Im Übergang vom Industriezeitalter in das Zeitalter der Wissensarbeit ändert sich auch und gerade das Verhältnis von Mitarbeitern zur Organisation grundlegend. Aus abhängigen Arbeitern werden zunehmend unabhängige Wissensarbeiter, die ihre Produktionsmittel in ihrem Kopf tragen. Die Organisation ist deshalb mehr auf die Wissensarbeiter angewiesen als umgekehrt die Wissensarbeiter auf die Organisation. Das Netzwerk löst in diesem Übergang die Hierarchie als führendes Organisationsprinzip ab. Und Führung basiert nicht länger auf Unterordnung und Gehorsam, sondern muss die Selbstführung der ihr anvertrauten Menschen zum Ziel haben.
Lange und vielleicht zu lange zielte Führung auf Gehorsam ab. Kinder wurden (und werden leider immer noch) schon im Elternhaus und spätestens in der Schule zur Einordnung in die Gesellschaft und ihre Organisationen erzogen. Und diese Einordnung bedeutete und bedeutet im Kern Unterordnung. Die undurchlässige ständische Ordnung des Mittelalters gehört glücklicherweise der Vergangenheit an, aber das Organisationsprinzip der Hierarchie blieb gerade durch die mit der Auf klärung einhergehende Möglichkeit des eigenen Aufstiegs grundsätzlich erhalten. Ohne hierarchische Ordnung kein Aufstieg. Im Zuge der Industrialisierung mit ihren großen Konzernstrukturen erlebte dieses Prinzip sogar eine deutliche Ausweitung und Differenzierung. Die Hierarchie war und ist das bestimmende Organisationsprinzip des Industriezeitalters.
Bereits 1959 prägte Peter F. Drucker den Begriff des Wissensarbeiters, dessen Arbeit im Wesentlichen im Er-denken und Erschaffen von Neuem besteht. Dazu arbei-ten Wissensarbeiter mit ihrem Wissen und erzeugen dabei neue Erkenntnisse und neues Wissen. Diese Arbeiter tragen ihre Produktionsmittel in ihrem Kopf. Deshalb ist die Organisation mehr auf sie angewiesen als umgekehrt die Wissensarbeiter auf die Organisation. Zu Zeiten von Frederick Winslow Taylor waren die Arbeiter ungelern-te Arbeitskräfte und der Manager der Experte, der ihre Arbeitskraft möglichst produktiv einsetzte. Die heutigen Wissensarbeiter sind nun aber selbst die Experten und sie erwarten zu Recht eine „artgerechte“ Führung auf Augenhöhe.
Das Verhältnis von Führungskraft und Wissensarbeiter ähnelt eher dem zwischen Dirigent und Musiker in einem Orchester. Nicht nur hinsichtlich der unterschiedlichen Fä-higkeiten, denn sowohl der Dirigent als auch die Musiker sind Experten ihrer Domäne, sondern auch hinsichtlich der Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse: Die Machtposition von Wissensarbeitern gegenüber ihrer Führungskraft ist eine völlig andere als die des prinzipiell leicht austauschbaren Arbeiters zu seinem Chef in tayloristischen Strukturen. Ein Wissensarbeiter kann seinen Vorgesetzten ebenso leicht und effektiv sabotieren wie ein Musiker einen autokratischen Dirigenten.
Zwar hat sich das Verhältnis von Führungskraft und Mitarbeiter in den letzten Jahrzehnten schon deutlich zum Positiven verändert. Viele Führungskräfte haben mittlerweile eine eher elterliche und fürsorgliche Haltung zu ihren Mitarbeitern eingenommen. Die Richtung stimmt also, aber das Abhängigkeitsverhältnis wurde nicht angetastet. Die Mitarbeiter bleiben abhängig von ihrem paternalistischen Chef. Und während Kinder in verschiedenen Phasen mehr oder weniger vehement ihre Selbstständigkeit und Gleichwürdigkeit einfordern und erkämpfen, bleiben diese Mitarbeiter für immer überbehütete Kinder.
Dem Prinzip der Hierarchie im Industriezeitalter folgt nun das Prinzip des Netzwerks im Wissenszeitalter. Führung basiert nicht länger auf Unterordnung und Gehorsam, sondern zielt auf die Selbstführung der ihr anvertrauten Menschen. Führung gibt der Wissensarbeit und den Wissensarbeitern Orientierung. Führung auf Augenhöhe jenseits von Unterordnung und Gehorsam ist deshalb notwendiger denn je. Der Schachmeister aber hat ausgedient, gefragt ist heute der Gärtner. Gute Führung schafft einen Rahmen, in dem sich die Menschen und ihre Ideen im Sinne eines gemeinsamen Zwecks entfalten können.
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