Transportlogistik: Nachhaltig unterwegs dank IT

In der Logistik- und Transportbranche verbindet man mit Nachhaltigkeit und Reduktion von Emissionen v.a. innovative Ansätze, darunter Elektroantrieb, Wasserstoff-Lkws oder Lkw-Oberleitungsstrecken wie auf der A1 und der A5. Für ein Unternehmen sind diese Innovationen aber meist mit großen Investitionen verbunden. Erstaunlicherweise wird jedoch der naheliegendste Aspekt bisher immer noch nicht durchgehend umgesetzt: das Vermeiden eines gefahrenen Kilometers.
Von   Jan Junker   |  Head of Business Unit Logistics   |  PASS Consulting Group
16. Oktober 2023

Damit Deutschland seine selbst gesteckten Ziele der Klimaneutralität erreicht, muss vor allem im Verkehrssektor nachgebessert werden. Allzu optimistisch lässt einen die aktuelle Entwicklung des Lkw-Verkehrs in Deutschland dabei nicht in die Zukunft blicken. Der kurze Corona-Einbruch ist längst wieder ausgeglichen und wir erreichen fast jährlich neue Allzeithochs. Sowohl auf den Autobahnen wie auch in den Städten sieht man Lkws und Transporter – selten jedoch mit innovativen Antrieben. Vielversprechende Projekte, z.B. mit Streetscootern, führten zwar zu einer Verbesserung der Ökobilanz, ein breiter Markt für solche Transporter fand sich jedoch nicht.

Es fehlt an konsequenter Tourenplanung

Die Struktur der deutschen Transportbranche macht den großflächigen Umstieg auf nachhaltige Flotten schwer. Ist sie doch geprägt von Kleinunternehmern und selbstständigen Subunternehmern, welche die notwendigen Investitionen schlicht nicht stemmen können. Auch politisch ist man im Automobilland Deutschland zurückhaltend, wenn es um innovative Verkehrskonzepte geht. Während andere Länder fortschrittliche Konzepte entwickeln, wie beispielsweise Barcelona, wo großflächig sogenannte Superinseln mehrere Häuserblöcke zu verkehrsberuhigten Zonen zusammenfassen, wird in Deutschland bereits die Einrichtung einzelner autofreier Straßen zur Herausforderung. 

Doch was sind die Alternativen, wenn man große Investitionen nicht stemmen kann und alternative Konzepte nicht umsetzen möchte? Ein einfacher Ansatz, der erstaunlicherweise noch immer nicht vollumfänglich genutzt wird, ist die Einsparung von Fahrleistung durch optimierte Transportplanung, oft auch Tourenoptimierung genannt, sowohl im Streckengeschäft und v.a. auf der letzten Meile. Noch immer findet man in vielen Unternehmen mit eigenem Fuhrpark, aber auch in Speditionen und bei KEP-Dienstleistern, keine IT-gestützte Transportoptimierung. Selbst wenn Unternehmen feste Zustellgebiete für ihre Lkws etabliert haben, sind diese meist nicht optimal. Ganz zu schweigen von einer noch immer existierenden manuellen Tourenplanung mit Papierablage, Landkarte und Bindfaden.

Emissionen und Kosten einsparen

IT-Systeme und Algorithmen können das sogenannte Vehicle-Routing-Problem immer effizienter, schneller und besser lösen als ein Mensch, da die unterschiedlichsten Parameter gleichzeitig zu beachten sind: neben Reduktion von Strecke und Fahrzeit spielen oft Kapazität der Transporter, vereinbarte Lieferzeitfenster, Arbeitszeitgesetze und noch vieles mehr eine Rolle. Entsprechende Algorithmen hierzu wurden bereits in den 60er-Jahren entwickelt.

Den Effekt einer solchen Optimierung kann man schon an einem kleinen Beispiel einfach nachvollziehen: Eine typische Lkw-Tour im Nahverkehr mit fünf Tonnen Ladegut und einer Strecke von 200 Kilometern erzeugt ca. 73 Kilogramm CO2. Optimierungsalgorithmen sind üblicherweise in der Lage, Einsparungen von fünf bis 15 Prozent zu realisieren. Eine durchschnittliche konservative Einsparung von zehn Kilometern pro Tour – das entspricht ca. vier Kilogramm CO2 – ergibt selbst bei einem kleinen Transportunternehmen mit 20 täglichen Liefertouren eine Einsparung von 80 Kilogramm CO2 pro Tag. Dies entspricht bei 200 Liefertagen im Jahr einem jährlichen Potenzial von 16 Tonnen CO2. 

Und selbstverständlich reduziert eine Optimierung nicht nur CO2, denn im Gegensatz zur Investition in teure Innovationen spart ein Unternehmer erheblich durch den Nichtverbrauch von Kraftstoff und Schonung der Ressourcen: Zehn Kilometer entsprechen ca. 15 Euro – d.h. auf das Jahr gerechnet ergibt sich für obiges Beispiel eine Einsparung von 60.000 Euro. Mal ganz abgesehen von weichen Faktoren, wie z.B. der Qualität des Services zum Endkunden, die Zufriedenheit der Mitarbeitenden oder der Digitalisierung von Auslieferprozessen mit papierlosen Lieferscheinen. Somit liegt der Return on Invest für IT-Systeme zur Tourenoptimierung meist bei weniger als einem Jahr. Verwunderlich, dass noch immer viele Unternehmen an alten Methoden festhalten.

Evolutionäre Entwicklung in den letzten zehn Jahren

Auch wenn klassische Algorithmen zur Tourenoptimierung, wie z.B. der Savings Algorithmus, schon in den 60er-Jahren entwickelt wurden und erste professionelle Programme zur Tourenoptimierung in den 80er- und 90er-Jahren auf den Markt kamen, hat es in den letzten zehn Jahren eine evolutionäre Entwicklung gegeben. Stichworte sind hier u.a. Big Data und künstliche Intelligenz (KI). 

Wurden in den 90er-Jahren extreme Vereinfachungen von digitalen Straßenkarten teilweise noch aufwendig aus klassischen Wegeverzeichnissen abgeleitet, sind die Möglichkeiten heutzutage dank verschiedener Telematikdienstleister sowie anderer Datensammler immens. Änderungen im Straßennetz sind meist taggleich in den Daten zu finden, Geschwindigkeiten und Fahrzeiten werden quasi in Echtzeit bereitgestellt und auch historische Geschwindigkeitsinformationen liegen mehr oder weniger für das gesamte europäische Straßennetz im Fünfminutentakt vor. Passte das digitale Straßennetz von Europa in den 90er-Jahren noch auf eine CD-ROM, werden heute – je nach Funktionsumfang – mehrere 100 Gigabyte an Daten benötigt, um eine realitätsnahe Transportoptimierung durchzuführen.

Mit diesen Datenmengen kommen die klassischen Algorithmen der Pionierzeit nicht mehr zurecht, weshalb intensiv an effizienten Algorithmen geforscht wird, welche eine Berechnung in akzeptabler Zeit ermöglichen sollen. Denn trotz aller Rechenleistung heutzutage ist das Vehicle Routing rechnerisch nicht optimal lösbar: Bereits für eine Tour mit nur zehn Stopps gibt es 3,6 Millionen verschiedene Möglichkeiten, um diese abzufahren. Bei einer Tour mit 60 Stopps in etwa so viele, wie es Atome im Universum gibt. 

Spielwiese für künstliche Intelligenz

Betrachtet man die Komplexität, die diesem Problem zugrunde liegt, verwundert es nicht, dass mehr und mehr Anbieter das Problem mit künstlicher Intelligenz lösen wollen. Während klassische Algorithmen meist Heuristiken sind, welche über klare mathematische Vorschriften formal nicht optimale, aber oft sehr gute und reproduzierbare Lösungen in akzeptabler Zeit gefunden haben, nutzen KI-basierte Ansätze in dieser Domäne ein breites Spektrum an Ansätzen für die unterschiedlichen Teilbereiche der Tourenoptimierung: 

  • Generative, convolutionale Algorithmen unterstützen bei der Geocodierung, also der Verortung einer Adresse auf der digitalen Landkarte, 
  • Machine-Learning-Ansätze helfen, optimale Routen zwischen A und B zu finden, 
  • genetische Algorithmen lösen das Vehicle-Routing-Problem und 
  • neuronale Netze helfen dabei, ein effizientes Logistikcontrolling aufzubauen, um Abweichungen zwischen Plan und Realität zu finden und zu bewerten. 

Wohin die Reise geht

Auch wenn der Einsatz von KI im Bereich der Tourenoptimierung noch am Anfang steht, darf man gespannt sein, welche Möglichkeiten sich in den nächsten Jahren ergeben. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Innovationen wie der Elektroantrieb oder Wasserstoff-Lkws in der Breite verfügbar sind. Und dann müssen die Optimierungsalgorithmen wieder neue Randbedingungen – sogenannte Constraints – berücksichtigen: z.B. die Reichweite eines Antriebs, Ladezeiten während der Ausliefertour oder die Auswirkungen von Wettereinflüssen auf die Leistungsfähigkeit der Antriebe.

Das Potenzial von KI-gestützter Tourenoptimierung ist enorm und hat nachweislich einen immensen Effekt auf die Reduktion von Emissionen. Sie ist somit ein valides Instrument, um die Verkehrswende zu vollziehen und die Klimaziele zu erreichen. Jede Investition in eine solche Software ist eine Investition in die Nachhaltigkeit des Unternehmens mit einem zügigen Return on Invest. Jeder unverständliche Tag des Zögerns erzeugt unnötig CO2.

Jan Junker verantwortet bei PASS die Business Unit Logistics. Als Strategieberater, Enterprise Architect und Produkt- & Projektmanager blickt er auf eine Vielzahl an nationalen und internationalen Projekten bei Unternehmen und Konzernen der Logistik-, Fertigungs-, Luft- und Raumfahrtbranche zurück.

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