Die Transformation des Kundenservice zwischen Mensch und Bot

Von   Martin Christian   |  Digital Solutions Specialist   |  Capita
11. September 2020

Data Science, Digital Workforce, Automatisierung und Künstliche Intelligenz sind Buzz-Words der fortschreitenden Digitalisierung und gleichzeitig auch zentrale Bausteine, um das Serviceerlebnis neu zu definieren. Denn hier soll das optimale Zusammenspiel von Menschen, Daten und Technologien für ein optimales Kundenerlebnis sorgen. Unternehmen sind bestrebt, ihren Kundenservice an die Gewohnheiten ihrer Kunden anzupassen, um deren Zufriedenheit und Loyalität im Wettbewerbsumfeld und auch in Krisenzeiten sicherzustellen. Chatbots spielen hier eine zentrale Rolle. Denn diese digitalen Berater sind nicht nur in der Lage, Servicezeiten zu verkürzen und die kanalübergreifende Interaktion mit den Kunden zu steuern. Im Idealfall fördern sie die Wünsche der Klienten zutage und zeichnen ein 360-Grad-Bild der entsprechenden Zielgruppe. Funktionieren wird dieses Zusammenspiel aber nur dann, wenn Unternehmen die „menschliche“ Komponente hinter den digitalen Arbeitskräften (Digital Workforce) nicht aus den Augen verlieren.
Künftig wird es sich als immer schwieriger erweisen, den Kundenservice in einer digital voranschreitenden Welt ohne unterstützende Technologien entsprechend der wachsenden Kundenwünsche nach einem Service, mit dem man nahezu immer und überall interagieren kann, exzellent und dennoch kostendeckend abwickeln zu können. Im Zuge der Digitalisierung verlagert sich der Fokus der Unternehmen zunehmend weg von produktzentrischen hin zu serviceorientierten Geschäftsmodellen. Denn Kunden bewerten Unternehmen nicht mehr nur anhand ihrer Produkte, die nicht selten austauschbar sind, sondern insbesondere anhand der Customer Experience, die davon geprägt sein sollte, dass Interaktionen im Idealfall nahtlos zwischen digitalen und menschlichen Touchpoints wechseln.

„64% der Menschen sagen, dass das Kundenerlebnis wichtiger ist als der Preis“ (Quelle: Gartner)

Verbraucher beschaffen sich ihre Informationen online über mobile Endgeräte, Apps, soziale Medien und fragen Bearbeitungsstände und andere Daten zu unterschiedlichen Prozessen ab. Dabei erwarten sie von den Dienstleistern, dass Anfragen kompetent, jederzeit und schnell beantwortet werden, die Möglichkeit besteht, in Echtzeit zu kommunizieren und dass Informationen jederzeit auf diversen Kanälen zur Verfügung stehen. Diese Erwartungen lassen sich mithilfe von innovativen digitalen Lösungen erfüllen. Kundenzentrierte Self-Services, wie beispielsweise unternehmenseigene Webseiten, gehören zum Pflichtprogramm. Daneben gewinnen Social-Media-Kanäle und Chatbots immer mehr an Bedeutung – insbesondere im Kontext des wachsenden Omnichannel-Angebots.

Mensch und Maschine – eine gewinnbringende Verbindung

Antwortgeschwindigkeit, Effizienz und Umsatzsteigerung sind neben der Kanalvielfalt die wesentlichen Treiber dieser Entwicklung. Allerdings haben sie sich höheren Zielen, wie Kundenbindung, Servicequalität und einer Optimierung des Kundenerlebnisses unterzuordnen. Betrachtet man den Kundenservice nicht nur als Kostenfaktor, den es zu minimieren gilt, sondern ginge es vielmehr darum, ihn gewinnbringend zu nutzen, indem etwa intelligente Automatisierungen und Effizienz im Vordergrund stünden, Chatbots zur Kommunikation eingesetzt und mit CRM- sowie ERP-Prozessen verbunden würden, könnte sich der Kundenservice als Wachstumstreiber für das Gesamtunternehmen erweisen. Knackpunkt ist hierbei die intelligente Interaktion von Mensch und Maschine, da die personalisierte und empathische Kommunikation für eine hohe Kundenzufriedenheit ausschlaggebend ist. Denn obwohl menschliche Serviceagenten die steigende Anzahl an Serviceanfragen künftig kaum mehr alleine bewältigen können, der Einsatz von Technologie in Serviceprozesse daher alternativlos ist, wird menschliches Know-how im Kundenservice dennoch erhalten bleiben. Die Frage ist also: An welchen Stellen kommt der Mensch, an welchen Stellen die Maschine zum Einsatz? Und wo gibt es den Handshake?

Der „menschliche“ Chatbot

Neben den technischen Vorzügen, die ein Chatbot bietet, sollte der menschliche Aspekt nicht in Vergessenheit geraten. Die Kommunikation zwischen Menschen ist in erster Linie „natürlich“: selbstverständlich, einfach, auf Augenhöhe – kurzum, man versteht sich. Chatbots „von der Stange“, die Fragen nicht verstehen, stets nur Rückfragen zurückspielen, immer wieder dieselben Antworten geben, sorgen für ein erhöhtes Frustrationslevel. Um Unternehmen wirklich gewinnbringend zu dienen, sollten sie daher mehr als „nur“ automatisierte, vorgegebene Antworten geben: Sie sollten Stimmungen erfassen, mit der passenden Tonalität antworten und selbstverständlich menschliche Kommunikationsregeln beachten. Dann wird es auch möglich sein, die Kunden proaktiv mit Informationen zu versorgen, statt lediglich auf offene Fragen zu antworten.

Stand heute gibt es (noch) nicht DEN perfekten Bot. Sie sind zumeist in der Lage, Kundenanfragen vorab zu qualifizieren und, wo möglich, Prozesse zu automatisieren, um einerseits Ressourcen- und Kosteneinsparungen zu erzielen, andererseits aber auch das Nutzererlebnis zu optimieren, indem der Kunde mit seinem jeweiligen Anliegen einen sofortigen Ansprechpartner findet.

Um Kundenerlebnis und Effizienz gewinnbringend zu paaren, müssen Unternehmen definieren, wann der Handshake zwischen Chatbot und Kundenberater angebracht ist. Dies erfolgt oftmals noch regelbasiert mittels „Wenn-dann“-Funktionen. Dem Chatbot wird dabei zu Beginn ein Kommunikationsfahrplan an die Hand gegeben, sodass er mit einer Begrüßung startet, dann beispielsweise die Kundennummer verlangt und im Folgenden mit einigen Fragen aufwartet. Hier tauchen bereits die ersten Keywords auf, zum Beispiel „Rechnung“, „Vertrag“, „neu“, „alt“ etc. Aufgrund der dem Bot innewohnenden künstlichen Intelligenz sowie der dahinterstehenden Datenbank ist es dann möglich, mittels all dieser Keywords und Textbausteine, eine Unterhaltung zu führen. Werden Fragen vom Chatbot nicht verstanden, ist es wiederum Definitionssache, ob oder wie oft dem virtuellen Mitarbeiter gestattet ist, nachzuhaken. Hier unterscheiden sich natürlich die intelligent fortentwickelten Bots von solchen eben beschriebenen Standardlösungen. Im Anschluss geht die Anfrage direkt an einen menschlichen Kundenberater. Gestattet man eine relativ frühzeitige Übergabe, könnte dies die Kundenzufriedenheit steigern. Allerdings bedarf es eines gewissen Lerneffekts, um den Chatbot weiterhin zu optminieren. Um dieses Zusammenspiel zwischen Mensch und Maschine zu perfektionieren, sollten Unternehmen allerdings auch die permanente Schulung ihrer Kundenservicemitarbeiter nicht aus den Augen verlieren. Denn sie können ausgebildet werden, den Bot optimal zu trainieren und möglichst zielführend einzusetzen.

Bleibt die Frage, wie sich das Verhältnis zu den Kunden verändert, sobald Teile der Kommunikation automatisiert werden. So dürften Unternehmen durchaus Bedenken hegen, inwieweit sie die „Kontrolle“ über den Kunden aus der Hand geben und das Gespür für seine Bedürfnisse verlieren könnten. Diese Bedenken lösen sich an der Stelle in nichts auf, sobald der Chatbot nicht als Insellösung betrachtet wird, sondern als Teil einer digitalen Gesamtstrategie, die eine kundenzentrierte Kanalverlagerung fördert und in bestehende Systeme und Kanäle eingebunden wird.

Ein perfektes Match

Ein Chatbot soll in erster Linie eine zielgerichtete Echtzeit-Kommunikation mit dem Kunden führen, um Informationen zu erhalten, diese zu interpretieren, auszuwerten und Schlüsselwörter an ein dahinterliegendes System weiterzuleiten, welches auf Basis dieser Keywords weitere Textbausteine vorschlägt. Chatbots werden klassisch auf Webseiten, beispielsweise im E-Commerce-Bereich, eingesetzt, wenn es um Service-Anfragen geht oder aber in Richtung eines Messenger-Dienstes. Hier übernimmt der Bot eine vermittelnde Funktion – ebenso wie der Kundenberater, der, aufgrund des Gelernten, eine Information interpretiert, verarbeitet und an andere Systeme weitergibt.

Dies ist allerdings nur möglich, wenn der Chatbot nicht isoliert als Tool eingesetzt, sondern idealerweise in eine weitergefasste Omni-Channel-Plattform eingebunden wird. Dort können Daten sowie Kontaktberichte aggregiert und analysiert werden, sodass Unternehmen in der Lage sind, einen 360-Grad-Blick auf den Kunden zu erlangen. Hat er zuvor bereits versucht, den Kundensupport auf anderen Wegen zu erreichen? Über welche Geräte und Netze greift er üblicherweise auf die Webseite zu? Welche Klickwege geht er und welche Kanäle bevorzugt er, um seine Anliegen zu klären? Viele offene Fragen lassen sich auf diese Weise beantworten. Ist solch ein typisches Kundenverhalten in diversen „Wenn-dann“-Situationen gezeichnet, kann das Unternehmen seine Schlüsse daraus ziehen und beispielsweise proaktiv gegensteuern: Welche Informationen müssen wo bereitgestellt werden? Welche Kanäle werden bevorzugt? In welchen Situationen möchten Kunden wie abgeholt werden?

Antworten auf diese Fragen kann daher nicht alleine ein Chatbot, eine intelligente IVR oder ein Messenger-Dienst bieten. Sinn ergeben all diese Kanäle nur dann, wenn sie gezielt kontrolliert ineinandergreifen und die erhaltenen Daten gewinnbringend zum Zwecke eines besseren Kundenerlebnisses und zukünftigen Optimierungen weiterverarbeitet werden können – zu einem perfekten Match, zwischen menschlicher und digitaler Arbeitskraft.

 

Martin Christian ist bei Capita als Berater und Projektmanager verantwortlich für digitale Transformation mit den Schwerpunkten Customer Experience, Customer Journey Design und Solution Architecture.

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