KI in der Fertigung – Von Science-Fiction zur Realität: Robotik in der Smart Factory

Von   Robert Frodl   |  Director DACH Customer Development for Engineering Solutions   |  Plexus
10. März 2021

Filme wie „WALL·E“ oder „I, Robot“ beschreiben eine Welt, in der Roboter eine zentrale Rolle im Leben der Menschen einnehmen. Dabei sollen sie den Menschen hauptsächlich lästige Alltagsarbeiten abnehmen. Ein Blick in die Fertigungsindustrie zeigt, dass dieser Traum dank künstlicher Intelligenz (KI) und Machine Learning schon teilweise Realität ist.
KI und Machine Learning sind heutzutage Teil unseres Alltags. Sei es in den eigenen vier Wänden durch den virtuellen Assistenten Alexa oder die unzähligen Sprachhelfer wie Siri im Handy. Doch ist das tatsächlich schon künstliche Intelligenz? Unter KI wird die Fähigkeit verstanden, intelligentes menschliches Verhalten auf Maschinen zu übertragen, zum Beispiel das Erkennen von Texten, Bildinhalten oder die Spracherkennung. Obwohl die Begriffe KI und Machine Learning oft austauschbar genutzt werden, sind sie nicht dasselbe. Machine Learning ist nämlich nur ein Teilbereich von KI und beschreibt mathematische Techniken, die einer Maschine ermöglichen, selbständig Wissen aus Erfahrungen zu generieren.

Roboter in der Fertigung

Spricht man von KI in der Fertigungsindustrie, so sind in der Regel intelligente Industrieroboter gemeint. Für Industrieroboter bildet maschinelles Lernen eines der leistungsstärksten Technologien. Ziel ist es, dass die Maschine aus früheren Fehlern lernt und in der Lage ist, zukünftige Probleme oder Störungen rechtzeitig zu identifizieren und selbstständig zu beheben. Das Interesse von Unternehmen, diese digitalen Technologien in ihren Fertigungsprozessen zu integrieren, ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Laut einer Untersuchung von BCG und MIT Sloan Management [1] gehen 84% der Führungskräfte von einem deutlichen Wettbewerbsvorteil durch smarte und intelligente Maschinen im Unternehmen aus.

In der Praxis sieht der Vorteil wie folgt aus: Bei der Produkt-Montage identifizieren Roboter über Sensoren und Kameras zuverlässig Einzelteile und greifen, positionieren und setzen Komponente einer Baugruppe korrekt zusammen. Besonders bei Produktionsprozessen mit stark automatisierten Bewegungsabläufen, wie Laserschweißen, Löten, Sprühen oder Kleben kommen Industrieroboter zum Einsatz. Die robotergestützte Inspektion wird ebenfalls direkt in die Fertigungslinie integriert. Dies erweist sich insbesondere bei Produkten mit großen Formfaktoren als nützlich. Schwere Teile können mit programmierten Roboterarmen zusammengeschweißt werden und unterstützen so die Mitarbeiter in der Produktion. Die Anforderungen an Qualität und Präzision sind hoch, da schon kleine Produktfehler möglicherweise zu schweren Unfällen führen können. Dementsprechend muss die Qualität der Inspektion ebenso hoch sein.

Sorgfältige Inspektion im Reinraum mit KI

Ähnlich hohe Anforderungen stellt auch die Fertigung von komplexen medizinischen Geräten, wie Infusionspumpen, Laborinstrumente oder medizinischen Einweggeräten (Single-Use-Devices). Die Herstellung dieser Produkte unterliegen strengen Richtlinien hinsichtlich Hygiene und müssen daher oftmals in der sterilen Umgebung eines Reinraums gefertigt werden. Reinräume minimieren durch systematische Lüftungs- und Filtertechniken Produktions- und Umweltrisiken, die durch Partikel entstehen könnten. Findet sich während der Qualitätskontrolle nur ein einzelnes Haar in den bereits steril verpackten Geräten, kann das zum Rückruf ganzer Produktchargen führen und immense Kosten zur Folge haben. Um das größte Kontaminationsrisiko „Mensch“ zu vermeiden, ist in der Reinraumfertigung der Automatisierungsrad und Einsatz von Robotern sehr hoch. Roboter übernehmen hier wichtige Arbeitsschritte, von der Montage der einzelnen Komponenten über die Prüfung und Inspektion des Endgeräts bis hin zur sterilen Verpackung.

Bei der robotergestützten Inspektion prüfen eingebaute Kameras Objekte und Bauteile während der Produktion auf mögliche Fehler. Die automatisierte Bildverarbeitung verleiht Robotern eine kognitive Fähigkeit, um bestimmte Objekte anhand von Einkerbungen, Markierungen oder anderen visuellen Merkmalen zu identifizieren und zu lokalisieren. Dabei wertet die künstliche Intelligenz in der laufenden Produktion Bilder eines Bauteils oder einer Komponente aus und gleicht sie in Millisekunden mit hunderten anderen Bildern der gleichen Sequenz ab. So kann in Echtzeit festgestellt werden, ob zum Beispiel alle vorgesehenen Teile eines Single-Use-Devices richtig zusammengefügt sind. Liegen hier Abweichungen vor, kann der Roboter diese frühzeitig während der Produktion erkennen und als Fehler melden. Das garantiert neben einem hohen Maß an Sauberkeit auch eine höhere Zuverlässigkeit bei der Fertigung komplexer medizinischer Geräte.

Datenanalytik im IIoT

Bei robotergestützten Inspektionen wird Machine Learning in erster Linie eingesetzt, um die Erkennungsleistung des Roboters zu optimieren. Das Industrial Internet of Things (IIoT) ist dafür eine wichtige Voraussetzung. Dabei erfassen und verarbeiten Industrieroboter während des Einsatzes zahlreiche verschiedene Informationen. Basierend auf diesen Datensätzen können Automatisierungslösungen besser programmiert und gesteuert werden. Je vernetzter die Daten, desto mehr Kontext entsteht, der es KI-Anwendungen ermöglicht, Muster zu erkennen, zu lernen und auf unterschiedliche Prozesse anzuwenden.

Ein gutes Beispiel bildet hier die vorausschauende Instandhaltung. Sensoren sammeln leistungsbezogene Daten von der jeweiligen Maschine und überwachen so den Wartungsbedarf. So können Reparaturen veranlasst werden, bevor Defekte auftreten. Mit hohen Kosten verbundene Ausfallzeiten gehören damit der Vergangenheit an. Datenanalytik bietet auch die Ausgangslage für eine 360°-Ansicht von Produkten und unterstützt ein agiles und effizientes Engineering. Im Supply Chain Management liefert die Auswertung von Daten treffgenaue Vorhersagen, um Risiken frühzeitig zu entschärfen und schnell auf Engpässe, Marktschwankungen und Störungen reagieren zu können.

Smart Factory – mehr als nur Science-Fiction

Egal ob IIoT, KI, Machine Learning, Industrieroboter oder die kostenintensive Fertigung im Reinraum – die Einführung von disruptiven Technologien für die Smart Factory ist ein zeit- und kostenintensives Unterfangen. Unternehmen sollten daher schrittweise smarte Prozesse implementieren und den Mehrwert von KI für unterschiedliche Einsatzbereiche und Geschäftsfelder testen. Das können und müssen Unternehmen nicht allein tun. Wie wirkt sich eine robotergesteuerte Fertigung auf das Design und die Entwicklung von Produkten aus? Wo in der Produktionsumgebung macht der Einsatz von KI überhaupt Sinn? Wie muss die IT-Infrastruktur aussehen, um auch langfristig die Flut an Daten managen und auswerten zu können? Gemeinsam mit einem E2MS Partner lassen sich solche Fragen gezielt beantworten. Dabei können sie auch über den eigenen Tellerrand hinausschauen und von branchenfremder Expertise in Bezug auf Machine Learning, Data Analytics und KI profitieren.

Unterm Strich liegen die Vorteile von robotergestützten Automatisierungslösungen jedoch klar auf der Hand: hohe Präzision, Optimierung der Betriebszeit, Reduzieren von Downtime und höhere Konsistenz innerhalb der Produktion. Letztlich steigt damit auch die Qualität und die Time-to-Market verkürzt sich. Bis die Roboter Seite an Seite mit den Menschen leben und echte KI an den Tag legen, ist es sicher noch ein Weilchen hin. Doch in der Produktion sind sie schon heute in vielen Fällen ein fester Bestandteil. Die Implementierung künstlicher Intelligenz wird den Industriesektor für Hersteller sowie Kunden stark verändern und zusammen mit einem hohen Automatisierungsgrad in Zukunft noch anspruchsvollere Produkte ermöglichen.

 

Quellen und Referenzen:

[1] https://sloanreview.mit.edu/projects/reshaping-business-with-artificial-intelligence/

 

Robert Frodl verantwortet die EMEA Go-to-Market-Strategie von Plexus in der DACH-Region. Dazu gehört auch die Fokus-Branche Healthcare/Life Sciences. Er ist Dipl.-Ing. (FH) und war vor Plexus in Unternehmen wie Tyco Electronics oder Rohde & Schwarz tätig.

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