Unternehmensführung 4.0: Die Digitalisierung als Königsdisziplin im Management des 21. Jahrhundert

Von   Prof. Dr. Anabel Ternès   |  Gesellschafterin / Gründerin   |  GetYourWings gGmbH
  Marco Englert   |  Leiter Unternehmensentwicklung & PMO   |  Haftpflichtkasse
26. Juli 2018

Nichts ist so beständig wie die Veränderung – allerdings konnte Heraklit noch nichts von der Geschwindigkeit und dem Ausmaß des Wandels ahnen, denen unsere Gesellschaft sich heute ausgesetzt sieht. Es wird Zeit, sich vom Paradigma der Informationsgesellschaft zu verabschieden. Wichtiger sind nämlich die Kompetenzen, mit dem verfügbaren Wissen und den Ideen effektiv umzugehen. Und hier ist in erster Linie das Management gefragt.
Die Digitalisierung ist eine der bedeutendsten Entwicklungen des 21. Jahrhunderts. Sie ist nichts anderes als eine große Transformation bzw. ein fortlaufender Veränderungsprozess der gesamten Gesellschaft und Wirtschaft, d.h. der Übergang von der heutigen sogenannten „Alten Welt“ in eine digitale „Neue Welt“. Dieser Schritt ist für viele Menschen und Organisationen deshalb so anspruchsvoll, da wir unsere Gewohnheiten haben, aus einer meist erfolgreichen Vergangenheit kommen und diese Alte Welt immer noch funktioniert. Die Verantwortung der Führung besteht darin, die Grundlagen dieses Erfolges permanent zu hinterfragen. Es geht darum, das Geschäft von der Zukunft aus zu verstehen und nicht eine erfolgreiche Vergangenheit unreflektiert fortzuschreiben.

Digitalisierung ist daher die aktuell wichtigste Herausforderung für die Unternehmensführung bzw. die Königsdisziplin. Durch sie hat sich die Veränderung selber, der „Change“, verändert. Er ist viel schneller, viel umfassender und viel vernetzter. Die Basis für eine erfolgreiche Gestaltung ist die Bereitschaft, das eigene Geschäft offen und selbstkritisch zu hinterfragen. Basierend auf sich immer weiter entwickelnden digitalen Technologien umfasst die Digitale Transformation allgemein folgende Themenfelder:

  • Change: Digital Leadership
  • Business: Digital Business
  • Technology: Digital Impact
  • Project: Digital Methodology

Digitale Transformation: Sich exponentiell verkürzende Veränderungsraten als Programm

Als einer der Megatrends wird die Digitalisierung das 21. Jahrhundert prägen: Sie eröffnet den Zugriff auf umfassendes Wissen, erlaubt die Echtzeit-Übertragung von Informationen und Kommunikation rund um den Globus. Prozesse lassen sich effizienter gestalten – bis hin zur Automation, die menschliches Zutun überflüssig macht. Gleichzeitig ermöglicht sie vollkommen neue Geschäfts- und Arbeitsmodelle. Nicht zu unterschätzen sind die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Kunden, um die sich letzten Endes alles dreht: Sie sind informierter, vergleichen online die Vor- und Nachteile verschiedener Angebote und lassen sich nicht mehr von einem gut geschulten Verkäufer in Anzug und Krawatte beeindrucken – sie wissen um ihren Wert und wollen mit einem echten Kundennutzen überzeugt werden.

Unternehmen müssen also deutlich höhere Hürden nehmen, wollen sie sich weiterhin im Wettbewerb behaupten. Sie müssen sich dieser Veränderung stellen, sie als Herausforderung annehmen und ihre Chancen erkennen. Natürlich befassen sich die Unternehmen mit dem Thema digitale Transformation – mehr oder weniger intensiv. Im Fokus stehen jedoch in der Regel technische Lösungen für einzelne Bereiche, wie beispielsweise die Einführung eines ERP-Systems. Oft genug werden jedoch in den einzelnen Bereichen der Organisation unterschiedliche Anwendungen genutzt, die mit Mühe und komplizierten Schnittstellen miteinander kommunizieren. Dabei ist längst eine vollkommen neue Art der Veränderung notwendig: schneller, vernetzter und umfassender.

Es bleibt nicht mehr die Zeit, sich in aller Ruhe auf anstehende Veränderungen einzustellen, ein Konzept zu entwickeln und dieses Schritt für Schritt abzuarbeiten. Genau dieser Aspekt wird künftig der entscheidende sein: die Umsetzung – und zwar qualitativ und quantitativ. Wissen und Ideen sind vorhanden, es stellt sich nur die Frage, ob, wann und wie diese zur Anwendung kommen. Eines ist gewiss: Die potenziellen Kunden haben diese Entwicklung fest im Blick und werden die Unternehmen mit ihren Produkten und Dienstleistungen daran messen. Auf den einst über Jahre geltenden Wettbewerbsvorsprung ist dabei kein Verlass mehr – zumindest nicht dauerhaft. Es sei nur daran erinnert, wie Tesla trotz der schlagzeilenträchtigen Probleme die deutsche Automobilindustrie mit seinem Model 3 das Fürchten lehrt.

Und die Herausforderungen sind enorm: Es reicht eben nicht mehr ein überschaubarer Personenkreis aus, um die erfolgversprechenden Veränderungen in Unternehmen zu erreichen. Hier müssen vielmehr sowohl Wissens- und Entscheidungsträger als auch die Umsetzer zusammenwirken. Einzelne Produkte, Abläufe und Organisationsbereiche anzupacken, wird der Dynamik der Digitalisierung nicht mehr gerecht: Es geht vielmehr um die grundlegende Veränderung der Geschäftsmodelle, mit denen sich die Wirtschaft befassen muss, will sie den gestiegenen Ansprüchen an Individualisierung, Nachhaltigkeit, Tempo und Vernetzung gerecht werden. Mit einem Wort: Um das Potenzial der Digitalisierung überhaupt ansatzweise ausschöpfen zu können, ist digitale Führungskompetenz unverzichtbar.

Digitale Führungskompetenz: Der Mensch bleibt das Maß der Dinge

Im ersten Schritt steht das Management vor der Aufgabe, sich auf ein Verständnis zum Thema digitale Transformation zu einigen – und damit auch das eigene Unternehmen, die Abläufe und Strukturen konsequent auf den Prüfstand zu stellen. Die klassischen Hierarchien und Kulturen sind dabei im Wandel, längst setzen sich Netzstrukturen und vor allem das Prinzip agiler und selbstorganisierter Führung eindrucksvoll in Szene. Angesichts der Veränderungsdynamik wird eine dominante Hierarchie, die auf geteilte Funktionen und starre Planungen setzt, nicht Schritt halten können. Im Gegenteil, organisatorische Silos verhindern geradezu, dass sich Innovationskräfte entfalten können. Ein neues Verständnis ist gefragt – zum Unternehmen, zum Management und zur Gestaltung der Arbeit. Die gesamte Wertschöpfungskette bedarf einer kritischen Analyse und Überarbeitung, um alle Informationen sammeln, verarbeiten und zur Entwicklung marktfähiger Angebote nutzen zu können.

Die Auswirkungen der Digitalisierung beschränken sich somit nicht auf die Optimierung einzelner Prozesse, sondern dringen in alle Bereiche ein:

  • Organisation
    Dreh- und Angelpunkt ist und bleibt auch in puncto Digitalisierung die Organisation: Von hier aus werden die verschiedenen Einheiten koordiniert, angeleitet und zusammengeführt, um die Unternehmensziele zu realisieren. Selbstredend entscheidet das Management mit seiner eigenen gelebten Einstellung zur digitalen Transformation über deren Erfolg im Unternehmen.
  • Unternehmenskultur
    Wie jede große Neuerung wird auch die Digitalisierung von einem Teil der Mitarbeiter mit Begeisterung angenommen, von anderen wiederum abgelehnt werden. Umso wichtiger ist eine Kommunikation, die die verschiedenen Generationen effektiv verbindet und sich in der Unternehmenskultur widerspiegelt.
  • Generationenwechsel
    Digital Natives der Generationen Y und Z sind mit dem Internetboom aufgewachsen, demokratisch geprägt und ausgesprochen technikaffin. Sie drängen in die heutige Arbeitswelt, wollen sich in die Prozesse einbringen und sollten nicht von starren Strukturen daran gehindert werden.
  • Personalführung
    Die Bandbreite der für Führungskräfte notwendigen Kompetenzen muss um interkulturelle und Medienkompetenzen erweitert werden – auch das ist eine Folge der Digitalisierung.
  • Marketing und Vertrieb
    Marketingautomation ist nur ein Stichwort – Big Data, soziale Netzwerke und intelligente Tools verändern den Bereich Marketing und Vertrieb grundsätzlich. Kunden werden nicht mehr überredet, sie werden so begleitet, dass sie von sich aus das Angebot nachfragen.
  • Kommunikation
    Längst haben die digitalen Kommunikationskanäle die klassischen wie Print zumindest ergänzt, wenn nicht sogar größtenteils abgelöst. Entscheidend ist, wie sich Kunden und Stakeholder zuverlässig erreichen lassen – darauf müssen sich sowohl die Führungskräfte als auch Mitarbeiter einstellen.

Es stellen sich also komplexe Aufgaben, die jedoch eines gemeinsam haben: Die Digitalisierung sollten Menschen nicht zu Maschinen machen, sie aber auch nicht einfach ersetzen. Letzten Endes sollte die digitale Transformation zum Nutzen der Menschen eingesetzt werden – hier stehen die Unternehmen umso mehr in Verantwortung, sich konstruktiv auf die neue Arbeitswelt vorzubereiten und ihre Mitarbeiter mitzunehmen. Ein wesentlicher Aspekt ist ein nachhaltiges Personalmanagement, das auch neue Arbeitsmodelle mit einbezieht, ein umfassendes Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) betreibt und den Mitarbeitern mehr Eigenverantwortung überträgt.

Gleichzeitig sind jedoch auch strenge Regeln gefragt, beispielsweise im Kommunikationsmanagement, um die Informationsflut einzudämmen, aber auch die Sicherheit der Daten zu gewährleisten. Längst hat die Digitaltechnik die traditionellen Kommunikationswege ersetzt – von einigen Ausnahmen abgesehen. Diese neuen Kommunikationswege wollen aber beherrscht werden, steuern sie doch sämtliche Bereiche unserer heutigen Gesellschaft: Kompetenzentwicklung, Qualifikation und das Zusammenführen spezifischer Fähigkeiten werden darüber entscheiden, ob sich die Digitalisierung um den Menschen dreht – oder umgekehrt.

Methodische Kompetenzen: Grundlage für eine erfolgreiche Digitalisierung

Steigende Komplexität, sich verkürzende Veränderungsraten und steigender Umsetzungsdruck: Die digitale Transformation stellt heutige Organisationen und vor allem die Führungskräfte vor ungeahnte Anforderungen. Unter dem Strich kommt es nämlich darauf an, schnellstmöglich enorme Mengen an Wissen und Informationen effektiv zu verarbeiten. Es geht um tragfähige Entscheidungen, die verantwortungsbewusst getroffen und zügig umgesetzt werden können. Hier sind methodische Kompetenzen befragt, die auf einem klaren Durchdenken eines Themas – und das aus mehreren Perspektiven, auf der Abstimmung eines gemeinsamen Verständnisses und einer klaren, bedarfsgerechten Kommunikation sowie der Erarbeitung eines logischen Entwicklungsprozesses unter Einbeziehung sinnvoller Werkzeuge beruhen. Die digitale Transformation beschränkt sich eben nicht auf die Implementierung einiger Software-Anwendungen: Sie stellt die heutige Unternehmenswelt auf den Kopf – und das in allen Bereichen.

Prof. Dr. Anabel Ternès ist Gründerin mehrerer Tech- und Gesundheits-Unternehmen. Sie ist geschäftsführende Gesellschafterin und Gründerin der GetYourWings gGmbH, die sich für Digitale Kompetenz einsetzt, Vorstandsmitglied von NFTE Deutschland und Mentorin von StartupTEENS. Als Managing Director leitet sie das Institut für Nachhaltigkeitsmanagement (IISM) und hält eine Professur für E-Business und Internationales Kommunikationsmanagement. Die Autorin und Keynotespeaker ist Expertin für Digitalisierung, Gesundheit und Nachhaltigkeit.

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