Zero Impact Products: Strategisch und ganzheitlich klimafreundliche Produkte entwickeln

Mit der Entwicklung von Produkten ohne Umweltauswirkungen können Unternehmen wertvolle Ressourcen schonen und zu einer nachhaltigen Zukunft beitragen. Sie sind allein aus Emissionssicht notwendig und stellen gleichzeitig einen klaren Business Case dar. Voraussetzung für Zero Impact Products ist die Transition des Materialsystems.
Von   Alexander Appel   |  Manager im Bereich Sustainability & Mobility Transformation   |  Management- und IT-Beratung MHP
3. Januar 2025

Zero Impact Products: Strategisch und ganzheitlich klimafreundliche Produkte entwickeln

 

Mit der Entwicklung von Produkten ohne Umweltauswirkungen können Unternehmen wertvolle Ressourcen schonen und zu einer nachhaltigen Zukunft beitragen. Sie sind allein aus Emissionssicht notwendig und stellen gleichzeitig einen klaren Business Case dar. Voraussetzung für Zero Impact Products ist die Transition des Materialsystems.

 

Industrieunternehmen tragen erheblich zu den steigenden CO2-Emissionen bei. Die negativen Auswirkungen werden dabei immer offensichtlicher. Umso wichtiger ist ein Umdenken in der Produktion. Unternehmen müssen tiefgreifende Änderungen im gesamten Operation Model vornehmen. Bisher berücksichtigen allerdings nur 25 Prozent frühzeitig Umweltziele im Entscheidungsprozess – das ist angesichts der gemeinsamen Verantwortung zur Dekarbonisierung deutlich zu wenig.1

Das Gute: Bereits einfache Entscheidungen können sich lohnen. 85 Prozent der Umweltauswirkungen werden durch die Produkte und ihre Lebenszyklen beeinflusst. So stellt die Produktentwicklung die Weichen dafür, ob sich Fabrikate später leicht reparieren und recyceln lassen. Außerdem erreichen 71 Prozent der Unternehmen, die Wert auf ein nachhaltiges Produktdesign legen, ihre ganzheitlichen Nachhaltigkeitsziele schneller.1 Die Transformation zur Nachhaltigkeit verbessert zudem den Ruf eines Unternehmens unter Arbeitnehmer:innen, Verbraucher:innen und Investor:innen. Sie empfinden die Transformation zu Zero Impact Products als sinnstiftend, sind zunehmend bereit, mehr für Waren mit einem geringeren Fußabdruck zu bezahlen, und setzen auf zukunftsorientierte und nachhaltige Anlagestrategien.

 

Bedeutung von Daten für die Produktentwicklung

Damit Unternehmen sinnvolle Entscheidungen treffen können, müssen sie eine geeignete Grundlage schaffen: Nur mit Daten können Umweltauswirkungen von Produkten in verschiedenen Ökosystemen und Dimensionen bewertet werden. Beispielsweise lässt sich der CO2-Fußabdruck eines Produkts von der Entwicklung über die Herstellung und Nutzung bis hin zum End of Life erfassen. Szenarioanalysen ermöglichen außerdem, Auswirkungen einzelner Maßnahmen im Produktlebenszyklus in Hinblick auf Kosten und CO2-Emmissionen systematisch zu erfassen und zu vergleichen.

Das Stichwort ist hier Lifecycle Assessment. Dahinter verbirgt sich eine standardisierte Methode, die ISO-Norm, die den gesamten Lebenszyklus betrachtet – bis das Produkt das Werkstor verlässt („Cradle-to-Cradle“ bzw. „Cradle-to-Gate“). In der Summe helfen Lifecycle Assessments sowie die Berechnung von Product Environmental Footprints (PEF) und Product Carbon Footprints (PCF) zur Betrachtung von Scope-3-Emissionen dabei, Hotspots in den Umweltauswirkungen zu erkennen und gezielte Maßnahmen zur Optimierung beziehungsweise Eliminierung der negativen Umweltauswirkungen zu finden. Somit können schnell die großen Hebel zur Optimierung identifiziert und Maßnahmen zur Erreichung von Quick-Wins eingeleitet werden.

Wichtig bei all dem ist, die Daten so früh wie möglich zur Verfügung zu haben – auch solche von Zulieferern, OEMs und Verwertern – und die gesamte Wertschöpfungskette zu betrachten.

 

Größter Hebel ist das Material

Wie das in der Praxis funktioniert, zeigt sich in der Automobilindustrie. Über das Lifecycle Assessment eines vollelektrischen Fahrzeugs lässt sich feststellen, in welcher Phase der Anteil der Emissionen wie hoch ist – verglichen mit einem Verbrenner – und welchen Unterschied die Wahl eines Strommixes verglichen mit Grünstrom während der Nutzungsphase macht. Auch die Auswirkungen der Herstellung der Elektrobatterie auf die Umwelt lassen sich damit prüfen. Aus dem Lifecycle Assessment ergeben sich dann bestimmte Handlungsfelder. Erfahrungsgemäß zeigt sich in der Produktentwicklung, wo über das verwendete Material entschieden wird, ein besonders großes Reduktionspotenzial.

Studien bestätigen, dass mit einer Transition des Materialsystems allein für Stahl, Plastik, Aluminium und Zement durch Materialeffizienzen und Circular-Economy-Ansätze die Emissionen in der Europäischen Union um bis zu 56 Prozent reduziert werden können.2 Konkret in der Automobilindustrie lässt sich durch Materialoptimierungen und einfache Dekarbonisierungsmaßnahmen der CO2e-Fußabdruck eines Fahrzeuges um bis zu 66 Prozent reduzieren – und das bei gleichbleibenden Kosten.3

Als ein Vorbild gilt das „Polestar 0 Project“, mit dem der schwedische Automobilhersteller ein wirklich klimaneutrales Fahrzeug bis 2030 herstellen will, das alle Emissionen aus Rohstoffgewinnung, der Materialherstellung, der Produktherstellung und am Ende des Produktlebenszyklus eliminiert.

 

Mit Systems Engineering neue Kompetenzen erlernen

Heute geht es in der Produktentwicklung entweder um effiziente Prozesse und kostengünstige Produkte, die in linearen Geschäftsmodellen auf die Produktion optimiert werden, um so Durchlaufzeiten und Produktionskosten zu senken (Bottom Line) oder um Innovationen für beispielsweise neue Features (Top Line). In einem zirkulären Wirtschaftssystem der Zukunft müssen Top- und Bottom-Line zusammengedacht werden und eine Kompetenzerweiterung in der Produktentwicklung stattfinden. Neben dem Prinzip des Circular Design oder der Ökodesignrichtlinie, bei der Produkte möglichst modular und wiederverwertbar konstruiert werden sollen, müssen Produktentwickler:innen in Zukunft auch Business-Kompetenzen erlangen. Aus Perspektive der Nachhaltigkeit geht es darum, Produkte mit hoher Qualität für lange Produktlebenszyklen und hoher Produktauslastung zu entwickeln und den Product Lifetime Value zu erhöhen. Das erfordert neue Kompetenzen über Geschäftsmodelle, die konkrete Produktnutzung und die Ökosysteme, in denen die noch zu entwickelnden Produkte eingesetzt werden.

Einen ersten Ansatz dazu liefert Systems Engineering. Hierbei handelt es sich um eine Methode, die mittels Systemdenken und integrativen Vorgehensmodellen die Grundlage für eine besonders weitreichende und beschleunigte Entwicklung von technisch komplexen Produkten darstellt. Systems Engineering ist eine Verfahrensweise, die das Zusammenarbeitsmodell in der Produktentwicklung neu definiert. Für die Entwicklung von Zero Impact Products ist die Operationalisierung der Eliminierung von negativen Umweltauswirkungen notwendig. Diese Eliminierung gilt es in messbaren Zielen auszudrücken und in Produktentwicklungsprozessen zu verankern. Konkret Umweltziele im Produktentwicklungsprozess (PEP) genannt.

Nahezu jedes Unternehmen verfolgt in der Produktentwicklung einen standardisierten PEP zur Beherrschung der Komplexität von Meilensteinen, Zeitabläufen, beteiligten Abteilungen, Materialien und so weiter. Umweltziele im PEP beschreiben beispielsweise quantifizierte Dekarbonisierungsambitionen, den prozentualen oder absoluten Anteil von Rezyklaten am Produktgewicht oder den Anteil von erneuerbaren Materialien im Produkt. Im Optimalfall wird nicht nur ein Umweltziel fokussiert, sondern mehrere miteinander kombiniert, um damit alle negativen Umweltauswirkungen zu eliminieren. Durch eine Volumenplanung kann für jedes Produkt und seine einzelnen Materialien oder Bauteile eine konkrete Zielvorgabe im Entwicklungsprozess festgelegt und mit Maßnahmen verbunden werden.

 

Fazit

Um Wachstum im Einklang mit planetaren Grenzen zu ermöglichen, bedarf es eines ganzheitlichen Ansatzes, der Nachhaltigkeit, Digitalisierung und Wirtschaftlichkeit verbindet. Er umfasst im Idealfall fünf Ebenen: Geschäftsmodelle, Produkte und Services, Prozesse, Daten und Produktlebenszyklus. Der Schlüssel zum Erfolg ist es, jeden Teil des Produktlebenszyklus zu betrachten und diversifizierte Ansätze zu wählen. Die Digitalisierung und die Nutzung von Daten sind unabdingbar, um die direkten und indirekten Business-Potenziale voll auszuschöpfen. Unternehmen sollten bereits in der frühen Phase der Produktentwicklung so viele reale Material- und Prozessdaten wie möglich sammeln und erheben, um Umweltauswirkungen von Produkten abschätzen zu können. Erst dann werden Berechnungen der Potenziale und Kosten von Dekarbonisierungsmaßnahmen sowie Entscheidungen zur Lieferantenauswahl oder zum Kauf von Produktionsanlagen möglich. Dabei zu beachten sind Aspekte der Datensicherheit und Datensouveränität, aber auch die letztendliche Zertifizierung und damit die Bestätigung von wirklichen Zero Impact Products für die Kundenkommunikation. Mit der Etablierung von Zero Impact Products nutzen Unternehmen nicht nur das enorme Business- und Innovationspotenzial von Nachhaltigkeit, sondern erfüllen auch die regulatorischen Anforderungen leichter.

 

Alexander Appel begleitet die ganzheitliche Transformation zur Nachhaltigkeit von Unternehmen von der Strategie bis zur Implementierung. Seine Fokusthemen sind die Etablierung der Kreislaufwirtschaft, die Emissionsberechnung auf Unternehmens- und Produktebene sowie die Entwicklung neuer, nachhaltiger Geschäftsmodelle.

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