Design Thinking und Lean-Startup Prinzipien für die erfolgreiche Geschäftsmodellentwicklung im IoT Umfeld

Von   Dr. Thomas Lücking   |  Business Development Manager   |  Bosch Engineering GmbH
24. Juni 2019

Das Internet der Dinge (IoT) ist ein fester Bestandteil aller aktuellen Diskussionen rund um die Zukunft unserer Wirtschaft und Gesellschaft. Die Möglichkeiten, die sich aus der Digitalisierung der realen Welt ergeben, haben nicht nur das Potential, neue Geschäftsmodelle zu ermöglichen, sondern auch unser aller tägliches Leben nachhaltig zu verändern. Dafür brauchen wir den nachhaltigen wirtschaftlichen Erfolg von IoT Produkten als Grundvoraussetzung.
Hieran scheint es jedoch zu mangeln, wie eine internationale Cisco [1] Studie ergab. Den Ergebnissen zufolge gaben 74% aller befragten Unternehmen an, bei ihren IoT Initiativen nicht erfolgreich zu sein. Lediglich 15% der befragten Firmen sahen einen ökonomischen Wertbeitrag aus ihren IoT Lösungen entstehen. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Zum einen führt der momentane Mangel an Standards und Interoperabilität dazu, dass Skalierungseffekte (noch) nicht über Produkt- bzw. Lösungsgrenzen hinausgehen. Zum anderen erschweren die hohe technische und ökonomische Komplexität den Erfolg. Klassische Abteilungs- und Domänengrenzen behindern die Kommunikation und Durchlässigkeit von Wissen und erschweren sowohl Planung als auch Umsetzung. Die effektive Einbeziehung von Partnern aus teilweise fremden Domänen wird hingegen als Erfolgsfaktor genannt. Dies deckt sich auch mit unseren eigenen Erfahrungen.

IoT-basierte Geschäftsmodelle, also die Art und Weise, wie Wert geschaffen wird, unterscheiden sich substantiell von klassischen Geschäftsmodellen in linearen Wertschöpfungsgefügen. Mit der technischen Komplexität kommt meist auch ein nicht minder komplexer ökonomischer Lösungsraum ins Spiel. Dies ist einer der Hauptbeweggründe, warum wir von der Bosch Engineering GmbH ein Bosch-intern entwickeltes Methodenframework anwenden, das eigens auf die Entwicklung von IoT-basierten Geschäftsmodellen ausgelegt ist – der IoT Business Models Builder [2]. Generell bilden Konzepte und Methoden aus dem Design Thinking und Lean-Startup Umfeld die Grundlagen in diesem Framework. Ausgewählte Managementtools dienen hierbei zur Strukturierung des Lösungsraums. Das weitere Vorgehen ist durch die Validierung von Arbeitshypothesen geprägt, die sich auf die verschiedensten Dimensionen und Mechanismen des Geschäftsmodells beziehen.

Aus den zahlreichen Erfahrungen der Projektarbeit hat sich unser Bild bekräftigt, dass eine frühzeitige Anwendung der Validierungsmethodik die Qualität und die Umsetzbarkeit des jeweiligen IoT Projekts deutlich positiv beeinflusst. Gleichzeitig lassen sich einige der oben genannten Schwierigkeiten bei der erfolgreichen Einführung von IoT Produkten frühzeitig erkennen und entscheidend abmildern. Im Folgenden möchten wir gerne einige der wichtigsten zentralen Erfolgskriterien bei der Anwendung unseres Frameworks teilen.

Je früher desto besser

Wie bereits angedeutet, handelt es sich bei den meisten IoT Anwendungen um technisch komplexe Gesamtlösungen. Typische Teilelemente sind hier unter anderem das „Ding“, also die datensammelnde Hardware inklusiver Sensorik samt der darauf laufenden Software, die Konnektivität und das Backend. Letzteres steht meist als breiter Sammelbegriff für die unterschiedlichsten Funktionen, wie beispielsweise die physische Server-Infrastruktur, Datenbanken, Datenauswertungen, Reportingfunktionen, das Management der Hardware im Feld, die Nutzerauthentifizierung und –verwaltung oder die Schnittstelle zu Drittsystemen von Partnern und Kunden.

Diese technische Komplexität lässt grundsätzlich viele Freiheitsgrade hinsichtlich der technischen Umsetzung zu. Gleichzeitig bedeutet dies jedoch einen großen Integrationsaufwand mit hohen Abhängigkeiten zwischen den einzelnen Gesamtsystemen. Ist das gesamte Systemdesign einmal fixiert und eine technische Umsetzung im vollen Gange, werden Änderungen teuer. Teilweise können die Kosten einer technischen Neuausrichtung so hoch sein, dass die Wirtschaftlichkeit der Lösung nicht mehr erreichbar ist und das Vorhaben gestoppt werden muss.

Abbildung 1 illustriert stark vereinfacht, wie das Toolframework des Business Model Builders nach der initialen Idee zum Einsatz kommt, bevor das fertig validierte Produkt in die Entwicklung geht.

IoT Projekte sollten idealerweise als gesamtes Geschäftsmodell am Markt validiert werden, bevor sie in eine technische Umsetzung gehen. Grundsätzlich werden hier Hypothesen getestet, auf denen die Idee des Geschäftsmodells basiert. Das Validieren oder Testen dieser Hypothesen kann auf unterschiedlichste Weise geschehen. Dabei gehen die Techniken von qualitativen Interviews, über das Testen von ersten Nutzeroberflächen, bis hin zu Crowdfunding Initiativen, quantitativen A/B Studien oder der Akquisition von ersten Pilotkunden für „Minimum Viable Products“ (MVPs).

Hypothesen können zum Beispiel die Wahl des Umsatzmodells betreffen. Ist der Kunde generell bereit, eine wiederkehrende monatliche Gebühr zu bezahlen und wenn ja, zu welchen Bedingungen? Welche Funktionalität muss meine Lösung unbedingt haben, und welche Features sind vielleicht nur Nice-to-have? Weitere Hypothesen könnten die potentiellen Partner betreffen. Welche Partner brauche ich und sind diese bereit, mit mir zusammen zu arbeiten? Welche Rolle will ich als „Business Owner“ im Gesamtbild spielen? Wie stark beeinflusst das notwendige Partnernetzwerk meine Marge? Welche rechtlichen Vorgaben muss ich bei der Umsetzung beachten, speziell im Hinblick auf Datensicherheit und -weiterverarbeitung?

Eine der wichtigsten Hypothesen ist allerdings die der Zahlungsbereitschaft des Kunden. Ist dieser bereit, soviel für meine Lösung zu bezahlen, dass sich die Umsetzung für mich wirtschaftlich lohnt?

Von Kunden und Nutzern

Um die Frage der Zahlungsbereitschaft zu beantworten, ist es wichtig, zwischen Kunde und Nutzer zu unterscheiden. Gerade im IoT Kontext müssen wir uns oft die zentrale Frage stellen, für wen unsere Lösung gedacht ist und wer uns dafür bezahlt. Unser Kunde kann oft selbst ein Kundengeschäft betreiben und unsere IoT Lösung wiederum seinen Kunden bereitstellen. In diesem Fall wären wir in einer B2B2C Beziehung und müssten das Angebot an beiden Interessensgruppen ausrichten. Generiert unsere Lösung einen zusätzlichen Wert für die Kunden unseres Kunden, sodass wiederum unser Kunde bereit ist, dafür zu zahlen? Wer hätte dann die Verantwortung für die Schnittstelle zu den Nutzern und wie sieht diese Schnittstelle aus?

Noch wichtiger ist allerdings die zentrale Frage nach dem konkreten Problem der Zielgruppe, das ich durch meine Lösung adressiere bzw. nach dem konkreten Wert, den ich schaffen möchte. Unser Methodenframework nähert sich stets aus der Kundensicht einer jeden möglichen Lösung. Basierend auf Marktkenntnis und Empathie steht das Verständnis für die täglichen Probleme und Aufgaben des Kunden oder Nutzers im Mittelpunkt jeder Geschäftsmodellentwicklung. Mit diesem Fokus sollten auch stets die ersten Validierungsaktivitäten starten.

Frühe Offenheit als Schlüssel für nachhaltigen Erfolg

Unsere Erfahrung zeigt, dass eine frühe Kunden- und Nutzervalidierung das größte Potential für die Optimierung des Geschäftsmodells hat. Die Einbindung von zusätzlichen kritischen Stakeholdern wie potentiellen Partnern und Zulieferern sollte ebenfalls sehr früh geschehen. Für viele Unternehmen stellt dies eine große Herausforderung dar. Berechtigte Sorgen bezüglich Urheberrecht und Geheimhaltung stehen dem Bedarf an Informationsaustausch entgegen. In einer Welt, in der der Zugang zu Wissen durch das Internet nahezu unbeschränkt ist, wird die Vernetzung immer wichtiger. Die eigentliche Idee ist in den seltensten Fällen exklusiv bzw. neu. Sie kann nur reifen durch die Rückmeldung und den Austausch zwischen den einzelnen spezialisierten Akteuren in der komplexen Welt der IoT Ökosysteme. Ein zentraler Wettbewerbsvorteil wird in der Zukunft die Fähigkeit sein, zentrale Stakeholder frühzeitig einzubinden, um dann solide und wettbewerbsfähige IoT Lösungen schnell anbieten zu können.

Wertschöpfungsnetzwerke statt -ketten

Das IoT Value Network ist eines der zentralsten und wichtigsten Tools unseres Methodenframeworks. Hier steht die Wertgenerierung für jeden einzelnen Teilnehmer im Wertschöpfungsnetzwerk im Vordergrund. Die Notwendigkeit in Wertschöpfungsnetzwerken zu denken, wird dabei besonders forciert. So wird zwischen Partnern und Zulieferern unterschieden und jeweilige Wert- und Geldströme werden abgetragen.

Abbildung 2 zeigt ein IoT Value Network aus einem unserer Workshops.

Hier wird deutlich, dass der Erfolg nicht nur von dem eigenen Werteversprechen gegenüber dem Kunden und Nutzer abhängt, sondern auch von dem gegenüber den Partnern. Zusätzlich fördert es die Reflektion über die eigene Rolle in diesem Netzwerk. Welchen Wert generiere ich selber innerhalb der Lösung gegenüber meinen Kunden und meinen Partnern? Welche Partner brauche ich für die Umsetzung? Habe ich bereits Kontakte zu diesen Partnern oder muss ich zuerst eine Geschäftsbeziehung aufbauen? Kann ich die Komplexität meines Netzwerkes später auch beherrschen? Welche Auswirkungen hat die Netzwerkausprägung auf meine Profitabilität? Was ist zu tun, wenn ein wichtiger Partner in meinem Netzwerk kein Interesse an einem gemeinsamen Geschäft hat? Hier empfiehlt sich ebenfalls eine frühe Einbindung der jeweiligen potentiellen Partner für die Validierung der angenommenen Hypothesen.

Validieren, iterieren, validieren, iterieren, …

Die grundsätzlichen Prinzipien von Design Thinking und Lean-Startup gehören mittlerweile zu den festen Bestandteilen einer jeden Diskussion um die erfolgreiche Etablierung von neuen Geschäftsmodellen. Die Fokussierung auf den Nutzer und die frühe Überprüfung von Annahmen sind zunächst sehr einleuchtend und scheinen nicht wirklich kontrovers zu sein. Wie bereits angedeutet, bedeutet eine konsequente Verfolgung dieser Prinzipien auch eine Investition.

Was aber bedeutet eine konsequente Verfolgung dieser Grundprinzipien in der Praxis? Eine generelle Daumenregel besagt, dass ca. 80% aller Aufwände bei der Geschäftsmodellentwicklung durch die Validierung verursacht werden. Interviews mit Kunden, Nutzern und Partnern zu führen ist zeit- und ressourcenintensiv. Je nach Projekt und Jahreszeit kann es schon einmal mehrere Wochen dauern, bis ein vielbeschäftigter Stakeholder Zeit für ein Interview hat. Der Test eines ersten Prototypen oder Mockups sollte ebenfalls sorgfältig geplant werden. Erfolgskriterien und Kennzahlen werden im Vorfeld festgelegt. Alle Annahmen und Hypothesen müssen dokumentiert, bewertet und priorisiert werden, um ein aktives Risikomanagement zu ermöglichen. Es überrascht also nicht, dass Projektteams zur Geschäftsmodellentwicklung ausreichend mit Ressourcen ausgestattet werden müssen, um ihrer Aufgabe gerecht zu werden. Obgleich wir eine allgemein hohe Verbreitung und Akzeptanz von „leanen“ Prinzipien in der öffentlichen Diskussion beobachten können, wird oft unterschätzt, wieviel Aufwand teilweise hinter dem Zyklus von Validierung und Iteration steht.

Die Überprüfung der Hypothesen sollte je nach Methode von entsprechenden User Experience Experten durchgeführt werden. So können beispielsweise bei problemorientierten Interviews im schlechtesten Fall ganze Sessions wertlos sein, wenn die falsche Fragetechnik angewendet wird. Auch im Falle einer Testseite im Internet oder einer Nutzeroberfläche sollten Fachleute bei der Gestaltung eingebunden werden.

Basierend auf den durchgeführten Tests und Interviews werden neue Erkenntnisse aufgenommen und das Geschäftsmodell bei Bedarf entsprechend angepasst. Das Prinzip der Iteration, also der Anpassung und Wiederholdung, ist neben der Validierung ebenfalls von entscheidender Bedeutung. Es ist ein weiteres zentrales Element des Lean-Startup Gedankens und wird auch in unseren Projekten angewandt. Typischerweise gibt es während einer Geschäftsmodellentwicklung mehrere Iterationsschleifen. Durch Validierungstests werden zuvor gestellte Annahmen wiederlegt. Dies hat dann wiederum Auswirkungen auf eine oder mehrere Dimensionen des Geschäftsmodells. Unter Umständen können mehrere Iterationsschleifen dazu führen, dass das Geschäftsmodell in seiner „Endfassung“ nahezu nichts mehr mit der ursprünglichen Idee gemein hat.

Datenverwertung und -verfügbarkeit

Jede IoT Anwendung produziert Daten. Die Informationen auf der Grundlage dieser Daten sind die Basis für den eigentlichen Mehrwert, für den ich bei meinen Kunden Geld verlangen kann. Korrelieren diese Daten mit Informationen aus anderen Bereichen oder Märkten, können diese auch für weitere Kunden potentiell interessant sein. Durch eine strukturierte Analyse der zu erhebenden Daten können so frühzeitig weitere potentielle Stakeholder identifiziert werden, die bereits zu Beginn der Planungen berücksichtigt werde können. Wichtig ist hierbei zu beachten: Je erfolgskritischer die Weiterverarbeitung der erhobenen Daten, desto entscheidender werden hier Aspekte des Datenschutzes und der Datenhoheit.

Einbettung in die Unternehmensstrategie

Ein wichtiges Grundprinzip im Lean-Startup ist die Fokussierung. Häufig entstehen in Workshops und Projekten verschiedene Ideen zu neuen Geschäftsmodellen. Zur Bewertung und Auswahl der entstandenen Ideen kommen verschiedenste Tools zur Herbeiführung einer nachvollziehbaren Entscheidung für ein zu fokussierendes Modell zum Einsatz. Bei unseren formaleren Tools nutzen wir eine oder mehrere zentrale Zieldimensionen, welche zur globalen Unternehmensstrategie passen. Spielt zum Beispiel die mittelfristige Ertragsverbesserung eine größere Rolle als der Innovationsgrad, so würden alle Ideen anhand eines „Time-to-market“ Index priorisiert werden können. Andere Indizes können den Komplexitätsgrad abbilden, die voraussichtlichen Kosten, oder die inhaltliche Nähe zum Kerngeschäft. Entscheidend ist hierbei stets die Transparenz und Klarheit der jeweiligen Unternehmensstrategie. Die so eingebettete Priorisierung von Ideen ermöglicht es, die attraktivsten Ideen fokussiert zu verfolgen, notfalls zu verwerfen und zeitnah die nächstbesten Geschäftsmodelle anzugehen.

Quellen und Referenzen

[1] https://de.slideshare.net/CiscoBusinessInsights/journey-to-iot-value-76163389

[2] http://www.iot-lab.ch/wp-content/uploads/2015/10/Whitepaper_IoT-Business-Model-Builder.pdf

 

 

Dr. Thomas Lücking ist Senior Manager für IoT Business Development und Consulting bei der Bosch Engineering GmbH. Hierbei leitet er unter anderem die IoT Geschäftsmodellberatung für externe Kunden. Davor war Thomas als Unternehmensberater und Senior Business Analyst in der Telekommunikations- und Videospielindustrie in Düsseldorf, Prag und London tätig. Er studierte Betriebswirtschaft in Aachen und in den USA und promovierte (Dr.rer.pol.) in Technologie- und Innovationsmanagement an der Universität Würzburg.

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