Einsatz und Grenzen von Machine Learning in der Supply-Chain-Planung

Von   Mauro Adorno   |  Managing Director Europe   |  ToolsGroup
22. Oktober 2021

Obwohl Machine Learning mittlerweile Mainstream ist, gibt die Technologie vielen Supply-Chain-Experten noch immer Rätsel auf. Laut Gartner „verspricht Machine Learning zwar transformative Vorteile für die Lieferkette, doch die derzeitigen Erwartungen an die kurzfristige Einsatzbereitschaft und den Nutzen bleiben unrealistisch.“ Es empfiehlt sich daher, über den Hype hinauszublicken und zu untersuchen, wie Machine Learning zur Lösung von Geschäftsproblemen und zur Wertschöpfung in der Lieferkette eingesetzt werden kann. Unternehmen sei geraten, sich nicht blindlings in Machine-Learning-Projekte zu stürzen; um die besten Ergebnisse zu erzielen, sollten sie im Vorhinein genügend Zeit in gründliche Überlegungen und Vorbereitungen einplanen.
So sollte etwa jedes Machine-Learning-Projekt mit einer klaren Zielbeschreibung beginnen. In dieser Beschreibung sollten Kennzahlen und Daten zur Ausgangssituation aufgeführt werden, sodass ein klarer Vorher-Nachher-Vergleich möglich ist. Da Machine-Learning-Systeme kontinuierlich dazu lernen, lässt sich aufzeigen, wie die Systeme über die Zeit besser werden und das Unternehmen von dem Projekt profitiert.

Ein langfristig nachhaltiger Erfolg kann sich nur einstellen, wenn das Machine-Learning-Projekt auf einem stabilen Fundament errichtet wird. Hierzu empfiehlt es sich, Machine-Learning-Technologien mit einem adaptiven probabilistischen Prognoseansatz zu kombinieren.

Kleiner Exkurs zur probabilistischen Vorhersage

Das Gegenteil der probabilistischen Vorhersage ist die deterministische Vorhersage. Bei dieser Methode wird ein künftiges Ergebnis mit exakten Zahlen, oft auf der Grundlage historischer Durchschnittswerte, berechnet. Im Gegensatz dazu arbeitet die probabilistische Vorhersage mit Wahrscheinlichkeitsverteilungen anstatt mit exakten Zahlen. Während eine deterministische Vorhersage im Allgemeinen als eine Reihe von Zeitreihen exakter Zahlen ausgedrückt wird, wird eine probabilistische Vorhersage als eine Reihe von Zeitreihen von Wahrscheinlichkeitsverteilungen ausgedrückt. In der Supply-Chain-Planung werden dafür fortschrittliche Algorithmen zur Analyse mehrerer Nachfragevariablen genutzt, um so die Wahrscheinlichkeiten einer Reihe möglicher Ergebnisse zu identifizieren.

Der Nutzen des probabilistischen Ansatzes liegt darin, dass er zwischen Fehler und natürlicher Variabilität sowie zwischen Signal und Rauschen unterscheiden kann, was bei der deterministischen Sichtweise unmöglich ist. Daraus ergeben sich drei wesentliche Konsequenzen: Erstens ist es unmöglich, Risiken und Chancen anhand deterministischer Pläne und Prognosen genau zu bestimmen; zweitens ist es unmöglich, deterministisch richtig zu beurteilen, wie gut oder schlecht ein Plan oder eine Vorhersage ist und drittens ist es unmöglich, auf der Grundlage von deterministischen Plänen oder Prognosen mit einem gewissen Grad an Genauigkeit zu bestimmen, worauf sich Verbesserungsbemühungen konzentrieren sollten.

Die probabilistische Vorhersage hingegen liefert reichhaltige Informationen zur Ermittlung von Risiken und Chancen auf allen Detailebenen, sodass fundierte Geschäftsentscheidungen getroffen werden können. Sie ermöglicht auch eine perfekte Abgrenzung zwischen den Dingen, die sich kontrollieren und verbessern lassen, und jenen, die außerhalb unserer Kontrolle liegen.

Kombination von probabilistische Vorhersage mit Machine Learning

Die Kombination von probabilistische Prognose und Machine Learning erlaubt es den Supply-Chain-Planern und Disponenten, Prognosen auf granularer Ebene und für verschiedene Zeithorizonte zu erstellen. Hier wird zuerst mithilfe von historischen Daten das adaptive probabilistische Vorhersagemodell erstellt. Steht das Modell, werden Machine-Learning-Algorithmen angewandt, um die Vorhersagewahrscheinlichkeit zu verbessern, wobei hierzu nach und nach sowohl interne (etwa Produkteigenschaften oder andere Stammdaten) als auch externe Datensätze (unter anderem Wetterdaten, Wirtschaftsindikatoren oder Social Media Daten) hinzugefügt werden. Durch dieses schrittweise Vorgehen kann die Leistung des Modells besser überprüft und, falls notwendig, leichter angepasst werden.

Was bei den Daten beachtet werden sollte

Ganz klar, Machine-Learning-Projekte profitieren von großen Datenmengen. Je größer die Datenmenge, desto genauer die statistische Aussagekraft eines Machine-Learning-Modells. Um zu beginnen, reichen allerdings oft bereits kleinere, traditionelle Datensätze wie etwa die Historie zu einem Produkt. Auch die Granularität der Datensätze ist wichtig. Im Gegensatz zu herkömmlichen Analyseansätzen, bei denen die Daten aggregiert wurden, um das Rauschen herauszufiltern, analysiert Machine Learning gerade dieses Rauschen, um Korrelationen zu finden, die das Modell trainieren und es leistungsfähiger machen.

Wie bei jedem Aspekt, bei denen Daten eine fundamentale Rolle spielen, ist auch die Datenqualität ein wichtiger Aspekt bei Machine-Learning-Projekten. Die verwendeten Tools sollten daher auf jeden Fall über Governance-Funktionen zur Aufrechterhaltung der Informationsqualität während des gesamten Lebenszyklus der Daten verfügen.

Die Ergebnisse operationalisieren

Es ist zwar verlockend, ein Machine-Learning-Modell zu entwickeln, um eine einmalige geschäftliche Herausforderung zu bewältigen, aber nicht effizient. Einmalige Projekte schaffen „Black Boxes“, die nur der Programmierer wirklich versteht und denen die Geschäftsanwender misstrauen. Um einen nachhaltigen geschäftlichen Nutzen zu erzielen und die beste Rendite aus dem Projekt zu ziehen, sollten die Ergebnisse operationalisiert werden. Deshalb ist es wichtig, adaptive Modelle zu verwenden, die keine ständige manuelle Anpassung erfordern, da sich ändernde Geschäftsbedingungen die Modelle sonst unzuverlässig machen.

Anwendungsbeispiele aus der Supply-Chain-Planung

Nachfrageprozesse wie Nachfrageprognose, Demand Sensing und Demand Shaping eignen sich aufgrund ihrer Komplexität und Schnelllebigkeit besonders gut für die Anwendung von Machine Learning. Zu den populärsten Anwendungsbeispielen zählen unter anderen:

  • Saisonalität: Clustering und Klassifizierung mehrerer saisonaler Muster (Tag-in-Woche, Woche-in-Monat, Monat-in-Jahr)
  • Verkaufsförderung: Clustering vergangener Promotionen, Klassifizierung neuer Promotionen anhand von Attributen und Uplift-Berechnung
  • Einführung neuer Produkte: Clustering vergangener Einführungsprofile, Klassifizierung neuer Artikel auf der Grundlage ihrer Attribute und Regression zur Erstellung von Basisprognosen
  • POS-Nachfrageerfassung: Fortgeschrittene Techniken zur Verbesserung der Sell-in-Prognose anhand von Sell-out-Nachfragedaten
  • Externe Nachfragebedingungen: Wetter, soziale Medien, IoT, Markttrends, Indikatoren und andere externe Daten
  • Produktlebenszyklus-Management: Algorithmen wägen Attribute und Verkäufe ähnlicher Artikel ab, um die Form und Dauer des Produktlebenszyklus zu schätzen

Die Grenzen von Machine Learning

Wie alle Technologien hat auch Machine Learning seine Grenzen. Deshalb spielen das Geschäftswissen und die Prozesskenntnisse der Mitarbeitenden eine wichtige Rolle bei der Abstimmung der Machine-Learning-Modelle und der Bewertung der Ergebnisse. Da ihnen die Algorithmen langweilige repetitive Aufgaben abnehmen, können sich die Supply-Chain-Planer auf neue, strategische Aufgaben konzentrieren.

In einem Leitfaden zur Entwicklung künftiger Supply-Chain-Experten im digitalen Zeitalter nennt Gartner Geschäftssinn, Anpassungsfähigkeit, politisches Gespür und die Fähigkeit zur Zusammenarbeit als Schlüssel zur Verbesserung der „digitalen Geschicklichkeit“. Dies unterstreicht, wie wichtig es für digitale Supply-Chain-Organisationen ist, sich jetzt, wo viele Prozesse durch Machine Learning automatisiert werden,  auf die menschliche Seite der Supply-Chain-Planung zu konzentrieren. Aus diesem Grund werden Supply-Chain-Experten, die ihre Fähigkeiten in den Bereichen Verhandlung, Geschäftskommunikation und Vereinfachung komplexer Daten weiterentwickeln, immer wertvoller für Unternehmen.

ist Managing Director Europe bei ToolsGroup. Der erfahrener Supply Chain Experte hilft seinen Kunden dabei, Nachfragevolatilität und Komplexität in der Supply-Chain zu überwinden und hervorragende Servicequalität bei reduzierten Lagerbeständen zu erzielen.

Um einen Kommentar zu hinterlassen müssen sie Autor sein, oder mit Ihrem LinkedIn Account eingeloggt sein.

21902

share

Artikel teilen

Top Artikel

Ähnliche Artikel