Eine kurze Geschichte der Digitalisierung

Von   Marcus Raitner   |  Head of Agile @ Allianz   |  Allianz Consulting
23. Februar 2021

Digitalisierung: Kaum ein Schlagwort wurde in den letzten Jahren so inflationär gebraucht. Und wie so oft bei Schlagwörtern steht der Gebrauch in umgekehrt proportionalem Verhältnis zum Verständnis. Natürlich hat sie etwas mit Computern und Rechenleistung zu tun. Das alleine kann es aber nicht sein, dazu gibt es Computer schon zu lange. Ein entscheidender Aspekt der Digitalisierung ist vielmehr die Vernetzung.

Mooresches Gesetz: Exponentielles Wachstum der Rechenleistung

Grundlegend für die Digitalisierung sind immer kleinere, immer leistungsfähigere Computer. Gordon Moore stellte 1965 die These auf, dass sich die Rechenleistung von Computern jährlich verdoppelt. Wenn auch etwas verlangsamt (Verdopplung alle 18 Monate) hat dieses Mooresche Gesetz bis heute Bestand.

Rein rational verstehen die meisten Menschen dieses exponentielle Wachstum der Rechenleistung auch. Wenn es darum geht sich die Zukunft vorzustellen, tun wir das aber linear. Wir schauen was sich beispielsweise in den letzten fünf Jahren verändert hat und gehen davon aus, dass das in ähnlicher Geschwindigkeit so weitergeht. Tut es aber nicht.

Diesen Denkfehler erkennt man schnell an einem Gedankenexperiment. Im Film „Zurück in die Zukunft“ geht es um eine Zeitreise zwischen den Jahren 1985 und 1955 und ein Teil der Komik des Films beruht darauf, dass die Welt sich zwischen 1955 und 1985 technologisch weiterentwickelt und verändert hat. Würde man aber diesen Zeitsprung von 30 Jahren zwischen 1985 und 2015 machen, wäre man als Zeitreisender komplett abgehängt und der Film vermutlich noch lustiger: In diesen 30 Jahren wurde aus den ersten Computern wie dem C64 ein ständig vernetztes Smartphone, das gleichzeitig Kamera, Navigationsgerät, Walkman, tragbarer Fernseher und vieles mehr ist.

Vernetzung: Die Plattform macht den Unterschied

Rechenleistung allein macht aber noch keine Digitalisierung. Damit lässt sich zwar allerlei Information in digitaler Form erstellen, in digitale Form umwandeln und in digitaler Form bearbeiten, aber es bleibt alles lokal. Die Musikindustrie hat selbst die Digitalisierung vorangetrieben und Musik in Form von CDs digitalisiert. Und auch MP3 war per se kein Problem für die Musikindustrie. Zum Problem wurde es erst durch die immer bessere Vernetzung von Computern und den dadurch möglichen Filesharing-Plattformen wie Napster. Dadurch wurde die lokal vorhandene digitale Information für alle und überall zugänglich.

Die Vernetzung der Geräte ist die Basis, den Unterschied aber machen Plattformen. Sowohl Nokia als auch RIM mit dem Blackberry hatten 2007 erstklassige Produkte, die technisch betrachtet dem iPhone ebenbürtig oder überlegen waren. Ein wesentlicher Unterschied war allerdings, dass das iPhone konsequent auf mobiles Internet setzte. Aus den bisherigen mobilen Telefonen, die auch E-Mail und mehr schlecht als recht auch Internet konnten, wurden vollwertige Smartphones mit dauerhafter Internetverbindung als wesentliches Merkmal.

Aber auch das hätte vermutlich nicht gereicht, weil es damals neben E-Mail und Browser zu wenig Anwendungsfälle für mobiles Internet gab. Den entscheidenden Unterschied machte der App-Store von Apple (und zeitgleich der entsprechende von Google für Android). Apple (und Google) machten das Smartphone zur mehr oder weniger offenen Plattform für Anwendungen Dritter. Abgesehen davon, dass Apple auch mit dem App-Store signifikanten Gewinn macht, führte so jede neue Anwendung auf dieser Plattform zu einer Aufwertung des iPhones.

Seither entstehen auf Basis dieser allgegenwärtigen Vernetzung immer neue digitale Plattformen, auf denen Anbieter und Nachfrager zueinander finden. Die Digitalisierung greift damit auch in Bereiche, die zunächst gar nicht digital zu sein scheinen. Uber greift ohne ein einziges eigenes Taxi das Geschäftsmodell von Taxiunternehmen an. Und das dank Digitalisierung weltweit. Airbnb macht ohne ein einziges Hotel den etablierten Hotelketten Konkurrenz. Selbstverständlich auch im größtmöglichen Stil. Das ist die eigentliche Digitalisierung.

Marcus Raitner ist überzeugt, dass Elefanten tanzen können. Als Agile Coach begleitet er deshalb Unternehmen auf ihrer Reise zu mehr Agilität und menschlicher Lebendigkeit. In seinem Blog schreibt er seit 2010 über die Themen Führung, Agilität, Digitalisierung und vieles mehr: https://raitner.de/

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