Fachkräfte aus dem Ausland: Ein Plädoyer

Der Fachkräftemangel ist nicht irgendein Problem – es ist das maßgebliche Problem unserer Zeit. Was sich vor 10 Jahren abzeichnete, ist nun Realität: Der Wandel von einem Arbeitgebermarkt, in dem die Unternehmen aufgrund eines Überangebots an Arbeitswilligen das Sagen hatten, hin zu einem Arbeitnehmermarkt, in dem Unternehmen unter zu viele offene Stellen für zu wenig passende Bewerber leiden. Theoretisch bieten Fachkräfte aus dem Ausland eine attraktive und einfache Lösung des Problems. In der Praxis gestaltet sich ein solches Projekt jedoch alles andere als einfach.
Von   Silke Masurat   |  Gründerin und Geschäftsführerin   |  zeag GmbH
9. Januar 2024

Großkonzerne verfügen meist über internationale Strukturen. Für sie ist eine Rekrutierung von ausländischen Fachkräften oft einfacher. Oftmals können sie auf Personen zurückgreifen, die schon in ihrem Unternehmen arbeiten und die offen sind, ihren Standort zu wechseln. Aufgrund ihrer internationalen Tätigkeit ist das Erlernen der Landessprache, je nach Position, nicht zwingend nötig. Mittelständler und kleine Betriebe haben es wesentlich schwerer. Doch einige von ihnen rekrutieren bereits über die Landesgrenzen hinaus. Denn die Vorteile überwiegen:

•                    Um ihren Umsatz zu optimieren, müssen Unternehmen wachsen. Wachsen bedeutet eine höhere Auftragslage, die wiederum mehr Arbeit mit sich bringt. Dementsprechend fällt mehr Arbeit für die Belegschaft an. Wenn keine neuen Arbeitnehmenden eingestellt werden, bleibt die Mehrarbeit auf den Schultern der bereits ausgelasteten Mitarbeitenden liegen. Ein weiteres Wachstum ist so nicht möglich, weil alle Ressourcen bereits ausgeschöpft sind. Wachstum ist in diesem Szenario noch der beste Fall. Schließlich geht es einigen KMU-lern um ihre Existenz. Sie finden keine Nachfolger für freigewordene Stellen, wie die von Mitarbeitenden, die in Rente gehen. Dieses Beispiel verdeutlicht die Dringlichkeit, mit der eine Lösung gefunden werden muss.

•                    Mehr Aufträge bedeuten, wie schon erwähnt, mehr Arbeit für das Personal. Dieses sieht sich durch zu viel Arbeit mit einer Überbelastung konfrontiert. Schon eine kurze Überlastung kann das Personal negativ auffassen und lange das Verhältnis zum Arbeitgeber belasten. Über eine längere Dauer führt es zu großem Unmut und kann zu höheren Fehlzeiten, Kündigungen und einer schlechten Reputation des Unternehmens im Recruiting führen. Das Verlieren von Personal während das Unternehmen ohnehin schon zu wenig Angestellte für zu viel Arbeit bereithält, erhöht den Druck auf die verbleibenden Mitarbeitenden weiter. Der Beginn einer unternehmensinternen Abwärtsspirale. Viele der ehemaligen Mitarbeitenden wechseln außerdem zur Konkurrenz, was diesen Firmen den Rücken stärkt. Das Anwerben von Fachkräften aus dem Ausland reduziert eine Überarbeitung des Personals und stärkt das Unternehmen durch ein größeres Team.

•                    Viele Firmen denken bei der Personalsuche hauptsächlich an die Arbeit, die ohne weitere Mitarbeitende liegen bleibt. Dabei vergessen sie, dass neues Personal auch immer neue Ideen mitbringen. Zu den größten Treibern des Fortschritts in Unternehmen gehören oftmals die frischen Kolleg:innen. Sie heben den Innovationsstau auf. In einer Zeit, in der sich alles im Eiltempo wandelt, sollten Betriebe besonders stark auf frischen Wind setzen. Und nicht nur deutsche Fachkräfte waten mit guten Ideen auf. Das Lernen von anderen Herangehensweisen öffnete schon so manch einem Marktteilnehmer Tür und Tor zu wirtschaftlichem Erfolg.

•                    Mehr Mitarbeitende aus unterschiedlichen Kulturen und Ländern führen außerdem zu einem stärkeren wirtschaftlichen Erfolg. Denn gesteigerte Diversität im Unternehmen bedeutet mehr Verständnis für unterschiedliche Kundengruppen. Verschiedene Ansichten innerhalb des Unternehmens bedeuten dementsprechend höhere Kundenzufriedenheit, also stärkere Loyalität auf Kundenseite, und eine höhere Chance zur Erschließung neuer Kundengruppen.

•                    Betriebe mit einer höheren Diversität innerhalb ihrer Belegschaft bewerten Mitarbeitende und Arbeitsuchende als attraktiver. Speziell jüngere Arbeitnehmer-Generationen achten auch auf eine gewisse Vielfalt im Unternehmen und wünschen sich ein entsprechendes Arbeitsumfeld. Doch profitieren nicht nur neugierige Young Talents von einem diversen Miteinander im Job. Glücklichere Mitarbeitende steigern den Wert eines Unternehmens im Allgemeinen, denn sie bleiben dem Betrieb länger erhalten. Sie fühlen sich wohl, gut aufgehoben und gesehen. Eine solche Zufriedenheit mit dem Arbeitgeber tragen die Kolleg:innen gerne nach außen. Das wiederum zahlt auf die Reputation der Company ein – was sich nicht zuletzt auch an der Anzahl geeigneter Bewerbenden niederschlägt. Mehr Arbeitssuchende bewerben sich auf eine freie Position, wenn die Firma divers aufgestellt ist. Passendere Bewerbungen bedeuten weniger Zeit- und Budgetaufwand für das Recruiting und die HR-Abteilung. Damit sichern Betriebe ihre Stellung als Arbeitgeber gegen die Konkurrenz sowie am Markt, denn wer die Mitarbeitenden hat, erhält auch die Aufträge.

Die Vorteile liegen also auf der Hand und viele Mittelständler und Kleinunternehmen wissen um den Nutzen. Einige Marktteilnehmer rekrutierten bereits außerhalb Deutschlands, teils auch außerhalb der EU. Ihre Erfahrungen? Genauso komplex wie die Diskussionen zum Thema. Sie einen viele Behördengänge, Barrieren unterschiedlicher Art sowie Vorurteile. All dies gilt sowohl für die Betriebe als auch für die neuen Fachkräfte. Für beide Seiten erfordert die Durchführung einen enormen Kraftaufwand. Alle Betriebe berichten von dem enormen Engagement, dass die Unternehmung erfordert. Und die meisten Hürden liegen nicht im Ausland, sondern in Deutschland. Denn trotz erneuerter Gesetzesgrundlage blickt die Praxis auf ein Dickicht aus bürokratischen Vorschriften und Maßnahmen, die die Politik nicht zu verschlanken vermag. Und die Barrieren in der Gesellschaft sind eine noch ganz andere Baustelle. Die Anwerbenden bemühen sich, machen sich schlau, investieren viel, sowohl Geld als auch Zeit. Sie gestalten strukturiert und selbstständig einen vielfältigen Arbeitsplatz und bemühen sich um gesellschaftliche Integration, im Unternehmen und außerhalb.

Dementsprechend empfinden diese Firmen die Voraussetzungen in Deutschland als diskreditierend:

•                    Fehlerhafte Bürokratie
Viele Berufe sind mit Zugangsbeschränkungen belegt. Das bedeutet, Personen, denen nicht alle Abschlüsse anerkannt werden, dürfen nicht in Deutschland angestellt werden. Viele dieser Vorgaben sind jedoch nur in Deutschland zu erlangen, da sie in dieser geforderten Form beinahe ausschließlich in Deutschland gelten. Laut Industrie- und Handelskammern sind manche Vorgaben deshalb kaum zu erfüllen. Beispiele dafür sind eine Fächernotenübersicht oder ein Rahmenlehrplan. Qualifizierte Personen, die schon Jahre im gleichen Maße wie jeder in Deutschland Angestellte tätig sind, dürfen ihren erlernten Beruf wegen einer Formsache nicht ausführen. Großes Potenzial, das es für den Wirtschaftsstandort Deutschland zu heben gilt.

•                    Zu geringe Integrationsangebote durch Bund, Länder und Kommunen
Egal ob alte oder neue Grundlagen: Fachkräfteeinwanderungsgesetze sowie -programme greifen nicht, wenn die frisch Zugezogenen nicht bleiben. Eine Zuwanderung für die Wirtschaft rechnet sich nur, wenn die Fachkräfte in der Gesellschaft und im Unternehmen ankommen und angenommen werden. Ansonsten verursacht die Maßnahme nur zusätzliche Kosten für Bund und Wirtschaft.

•                    Geringe Zustimmung
Die fehlende Willkommenskultur Deutschlands bleibt auch im Ausland nicht ungesehen. Nachrichten berichten über das zunehmend fremdenfeindliche Klima. Das schreckt nicht nur diejenigen ab, die in ihrem Heimatland darüber nachgedacht hatten, nach Deutschland zu kommen. Auch die Integration derjenigen, die dennoch kommen oder bereits hier sind, verschlechtert sich durch diese Zustände. Schließlich möchte niemand in einem Land leben, in dem er diskriminiert wird oder gar um sein Wohlergehen fürchten muss. Eine offenere Gesellschaft mit mehr Akzeptanz und einem Verständnis dafür, wie wir alle einander helfen, würde viel bewirken.

Ohne massive Änderungen in diesen Punkten wenden sich ausländische Fachkräfte mit ihren Fähigkeiten schnell einem für sie attraktiveren Land zu. Diesen Wirtschaften und Ländern verschafft dies einen großen Wettbewerbsvorteil. Der Industrienation Deutschland mit all ihren Unternehmen kommt diese Attraktivitätslosigkeit sehr teuer zu stehen – Branchenübergreifend und in der gesamten Gesellschaft. Die Nachteile spüren wir bereits jetzt. In Zukunft steigt der Preis, den wir dafür zahlen müssen, jedoch enorm. Noch ist Zeit für eine Kehrtwende. Dafür ist jedoch ein Umdenken und eine andere Agenda nötig.

Silke Masurat ist Gründerin und Geschäftsführerin der zeag GmbH, dem Zentrum für Arbeitgeberattraktivität. Dort fördert sie im Rahmen des TOP JOB-Programms die Arbeitsplatzkultur und Nachhaltigkeit von Unternehmen inklusive regelmäßig erscheinender Studien zur deutschen Arbeitskultur.

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