen über die Energieversorgung bis hin zu Verkehr und Logistik – moderne Gesellschaften wären ohne weltraumgestützte Systeme nicht funktionsfähig.

Die Entwicklung eigener Raumfahrttechnologien hat Europa in einigen Bereichen bereits unabhängig gemacht. Ein Beispiel ist die Entwicklung eines eigenen Satellitennavigationssystems, Galileo. Jahrzehntelang war Europa auf das US-amerikanische GPS-System angewiesen, heute verfügt Europa über ein eigenes globales Navigationssystem, das GPS an Genauigkeit sogar übertrifft. Anders sieht es bei der Satellitenkommunikation aus: Hier bleibt die Abhängigkeit von außereuropäischen Anbietern bestehen. Besonders kritisch ist die Rolle eines dominanten US-amerikanischen Anbieters, der mit seiner großen Anzahl an Satelliten derzeit den Weltmarkt dominiert. Immer mehr europäische Bürger und Regierungen greifen auf diese Technologie zurück, da diese aktuell schneller, zuverlässiger und kostengünstiger als die meisten Alternativen ist.

Doch Europas Abhängigkeit ist auch in anderen Bereichen offensichtlich: Trotz europäischer Anstrengungen und Innovationen von New-Space-Akteuren sind wir bei Satellitenstarts oder geheimdienstlichen Aktivitäten immer noch stark von den Vereinigten Staaten abhängig. Die Abhängigkeit von der Infrastruktur Dritter wirft ernste Fragen der Cybersicherheit auf. Wer kontrolliert Satellitendaten, insbesondere Überwachungsdaten? Kriege werden heutzutage auch im Weltraum geführt, insbesondere durch Cyberangriffe auf Satelliten und Weltraumsysteme (DDoS-Angriffe, Hackerangriffe, Datenlecks und vieles mehr). Diese Angriffe nehmen zu, und Europa muss sich dieser neuen Realität stellen. Weltraumgestützte Technologien sind attraktive Ziele für Cyber-Angriffe geworden. Diese Entwicklung unterstreicht die Notwendigkeit und Dringlichkeit von Sicherheit und Souveränität im Weltraum für Europa. Politische Annäherungen zwischen den USA und Russland verschärfen diese Situation zusätzlich.

Deshalb will die EU mit sieben Milliarden Euro Steuergeldern eine wettbewerbsfähige Alternative zu bestehenden ausländischen Satellitensystemen aufbauen – mit dem Ziel, sich aus der Abhängigkeit von Dritten zu befreien.

 

Ist IRIS² die Lösung?

Europa ist sich bewusst, dass es seine Präsenz im Weltraum deutlich verstärken muss. Die europäische Satellitenkonstellation IRIS², die bis 2030 einsatzbereit sein soll und Teil einer Gesamtstrategie der ESA bis 2040 ist, soll eine autonome Infrastruktur gewährleisten.

Das aus insgesamt 290 Satelliten bestehende System soll strategische Funktionen wie quantensichere Kommunikation ermöglichen, um sensible Daten zu schützen. Zudem soll es kommerzielle Dienste wie Telekommunikation, Navigation und Internetzugang bereitstellen. Ein weiterer Bestandteil sind Regierungsdienste für sichere Kommunikation in Krisenzeiten oder bei militärischen Einsätzen. Die Koordination eines europäischen Konsortiums ist jedoch herausfordernd, da Europa im Gegensatz zu zentralisierten Unternehmen auf einen integrativen und konsensorientierten Ansatz setzt. Gleichzeitig bleibt europäische Zusammenarbeit ein entscheidender Faktor für Souveränität und Sicherheit. Die Koordination des für IRIS² verantwortlichen Industriekonsortiums ist komplex, da verschiedene Satellitenbetreiber, große Luft- und Raumfahrtunternehmen und Telekommunikationsdienstleister beteiligt sind. Die Zusammenarbeit muss technische, sicherheitsrelevante und finanzielle Bedingungen berücksichtigen.

Die Europäische Kommission hat das Projekt definiert und finanziert. Die nächsten Schritte sind geplant, aber noch mit Unsicherheiten verbunden. Europa muss schneller und flexibler werden, um nicht den Anschluss zu verlieren.

 

Anbruch des goldenen Zeitalters von New Space?

Europa muss Weltraumsouveränität erlangen, um seine Interessen zu wahren. Gemeinsame Strategien und Investitionen in die Cybersicherheit sind unerlässlich. Eine robuste und unabhängige europäische Weltrauminfrastruktur ist der einzige Weg, um langfristig handlungsfähig zu bleiben.

Die Privatwirtschaft ist essenziell für diese Herausforderungen. Große Konzerne verfügen zwar über Ressourcen und Kompetenzen, sind aber oft zu unflexibel. New-Space-Unternehmen hingegen sind agiler und werden zunehmend wichtiger für Europas Raumfahrtambitionen.

 

Mathieu Bailly leitet die Raumfahrtaktivitäten bei CYSEC, einem Datensicherheitsunternehmen mit Sitz in der Schweiz. Mathieu Bailly hat einen Doktortitel in Materialwissenschaften und hat seine gesamte Karriere in der Raumfahrtindustrie in Positionen der Geschäftsentwicklung und des Vertriebs verbracht.

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