Frontalunterricht war gestern: One-to-one- und Social Learning

Von   Beatrice Kemner   |  Senior Corporate Consultant   |  AVADO Learning
23. Mai 2019

Der digitale Wandel verändert Jobprofile radikal und führt zur Automatisierung von Prozessen in Organisationen. Er zwingt Führung, Teams und einzelne Mitarbeiter dazu, sich innovative und agile Denk- und Arbeitsweisen, digitales Wissen und neue Tools anzueignen. Ohne diese Neuorientierung würden ökonomisch und gesellschaftlich für die Digitalisierung erforderliche Veränderungen gar nicht erst angestoßen werden. Doch die Zeiten, in denen Mitarbeiter im Pulk an Schulungen teilnahmen und alle dieselben Inhalte lernten, sind vorbei. Stattdessen zeichnet sich beim Lernen ein Trend zur Personalisierung ab.
Je mehr Sinne beim Lernen angesprochen werden, desto eher behalten und verankern Lerner Informationen. Gleichzeitig ist jeder Mensch anders. Und jeder Mensch hat andere Präferenzen beim Lernen. Daher gilt es für erfolgreiche Lernprodukte, die Ansprache verschiedener Sinne auch in abwechslungsreiche Formate und Methoden umzusetzen: Durch die Möglichkeit, selbst Alternativen innerhalb der eigenen, individuellen Lernreise zu wählen, speichern Lerner Informationen besser ab und sind motivierter – zum Beispiel durch die freie Kombination von Einzel-Lernaktivitäten wie der Teilnahme an virtuellen Vorträgen, dem Hören von Podcasts und dem Beantworten von Quizzes mit Gruppen-Lernaktivitäten wie Projektarbeiten, Face2Face-Workshops und Debatten. Wichtig dabei: Das Ziel und der Grund, sich ein bestimmtes Thema anzueignen, muss klar sein. Nur dann kann der Lerner sein eigenes Schiff steuern und auf Kurs bleiben. Idealerweise definiert er das Lernziel und seine Anwendung selbst – oder das Unternehmen muss sehr gute Kommunikationsarbeit für das „Warum“ leisten.

Insbesondere die aktive und involvierende Aufnahme und Verarbeitung von Informationen erhöht dabei die Lernnachhaltigkeit, denn: Lesen erzeugt kein Wissen. Isoliertes E-Learning baut kein Wissen auf. Die Teilnahme an Vorlesungen verankert kein Wissen. Wissen erstellen nur die Lerner selbst, durch Reflektion und Anwendung von Gelerntem. Das ist zeitintensiv und geschieht nicht nebenher. Da ist es nicht verwunderlich, dass Organisationen dazu übergehen, eine umfassende Klaviatur an Trainings-Möglichkeiten und -formaten anzubieten, die sich in den Joballtag integrieren lassen. So können Lerner die passenden Quellen und Formate zum für sie passenden Zeitpunkt in für sie richtigem Umfang selbst auswählen. Dank des Formatmix bekommen sie verwandte Themen auf verschiedene Weise erklärt. Sie können den Lern-Content im eigenen Tempo und nach gewünschtem Umfang wiederholen. Sie reproduzieren Inhalte und kombinieren sie neu. Dies hilft Teilnehmern von Corporate-Learning-Programmen, letztlich das neue Wissen auch tatsächlich aktiv und gewinnbringend im Job anzuwenden – das Ziel von Weiterbildung.

Personalised Learning funktioniert auch pragmatisch und „Low-Tech“

Für die Umsetzung, gerade in mittelständischen Unternehmen, braucht es im ersten Schritt noch keine opulenten Lernprogramme, sondern einzig eine gewisse Zahl an Lerninhalten unter Anwendung unterschiedlicher Formate und Methoden – aber mit geprüfter Qualität, z.B. empfohlene Blogs, Webinare, Artikel, Lunchsessions mit Speaker etc. Unter diesen Inhalten und Formaten können die Teilnehmer auswählen.

Der technologische Wandel hilft natürlich indes, individualisiertes Lernen stärker zu fördern und zu vereinfachen. Nach dem Collaborative-Filtering-Prinzip in Amazon-Manier werden Lernprogramme Teilnehmer künftig datenbasiert mit Tipps unterstützen. Algorithmen erkennen Muster und sprechen auf dieser Basis Lernempfehlungen aus, beispielsweise: „Lerner, die sich mit Inhalt X auseinandergesetzt haben, haben auch an der virtuellen Live Class Y teilgenommen und Podcast-Episode Z gehört“.

Noch einen Schritt weiter geht KI-gesteuertes Lernen, das zukünftig Bestandteil des Corporate Learning sein wird. Der Wissensstand und die Lernpräferenzen des Einzelnen werden dabei automatisiert und spielerisch analysiert, um den Lernbedarf und den jeweiligen Lerntyp zu identifizieren. Im Anschluss werden auf One-to-one-Ebene gezielt Inhalte und Formate ausgespielt und angeboten. Und nicht nur das: Die Analyse des Lern-Engagements und Lern-Erfolgs (also der Rezeption) fließt in die weitere Bedarfsermittlung beim kontinuierlichen Lernen ein. Die Klammer für das KI-basierte Lernen bilden festgelegte Ziele und Themen innerhalb einer Lernplattform.

Ob individualisiertes High- oder Low-Tech-Learning (was die Lernerdatenanalyse anbetrifft): Es ergänzt schon in seiner einfachsten Form das Potenzial klassischer Bildung, weil Personalised Learning unterschiedliche Lernmodalitäten und auch -inhalte für den Einzelnen berücksichtigt.

Social Learning führt Personalised Learning zum Erfolg

Ein nachgelagerter Trend, der auf Personalised Learning aufsetzt, ist das Teilen von Wissen via Social Learning-Formate. Dieses kollaborative Lernen führt durch eine Vielfalt von Erfahrungen und Standpunkten und gegenseitiges Sparring zu Siloabbau und den gemeinsamen Blick über den Tellerrand – und damit zu besseren Lernergebnissen. Informationsverarbeitung findet mehrstufig statt, indem sich Peers über gemeinsam oder individuell Gelerntes austauschen und so Informationen effektiv zu Wissen verfestigen. Selbst Fehler werden geteilt und als Lernkurve in den iterativen Verbesserungsprozess eingespeist. Durch gemeinsame (Lern-) Erfahrungen entstehen neue Erkenntnisse, langfristige Beziehungen und ein positiver sozialer Druck für zukünftige Zusammenarbeit im Job. Die kritische Auseinandersetzung mit Positionen und Meinungen anderer Sparring-Partner hilft, Gedankenmodelle im geschützten Raum auszuarbeiten oder kreativ zu zerstören. Gleichzeitig lernen die Peers, eigene Positionen zu verteidigen. Das Korrektiv bildet die Gruppe, da Social Learning per Definition die Lehrer nach Hause schickt und keine absolute Instanz die Lerninhalte qualitativ prüft.

Erfolgsfaktoren beim gemeinschaftlichen Lernen bilden Vertrauen und Offenheit sowie Kommunikations-Tools wie Slack oder Yammer. Hilfreich ist beispielsweise ein Support-Team, das Mitarbeiter bzw. Lerngruppen coacht, bei der Rollenverteilung berät und den Lernern aus Sackgassen heraushilft. Wenngleich es im Job manchmal schwierig zu etablieren ist: Beim sozialen Lernen braucht es unbedingt einen geschützten Raum. Dann ist Social Learning auch bar eines Lernprogramms pragmatisch umsetzbar.

Den größten Social-Lernerfolg erzielen bunt gemischte Teams – mit Mitgliedern aus verschiedenen Abteilungen, mit unterschiedlichen Erfahrungshorizonten, Altersgruppen und Geschlechtern durchsetzt – ggf. auch aus verschiedenen Firmen. Doch Unternehmen müssen gerade dem sozialen Lernen auch Zeit einräumen, denn hier menschelt es. Und das braucht Zeit. Wenn Social Learning gelingt, haben sich nicht nur Mitarbeiter neues Wissen und neue Methoden angeeignet Es eröffnet auch die Chance, von Innen heraus neue Denkweisen zu etablieren und die eigene Kultur hin zum digitalen Wandel zu schärfen.

Es wird deutlich: Mit personalisiertem und sozialem Learning verwebt sich Lernen nahtlos und damit noch besser mit den individuellen Bedürfnissen des Joballtags – formell und informell.

Beatrice Kemner, M.A., ist seit September 2018 bei AVADO Learning als Senior Corporate Consultant im Einsatz. Davor war sie als Associate Director Program and Business Development an der Stanford Graduate School of Business Executive Education in Stanford, USA, tätig. Als Autorin schrieb sie unter anderem für SaalZwei, das Online-Business-Magazin für Frauen. Für Die Zeit verantworte sie u.a. das Weiterbildungsangebot der Zeit Akademie sowie verschiedene Marketingkanäle.

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