Erfolgreicher Übergang zur Elektromobilität: Strategien und Best Practices

Der Pkw-Markt in Europa steht an einem Wendepunkt. Weltweit drängen die Regierungen auf rein elektrische Fahrzeuge, um bis 2050 klimaneutral zu werden. Die Hersteller stehen unter Druck, den Übergang zur Elektromobilität zu beschleunigen. Im Segment der batterieelektrischen Fahrzeuge (BEV) verzeichnet die Branche ein Wachstum, das von den Early Adopters getrieben wird. Das Wachstum verlangsamt sich jedoch und die Verbraucherakzeptanz ist nach wie vor gering. Um in dieser neuen Ära wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen OEMs Wege finden, erfolgreich in das wachsende BEV-Segment einzusteigen.
Von   Rosita Kraus   |  Mobility Lead DACH   |  Publicis Sapient
  Pierre Gerfaux   |  Mobility Lead Frankreich   |  Publicis Sapient
28. August 2024

Die Zukunft fährt elektrisch

 

Der europäische Pkw-Markt hat sich in den letzten Jahren nur langsam erholt. Prognosen gehen davon aus, dass der Markt das Vorkrisenniveau bis 2027 nicht erreichen wird. Die Anzeichen deuten auf ein langsames Wachstum oder eine Stagnation des Volumens und des Umsatzes von Personenkraftwagen hin, während Elektrofahrzeuge einen Aufschwung erleben.[1] Zwischen 2022 und 2023 stieg der Absatz neuer batterieelektrischer Fahrzeuge (BEV) in Europa um 37 %, was zu einem Anstieg des Marktanteils um 20 % führte. Dieser Aufschwung des BEV-Marktes ist größtenteils auf staatliche Maßnahmen zur Reduzierung der CO2-Emissionen in Form von Anreizen und Sanktionen zurückzuführen.

 

Emissionsstrafen und Kaufanreize für BEVs

Die europäischen Staaten haben festgelegt, dass ab 2035 nur noch emissionsfreie Neuwagen verkauft werden dürfen. Einige EU-Märkte versuchen sogar, die Ziele für 2035 zu übertreffen. So strebt Norwegen eine Frist bis 2025 und Belgien bis 2029 an.[2] Frankreich hat eine Gesetzgebung in Kraft gesetzt, die für die meisten, wenn nicht sogar für alle Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren (ICE) eine Malus-Steuer beim Kauf auf Basis der CO2-Emissionen vorsieht.[3] Nur elektrifizierte Hybrid- und BEV-Fahrzeuge könnten unter dem Grenzwert von 118 g CO2/km bleiben und die Steuer umgehen.

Im Jahr 2023 boten die meisten Märkte der EU-27 Anreize für den Kauf von Elektrofahrzeugen und zugehöriger Ausrüstung, meist in Form von direkten Subventionen. Die sieben Länder, die keine Kaufanreize boten – Belgien, Bulgarien, Dänemark, Finnland, Lettland, die Slowakei und Schweden – gewährten alle Steuererleichterungen für die Zulassung und/oder den Besitz von Privat- oder Firmenfahrzeugen.

Angesichts dieses sich schnell ändernden regulatorischen Umfelds und trotz einiger Vorschläge, die Frist bis 2035 zu verlängern, konzentrieren sich alle großen OEMs auf die langfristige Elektrifizierung. Die Nachfrage hat sich abgeschwächt, nachdem der Ansturm der ersten BEV-Nutzer abgeebbt ist. Für die etablierten OEMs wird es entscheidend sein, Wege zu finden, um die Akzeptanz von Elektroautos im Allgemeinen und – noch wichtiger – die Akzeptanz ihrer Elektroautomodelle zu erhöhen. Dies erfordert von den OEMs kreative Überlegungen, wie sie die vermeintlich negativen Aspekte proaktiv angehen und die positiven Aspekte ihrer Elektrofahrzeuge hervorheben können.

 

Hürden der Elektromobilität

Die Gleichung der BEV-Etablierung lautet: Nutzen > Kosten + Komplexität + Unsicherheiten. Nur wenn die Vorteile überwiegen, wird der Übergang zur Elektromobilität auf breiter Front erfolgen. Dafür gilt es, Fahrer wie Flottenbetreiber gleichermaßen einzubeziehen. Vier Aspekte beeinflussen die BEV-Etablierung:

  • Nutzen: Die positiven Eigenschaften, die ein Käufer beim Umstieg auf ein BEV erfährt, von der Umweltfreundlichkeit bis zur besseren Beschleunigung.
  • Kosten: Der Gesamtbetrag, den man für ein Fahrzeug ausgeben muss, einschließlich der Anschaffungskosten und der laufenden Kosten abzüglich der Incentives und des Wiederverkaufspreises.
  • Komplexität: Die Kombination mehrerer Faktoren, die sich auf die Betriebskosten auswirken oder die Nutzung einschränken und die verstanden, bewertet und gesteuert werden müssen.
  • Unsicherheiten: Der Grad an Unbekannten und unvorhersehbaren Variablen, die sich ebenfalls auf die Kosten und die Nutzung auswirken. Zum Beispiel die zukünftige Entwicklung der Stromkosten im Vergleich zu den Kraftstoffkosten oder die Verfügbarkeit von Ladeinfrastruktur.

 

Besondere Herausforderungen erfordern besondere Strategien

Die bevorstehenden Beschränkungen für den Verkauf von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor werden sich auf alle in der EU verkauften Personenkraftwagen auswirken, auch auf Firmenwagen. Mit der Zunahme von Leasing- und Abonnementverträgen wird ein wachsender Anteil der in Europa verkauften neuen Personenkraftwagen von Fuhrparks und nicht von privaten Käufern genutzt.

Entscheidungsträger in Unternehmen stehen vor den gleichen Fragen wie private Käufer, aber auch vor zusätzlichen Herausforderungen. So sind die Gesamtbetriebskosten für Unternehmen noch komplexer und schwieriger zu berechnen. Und es gibt keine „Einheitsgröße“, die die Entscheidung erleichtert. Die Kosten variieren (z. B. Installation von Ladestationen am Arbeitsplatz, Subventionierung von Ladestationen zu Hause), die Einnahmen variieren (z. B. Anreize, Wiederverkaufspreis) und die Nutzung variiert (z. B. schnelles Laden auf der Straße vs. Laden zu Hause über Nacht).

 

Fuhrparkmanager benötigen mehr Kompetenzen

Fuhrparkmanager tragen die große Verantwortung, den Übergang zu BEVs zu organisieren und gleichzeitig die Kontinuität des Geschäftsbetriebs zu gewährleisten. Sie müssen sich zu Finanz- und Betriebsexperten für Fahrzeuge entwickeln, die in der Lage sind, Umweltziele und Kosten in Einklang zu bringen. Sie müssen über Umweltaspekte wie Energieversorgung und Dekarbonisierung informiert sein und die internen Interessengruppen in großen Flotten koordinieren. Und das alles, ohne den Geschäftsbetrieb zu stören.

Und während die Elektrifizierung der Flotte eine unternehmerische Entscheidung ist, bleibt sie bei Firmenwagen eine individuelle Entscheidung. Viele Unternehmen verfolgen eine „User Chooser“-Politik, die dem Fahrer die Entscheidung überlässt. Der Fuhrparkmanager wird dann de facto zum Influencer, der die Einführung durch Informationen und Anreize fördern kann.

 

Ansätze zur Förderung der BEV-Etablierung

Von den zahlreichen Faktoren, welche die BEV-Akzeptanz beeinflussen, liegen einige außerhalb des Wirkungsgrades der Hersteller. So haben die OEMs keinen oder nur begrenzten Einfluss auf staatliche Anreize und Gesetze, die relativen Kosten von Kraftstoff und Strom, die Dichte der Ladeinfrastruktur etc. Andere Faktoren wiederum treiben die Produktions- und F&E-Teams der Automobilhersteller an. Dazu zählen z.B. die Preissenkung von BEVs durch Skaleneffekte oder die Integration neuer Technologien für billigere oder schneller aufladbare Batterien.

Insbesondere in den Bereichen strategisches Marketing, Verkaufsförderung und Serviceinnovation gibt es jedoch noch viel Raum für ergänzende Maßnahmen. Folgende Ansätze können dazu beitragen, die Etablierung von BEVs zu beschleunigen

 

1. Informieren, aufklären und begeistern

Elektroautos müssen zur ersten Wahl beim nächsten Fahrzeugwechsel werden, auch für Anhänger von Verbrennungsmotoren. Die Hersteller sollten sich daher zunächst auf ihre treuen Kunden konzentrieren, zu denen sie einen etablierten Kommunikationskanal haben. Diese gilt es mit der BEV-Welt vertraut zu machen, Vorurteile abzubauen und die Vorteile der Elektromobilität aufzuzeigen. Die Hersteller haben es in der Hand, die Fahrer behutsam auf den Umstieg vorzubereiten und dafür alle möglichen Kontaktpunkte zu nutzen, z.B. indem sie bei der Wartung des Verbrenners ein Elektromodell zur Verfügung stellen.

 

2. Den Dialog fördern

Um die Menschen beim Umstieg auf Elektromobilität zu begleiten, ist Change Management unerlässlich. Dabei geht es nicht nur darum, den Prozess so praktikabel wie möglich zu gestalten, sondern auch darum, die Menschen frühzeitig an den Wandel heranzuführen. Ein wirksames Mittel, auf das sich die OEMs konzentrieren sollten, ist der Ausbau der Möglichkeiten für Probefahrten und Präsentationen von BEVs. Dies gilt nicht nur für Autofahrer, sondern auch für Vertriebsmitarbeiter oder Fuhrparkmanager. Skeptiker können nur zu Befürwortern gemacht werden, wenn sie Erfahrungen aus erster Hand machen.

 

3. Den Mehrwert betonen

Die Umweltbilanz ist ein starkes Motiv für die Wahl eines BEV. Genau diesen positiven Aspekt sollten die Hersteller aktiv herausstellen. Reine Elektroautohersteller sind zwar im Vorteil, wenn es darum geht, ihre Nachhaltigkeitsagenda glaubwürdig zu vertreten und umweltbewusste Fahrer zu begeistern. Aber auch etablierte OEMs mit Verbrenner-Historie können einen mutigen Wandel vollziehen, indem sie Nachhaltigkeit in ihre Markenbotschaften integrieren. Um die einzigartigen Vorteile von BEVs hervorzuheben und eine Verbindung zum Fahrer herzustellen, bieten sich Connected Services an. Nachfolgend einige Beispiele:

  • Intelligente Ladeplattformen, bei denen das Fahrzeug auf der Grundlage der Stromtarife, der Netznachfrage und des Zeitplans des Nutzers entscheiden kann, wann/wie es geladen wird (intelligentes Laden) und sogar, wann es Strom an andere Geräte (intelligentes Haus) oder an das Netz zurückspeist (V2G).
  • Vorausschauende Reichweitenschätzung und dynamische Reichweitenwarnung und -beratung auf der Grundlage von Algorithmen, die Fahrmuster, Wetterbedingungen und andere Faktoren berücksichtigen, um auf der Grundlage der Fahrgewohnheiten des Nutzers, der Verkehrsbedingungen und des Ladezustands der Batterie genaue Reichweitenschätzungen und Warnungen in Echtzeit zu liefern. Sie können den Fahrer auch dabei unterstützen, den Kraftstoffverbrauch zu senken und die Reichweite zu erhöhen.
  • Überwachung des Batteriezustands, um die Lebensdauer der Batterie zu verlängern, die langfristige Zuverlässigkeit zu gewährleisten und den Nutzern zu helfen, fundierte Entscheidungen über ihre Ladegewohnheiten zu treffen.
  • Abonnementmodelle, die die Kosten für den Besitz eines BEV, einschließlich Wartung, Versicherung und Aufladung, in einer monatlichen Gebühr zusammenfassen.
  • Adoption Transition vereinfacht die Erfahrung des Fahrzeugbesitzers, macht die Kosten vorhersehbar und eliminiert die Verwaltung mehrerer Ausgaben/Kosten.

 

4. Ängste nehmen

Die Hersteller sind gefordert, mehr als nur das Fahrzeug zur Verfügung zu stellen. Um die Elektromobilität attraktiver zu machen, müssen Ängste aktiv abgebaut werden, z. B. durch die Sicherstellung des Zugangs zu Lademöglichkeiten, konkrete Hilfestellung bei Problemen, die Prüfung der Durchführbarkeit von Langstreckenfahrten und die Bereitstellung von ICE-Leihfahrzeugen, wenn dies mit einem BEV nicht möglich ist. Die Hersteller sollten proaktiv auf Bedenken hinsichtlich der Reichweite, der Mindestladung, der Lademöglichkeiten und des Verhaltens bei entladener Batterie eingehen. Sie können personalisierte, datengestützte Vorhersagen darüber treffen, wie oft ein Fahrer aufgrund seiner aktuellen Gewohnheiten laden muss. Darüber hinaus können Probefahrten und flexible Mietverträge dazu beitragen, etwaige Bedenken auszuräumen. Der Zugang zu Lademöglichkeiten kann durch die Förderung von Peer-to-Peer-Communities erleichtert werden, die Alternativen bieten, wenn die Hauptladeoptionen nicht funktionieren.

 

5. Kostentransparenz schaffen

Angesichts der vielen Variablen, die beim Vergleich der Gesamtkosten eines Elektrofahrzeugs mit denen eines Verbrenners eine Rolle spielen, fällt vielen die Entscheidung zum Umstieg schwer. OEMs sollten dabei helfen, Transparenz zu schaffen und die Kostenkomponenten verdeutlichen. Sie können Instrumente einsetzen, die Interessenten bei der Prüfung von Förderansprüchen oder der Berechnung von Amortisationszeiten bei aktuellen Energiepreisen unterstützen. BEVs können erschwinglicher werden, wenn die Hersteller Finanzierungsmöglichkeiten über ihre eigenen Banken oder Finanzierungspartner anbieten. Die Hersteller sollten die Kauf- und Leasingoptionen leicht verständlich machen, indem sie sie in Kosten-FAQs und Simulatoren integrieren.

 

6. Fuhrparkmanager unterstützen

Für OEMs, die auf das B2B-Segment abzielen, ist es wichtig, bei Flottenmanagern präsent zu sein und sie auf dem Weg zur Elektrifizierung zu begleiten. Das B2B-Geschäft erfordert ein tiefgreifendes Verständnis und eine gezielte Ausrichtung auf die Besonderheiten von Flotten, z. B. in Bezug auf Geografie, Größe und Nutzung. Ähnlich wie bei Privatkunden müssen Flottenmanager mit Elektromobilität vertraut gemacht und bei der Entscheidungsfindung unterstützt werden, beispielsweise durch personalisierte Simulationen der CO2-Vorteile für das jeweilige Unternehmen oder individuelle Testfahrten. Mehr noch als Einzelpersonen neigen Fuhrparkmanager dazu, sich nicht an einen Anbieter zu binden. OEMs sollten dies berücksichtigen und ihre Kalkulations- und Planungstools für eine Mischung von Marken und Ökosystemanbietern öffnen.

 

Zeit für den Wandel

Die Automobilindustrie befindet sich an einem Wendepunkt, an dem „business as usual“ nicht mehr funktioniert. Auch wenn der flächendeckende Umstieg auf Elektromobilität nicht von heute auf morgen erfolgen wird, müssen die OEMs jetzt ihre Chance nutzen. Es gilt, Fahrer, Händler und Flottenmanager gleichermaßen auf dem Weg in die Mobilität der Zukunft zu begleiten. Dazu bedarf es der richtigen Information, Beratung und Transparenz. Automobilhersteller, die mit entsprechenden Services und Tools überzeugen können, werden nicht nur die BEV-Etablierung erfolgreich vorantreiben, sondern sich selbst zukunftssicher positionieren.

 

[1] EU27. Quelle: ACEA, European Automobile Manufacturers Association, Januar 2024.
[2] International Council on Clean Transportation
[3] https://www.service-public.fr/particuliers/vosdroits/F35947

Rosita Kraus ist Senior Client Partner beim Beratungshaus Publicis Sapient und begleitet Klienten aus der Automobilbranche bei ihrer digitalen Business Transformation.

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